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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Das Problem dos Lebens.

alten Probleme wiederum eine ganz andre Gestalt und Fassung. Man studirte
nicht mehr die allgemeinen Beziehungen, sondern das Einzelne abgelöst von seinen
allgemeinen Beziehungen. So z. B. faßte man die Frage der Unsterblichkeit
nicht mehr nach der Seite hin ans, daß diese durch die unendlich zahlreichen
Fäden bedingt sei, welche das natürliche und sittliche Leben des Menschen mit
einem Urgründe des Seins verknüpfen, sondern man entschied sie einzig und
allein aus den Thatsache" der Physiologie. Das spekulative Denken war groß
im Generalisiren, das Positivistische ist es im Detailliren. Alle höchsten Fragen
sind damit im Grnnde genommen auf eine einzige reduzirt: Was ist die Quelle
des Lebens?

Auch hierbei ging man in der Betrachtung von dem Ganzen auf das Teil-
bildende. Humboldt hatte in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Arbeiten
noch a" der alten, spekulativen Richtung festgehalten und eine besondre Lebens¬
kraft, welche den organischen Bildungen verliehen sei, verteidigt, aber den immer
mehr in das Einzelne sich vertiefenden Beobachtungen gegenüber wagte der Alt¬
meister moderner Forschung es schließlich nicht, seine Behauptung aufrecht zu
erhalten. Chemie und Physik beeiferten sich, an den Schranken zwischen unbe¬
lebter und belebter, anorganischer und organischer Natur zu rütteln und die
Kräfte allein für maßgebend und wirklich zu erklären, deren Gesetze man ge¬
funden hatte. Daß dieselben in allen Lebenserscheinungen thätig sind, war aus
einfachen Beobachtungen schon klar geworden, aber daß nur sie thätig seien,
konnte man erst behaupten, wenn der eigentliche Träger des Lebens gefunden
und in ihm keine andern als physikalische und chemische Kräfte nachgewiesen
waren.

Diesen Träger des Lebens hat jetzt die minutiöseste und sorgfältigste Unter¬
suchung entdeckt. Ob und inwiefern damit das Problem des Lebens selbst
gelöst ist, wird unsre Darlegung ergeben, nachdem wir zusammengestellt haben,
was nach den Forschungen eines Schleiden, Reinke, Schmitz, Strasburger und
v. Hanstein als Thatsache nicht mehr zu bezweifeln ist.

Jeder pflanzliche oder thierische Körper ist aus einer unendlichen Fülle
von kleinen Elementen aufgebaut, die unter dem Mikroskop sich als kleine
Bläschen erweisen. Diese Entdeckung, daß keine andern Elemente als diese in
jedem Organismus vorhanden sind, bildet das Fundament der modernen Zellen¬
lehre. Ein solches Bläschen oder eine solche Zelle besteht wiederum aus zwei
Teilen, einer Zellenbaue und einem Zellenleibe. Der Zellenleib, wie er sich
bei den niedrigsten, einzelligen Pflanzenorganismen darstellt, ist nichts andres
als eine scheinbar ganz Struktur- und formlose Masse von zähflüssiger, schleimiger
Konsistenz, mit zahlreichen Körnchen durchmischt und von weißgrauer Farbe-
Die Wissenschaft nennt sie Protoplasam, um anzudeuten, einmal, daß wir hier
den lebendigen Stoff im Anfangsstadium seiner organisirten Ausgestaltung vor
uns haben, dann aber ganz besonders auch, daß wir in diesem Stoffzustande


Das Problem dos Lebens.

alten Probleme wiederum eine ganz andre Gestalt und Fassung. Man studirte
nicht mehr die allgemeinen Beziehungen, sondern das Einzelne abgelöst von seinen
allgemeinen Beziehungen. So z. B. faßte man die Frage der Unsterblichkeit
nicht mehr nach der Seite hin ans, daß diese durch die unendlich zahlreichen
Fäden bedingt sei, welche das natürliche und sittliche Leben des Menschen mit
einem Urgründe des Seins verknüpfen, sondern man entschied sie einzig und
allein aus den Thatsache» der Physiologie. Das spekulative Denken war groß
im Generalisiren, das Positivistische ist es im Detailliren. Alle höchsten Fragen
sind damit im Grnnde genommen auf eine einzige reduzirt: Was ist die Quelle
des Lebens?

Auch hierbei ging man in der Betrachtung von dem Ganzen auf das Teil-
bildende. Humboldt hatte in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Arbeiten
noch a» der alten, spekulativen Richtung festgehalten und eine besondre Lebens¬
kraft, welche den organischen Bildungen verliehen sei, verteidigt, aber den immer
mehr in das Einzelne sich vertiefenden Beobachtungen gegenüber wagte der Alt¬
meister moderner Forschung es schließlich nicht, seine Behauptung aufrecht zu
erhalten. Chemie und Physik beeiferten sich, an den Schranken zwischen unbe¬
lebter und belebter, anorganischer und organischer Natur zu rütteln und die
Kräfte allein für maßgebend und wirklich zu erklären, deren Gesetze man ge¬
funden hatte. Daß dieselben in allen Lebenserscheinungen thätig sind, war aus
einfachen Beobachtungen schon klar geworden, aber daß nur sie thätig seien,
konnte man erst behaupten, wenn der eigentliche Träger des Lebens gefunden
und in ihm keine andern als physikalische und chemische Kräfte nachgewiesen
waren.

