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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die österreichische Schuldebatte,

das Prahlen mit dem Unglauben einzig und allein der Priesterherrschaft anzu¬
rechnen sei, so hat sie doch unleugbar sehr viel dazu beigetragen, daß ihrem
willenlose" Anhange gegenüber die große Masse steht, welche sich äußerlich zur
katholischen Kirche hält, in Wahrheit aber dieser wie jeder Kirche lind jedem
Bekenntnis feindlich gesinnt ist.

Diesem allgemeinen Grauen vor der Wiederkehr der alten Zustände ist es
auch zuzuschreiben, daß die Deklamationen des Professor Süß, eines Meisters
jener Redekunst, welche der Wiener "geschwollen," d, i. Bombast, nennt, mit so
großem Jubel begrüßt werden: er hat in tönende Phrasen gekleidet, was und
so weit das liberale Philisterium denkt. Man protestirt und fügt sich, denn
um den möglichen Widerstand zu leisten, bedürfte es vor allem eines positiven
Inhalts, klarer Überzeugung und festen Willens. Wer mit voller EinPhase der
Regierungspartei zudonnert, sie verderbe das Land, sie trage die Verantwortung
für alles kommende Unheil, der ist der Held des Tages. Der Abgeordnete
Dumba mußte sich eine förmliche Zurechtweisung gefallen lassen, weil er ehrlich
den Versuch machte, der Herabsetzung der Schulzeit eine weniger gefährliche
Fassung zu geben. Keine Transaktion! Die Linke soll sich begnügen, ihre
Hände zu waschen. Auch Pierer, einer von den wenigen, welche einer staats-
männischen Auffassung großer Fragen fähig sind, wird mehr und mehr verbissener
Parteimann und hält es für notwendig, seine Einsicht der Fraktionsparolc
unterzuordnen.

Auf der Rechten macht man kein Hehl daraus, daß die Gesetznovelle nur
votirt wird, um die klerikalen Tiroler und Salzburger bei der Partei zu er¬
halten, und Pierer traf den richtigen Punkt, als er ausführte, weshalb es deu
Polen, Tscheche", Slovenen u. s. w. von solcher Wichtigkeit sei, sich auf ihre
deutschen Bundesgenossen berufen zu können: ihnen bangt vor dem Tage, der
auf der einen Seite nur deutsche, auf der andern nur slavische Vertreter zeigen
könnte. Aber anstatt den Slaven vorzuhalten, was sie sehr genau wissen, hätte
der Redner lieber seinen Parteifreunden empfehlen sollen, unter diesem Gesichts¬
punkte bei dem Feinde in die Schule zu gehen, denn deren Schuld ist es, daß
eine größere Zahl von Deutschen Schulter an Schulter mit deu Deutscheuhassern
kämpfen.

Sich selbst getren blieben wieder die Polen, Sie waren behilflich, den
deutschen Kronländern die Novelle aufzunötigen, hatten sich aber ausbedungen,
daß die Bestimmung, welche in Ostgalizien Hütte den Ruthenen zu Gute kommen
können, sür ganz Galizien keine Geltung erhalte. Die ruthenischen und die
griechischen Schüler müssen natürlich polnische und katholische Lehrer haben,
alles im Namen der Freiheit, deren treueste Hüter bekanntlich die Polen sind.
Ein Herr Czerkawski, einst Schulinspektor unter dem Minister Thun,, als dieser
noch Zentralist und energischer Germanisator war, hatte die Stirn, zu erklären,
die Polen übten jetzt Vergeltung für die ihnen damals aufgedrungene Germa-


Die österreichische Schuldebatte,

das Prahlen mit dem Unglauben einzig und allein der Priesterherrschaft anzu¬
rechnen sei, so hat sie doch unleugbar sehr viel dazu beigetragen, daß ihrem
willenlose« Anhange gegenüber die große Masse steht, welche sich äußerlich zur
katholischen Kirche hält, in Wahrheit aber dieser wie jeder Kirche lind jedem
Bekenntnis feindlich gesinnt ist.

Diesem allgemeinen Grauen vor der Wiederkehr der alten Zustände ist es
auch zuzuschreiben, daß die Deklamationen des Professor Süß, eines Meisters
jener Redekunst, welche der Wiener „geschwollen," d, i. Bombast, nennt, mit so
großem Jubel begrüßt werden: er hat in tönende Phrasen gekleidet, was und
so weit das liberale Philisterium denkt. Man protestirt und fügt sich, denn
um den möglichen Widerstand zu leisten, bedürfte es vor allem eines positiven
Inhalts, klarer Überzeugung und festen Willens. Wer mit voller EinPhase der
Regierungspartei zudonnert, sie verderbe das Land, sie trage die Verantwortung
für alles kommende Unheil, der ist der Held des Tages. Der Abgeordnete
Dumba mußte sich eine förmliche Zurechtweisung gefallen lassen, weil er ehrlich
den Versuch machte, der Herabsetzung der Schulzeit eine weniger gefährliche
Fassung zu geben. Keine Transaktion! Die Linke soll sich begnügen, ihre
Hände zu waschen. Auch Pierer, einer von den wenigen, welche einer staats-
männischen Auffassung großer Fragen fähig sind, wird mehr und mehr verbissener
Parteimann und hält es für notwendig, seine Einsicht der Fraktionsparolc
unterzuordnen.

