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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

Darstellungen mit derjenigen Klasse, welche mir aus mythologischen Gegenständen
besteht, irgend vergleichen.

Die erste und wichtigste Frage, die wir uns bezüglich der Malereien von
Pompeji stellen, ist die Frage nach ihrem Ursprung. Woher kamen ihre Maler?
Waren es selbständige Künstler, welche den Gegenstand ihrer Werke erfanden?
Und wenn es bloß Nachahmer sind -- welcher Schule gehörten ihre Vorbilder
an und in welchem Jahrhundert haben sie gelebt? Die alten Schriftsteller
geben uns hierüber keinen Aufschluß. So sind wir darauf angewiesen, die Malereien
selbst zu befragen und alle Antwort lediglich aus ihnen zu schöpfen.

Für die Genrebilder, von denen eben flüchtig die Rede war, ist die Frage
leicht zu lösen. Sie stellen Lvkalvorgänge und Menschen des Landes dar; sie
sind also im Lande selbst geschaffen und der Wirklichkeit nachgebildet worden.
War der Herr des Hauses, welches der Künstler dekoriren sollte, einer jener
leidenschaftlichen Liebhaber des Amphitheaters oder des Zirkus, der das Schau¬
spiel eines solchen unaufhörlich vor Augen haben wollte, oder war er ein Freund
alltäglicher Szenen, so gewann der Künstler seinen Beifall durch genaue Kopien
derartiger Vorgänge. Er ging und beobachtete die Gladiatoren bei ihren Übungen
in der großen, bei dem Theater entdeckten Kaserne; alsdann stellte er sie dar,
wie er sie gesehen hatte. Ebenso versetzte er die Besucher des Forums, die
Spaziergänger in den Straßen der kleinen Stadt ohne weiteres in seine Bilder.
Diese Tuchwalker, diese Gastwirte, diese Bäcker, diese Fischhändler, die wir an
den Wänden der pvmpejnnischen Häuser erblicken -- es sind ganz sicher die
einstigen Bewohner der Kaufläden, in denen wir noch heute ihre Gerätschaften
wiederfinden. Diese halbnackten Frauen, deren Haar auf so sonderbare Art über
der Stirn zusammengeknüpft ist, sind dieselben, die in jenen engen Zellen, welche
nicht allen Besuchern zugänglich sind, weil sie so rohe Zeichnungen, so brutale
Inschriften bergen, ihre Gunst verkauften. Der Maler hatte diese so lebendig
wiedergegebenen Bauern und Handwerker, mit ihrer an die Tracht unsrer Mönche
erinnernden Kapuzen-Tunika, die mit einem Glase Wein vor sich an einem Tische
sitzen, selbst beobachtet; er hatte diesen sonnverbrannter, mit mächtigen Stiefeln
bekleideten, in einen weiten Mantel gehüllten Soldaten, der dem Kneipenwirt
sein Glas hinhält und munter ruft: "Etwas frisch Wasser her!" (nig. triMimi
xusillnin) mit eignen Augen gesehen. Der Beweis dafür, daß es in der That
die Menschen des Landes waren, welche der Künstler in seinen Personen wiedergab,
liegt darin, daß dieselben uns noch heute durch ihre Ähnlichkeit überraschen: auf
den ersten Blick erkennen wir in ihnen die wohlbekannten Gestalten, denen wir
auf den Plätzen oder in den Kaufläden Neapels so oft begegnet sind. Der
Ursprung dieser Bilder ist also leicht zu finden: die Künstler ahmten getreu
nach, was sie vor Augen hatten; sie sind in Pompeji selbst und für Pompeji
angefertigt worden. Doch ist zu bemerken, daß sie sehr wenig zahlreich (einige
zwanzig höchstens) und in der Regel von nur kleinen Dimensionen sind.


Pompejanische Spaziergänge.

Darstellungen mit derjenigen Klasse, welche mir aus mythologischen Gegenständen
besteht, irgend vergleichen.

Die erste und wichtigste Frage, die wir uns bezüglich der Malereien von
Pompeji stellen, ist die Frage nach ihrem Ursprung. Woher kamen ihre Maler?
Waren es selbständige Künstler, welche den Gegenstand ihrer Werke erfanden?
Und wenn es bloß Nachahmer sind — welcher Schule gehörten ihre Vorbilder
an und in welchem Jahrhundert haben sie gelebt? Die alten Schriftsteller
geben uns hierüber keinen Aufschluß. So sind wir darauf angewiesen, die Malereien
selbst zu befragen und alle Antwort lediglich aus ihnen zu schöpfen.

