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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Das Problem des Lebens.

Desassimilation führt sie aus. Es ist vielleicht interessant hervorzuheben, daß
die Pflanzenzellen mit ihrer durch Verbrennung erzielten Energie viel ökono-
mischer umgehen als unsre besten Dampfmaschinen. Der Verbrennungsprozeß
verläuft so, daß keine Erwärmung über die Temperatur der Umgebung statt¬
findet und daß die der Athmung entstammende lebendige Kraft fast ganz den
Arbeitsleistungen zu Gute kommt, während bei unsern Maschinen die Arbeits¬
leistung stets nur ein Bruchteil der Betriebskraft ist.

Zu diesen chemischen Bewegungen in der Zelle kommen dann noch die Be¬
wegungen des Zellensaftes, der in den Lücken des Protoplasmas enthalten ist und
als Träger und Vehikel aller der Nahr-, Umsatz- und Auswurfsstoffe fungirt,
welche bei obigen chemischen Prozessen in Betracht kommen.

Diese drei Arten von Bewegungen: Protoplasma-, Kreislauf- und Zelleu-
faftbeweguug, sind in den verschiedenartigen Zellen in verschiedner Weise wirk¬
sam. Aber die Hauptsache ist überall sich gleich, nämlich die Grundeigenschaft
des Protoplasmas, die "Kontraktilität." Jeder Zelleubewohner vollzieht dieselben
rhythmischen Bewegungen des sich Zusammenziehens und Ausdehnens, des sich
Verbreiterns und Verschmälerns in seinem festen Protoplasma, und diese selbst
bilden die eigentliche und letzte Triebfeder, aus dem alle andern Plasma¬
bewegungen hervorgehen. Die Kontraktionen der festen Plasmasubstanz geben in
erster Instanz den mechanischen Antrieb zu den Bewegungen, durch die der
Protoplast seinen Leib reckt, windet und dreht, in zweiter Instanz aber auch
zu den Bewegungen, durch die er alle Teile seines Körpers in stets erneuter
Berührung mit der Nährflüssigkeit, dem Zellensafte, bringt, in dritter Instanz
endlich zu dem chemischen Stoffwechsel seines Leibes, ebenso wie der entwickelte
Tierkörper es den Muskelzuckungen verdankt, wenn er sich fortbewegen, wenn
sein Blut zirkuliren und die chemischen Vorgänge der Assimilation und Des¬
assimilation in seinen Geweben sich vollziehen können. Und wie hierbei alle
diese Vorgänge wiederum im Kreislaufe belebend auf den Muskel einwirken, so
werden auch die primitiven Protoplasmazuckungen im Kreislaufe des ganzen
Prozesses wiederum durch die andern Bewegungen regenerirt und gefördert.
Diese Kontraktionsfähigkeit des pflanzlichen Protoplasmas im einzelnen dar¬
zulegen ist bisher noch nicht gelungen, aber nichts hindert, ihr Analogon in
der Muskelkvuzentration des Menschen zu finden, deren Physiologische Vorgänge
man bereits eingehend erforscht hat, wenn auch eine befriedigende Klarheit uoch
nicht gewonnen ist. Auf einen äußern Reiz hin zieht der Muskel die zahlreichen
dünnen Fasern, aus denen er besteht, zusammen und dehnt sie dann wieder.
Diese Änderung in der Gestalt der Fasern ist die Folge einer Änderung in der
räumlichen Verteilung sämtlicher Atome, aus denen der Muskel zusammen¬
gesetzt ist. Mit diesen lokalen Verschiebungen sind auch chemische und physikalische
Prozesse verbunden. Jede Muskelzuckuug erregt einen Stoffverbrauch, weshalb
der Muskel nicht unaufhörlich arbeiten kann, sondern der Ruhe bedarf. In


Das Problem des Lebens.

Desassimilation führt sie aus. Es ist vielleicht interessant hervorzuheben, daß
die Pflanzenzellen mit ihrer durch Verbrennung erzielten Energie viel ökono-
mischer umgehen als unsre besten Dampfmaschinen. Der Verbrennungsprozeß
verläuft so, daß keine Erwärmung über die Temperatur der Umgebung statt¬
findet und daß die der Athmung entstammende lebendige Kraft fast ganz den
Arbeitsleistungen zu Gute kommt, während bei unsern Maschinen die Arbeits¬
leistung stets nur ein Bruchteil der Betriebskraft ist.

Zu diesen chemischen Bewegungen in der Zelle kommen dann noch die Be¬
wegungen des Zellensaftes, der in den Lücken des Protoplasmas enthalten ist und
als Träger und Vehikel aller der Nahr-, Umsatz- und Auswurfsstoffe fungirt,
welche bei obigen chemischen Prozessen in Betracht kommen.

