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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die österreichische Schuldebatte.

oder Werkstattsarbeit genommen werden darf, darf auch keiner das Vieh seines
Vaters hüten, mag dieser den Buben noch so nötig brauchen. Wie das Stadt¬
kind seine acht Klassen durchlaufen muß, müssen im Gebirge die Kiuder acht
Jahre lang in der vielleicht von einem einzigen Lehrer geleiteten Schule sitzen;
und wer sich gar zu der Behauptung verstieg, daß es nicht notwendig, ja nicht
einmal zu wünschen sei, überall und für alle das gleiche Lehrziel aufzustellen,
der war natürlich ein Dunkelmann, ein Reaktionär.

Als dann die Erkenntnis aufdämmerte, daß diese Haltung mindestens un¬
politisch sei und man sich verschämt zu kleinen Zugeständnissen entschloß, war
es bereits zu spät. Die Klerikalen ließen sich so wohlfeilen Kaufes nicht mehr
abfinden, Sie gehören jetzt der Majorität an und können jeden Augenblick
diese Majorität zur Minorität machen. So haben sie die Annahme der neuen
Novelle erzwungen.

Zum Teil sind die neuen Bestimmungen wirklich so harmloser Natur, wie
die Verteidiger behaupten, zum Teil sind die Forderungen in den Verhältnissen
begründet, an verschiednen Stellen aber guckt der Pferdefuß hervor, und die
Hauptsache ist: mit dieser Novelle soll nur ein Anfang der Revision gemacht
werden. Das Eifern der Redner der Linken gegen den Ausdruck "religiös-sitt¬
liche" Erziehung anstatt "sittlich-religiöse" wäre lächerlich, wenn sich dadurch
nicht die wahre Tendenz eines großen Teils der Opposition enthüllte. "Wir
wissen, daß auf Ihrer Seite der Orient ist!" rief Lienbacher, der Berichterstatter
der Majorität, beißend der bezeichnend genug von den Herren Süß und Beer
angeführten Partei zu. Über die Entfernung der "Haushaltskunde," die Be¬
schränkung des Unterrichts in der Physik ?c., die Umwandlung des Turnens für
Mädchen aus einem obligaten in einen nichtobligaten Gegenstand soviel Aufhebens
zu machen, ist gewiß ebenso ungerechtfertigt. Die Herren von der Opposition
scheinen garnicht zu wissen, wie diese Zweige in zahllosen Schulen behandelt
worden sind, der Natur der Verhältnisse nach behandelt werden mußten.

Die Billigkeit des Verlangens, daß die Schulpflicht vou acht auf sechs
Jahre herabgesetzt werden könne, ist bereits hervorgehoben worden. Hütte die
Verfafsungspartei, so lange sie die Macht hatte, diesem Verlangen entsprochen,
so wäre sie in der Lage gewesen, die Bestimmung mit den nötigen Kautelen zu
umgeben. Jetzt ist der Gemeinde das Entscheidungsrecht eingeräumt worden,
und dadurch bekommt die Sache freilich ein ganz andres Gesicht. Man muß
den Bildungsgrad der ländlichen Bevölkerung so vieler Gegenden und die Macht
der Pfarrer und Kapläne in Betracht ziehen, um die Gefährlichkeit einer solchen
Konzession einzusehen.

Ebenso zweischneidig ist der Paragraph, daß zum Amte eines Schulleiters
künftig die Befähigung gehören soll, den Religionsunterricht in derjenigen Kon¬
fession zu erteilen, welcher die Mehrheit der Schüler angehört. Gegen das Be¬
streben, wieder konfessionelle Schulen einzuführen, ist ernstlich nichts einzuwenden;


Die österreichische Schuldebatte.

oder Werkstattsarbeit genommen werden darf, darf auch keiner das Vieh seines
Vaters hüten, mag dieser den Buben noch so nötig brauchen. Wie das Stadt¬
kind seine acht Klassen durchlaufen muß, müssen im Gebirge die Kiuder acht
Jahre lang in der vielleicht von einem einzigen Lehrer geleiteten Schule sitzen;
und wer sich gar zu der Behauptung verstieg, daß es nicht notwendig, ja nicht
einmal zu wünschen sei, überall und für alle das gleiche Lehrziel aufzustellen,
der war natürlich ein Dunkelmann, ein Reaktionär.

Als dann die Erkenntnis aufdämmerte, daß diese Haltung mindestens un¬
politisch sei und man sich verschämt zu kleinen Zugeständnissen entschloß, war
es bereits zu spät. Die Klerikalen ließen sich so wohlfeilen Kaufes nicht mehr
abfinden, Sie gehören jetzt der Majorität an und können jeden Augenblick
diese Majorität zur Minorität machen. So haben sie die Annahme der neuen
Novelle erzwungen.

