Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Problem des Lebens.

dieser Zwischenzeit der Ruhe wird er durch das zirkulirende Blut, welches neue
Nahrungsstoffe ihm zuführt, regenerirt. Aber was besonders bemerkenswert ist,
"die Bewegungsthätigkeit desselben wird höchst zweckmüßig den Bedürfnissen des
ganzen Organismus von ihm selbstthätig angepaßt und regulirt. Die Unter-
suchungen von Heidenhain, Fick und Harteneck haben darauf ein interessantes
Licht geworfen. Schon vermöge seiner eignen Einrichtung und nicht etwa durch
den Einfluß des Nervenreizes arbeitet der Muskel umso energischer, ist die Kraft,
welche er anwendet, umso größer, je mehr Widerstand sich seiner Arbeit ent¬
gegensetzt. Er ist also keine thermodynamische Maschine, wie etwa die Loko¬
motive. Keine Lokomotive kann selbständig das Zuströmen der Wärme-Energie
nach Maßgabe der Last, welche sie zu ziehen hat, reguliren, noch weniger aber
die Ausnutzung des zuströmenden Dampfes je nach der zu leistende" Arbeit
moderiren. Zugestanden muß werden, daß der Apparat des Protoplasmas mit
dem des Muskels verglichen viel einfacher ist, aber Dressel hat wohl recht, wenn
er den Vorgang selbst in beiden für einen gleichen erklärt. Den Muskelfasern
entsprechen die "Plastinfibrillen" im Protoplasma, die wir sofort noch weiter
kennen lernen werden, dein Blute aber das flüssige Zellenplasma nebst dem Zellen¬
saft. Die Energie, welche in mechanische Arbeit umgesetzt wird, entquillt hier
wie dort dem Stoffwechsel.

Eine Zeit lang wurde das Protoplasma für eine homogene Masse erklärt,
ohne jede charakteristische Struktur und Organisation, für nichts weiter als eine
einfache, eiweißartige Substanz. Reinkes Untersuchungen haben dieses Märchen
vom "lebenden Eiweiß" zerstört. Wir wissen jetzt, daß alle Organismen, die
niedrigsten wie die höchsten, ans zahlreichen Verbindungen aufgebaut sind, n"d
daß die Grunderscheimmgen des Stoffwechsels dementsprechend bei allen Or¬
ganismen identisch sind. Ein zweites wichtiges Resultat, das dieser Forscher
durch die minutiösesten Beobachtungen gewonnen hat, besteht in dem Nachweis,
daß selbst die unvollkommensten Organismen nicht als Übergangsglieder zwischen
der unbelebten und belebten Materie gelten können; vielmehr ist das niedrigste
Lebewesen dem menschlichen Körper chemisch und physiologisch näher stehend als
dem unbelebten Eiweißklümpchen. Sodann ist jetzt die überaus feine, netzartige
Struktur des Protoplasmas entdeckt worden. Namentlich Schmitz "ut Fro-
mann haben sich in dieser Hinsicht bedeutende Verdienste erworben. Das Gerüst
des Protoplasmas ist indessen weder starr noch unbeweglich, vielmehr in steter
Umformung begriffen, in den feinen Fäden des Netzes hängen die Körnchen,
Reinke ist jedoch der Ansicht, und diese Ansicht ist nicht ohne Bedeutung, daß
ein Teil der Substanz fest sein müsse, es könne in einem so kontrccktibeln Körper
wie dem Protoplasma nicht ausschließlich ein molekularer Gleichgewichtszustand
herrschen. Dann schließt er weiter, daß das Plastin, im Verein mit andern
Substanzen als festes Netzgewebe das Flüssige der Zelle umspannend, durch¬
ziehend und auffangend, der eigentliche Träger der abwechselnden Kontraktionen


Das Problem des Lebens.

