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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die österreichische Schuldebatte.

das Maskiren der eigentlichen Ziele. Streiten doch beide unter dem Zeichen
der "Freiheit" und werfen sich gegenseitig Unterdrückung vor -- bei Lichte be¬
sehen beide mit Recht! Eine gewisse Offenheit darf nur den entschiedensten Ver¬
tretern des Klerikalismus nachgerühmt werdeu, welche aussprachen, das jetzt
Gebotene genüge ihnen noch keineswegs, sie nähmen es inzwischen als Abschlags¬
zahlung hin; und einem ebenso entschiednen Vertreter des Bourgeoisliberalismus,
welcher pathetisch verkündigte, die Wünsche der "unmündigen" Landbevölkerung
verdienten ebensowenig Berücksichtigung wie die der "Herren Schulbuben." Daß
solche Offenherzigkeiten von den Gegnern dankend quittirt und eifrig ausgebeutet
werden, versteht sich von selbst. Im übrigen erhielt man nur zu oft und zu
deutlich den Eindruck, daß die Sorge um die liebe Schuljugend vorgeschützt
werde, um ganz andre Geschäfte zu macheu. Nationale Herrschsucht, Feind¬
seligkeit gegen alles Deutsche auf der einen, religiöser Indifferentismus, Feind¬
seligkeit gegen alles Christliche, Popularitätshascheu auf der andern, Partei¬
leidenschaft auf beiden Seiten suchten die Gelegenheit auszunützen, und nur hin
und wieder vernahm man noch die Stimme eines Aufrichtigen, dem es unver¬
kennbar um die Sache selbst zu thun war. In der Bevölkerung, welche mit
großer Erregung die Debatten verfolgte, ist diese letztere Spezies allerdings viel
häufiger vertreten.

Das Volksschulgesetz ist eine Frucht des niederschmetternder Eindruckes,
welchen der Krieg von 1866 hervorgebracht hatte. Der "preußische Schulmeister"
hatte ja bei Königgrätz gesiegt, aber init ihm konnte der durch Beust ans Nuder
gebrachte doktrinäre Liberalismus sich noch nicht begnügen, er war weitaus nicht
freisinnig genug. Und in der Freude darüber, daß in die Konkordatspvlitik ein
großes Loch gerissen wurde, übersähe" damals die meisten Österreicher das Sinn¬
lose des Unternehmens, für das ganze Reich, für wohlhabende und arme, hoch-
kultivirte und zurückgebliebene Länder, für Ebene und Gebirge, für sämtliche
Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse eine Volksschule vom grünen Tisch
aus zu dekretiren. Die Kritik des Gesetzes durch die wirklichen Verhältnisse
blieb nicht ans. Hier stieß die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen auf
unüberwindliche Hindernisse, dort erlahmte wenigstens bald der beste Wille der
Leute, an einem dritten Ort erkannte die Gemeinde zu spät, welche Lasten sie
sich durch kostspielige Bauten aufgebürdet hatte, um vierten nahm das religiöse
Bewußtsein Anstoß an der Trennung der Schule von der Kirche u. s. w. Und
alle dergleichen Momente wurden von den streitbaren Kaplänen umsichtig benutzt.
Seit vielen Jahren war es jedem unbefangnen Beobachter klar, daß mit der all¬
gemeinen Einführung achtjähriger Schulpflicht ein ungeheurer Fehler begangen
worden war, und oft genug wurden die liberalen Gesetzgeber daran erinnert, daß
sie den Anstoß lieber heute als morgen aus dem Wege räumen sollten. Doch
wie hätten sie auf derartige Mahnungen achten können! Da geht alles nach
der Schablone. Weil vor dem vierzehnten Jahre kein Knabe in die Fabriks-


Die österreichische Schuldebatte.

das Maskiren der eigentlichen Ziele. Streiten doch beide unter dem Zeichen
der „Freiheit" und werfen sich gegenseitig Unterdrückung vor — bei Lichte be¬
sehen beide mit Recht! Eine gewisse Offenheit darf nur den entschiedensten Ver¬
tretern des Klerikalismus nachgerühmt werdeu, welche aussprachen, das jetzt
Gebotene genüge ihnen noch keineswegs, sie nähmen es inzwischen als Abschlags¬
zahlung hin; und einem ebenso entschiednen Vertreter des Bourgeoisliberalismus,
welcher pathetisch verkündigte, die Wünsche der „unmündigen" Landbevölkerung
verdienten ebensowenig Berücksichtigung wie die der „Herren Schulbuben." Daß
solche Offenherzigkeiten von den Gegnern dankend quittirt und eifrig ausgebeutet
werden, versteht sich von selbst. Im übrigen erhielt man nur zu oft und zu
deutlich den Eindruck, daß die Sorge um die liebe Schuljugend vorgeschützt
werde, um ganz andre Geschäfte zu macheu. Nationale Herrschsucht, Feind¬
seligkeit gegen alles Deutsche auf der einen, religiöser Indifferentismus, Feind¬
seligkeit gegen alles Christliche, Popularitätshascheu auf der andern, Partei¬
leidenschaft auf beiden Seiten suchten die Gelegenheit auszunützen, und nur hin
und wieder vernahm man noch die Stimme eines Aufrichtigen, dem es unver¬
kennbar um die Sache selbst zu thun war. In der Bevölkerung, welche mit
großer Erregung die Debatten verfolgte, ist diese letztere Spezies allerdings viel
häufiger vertreten.

