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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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j)ompejcmische Tpaziergänge.

auch die ungemeine Geschwindigkeit ihrer Arbeit und ihre unerschöpfliche Frucht¬
barkeit. Sie hatten eine Menge brillanter, berühmten Meistern entnommener
Stoffe in ihrem Gedächtnis bereit liegen und sozusagen an der Spitze ihres
Pinsels: so waren sie um die flinke Herstellung einer Hausdekoration nie ver¬
legen und konnten dieselbe wohlfeil genug liefern. Sie arbeiteten nicht nach
Eingebung ihres Genies, sondern malten aus der Erinnerung; sie sind keine
Erfinder, sondern Nachahmer.

Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die Kenner und Kunst¬
richter des ersten Jahrhunderts auf die Malerei ihrer Zeit so schlecht zu sprechen
sind. Wir kennen hierüber die Ansicht eines Mannes von Geist, eines verständ¬
nisvollen Freundes der Wissenschaften und Künste, einer merkwürdigen und
widerspruchsvollen, in ihrer Aufführung sehr leichtsinnigen, im Urteilen sehr
ernsten Persönlichkeit, welche lebte wie ihre Zeitgenosse", im Denken dagegen sich
gern das Ansehen gab, als wäre sie ein Mann der Vergangenheit. Petronius
läßt in seinem satirischen Roman seine Helden, rechte Abenteurer und Tage¬
diebe, einmal in einer Säulenhalle lustwandeln, die, wie üblich, mit wertvollen
Wandgemälden geschmückt ist. Sie betrachten dieselben mit großem Wohlge¬
fallen, wünschen ihr Alter zu wissen, bemühen sich um das Verständnis des
Gegenstandes und fangen an, darüber mit einander zu diskutiren- Die Ver¬
gangenheit führt sie, wie dies in der Regel der Fall ist, schnell zur Gegenwart
zurück, und bald unterhalten sie sich über die zeitgenössische Kunst. Sie sprechen
von ihr mit großer Strenge; die Bewunderung, die sie für die alten Meister
empfinden, macht sie recht hart gegen die Künstler ihres eignen Jahrhunderts.
Sie finden, daß die Künste in vollem Verfall seien und daß ihre Verderberin
die Gewinnsucht sei. Und hier kommen Klagen, wie wir sie seit jener Zeit gar
oft gehört haben: die Vergangenheit war das goldne Zeitalter; "die schönen
Künste erstrahlten damals in ihrem vollen Glänze, weil man noch die nackte
Tilgend liebte. Ist es ein Wunder, daß sie jetzt verlassen sind, da wir sehen,
daß die Götter und Menschen eine Goldbarre allen Bildsäulen und allen Ge¬
mälden vorziehen, welche diese armen Griechen, diese Narren Phidias und Apelles,
im Schweiße ihres Angesichts geschaffen haben?" Der Schluß ist: "Die Malerei
ist tot; keine Spur ist mehr von ihr übrig."*) Fast derselben Meinung ist der
ältere Plinius, ein minder voreingenommener, im ganzen gerechterer Richter.
Er versichert einmal: "Die Malerei geht ihrem Untergange entgegen," und an
einer andern Stelle: "Es giebt schon gar keine Malerei mehr."**) Das sind recht
harte Urteile. Wer Pompeji besucht hat, dem fällt es schwer, sie ohne weiteres
zu unterschreiben. Er erinnert sich der so talentvoll erfundenen Szenen, der so
zierlichen, so anmutigen Figuren; er bedenkt, daß diese Gemälde in so kurzer
Zeit, von unbekannten Künstlern, für bloße Provinzialstädte ausgeführt worden




- **) Plinius XXXV, 29 und 50.
") Petronius, Lu,t. 2 und 38.
j)ompejcmische Tpaziergänge.

auch die ungemeine Geschwindigkeit ihrer Arbeit und ihre unerschöpfliche Frucht¬
barkeit. Sie hatten eine Menge brillanter, berühmten Meistern entnommener
Stoffe in ihrem Gedächtnis bereit liegen und sozusagen an der Spitze ihres
Pinsels: so waren sie um die flinke Herstellung einer Hausdekoration nie ver¬
legen und konnten dieselbe wohlfeil genug liefern. Sie arbeiteten nicht nach
Eingebung ihres Genies, sondern malten aus der Erinnerung; sie sind keine
Erfinder, sondern Nachahmer.

Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb die Kenner und Kunst¬
richter des ersten Jahrhunderts auf die Malerei ihrer Zeit so schlecht zu sprechen
sind. Wir kennen hierüber die Ansicht eines Mannes von Geist, eines verständ¬
nisvollen Freundes der Wissenschaften und Künste, einer merkwürdigen und
widerspruchsvollen, in ihrer Aufführung sehr leichtsinnigen, im Urteilen sehr
ernsten Persönlichkeit, welche lebte wie ihre Zeitgenosse», im Denken dagegen sich
gern das Ansehen gab, als wäre sie ein Mann der Vergangenheit. Petronius
läßt in seinem satirischen Roman seine Helden, rechte Abenteurer und Tage¬
diebe, einmal in einer Säulenhalle lustwandeln, die, wie üblich, mit wertvollen
Wandgemälden geschmückt ist. Sie betrachten dieselben mit großem Wohlge¬
fallen, wünschen ihr Alter zu wissen, bemühen sich um das Verständnis des
Gegenstandes und fangen an, darüber mit einander zu diskutiren- Die Ver¬
gangenheit führt sie, wie dies in der Regel der Fall ist, schnell zur Gegenwart
zurück, und bald unterhalten sie sich über die zeitgenössische Kunst. Sie sprechen
von ihr mit großer Strenge; die Bewunderung, die sie für die alten Meister
empfinden, macht sie recht hart gegen die Künstler ihres eignen Jahrhunderts.
Sie finden, daß die Künste in vollem Verfall seien und daß ihre Verderberin
die Gewinnsucht sei. Und hier kommen Klagen, wie wir sie seit jener Zeit gar
oft gehört haben: die Vergangenheit war das goldne Zeitalter; „die schönen
Künste erstrahlten damals in ihrem vollen Glänze, weil man noch die nackte
Tilgend liebte. Ist es ein Wunder, daß sie jetzt verlassen sind, da wir sehen,
daß die Götter und Menschen eine Goldbarre allen Bildsäulen und allen Ge¬
mälden vorziehen, welche diese armen Griechen, diese Narren Phidias und Apelles,
im Schweiße ihres Angesichts geschaffen haben?" Der Schluß ist: „Die Malerei
ist tot; keine Spur ist mehr von ihr übrig."*) Fast derselben Meinung ist der
ältere Plinius, ein minder voreingenommener, im ganzen gerechterer Richter.
Er versichert einmal: „Die Malerei geht ihrem Untergange entgegen," und an
einer andern Stelle: „Es giebt schon gar keine Malerei mehr."**) Das sind recht
harte Urteile. Wer Pompeji besucht hat, dem fällt es schwer, sie ohne weiteres
zu unterschreiben. Er erinnert sich der so talentvoll erfundenen Szenen, der so
zierlichen, so anmutigen Figuren; er bedenkt, daß diese Gemälde in so kurzer
Zeit, von unbekannten Künstlern, für bloße Provinzialstädte ausgeführt worden




- **) Plinius XXXV, 29 und 50.
") Petronius, Lu,t. 2 und 38.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/304>, abgerufen am 24.08.2024.