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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die östeireichische Schuldebatte.

mit Recht ist den Gegnern vorgehalten worden, daß Protestanten und Jsraeliten
eigne Schulen haben, und die Katholiken dasselbe beanspruchen dürfen. Hinter
den Redensarten, daß damit der Religionshader genährt werde, verbirgt sich nur
der Indifferentemus, die Irreligiosität, die "KoufessionSlvsigkeit." Aber die
Form, in welcher man jenes Ziel zu erreichen sucht, unterliegt allerlei Bedenken.
Zuvörderst ist darin ein Widerspruch mit dem Verfassungsparagraphen gefunden
worden, welcher lautet: "Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsbürger
gleich zugänglich"; und demzufolge wurde für deu Paragraphen 48 der Schnl-
uvvelle, als eine Abänderung der Verfassung, eine Zweidrittelmehrheit verlangt.
Da diese nicht erreicht worden ist, wird die Entscheidung möglicherweise vor
einem andern Formen erfolgen. Nur akademische Bedeutung hat die ebenfalls
aufgeworfene und ungelöst gebliebene Frage, was dann zu geschehen habe, falls
das Bekenntnis, welchem zur Zeit der Anstellung des Schulleiters die Mehr¬
zahl der Schüler angehört habe, später in die Minderheit gerate. Überhaupt
ist auch bei diesem Paragraphen viel mit verdeckten Karten gespielt worden. Für
die Rechte der Protestanten wurde gestritten, während die Juden und Konfes¬
sionslosen gemeint waren; und die Redner der Rechten sprachen ohne Zweifel
die Wahrheit, welche erklärten, eben jene Kategorien wollten ihre Kommittenten
nicht an der Spitze von Schulen einer katholischen Bevölkerung sehen. Aber
die Erteilung der Qualifikation zum Unterricht in der katholischen Religion
häugt vom Klerus ab, und so bedeutet diese Bestimmung in der That einen
Schritt mehr zur alten Unterordnung der Schule unter die Kirche. Und daher
kann es der Opposition nicht verarge werden, wenn sie hinter der Streichung
des Wortes "österreichisch" vor Staatsbürgerschaft als Bedingung für das
Lehramt die Absicht wittert, ausländischen Kongregationen wieder eine Thür
zu öffnen.

Und dieser Beigeschmack der Novelle ist es, welcher die öffentliche Meinung
in Aufregung versetzt. Mögen Regierungsorgane und Parlamentsredner sich
noch so erstaunt oder entrüstet über das Mißtrauen zeigen, es hat seinen guten
Grund. Zu schwer empfindet jeder nichtultramontane Österreicher, was seinem
Vaterlande durch den Ultramontanismus angethan worden ist, und ein sehr
großer Teil der Geistlichkeit teilt diese Empfindung, soviel auch in den letzten
dreißig Jahren geschehen ist, die Anhänger der alten humanen, friedlichen Rich¬
tung durch Kämpen der Molssia, niilitg-us zu ersetzen. Die Greuel der Gegen¬
reformation, der Riß zwischen Norden und Süden Deutschlands, die Entfrem¬
dung Österreichs vom "Reich," das Zurückbleiben in geistiger und materieller
Kultur, die Kvnkordatswirtschaft mit allen ihren Folgen, alles was in einer be¬
rühmten Proklamation von höchster Stelle als Übelstündc bezeichnet wurde, wird
vor unsern Augen lebendig bei dem leisesten Anzeichen, daß dem Klerus wieder
die Volkserziehung überantwortet werden solle. Und wenn es auch Übertreibung
genannt werden muß, daß der hierzulande so sehr verbreitete Jndifferentismus,


Die östeireichische Schuldebatte.

mit Recht ist den Gegnern vorgehalten worden, daß Protestanten und Jsraeliten
eigne Schulen haben, und die Katholiken dasselbe beanspruchen dürfen. Hinter
den Redensarten, daß damit der Religionshader genährt werde, verbirgt sich nur
der Indifferentemus, die Irreligiosität, die „KoufessionSlvsigkeit." Aber die
Form, in welcher man jenes Ziel zu erreichen sucht, unterliegt allerlei Bedenken.
Zuvörderst ist darin ein Widerspruch mit dem Verfassungsparagraphen gefunden
worden, welcher lautet: „Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsbürger
gleich zugänglich"; und demzufolge wurde für deu Paragraphen 48 der Schnl-
uvvelle, als eine Abänderung der Verfassung, eine Zweidrittelmehrheit verlangt.
Da diese nicht erreicht worden ist, wird die Entscheidung möglicherweise vor
einem andern Formen erfolgen. Nur akademische Bedeutung hat die ebenfalls
aufgeworfene und ungelöst gebliebene Frage, was dann zu geschehen habe, falls
das Bekenntnis, welchem zur Zeit der Anstellung des Schulleiters die Mehr¬
zahl der Schüler angehört habe, später in die Minderheit gerate. Überhaupt
ist auch bei diesem Paragraphen viel mit verdeckten Karten gespielt worden. Für
die Rechte der Protestanten wurde gestritten, während die Juden und Konfes¬
sionslosen gemeint waren; und die Redner der Rechten sprachen ohne Zweifel
die Wahrheit, welche erklärten, eben jene Kategorien wollten ihre Kommittenten
nicht an der Spitze von Schulen einer katholischen Bevölkerung sehen. Aber
die Erteilung der Qualifikation zum Unterricht in der katholischen Religion
häugt vom Klerus ab, und so bedeutet diese Bestimmung in der That einen
Schritt mehr zur alten Unterordnung der Schule unter die Kirche. Und daher
kann es der Opposition nicht verarge werden, wenn sie hinter der Streichung
des Wortes „österreichisch" vor Staatsbürgerschaft als Bedingung für das
Lehramt die Absicht wittert, ausländischen Kongregationen wieder eine Thür
zu öffnen.