Auf der Rechten macht man kein Hehl daraus, daß die Gesetznovelle nur
votirt wird, um die klerikalen Tiroler und Salzburger bei der Partei zu er¬
halten, und Pierer traf den richtigen Punkt, als er ausführte, weshalb es deu
Polen, Tscheche», Slovenen u. s. w. von solcher Wichtigkeit sei, sich auf ihre
deutschen Bundesgenossen berufen zu können: ihnen bangt vor dem Tage, der
auf der einen Seite nur deutsche, auf der andern nur slavische Vertreter zeigen
könnte. Aber anstatt den Slaven vorzuhalten, was sie sehr genau wissen, hätte
der Redner lieber seinen Parteifreunden empfehlen sollen, unter diesem Gesichts¬
punkte bei dem Feinde in die Schule zu gehen, denn deren Schuld ist es, daß
eine größere Zahl von Deutschen Schulter an Schulter mit deu Deutscheuhassern
kämpfen.

Sich selbst getren blieben wieder die Polen, Sie waren behilflich, den
deutschen Kronländern die Novelle aufzunötigen, hatten sich aber ausbedungen,
daß die Bestimmung, welche in Ostgalizien Hütte den Ruthenen zu Gute kommen
können, sür ganz Galizien keine Geltung erhalte. Die ruthenischen und die
griechischen Schüler müssen natürlich polnische und katholische Lehrer haben,
alles im Namen der Freiheit, deren treueste Hüter bekanntlich die Polen sind.
Ein Herr Czerkawski, einst Schulinspektor unter dem Minister Thun,, als dieser
noch Zentralist und energischer Germanisator war, hatte die Stirn, zu erklären,
die Polen übten jetzt Vergeltung für die ihnen damals aufgedrungene Germa-


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[0285] Die österreichische Schuldebatte, das Prahlen mit dem Unglauben einzig und allein der Priesterherrschaft anzu¬ rechnen sei, so hat sie doch unleugbar sehr viel dazu beigetragen, daß ihrem willenlose« Anhange gegenüber die große Masse steht, welche sich äußerlich zur katholischen Kirche hält, in Wahrheit aber dieser wie jeder Kirche lind jedem Bekenntnis feindlich gesinnt ist. Diesem allgemeinen Grauen vor der Wiederkehr der alten Zustände ist es auch zuzuschreiben, daß die Deklamationen des Professor Süß, eines Meisters jener Redekunst, welche der Wiener „geschwollen," d, i. Bombast, nennt, mit so großem Jubel begrüßt werden: er hat in tönende Phrasen gekleidet, was und so weit das liberale Philisterium denkt. Man protestirt und fügt sich, denn um den möglichen Widerstand zu leisten, bedürfte es vor allem eines positiven Inhalts, klarer Überzeugung und festen Willens. Wer mit voller EinPhase der Regierungspartei zudonnert, sie verderbe das Land, sie trage die Verantwortung für alles kommende Unheil, der ist der Held des Tages. Der Abgeordnete Dumba mußte sich eine förmliche Zurechtweisung gefallen lassen, weil er ehrlich den Versuch machte, der Herabsetzung der Schulzeit eine weniger gefährliche Fassung zu geben. Keine Transaktion! Die Linke soll sich begnügen, ihre Hände zu waschen. Auch Pierer, einer von den wenigen, welche einer staats- männischen Auffassung großer Fragen fähig sind, wird mehr und mehr verbissener Parteimann und hält es für notwendig, seine Einsicht der Fraktionsparolc unterzuordnen. Auf der Rechten macht man kein Hehl daraus, daß die Gesetznovelle nur votirt wird, um die klerikalen Tiroler und Salzburger bei der Partei zu er¬ halten, und Pierer traf den richtigen Punkt, als er ausführte, weshalb es deu Polen, Tscheche», Slovenen u. s. w. von solcher Wichtigkeit sei, sich auf ihre deutschen Bundesgenossen berufen zu können: ihnen bangt vor dem Tage, der auf der einen Seite nur deutsche, auf der andern nur slavische Vertreter zeigen könnte. Aber anstatt den Slaven vorzuhalten, was sie sehr genau wissen, hätte der Redner lieber seinen Parteifreunden empfehlen sollen, unter diesem Gesichts¬ punkte bei dem Feinde in die Schule zu gehen, denn deren Schuld ist es, daß eine größere Zahl von Deutschen Schulter an Schulter mit deu Deutscheuhassern kämpfen. Sich selbst getren blieben wieder die Polen, Sie waren behilflich, den deutschen Kronländern die Novelle aufzunötigen, hatten sich aber ausbedungen, daß die Bestimmung, welche in Ostgalizien Hütte den Ruthenen zu Gute kommen können, sür ganz Galizien keine Geltung erhalte. Die ruthenischen und die griechischen Schüler müssen natürlich polnische und katholische Lehrer haben, alles im Namen der Freiheit, deren treueste Hüter bekanntlich die Polen sind. Ein Herr Czerkawski, einst Schulinspektor unter dem Minister Thun,, als dieser noch Zentralist und energischer Germanisator war, hatte die Stirn, zu erklären, die Polen übten jetzt Vergeltung für die ihnen damals aufgedrungene Germa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/285>, abgerufen am 01.07.2024.