dieser Zwischenzeit der Ruhe wird er durch das zirkulirende Blut, welches neue
Nahrungsstoffe ihm zuführt, regenerirt. Aber was besonders bemerkenswert ist,
»die Bewegungsthätigkeit desselben wird höchst zweckmüßig den Bedürfnissen des
ganzen Organismus von ihm selbstthätig angepaßt und regulirt. Die Unter-
suchungen von Heidenhain, Fick und Harteneck haben darauf ein interessantes
Licht geworfen. Schon vermöge seiner eignen Einrichtung und nicht etwa durch
den Einfluß des Nervenreizes arbeitet der Muskel umso energischer, ist die Kraft,
welche er anwendet, umso größer, je mehr Widerstand sich seiner Arbeit ent¬
gegensetzt. Er ist also keine thermodynamische Maschine, wie etwa die Loko¬
motive. Keine Lokomotive kann selbständig das Zuströmen der Wärme-Energie
nach Maßgabe der Last, welche sie zu ziehen hat, reguliren, noch weniger aber
die Ausnutzung des zuströmenden Dampfes je nach der zu leistende» Arbeit
moderiren. Zugestanden muß werden, daß der Apparat des Protoplasmas mit
dem des Muskels verglichen viel einfacher ist, aber Dressel hat wohl recht, wenn
er den Vorgang selbst in beiden für einen gleichen erklärt. Den Muskelfasern
entsprechen die „Plastinfibrillen" im Protoplasma, die wir sofort noch weiter
kennen lernen werden, dein Blute aber das flüssige Zellenplasma nebst dem Zellen¬
saft. Die Energie, welche in mechanische Arbeit umgesetzt wird, entquillt hier
wie dort dem Stoffwechsel.

Eine Zeit lang wurde das Protoplasma für eine homogene Masse erklärt,
ohne jede charakteristische Struktur und Organisation, für nichts weiter als eine
einfache, eiweißartige Substanz. Reinkes Untersuchungen haben dieses Märchen
vom „lebenden Eiweiß" zerstört. Wir wissen jetzt, daß alle Organismen, die
niedrigsten wie die höchsten, ans zahlreichen Verbindungen aufgebaut sind, n»d
daß die Grunderscheimmgen des Stoffwechsels dementsprechend bei allen Or¬
ganismen identisch sind. Ein zweites wichtiges Resultat, das dieser Forscher
durch die minutiösesten Beobachtungen gewonnen hat, besteht in dem Nachweis,
daß selbst die unvollkommensten Organismen nicht als Übergangsglieder zwischen
der unbelebten und belebten Materie gelten können; vielmehr ist das niedrigste
Lebewesen dem menschlichen Körper chemisch und physiologisch näher stehend als
dem unbelebten Eiweißklümpchen. Sodann ist jetzt die überaus feine, netzartige
Struktur des Protoplasmas entdeckt worden. Namentlich Schmitz »ut Fro-
mann haben sich in dieser Hinsicht bedeutende Verdienste erworben. Das Gerüst
des Protoplasmas ist indessen weder starr noch unbeweglich, vielmehr in steter
Umformung begriffen, in den feinen Fäden des Netzes hängen die Körnchen,
Reinke ist jedoch der Ansicht, und diese Ansicht ist nicht ohne Bedeutung, daß
ein Teil der Substanz fest sein müsse, es könne in einem so kontrccktibeln Körper
wie dem Protoplasma nicht ausschließlich ein molekularer Gleichgewichtszustand
herrschen. Dann schließt er weiter, daß das Plastin, im Verein mit andern
Substanzen als festes Netzgewebe das Flüssige der Zelle umspannend, durch¬
ziehend und auffangend, der eigentliche Träger der abwechselnden Kontraktionen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/153044"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Problem des Lebens.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1189" prev="#ID_1188"> dieser Zwischenzeit der Ruhe wird er durch das zirkulirende Blut, welches neue<lb/>