Diesen Träger des Lebens hat jetzt die minutiöseste und sorgfältigste Unter¬
suchung entdeckt. Ob und inwiefern damit das Problem des Lebens selbst
gelöst ist, wird unsre Darlegung ergeben, nachdem wir zusammengestellt haben,
was nach den Forschungen eines Schleiden, Reinke, Schmitz, Strasburger und
v. Hanstein als Thatsache nicht mehr zu bezweifeln ist.

Jeder pflanzliche oder thierische Körper ist aus einer unendlichen Fülle
von kleinen Elementen aufgebaut, die unter dem Mikroskop sich als kleine
Bläschen erweisen. Diese Entdeckung, daß keine andern Elemente als diese in
jedem Organismus vorhanden sind, bildet das Fundament der modernen Zellen¬
lehre. Ein solches Bläschen oder eine solche Zelle besteht wiederum aus zwei
Teilen, einer Zellenbaue und einem Zellenleibe. Der Zellenleib, wie er sich
bei den niedrigsten, einzelligen Pflanzenorganismen darstellt, ist nichts andres
als eine scheinbar ganz Struktur- und formlose Masse von zähflüssiger, schleimiger
Konsistenz, mit zahlreichen Körnchen durchmischt und von weißgrauer Farbe-
Die Wissenschaft nennt sie Protoplasam, um anzudeuten, einmal, daß wir hier
den lebendigen Stoff im Anfangsstadium seiner organisirten Ausgestaltung vor
uns haben, dann aber ganz besonders auch, daß wir in diesem Stoffzustande


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[0291] Das Problem dos Lebens. alten Probleme wiederum eine ganz andre Gestalt und Fassung. Man studirte nicht mehr die allgemeinen Beziehungen, sondern das Einzelne abgelöst von seinen allgemeinen Beziehungen. So z. B. faßte man die Frage der Unsterblichkeit nicht mehr nach der Seite hin ans, daß diese durch die unendlich zahlreichen Fäden bedingt sei, welche das natürliche und sittliche Leben des Menschen mit einem Urgründe des Seins verknüpfen, sondern man entschied sie einzig und allein aus den Thatsache» der Physiologie. Das spekulative Denken war groß im Generalisiren, das Positivistische ist es im Detailliren. Alle höchsten Fragen sind damit im Grnnde genommen auf eine einzige reduzirt: Was ist die Quelle des Lebens? Auch hierbei ging man in der Betrachtung von dem Ganzen auf das Teil- bildende. Humboldt hatte in den ersten Jahren seiner wissenschaftlichen Arbeiten noch a» der alten, spekulativen Richtung festgehalten und eine besondre Lebens¬ kraft, welche den organischen Bildungen verliehen sei, verteidigt, aber den immer mehr in das Einzelne sich vertiefenden Beobachtungen gegenüber wagte der Alt¬ meister moderner Forschung es schließlich nicht, seine Behauptung aufrecht zu erhalten. Chemie und Physik beeiferten sich, an den Schranken zwischen unbe¬ lebter und belebter, anorganischer und organischer Natur zu rütteln und die Kräfte allein für maßgebend und wirklich zu erklären, deren Gesetze man ge¬ funden hatte. Daß dieselben in allen Lebenserscheinungen thätig sind, war aus einfachen Beobachtungen schon klar geworden, aber daß nur sie thätig seien, konnte man erst behaupten, wenn der eigentliche Träger des Lebens gefunden und in ihm keine andern als physikalische und chemische Kräfte nachgewiesen waren. Diesen Träger des Lebens hat jetzt die minutiöseste und sorgfältigste Unter¬ suchung entdeckt. Ob und inwiefern damit das Problem des Lebens selbst gelöst ist, wird unsre Darlegung ergeben, nachdem wir zusammengestellt haben, was nach den Forschungen eines Schleiden, Reinke, Schmitz, Strasburger und v. Hanstein als Thatsache nicht mehr zu bezweifeln ist. Jeder pflanzliche oder thierische Körper ist aus einer unendlichen Fülle von kleinen Elementen aufgebaut, die unter dem Mikroskop sich als kleine Bläschen erweisen. Diese Entdeckung, daß keine andern Elemente als diese in jedem Organismus vorhanden sind, bildet das Fundament der modernen Zellen¬ lehre. Ein solches Bläschen oder eine solche Zelle besteht wiederum aus zwei Teilen, einer Zellenbaue und einem Zellenleibe. Der Zellenleib, wie er sich bei den niedrigsten, einzelligen Pflanzenorganismen darstellt, ist nichts andres als eine scheinbar ganz Struktur- und formlose Masse von zähflüssiger, schleimiger Konsistenz, mit zahlreichen Körnchen durchmischt und von weißgrauer Farbe- Die Wissenschaft nennt sie Protoplasam, um anzudeuten, einmal, daß wir hier den lebendigen Stoff im Anfangsstadium seiner organisirten Ausgestaltung vor uns haben, dann aber ganz besonders auch, daß wir in diesem Stoffzustande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/291>, abgerufen am 02.10.2024.