Diese drei Arten von Bewegungen: Protoplasma-, Kreislauf- und Zelleu-
faftbeweguug, sind in den verschiedenartigen Zellen in verschiedner Weise wirk¬
sam. Aber die Hauptsache ist überall sich gleich, nämlich die Grundeigenschaft
des Protoplasmas, die „Kontraktilität." Jeder Zelleubewohner vollzieht dieselben
rhythmischen Bewegungen des sich Zusammenziehens und Ausdehnens, des sich
Verbreiterns und Verschmälerns in seinem festen Protoplasma, und diese selbst
bilden die eigentliche und letzte Triebfeder, aus dem alle andern Plasma¬
bewegungen hervorgehen. Die Kontraktionen der festen Plasmasubstanz geben in
erster Instanz den mechanischen Antrieb zu den Bewegungen, durch die der
Protoplast seinen Leib reckt, windet und dreht, in zweiter Instanz aber auch
zu den Bewegungen, durch die er alle Teile seines Körpers in stets erneuter
Berührung mit der Nährflüssigkeit, dem Zellensafte, bringt, in dritter Instanz
endlich zu dem chemischen Stoffwechsel seines Leibes, ebenso wie der entwickelte
Tierkörper es den Muskelzuckungen verdankt, wenn er sich fortbewegen, wenn
sein Blut zirkuliren und die chemischen Vorgänge der Assimilation und Des¬
assimilation in seinen Geweben sich vollziehen können. Und wie hierbei alle
diese Vorgänge wiederum im Kreislaufe belebend auf den Muskel einwirken, so
werden auch die primitiven Protoplasmazuckungen im Kreislaufe des ganzen
Prozesses wiederum durch die andern Bewegungen regenerirt und gefördert.
Diese Kontraktionsfähigkeit des pflanzlichen Protoplasmas im einzelnen dar¬
zulegen ist bisher noch nicht gelungen, aber nichts hindert, ihr Analogon in
der Muskelkvuzentration des Menschen zu finden, deren Physiologische Vorgänge
man bereits eingehend erforscht hat, wenn auch eine befriedigende Klarheit uoch
nicht gewonnen ist. Auf einen äußern Reiz hin zieht der Muskel die zahlreichen
dünnen Fasern, aus denen er besteht, zusammen und dehnt sie dann wieder.
Diese Änderung in der Gestalt der Fasern ist die Folge einer Änderung in der
räumlichen Verteilung sämtlicher Atome, aus denen der Muskel zusammen¬
gesetzt ist. Mit diesen lokalen Verschiebungen sind auch chemische und physikalische
Prozesse verbunden. Jede Muskelzuckuug erregt einen Stoffverbrauch, weshalb
der Muskel nicht unaufhörlich arbeiten kann, sondern der Ruhe bedarf. In


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[0294] Das Problem des Lebens. Desassimilation führt sie aus. Es ist vielleicht interessant hervorzuheben, daß die Pflanzenzellen mit ihrer durch Verbrennung erzielten Energie viel ökono- mischer umgehen als unsre besten Dampfmaschinen. Der Verbrennungsprozeß verläuft so, daß keine Erwärmung über die Temperatur der Umgebung statt¬ findet und daß die der Athmung entstammende lebendige Kraft fast ganz den Arbeitsleistungen zu Gute kommt, während bei unsern Maschinen die Arbeits¬ leistung stets nur ein Bruchteil der Betriebskraft ist. Zu diesen chemischen Bewegungen in der Zelle kommen dann noch die Be¬ wegungen des Zellensaftes, der in den Lücken des Protoplasmas enthalten ist und als Träger und Vehikel aller der Nahr-, Umsatz- und Auswurfsstoffe fungirt, welche bei obigen chemischen Prozessen in Betracht kommen. Diese drei Arten von Bewegungen: Protoplasma-, Kreislauf- und Zelleu- faftbeweguug, sind in den verschiedenartigen Zellen in verschiedner Weise wirk¬ sam. Aber die Hauptsache ist überall sich gleich, nämlich die Grundeigenschaft des Protoplasmas, die „Kontraktilität." Jeder Zelleubewohner vollzieht dieselben rhythmischen Bewegungen des sich Zusammenziehens und Ausdehnens, des sich Verbreiterns und Verschmälerns in seinem festen Protoplasma, und diese selbst bilden die eigentliche und letzte Triebfeder, aus dem alle andern Plasma¬ bewegungen hervorgehen. Die Kontraktionen der festen Plasmasubstanz geben in erster Instanz den mechanischen Antrieb zu den Bewegungen, durch die der Protoplast seinen Leib reckt, windet und dreht, in zweiter Instanz aber auch zu den Bewegungen, durch die er alle Teile seines Körpers in stets erneuter Berührung mit der Nährflüssigkeit, dem Zellensafte, bringt, in dritter Instanz endlich zu dem chemischen Stoffwechsel seines Leibes, ebenso wie der entwickelte Tierkörper es den Muskelzuckungen verdankt, wenn er sich fortbewegen, wenn sein Blut zirkuliren und die chemischen Vorgänge der Assimilation und Des¬ assimilation in seinen Geweben sich vollziehen können. Und wie hierbei alle diese Vorgänge wiederum im Kreislaufe belebend auf den Muskel einwirken, so werden auch die primitiven Protoplasmazuckungen im Kreislaufe des ganzen Prozesses wiederum durch die andern Bewegungen regenerirt und gefördert. Diese Kontraktionsfähigkeit des pflanzlichen Protoplasmas im einzelnen dar¬ zulegen ist bisher noch nicht gelungen, aber nichts hindert, ihr Analogon in der Muskelkvuzentration des Menschen zu finden, deren Physiologische Vorgänge man bereits eingehend erforscht hat, wenn auch eine befriedigende Klarheit uoch nicht gewonnen ist. Auf einen äußern Reiz hin zieht der Muskel die zahlreichen dünnen Fasern, aus denen er besteht, zusammen und dehnt sie dann wieder. Diese Änderung in der Gestalt der Fasern ist die Folge einer Änderung in der räumlichen Verteilung sämtlicher Atome, aus denen der Muskel zusammen¬ gesetzt ist. Mit diesen lokalen Verschiebungen sind auch chemische und physikalische Prozesse verbunden. Jede Muskelzuckuug erregt einen Stoffverbrauch, weshalb der Muskel nicht unaufhörlich arbeiten kann, sondern der Ruhe bedarf. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/294>, abgerufen am 01.10.2024.