Nahrungsstoffe ihm zuführt, regenerirt. Aber was besonders bemerkenswert ist,<lb/>
»die Bewegungsthätigkeit desselben wird höchst zweckmüßig den Bedürfnissen des<lb/>
ganzen Organismus von ihm selbstthätig angepaßt und regulirt. Die Unter-<lb/>
suchungen von Heidenhain, Fick und Harteneck haben darauf ein interessantes<lb/>
Licht geworfen. Schon vermöge seiner eignen Einrichtung und nicht etwa durch<lb/>
den Einfluß des Nervenreizes arbeitet der Muskel umso energischer, ist die Kraft,<lb/>
welche er anwendet, umso größer, je mehr Widerstand sich seiner Arbeit ent¬<lb/>
gegensetzt. Er ist also keine thermodynamische Maschine, wie etwa die Loko¬<lb/>
motive. Keine Lokomotive kann selbständig das Zuströmen der Wärme-Energie<lb/>
nach Maßgabe der Last, welche sie zu ziehen hat, reguliren, noch weniger aber<lb/>
die Ausnutzung des zuströmenden Dampfes je nach der zu leistende» Arbeit<lb/>
moderiren. Zugestanden muß werden, daß der Apparat des Protoplasmas mit<lb/>
dem des Muskels verglichen viel einfacher ist, aber Dressel hat wohl recht, wenn<lb/>
er den Vorgang selbst in beiden für einen gleichen erklärt. Den Muskelfasern<lb/>
entsprechen die &#x201E;Plastinfibrillen" im Protoplasma, die wir sofort noch weiter<lb/>
kennen lernen werden, dein Blute aber das flüssige Zellenplasma nebst dem Zellen¬<lb/>
saft. Die Energie, welche in mechanische Arbeit umgesetzt wird, entquillt hier<lb/>
wie dort dem Stoffwechsel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1190" next="#ID_1191"> Eine Zeit lang wurde das Protoplasma für eine homogene Masse erklärt,<lb/>
ohne jede charakteristische Struktur und Organisation, für nichts weiter als eine<lb/>
einfache, eiweißartige Substanz. Reinkes Untersuchungen haben dieses Märchen<lb/>
vom &#x201E;lebenden Eiweiß" zerstört. Wir wissen jetzt, daß alle Organismen, die<lb/>
niedrigsten wie die höchsten, ans zahlreichen Verbindungen aufgebaut sind, n»d<lb/>
daß die Grunderscheimmgen des Stoffwechsels dementsprechend bei allen Or¬<lb/>
ganismen identisch sind. Ein zweites wichtiges Resultat, das dieser Forscher<lb/>
durch die minutiösesten Beobachtungen gewonnen hat, besteht in dem Nachweis,<lb/>
daß selbst die unvollkommensten Organismen nicht als Übergangsglieder zwischen<lb/>
der unbelebten und belebten Materie gelten können; vielmehr ist das niedrigste<lb/>
Lebewesen dem menschlichen Körper chemisch und physiologisch näher stehend als<lb/>
dem unbelebten Eiweißklümpchen. Sodann ist jetzt die überaus feine, netzartige<lb/>
Struktur des Protoplasmas entdeckt worden. Namentlich Schmitz »ut Fro-<lb/>
mann haben sich in dieser Hinsicht bedeutende Verdienste erworben. Das Gerüst<lb/>
des Protoplasmas ist indessen weder starr noch unbeweglich, vielmehr in steter<lb/>
Umformung begriffen, in den feinen Fäden des Netzes hängen die Körnchen,<lb/>
Reinke ist jedoch der Ansicht, und diese Ansicht ist nicht ohne Bedeutung, daß<lb/>
ein Teil der Substanz fest sein müsse, es könne in einem so kontrccktibeln Körper<lb/>
wie dem Protoplasma nicht ausschließlich ein molekularer Gleichgewichtszustand<lb/>
herrschen. Dann schließt er weiter, daß das Plastin, im Verein mit andern<lb/>
Substanzen als festes Netzgewebe das Flüssige der Zelle umspannend, durch¬<lb/>