Und dieser Beigeschmack der Novelle ist es, welcher die öffentliche Meinung
in Aufregung versetzt. Mögen Regierungsorgane und Parlamentsredner sich
noch so erstaunt oder entrüstet über das Mißtrauen zeigen, es hat seinen guten
Grund. Zu schwer empfindet jeder nichtultramontane Österreicher, was seinem
Vaterlande durch den Ultramontanismus angethan worden ist, und ein sehr
großer Teil der Geistlichkeit teilt diese Empfindung, soviel auch in den letzten
dreißig Jahren geschehen ist, die Anhänger der alten humanen, friedlichen Rich¬
tung durch Kämpen der Molssia, niilitg-us zu ersetzen. Die Greuel der Gegen¬
reformation, der Riß zwischen Norden und Süden Deutschlands, die Entfrem¬
dung Österreichs vom „Reich," das Zurückbleiben in geistiger und materieller
Kultur, die Kvnkordatswirtschaft mit allen ihren Folgen, alles was in einer be¬
rühmten Proklamation von höchster Stelle als Übelstündc bezeichnet wurde, wird
vor unsern Augen lebendig bei dem leisesten Anzeichen, daß dem Klerus wieder
die Volkserziehung überantwortet werden solle. Und wenn es auch Übertreibung
genannt werden muß, daß der hierzulande so sehr verbreitete Jndifferentismus,


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[0284] Die östeireichische Schuldebatte. mit Recht ist den Gegnern vorgehalten worden, daß Protestanten und Jsraeliten eigne Schulen haben, und die Katholiken dasselbe beanspruchen dürfen. Hinter den Redensarten, daß damit der Religionshader genährt werde, verbirgt sich nur der Indifferentemus, die Irreligiosität, die „KoufessionSlvsigkeit." Aber die Form, in welcher man jenes Ziel zu erreichen sucht, unterliegt allerlei Bedenken. Zuvörderst ist darin ein Widerspruch mit dem Verfassungsparagraphen gefunden worden, welcher lautet: „Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich"; und demzufolge wurde für deu Paragraphen 48 der Schnl- uvvelle, als eine Abänderung der Verfassung, eine Zweidrittelmehrheit verlangt. Da diese nicht erreicht worden ist, wird die Entscheidung möglicherweise vor einem andern Formen erfolgen. Nur akademische Bedeutung hat die ebenfalls aufgeworfene und ungelöst gebliebene Frage, was dann zu geschehen habe, falls das Bekenntnis, welchem zur Zeit der Anstellung des Schulleiters die Mehr¬ zahl der Schüler angehört habe, später in die Minderheit gerate. Überhaupt ist auch bei diesem Paragraphen viel mit verdeckten Karten gespielt worden. Für die Rechte der Protestanten wurde gestritten, während die Juden und Konfes¬ sionslosen gemeint waren; und die Redner der Rechten sprachen ohne Zweifel die Wahrheit, welche erklärten, eben jene Kategorien wollten ihre Kommittenten nicht an der Spitze von Schulen einer katholischen Bevölkerung sehen. Aber die Erteilung der Qualifikation zum Unterricht in der katholischen Religion häugt vom Klerus ab, und so bedeutet diese Bestimmung in der That einen Schritt mehr zur alten Unterordnung der Schule unter die Kirche. Und daher kann es der Opposition nicht verarge werden, wenn sie hinter der Streichung des Wortes „österreichisch" vor Staatsbürgerschaft als Bedingung für das Lehramt die Absicht wittert, ausländischen Kongregationen wieder eine Thür zu öffnen. Und dieser Beigeschmack der Novelle ist es, welcher die öffentliche Meinung in Aufregung versetzt. Mögen Regierungsorgane und Parlamentsredner sich noch so erstaunt oder entrüstet über das Mißtrauen zeigen, es hat seinen guten Grund. Zu schwer empfindet jeder nichtultramontane Österreicher, was seinem Vaterlande durch den Ultramontanismus angethan worden ist, und ein sehr großer Teil der Geistlichkeit teilt diese Empfindung, soviel auch in den letzten dreißig Jahren geschehen ist, die Anhänger der alten humanen, friedlichen Rich¬ tung durch Kämpen der Molssia, niilitg-us zu ersetzen. Die Greuel der Gegen¬ reformation, der Riß zwischen Norden und Süden Deutschlands, die Entfrem¬ dung Österreichs vom „Reich," das Zurückbleiben in geistiger und materieller Kultur, die Kvnkordatswirtschaft mit allen ihren Folgen, alles was in einer be¬ rühmten Proklamation von höchster Stelle als Übelstündc bezeichnet wurde, wird vor unsern Augen lebendig bei dem leisesten Anzeichen, daß dem Klerus wieder die Volkserziehung überantwortet werden solle. Und wenn es auch Übertreibung genannt werden muß, daß der hierzulande so sehr verbreitete Jndifferentismus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/284>, abgerufen am 03.07.2024.