Das Volksschulgesetz ist eine Frucht des niederschmetternder Eindruckes,
welchen der Krieg von 1866 hervorgebracht hatte. Der „preußische Schulmeister"
hatte ja bei Königgrätz gesiegt, aber init ihm konnte der durch Beust ans Nuder
gebrachte doktrinäre Liberalismus sich noch nicht begnügen, er war weitaus nicht
freisinnig genug. Und in der Freude darüber, daß in die Konkordatspvlitik ein
großes Loch gerissen wurde, übersähe» damals die meisten Österreicher das Sinn¬
lose des Unternehmens, für das ganze Reich, für wohlhabende und arme, hoch-
kultivirte und zurückgebliebene Länder, für Ebene und Gebirge, für sämtliche
Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse eine Volksschule vom grünen Tisch
aus zu dekretiren. Die Kritik des Gesetzes durch die wirklichen Verhältnisse
blieb nicht ans. Hier stieß die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen auf
unüberwindliche Hindernisse, dort erlahmte wenigstens bald der beste Wille der
Leute, an einem dritten Ort erkannte die Gemeinde zu spät, welche Lasten sie
sich durch kostspielige Bauten aufgebürdet hatte, um vierten nahm das religiöse
Bewußtsein Anstoß an der Trennung der Schule von der Kirche u. s. w. Und
alle dergleichen Momente wurden von den streitbaren Kaplänen umsichtig benutzt.
Seit vielen Jahren war es jedem unbefangnen Beobachter klar, daß mit der all¬
gemeinen Einführung achtjähriger Schulpflicht ein ungeheurer Fehler begangen
worden war, und oft genug wurden die liberalen Gesetzgeber daran erinnert, daß
sie den Anstoß lieber heute als morgen aus dem Wege räumen sollten. Doch
wie hätten sie auf derartige Mahnungen achten können! Da geht alles nach
der Schablone. Weil vor dem vierzehnten Jahre kein Knabe in die Fabriks-


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[0282] Die österreichische Schuldebatte. das Maskiren der eigentlichen Ziele. Streiten doch beide unter dem Zeichen der „Freiheit" und werfen sich gegenseitig Unterdrückung vor — bei Lichte be¬ sehen beide mit Recht! Eine gewisse Offenheit darf nur den entschiedensten Ver¬ tretern des Klerikalismus nachgerühmt werdeu, welche aussprachen, das jetzt Gebotene genüge ihnen noch keineswegs, sie nähmen es inzwischen als Abschlags¬ zahlung hin; und einem ebenso entschiednen Vertreter des Bourgeoisliberalismus, welcher pathetisch verkündigte, die Wünsche der „unmündigen" Landbevölkerung verdienten ebensowenig Berücksichtigung wie die der „Herren Schulbuben." Daß solche Offenherzigkeiten von den Gegnern dankend quittirt und eifrig ausgebeutet werden, versteht sich von selbst. Im übrigen erhielt man nur zu oft und zu deutlich den Eindruck, daß die Sorge um die liebe Schuljugend vorgeschützt werde, um ganz andre Geschäfte zu macheu. Nationale Herrschsucht, Feind¬ seligkeit gegen alles Deutsche auf der einen, religiöser Indifferentismus, Feind¬ seligkeit gegen alles Christliche, Popularitätshascheu auf der andern, Partei¬ leidenschaft auf beiden Seiten suchten die Gelegenheit auszunützen, und nur hin und wieder vernahm man noch die Stimme eines Aufrichtigen, dem es unver¬ kennbar um die Sache selbst zu thun war. In der Bevölkerung, welche mit großer Erregung die Debatten verfolgte, ist diese letztere Spezies allerdings viel häufiger vertreten. Das Volksschulgesetz ist eine Frucht des niederschmetternder Eindruckes, welchen der Krieg von 1866 hervorgebracht hatte. Der „preußische Schulmeister" hatte ja bei Königgrätz gesiegt, aber init ihm konnte der durch Beust ans Nuder gebrachte doktrinäre Liberalismus sich noch nicht begnügen, er war weitaus nicht freisinnig genug. Und in der Freude darüber, daß in die Konkordatspvlitik ein großes Loch gerissen wurde, übersähe» damals die meisten Österreicher das Sinn¬ lose des Unternehmens, für das ganze Reich, für wohlhabende und arme, hoch- kultivirte und zurückgebliebene Länder, für Ebene und Gebirge, für sämtliche Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse eine Volksschule vom grünen Tisch aus zu dekretiren. Die Kritik des Gesetzes durch die wirklichen Verhältnisse blieb nicht ans. Hier stieß die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen auf unüberwindliche Hindernisse, dort erlahmte wenigstens bald der beste Wille der Leute, an einem dritten Ort erkannte die Gemeinde zu spät, welche Lasten sie sich durch kostspielige Bauten aufgebürdet hatte, um vierten nahm das religiöse Bewußtsein Anstoß an der Trennung der Schule von der Kirche u. s. w. Und alle dergleichen Momente wurden von den streitbaren Kaplänen umsichtig benutzt. Seit vielen Jahren war es jedem unbefangnen Beobachter klar, daß mit der all¬ gemeinen Einführung achtjähriger Schulpflicht ein ungeheurer Fehler begangen worden war, und oft genug wurden die liberalen Gesetzgeber daran erinnert, daß sie den Anstoß lieber heute als morgen aus dem Wege räumen sollten. Doch wie hätten sie auf derartige Mahnungen achten können! Da geht alles nach der Schablone. Weil vor dem vierzehnten Jahre kein Knabe in die Fabriks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/282>, abgerufen am 01.07.2024.