Zum Teil sind die neuen Bestimmungen wirklich so harmloser Natur, wie
die Verteidiger behaupten, zum Teil sind die Forderungen in den Verhältnissen
begründet, an verschiednen Stellen aber guckt der Pferdefuß hervor, und die
Hauptsache ist: mit dieser Novelle soll nur ein Anfang der Revision gemacht
werden. Das Eifern der Redner der Linken gegen den Ausdruck „religiös-sitt¬
liche" Erziehung anstatt „sittlich-religiöse" wäre lächerlich, wenn sich dadurch
nicht die wahre Tendenz eines großen Teils der Opposition enthüllte. „Wir
wissen, daß auf Ihrer Seite der Orient ist!" rief Lienbacher, der Berichterstatter
der Majorität, beißend der bezeichnend genug von den Herren Süß und Beer
angeführten Partei zu. Über die Entfernung der „Haushaltskunde," die Be¬
schränkung des Unterrichts in der Physik ?c., die Umwandlung des Turnens für
Mädchen aus einem obligaten in einen nichtobligaten Gegenstand soviel Aufhebens
zu machen, ist gewiß ebenso ungerechtfertigt. Die Herren von der Opposition
scheinen garnicht zu wissen, wie diese Zweige in zahllosen Schulen behandelt
worden sind, der Natur der Verhältnisse nach behandelt werden mußten.

Die Billigkeit des Verlangens, daß die Schulpflicht vou acht auf sechs
Jahre herabgesetzt werden könne, ist bereits hervorgehoben worden. Hütte die
Verfafsungspartei, so lange sie die Macht hatte, diesem Verlangen entsprochen,
so wäre sie in der Lage gewesen, die Bestimmung mit den nötigen Kautelen zu
umgeben. Jetzt ist der Gemeinde das Entscheidungsrecht eingeräumt worden,
und dadurch bekommt die Sache freilich ein ganz andres Gesicht. Man muß
den Bildungsgrad der ländlichen Bevölkerung so vieler Gegenden und die Macht
der Pfarrer und Kapläne in Betracht ziehen, um die Gefährlichkeit einer solchen
Konzession einzusehen.

Ebenso zweischneidig ist der Paragraph, daß zum Amte eines Schulleiters
künftig die Befähigung gehören soll, den Religionsunterricht in derjenigen Kon¬
fession zu erteilen, welcher die Mehrheit der Schüler angehört. Gegen das Be¬
streben, wieder konfessionelle Schulen einzuführen, ist ernstlich nichts einzuwenden;


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[0283] Die österreichische Schuldebatte. oder Werkstattsarbeit genommen werden darf, darf auch keiner das Vieh seines Vaters hüten, mag dieser den Buben noch so nötig brauchen. Wie das Stadt¬ kind seine acht Klassen durchlaufen muß, müssen im Gebirge die Kiuder acht Jahre lang in der vielleicht von einem einzigen Lehrer geleiteten Schule sitzen; und wer sich gar zu der Behauptung verstieg, daß es nicht notwendig, ja nicht einmal zu wünschen sei, überall und für alle das gleiche Lehrziel aufzustellen, der war natürlich ein Dunkelmann, ein Reaktionär. Als dann die Erkenntnis aufdämmerte, daß diese Haltung mindestens un¬ politisch sei und man sich verschämt zu kleinen Zugeständnissen entschloß, war es bereits zu spät. Die Klerikalen ließen sich so wohlfeilen Kaufes nicht mehr abfinden, Sie gehören jetzt der Majorität an und können jeden Augenblick diese Majorität zur Minorität machen. So haben sie die Annahme der neuen Novelle erzwungen. Zum Teil sind die neuen Bestimmungen wirklich so harmloser Natur, wie die Verteidiger behaupten, zum Teil sind die Forderungen in den Verhältnissen begründet, an verschiednen Stellen aber guckt der Pferdefuß hervor, und die Hauptsache ist: mit dieser Novelle soll nur ein Anfang der Revision gemacht werden. Das Eifern der Redner der Linken gegen den Ausdruck „religiös-sitt¬ liche" Erziehung anstatt „sittlich-religiöse" wäre lächerlich, wenn sich dadurch nicht die wahre Tendenz eines großen Teils der Opposition enthüllte. „Wir wissen, daß auf Ihrer Seite der Orient ist!" rief Lienbacher, der Berichterstatter der Majorität, beißend der bezeichnend genug von den Herren Süß und Beer angeführten Partei zu. Über die Entfernung der „Haushaltskunde," die Be¬ schränkung des Unterrichts in der Physik ?c., die Umwandlung des Turnens für Mädchen aus einem obligaten in einen nichtobligaten Gegenstand soviel Aufhebens zu machen, ist gewiß ebenso ungerechtfertigt. Die Herren von der Opposition scheinen garnicht zu wissen, wie diese Zweige in zahllosen Schulen behandelt worden sind, der Natur der Verhältnisse nach behandelt werden mußten. Die Billigkeit des Verlangens, daß die Schulpflicht vou acht auf sechs Jahre herabgesetzt werden könne, ist bereits hervorgehoben worden. Hütte die Verfafsungspartei, so lange sie die Macht hatte, diesem Verlangen entsprochen, so wäre sie in der Lage gewesen, die Bestimmung mit den nötigen Kautelen zu umgeben. Jetzt ist der Gemeinde das Entscheidungsrecht eingeräumt worden, und dadurch bekommt die Sache freilich ein ganz andres Gesicht. Man muß den Bildungsgrad der ländlichen Bevölkerung so vieler Gegenden und die Macht der Pfarrer und Kapläne in Betracht ziehen, um die Gefährlichkeit einer solchen Konzession einzusehen. Ebenso zweischneidig ist der Paragraph, daß zum Amte eines Schulleiters künftig die Befähigung gehören soll, den Religionsunterricht in derjenigen Kon¬ fession zu erteilen, welcher die Mehrheit der Schüler angehört. Gegen das Be¬ streben, wieder konfessionelle Schulen einzuführen, ist ernstlich nichts einzuwenden;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/283>, abgerufen am 03.07.2024.