ziehend und auffangend, der eigentliche Träger der abwechselnden Kontraktionen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] Das Problem des Lebens. dieser Zwischenzeit der Ruhe wird er durch das zirkulirende Blut, welches neue Nahrungsstoffe ihm zuführt, regenerirt. Aber was besonders bemerkenswert ist, »die Bewegungsthätigkeit desselben wird höchst zweckmüßig den Bedürfnissen des ganzen Organismus von ihm selbstthätig angepaßt und regulirt. Die Unter- suchungen von Heidenhain, Fick und Harteneck haben darauf ein interessantes Licht geworfen. Schon vermöge seiner eignen Einrichtung und nicht etwa durch den Einfluß des Nervenreizes arbeitet der Muskel umso energischer, ist die Kraft, welche er anwendet, umso größer, je mehr Widerstand sich seiner Arbeit ent¬ gegensetzt. Er ist also keine thermodynamische Maschine, wie etwa die Loko¬ motive. Keine Lokomotive kann selbständig das Zuströmen der Wärme-Energie nach Maßgabe der Last, welche sie zu ziehen hat, reguliren, noch weniger aber die Ausnutzung des zuströmenden Dampfes je nach der zu leistende» Arbeit moderiren. Zugestanden muß werden, daß der Apparat des Protoplasmas mit dem des Muskels verglichen viel einfacher ist, aber Dressel hat wohl recht, wenn er den Vorgang selbst in beiden für einen gleichen erklärt. Den Muskelfasern entsprechen die „Plastinfibrillen" im Protoplasma, die wir sofort noch weiter kennen lernen werden, dein Blute aber das flüssige Zellenplasma nebst dem Zellen¬ saft. Die Energie, welche in mechanische Arbeit umgesetzt wird, entquillt hier wie dort dem Stoffwechsel. Eine Zeit lang wurde das Protoplasma für eine homogene Masse erklärt, ohne jede charakteristische Struktur und Organisation, für nichts weiter als eine einfache, eiweißartige Substanz. Reinkes Untersuchungen haben dieses Märchen vom „lebenden Eiweiß" zerstört. Wir wissen jetzt, daß alle Organismen, die niedrigsten wie die höchsten, ans zahlreichen Verbindungen aufgebaut sind, n»d daß die Grunderscheimmgen des Stoffwechsels dementsprechend bei allen Or¬ ganismen identisch sind. Ein zweites wichtiges Resultat, das dieser Forscher durch die minutiösesten Beobachtungen gewonnen hat, besteht in dem Nachweis, daß selbst die unvollkommensten Organismen nicht als Übergangsglieder zwischen der unbelebten und belebten Materie gelten können; vielmehr ist das niedrigste Lebewesen dem menschlichen Körper chemisch und physiologisch näher stehend als dem unbelebten Eiweißklümpchen. Sodann ist jetzt die überaus feine, netzartige Struktur des Protoplasmas entdeckt worden. Namentlich Schmitz »ut Fro- mann haben sich in dieser Hinsicht bedeutende Verdienste erworben. Das Gerüst des Protoplasmas ist indessen weder starr noch unbeweglich, vielmehr in steter Umformung begriffen, in den feinen Fäden des Netzes hängen die Körnchen, Reinke ist jedoch der Ansicht, und diese Ansicht ist nicht ohne Bedeutung, daß ein Teil der Substanz fest sein müsse, es könne in einem so kontrccktibeln Körper wie dem Protoplasma nicht ausschließlich ein molekularer Gleichgewichtszustand herrschen. Dann schließt er weiter, daß das Plastin, im Verein mit andern Substanzen als festes Netzgewebe das Flüssige der Zelle umspannend, durch¬ ziehend und auffangend, der eigentliche Träger der abwechselnden Kontraktionen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/295>, abgerufen am 01.10.2024.