Für die Genrebilder, von denen eben flüchtig die Rede war, ist die Frage
leicht zu lösen. Sie stellen Lvkalvorgänge und Menschen des Landes dar; sie
sind also im Lande selbst geschaffen und der Wirklichkeit nachgebildet worden.
War der Herr des Hauses, welches der Künstler dekoriren sollte, einer jener
leidenschaftlichen Liebhaber des Amphitheaters oder des Zirkus, der das Schau¬
spiel eines solchen unaufhörlich vor Augen haben wollte, oder war er ein Freund
alltäglicher Szenen, so gewann der Künstler seinen Beifall durch genaue Kopien
derartiger Vorgänge. Er ging und beobachtete die Gladiatoren bei ihren Übungen
in der großen, bei dem Theater entdeckten Kaserne; alsdann stellte er sie dar,
wie er sie gesehen hatte. Ebenso versetzte er die Besucher des Forums, die
Spaziergänger in den Straßen der kleinen Stadt ohne weiteres in seine Bilder.
Diese Tuchwalker, diese Gastwirte, diese Bäcker, diese Fischhändler, die wir an
den Wänden der pvmpejnnischen Häuser erblicken — es sind ganz sicher die
einstigen Bewohner der Kaufläden, in denen wir noch heute ihre Gerätschaften
wiederfinden. Diese halbnackten Frauen, deren Haar auf so sonderbare Art über
der Stirn zusammengeknüpft ist, sind dieselben, die in jenen engen Zellen, welche
nicht allen Besuchern zugänglich sind, weil sie so rohe Zeichnungen, so brutale
Inschriften bergen, ihre Gunst verkauften. Der Maler hatte diese so lebendig
wiedergegebenen Bauern und Handwerker, mit ihrer an die Tracht unsrer Mönche
erinnernden Kapuzen-Tunika, die mit einem Glase Wein vor sich an einem Tische
sitzen, selbst beobachtet; er hatte diesen sonnverbrannter, mit mächtigen Stiefeln
bekleideten, in einen weiten Mantel gehüllten Soldaten, der dem Kneipenwirt
sein Glas hinhält und munter ruft: „Etwas frisch Wasser her!" (nig. triMimi
xusillnin) mit eignen Augen gesehen. Der Beweis dafür, daß es in der That
die Menschen des Landes waren, welche der Künstler in seinen Personen wiedergab,
liegt darin, daß dieselben uns noch heute durch ihre Ähnlichkeit überraschen: auf
den ersten Blick erkennen wir in ihnen die wohlbekannten Gestalten, denen wir
auf den Plätzen oder in den Kaufläden Neapels so oft begegnet sind. Der
Ursprung dieser Bilder ist also leicht zu finden: die Künstler ahmten getreu
nach, was sie vor Augen hatten; sie sind in Pompeji selbst und für Pompeji
angefertigt worden. Doch ist zu bemerken, daß sie sehr wenig zahlreich (einige
zwanzig höchstens) und in der Regel von nur kleinen Dimensionen sind.


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[0302] Pompejanische Spaziergänge. Darstellungen mit derjenigen Klasse, welche mir aus mythologischen Gegenständen besteht, irgend vergleichen. Die erste und wichtigste Frage, die wir uns bezüglich der Malereien von Pompeji stellen, ist die Frage nach ihrem Ursprung. Woher kamen ihre Maler? Waren es selbständige Künstler, welche den Gegenstand ihrer Werke erfanden? Und wenn es bloß Nachahmer sind — welcher Schule gehörten ihre Vorbilder an und in welchem Jahrhundert haben sie gelebt? Die alten Schriftsteller geben uns hierüber keinen Aufschluß. So sind wir darauf angewiesen, die Malereien selbst zu befragen und alle Antwort lediglich aus ihnen zu schöpfen. Für die Genrebilder, von denen eben flüchtig die Rede war, ist die Frage leicht zu lösen. Sie stellen Lvkalvorgänge und Menschen des Landes dar; sie sind also im Lande selbst geschaffen und der Wirklichkeit nachgebildet worden. War der Herr des Hauses, welches der Künstler dekoriren sollte, einer jener leidenschaftlichen Liebhaber des Amphitheaters oder des Zirkus, der das Schau¬ spiel eines solchen unaufhörlich vor Augen haben wollte, oder war er ein Freund alltäglicher Szenen, so gewann der Künstler seinen Beifall durch genaue Kopien derartiger Vorgänge. Er ging und beobachtete die Gladiatoren bei ihren Übungen in der großen, bei dem Theater entdeckten Kaserne; alsdann stellte er sie dar, wie er sie gesehen hatte. Ebenso versetzte er die Besucher des Forums, die Spaziergänger in den Straßen der kleinen Stadt ohne weiteres in seine Bilder. Diese Tuchwalker, diese Gastwirte, diese Bäcker, diese Fischhändler, die wir an den Wänden der pvmpejnnischen Häuser erblicken — es sind ganz sicher die einstigen Bewohner der Kaufläden, in denen wir noch heute ihre Gerätschaften wiederfinden. Diese halbnackten Frauen, deren Haar auf so sonderbare Art über der Stirn zusammengeknüpft ist, sind dieselben, die in jenen engen Zellen, welche nicht allen Besuchern zugänglich sind, weil sie so rohe Zeichnungen, so brutale Inschriften bergen, ihre Gunst verkauften. Der Maler hatte diese so lebendig wiedergegebenen Bauern und Handwerker, mit ihrer an die Tracht unsrer Mönche erinnernden Kapuzen-Tunika, die mit einem Glase Wein vor sich an einem Tische sitzen, selbst beobachtet; er hatte diesen sonnverbrannter, mit mächtigen Stiefeln bekleideten, in einen weiten Mantel gehüllten Soldaten, der dem Kneipenwirt sein Glas hinhält und munter ruft: „Etwas frisch Wasser her!" (nig. triMimi xusillnin) mit eignen Augen gesehen. Der Beweis dafür, daß es in der That die Menschen des Landes waren, welche der Künstler in seinen Personen wiedergab, liegt darin, daß dieselben uns noch heute durch ihre Ähnlichkeit überraschen: auf den ersten Blick erkennen wir in ihnen die wohlbekannten Gestalten, denen wir auf den Plätzen oder in den Kaufläden Neapels so oft begegnet sind. Der Ursprung dieser Bilder ist also leicht zu finden: die Künstler ahmten getreu nach, was sie vor Augen hatten; sie sind in Pompeji selbst und für Pompeji angefertigt worden. Doch ist zu bemerken, daß sie sehr wenig zahlreich (einige zwanzig höchstens) und in der Regel von nur kleinen Dimensionen sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/302>, abgerufen am 28.09.2024.