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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

es damit habe, und da sie zugleich bestrebt war, ihren Sohn möglichst viel mit
Dorothea zusammenzubringen, wußte sie es einzurichten, daß die beiden jungen
Leute in den Garten gingen, wahrend sie selbst mit dem Grafen zurückblieb.

Sie bewog nämlich Dietrich durch einen bezeichnenden Wink, den Wunsch
zu erkennen zu geben, sich die romantische Umgebung des Hauses anzusehen.
Sie selbst erklärte dann, daß sie die Hitze scheue und lieber im Hause bliebe,
und sie lenkte das Gespräch so, daß Dorothea sich zu Dietrichs Führerin anbot.

Als sie mit dem Grafen allein war, fing sie sogleich an von dem Bilde
zu sprechen. Sie lobte die künstlerische Ausführung und fragte, wen es vorstelle.
Sie hatte eine deutliche Ahnung, wer die Dame sei, aber sie besaß offenbar nicht
die zarte Schonung der Gefühle ihrer Mitmenschen, welche sie zur Besiegung
ihrer Neugierde hätte bewegen können. In dem Grafen erregte die Frage ein
schmerzliches Gefühl, und er antwortete mit sichtlichem Widerstreben. Doch
gab er keine ausweichende Antwort, sondern sagte einfach, daß es das Bild
seiner verstorbenen Frau sei.

Gräfin Sibylle sah ihn mit einem Blick voll Mitgefühl an, legte ihre
Hand auf seinen Arm und sagte nach einer Pause: Ich bin indiskret gewesen,
verzeihen Sie nur. Ach, fuhr sie mit einem Seufzer fort, es sind bei uns
ältern Leuten so viele Erinnerungen nur noch trauriger Art! Und doch
reden wir so gern von der Vergangenheit! Was mag der Grund dieses Wider¬
spruchs sein?

Sie hatte mehr in die Luft und gleichsam mit sich selbst gesprochen, indem
sie es so dem Grafen freistellte, ob er antworten und sein Herz eröffnen wollte
oder nicht. In der That antwortete er nicht, sondern blickte nachdenklich vor
sich nieder.

Ich weiß, was es heißt, sein zweites Selbst verlieren, fuhr sie fort, und
ich kann mich in Ihre Gefühle hineindenken, lieber Graf.

Ein trauriges Lächeln zuckte um den Mund des alten Herrn.

Glücklich, wem die Erinnerung eine ungetrübte ist! sagte sie. Aber wie
wenige können das sagen, wenn sie zurückblicken. Wie ist doch das Leben voller
Stürme, voll von innern und äußern Schwierigkeiten!

Sie drückte mit einer graziösen Bewegung ihr Battisttuch leicht an die
Augen und seufzte tief.

Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, wie sehr meine Erinnerung getrübt
ist, sagte der Graf mit gerunzelter Stirn.

Sie blickte ihn fragend und mit einer Miene des Erstaunens an. Ah --
sollte? -- Mir schwebt so etwas vor, sagte sie mit sanftester und teilnehmendster
Stimme.

Dieses Porträt ist bis vor wenig Tagen verhüllt gewesen, sagte der General
ernst. Aber der Tod hat das Bild, welches ich in meinem Innern trage, in


Die Grafen von Altenschwerdt.

es damit habe, und da sie zugleich bestrebt war, ihren Sohn möglichst viel mit
Dorothea zusammenzubringen, wußte sie es einzurichten, daß die beiden jungen
Leute in den Garten gingen, wahrend sie selbst mit dem Grafen zurückblieb.

Sie bewog nämlich Dietrich durch einen bezeichnenden Wink, den Wunsch
zu erkennen zu geben, sich die romantische Umgebung des Hauses anzusehen.
Sie selbst erklärte dann, daß sie die Hitze scheue und lieber im Hause bliebe,
und sie lenkte das Gespräch so, daß Dorothea sich zu Dietrichs Führerin anbot.

Als sie mit dem Grafen allein war, fing sie sogleich an von dem Bilde
zu sprechen. Sie lobte die künstlerische Ausführung und fragte, wen es vorstelle.
Sie hatte eine deutliche Ahnung, wer die Dame sei, aber sie besaß offenbar nicht
die zarte Schonung der Gefühle ihrer Mitmenschen, welche sie zur Besiegung
ihrer Neugierde hätte bewegen können. In dem Grafen erregte die Frage ein
schmerzliches Gefühl, und er antwortete mit sichtlichem Widerstreben. Doch
gab er keine ausweichende Antwort, sondern sagte einfach, daß es das Bild
seiner verstorbenen Frau sei.

Gräfin Sibylle sah ihn mit einem Blick voll Mitgefühl an, legte ihre
Hand auf seinen Arm und sagte nach einer Pause: Ich bin indiskret gewesen,
verzeihen Sie nur. Ach, fuhr sie mit einem Seufzer fort, es sind bei uns
ältern Leuten so viele Erinnerungen nur noch trauriger Art! Und doch
reden wir so gern von der Vergangenheit! Was mag der Grund dieses Wider¬
spruchs sein?

Sie hatte mehr in die Luft und gleichsam mit sich selbst gesprochen, indem
sie es so dem Grafen freistellte, ob er antworten und sein Herz eröffnen wollte
oder nicht. In der That antwortete er nicht, sondern blickte nachdenklich vor
sich nieder.

Ich weiß, was es heißt, sein zweites Selbst verlieren, fuhr sie fort, und
ich kann mich in Ihre Gefühle hineindenken, lieber Graf.

Ein trauriges Lächeln zuckte um den Mund des alten Herrn.

Glücklich, wem die Erinnerung eine ungetrübte ist! sagte sie. Aber wie
wenige können das sagen, wenn sie zurückblicken. Wie ist doch das Leben voller
Stürme, voll von innern und äußern Schwierigkeiten!

Sie drückte mit einer graziösen Bewegung ihr Battisttuch leicht an die
Augen und seufzte tief.

Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, wie sehr meine Erinnerung getrübt
ist, sagte der Graf mit gerunzelter Stirn.

Sie blickte ihn fragend und mit einer Miene des Erstaunens an. Ah —
sollte? — Mir schwebt so etwas vor, sagte sie mit sanftester und teilnehmendster
Stimme.

Dieses Porträt ist bis vor wenig Tagen verhüllt gewesen, sagte der General
ernst. Aber der Tod hat das Bild, welches ich in meinem Innern trage, in


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[0275] Die Grafen von Altenschwerdt. es damit habe, und da sie zugleich bestrebt war, ihren Sohn möglichst viel mit Dorothea zusammenzubringen, wußte sie es einzurichten, daß die beiden jungen Leute in den Garten gingen, wahrend sie selbst mit dem Grafen zurückblieb. Sie bewog nämlich Dietrich durch einen bezeichnenden Wink, den Wunsch zu erkennen zu geben, sich die romantische Umgebung des Hauses anzusehen. Sie selbst erklärte dann, daß sie die Hitze scheue und lieber im Hause bliebe, und sie lenkte das Gespräch so, daß Dorothea sich zu Dietrichs Führerin anbot. Als sie mit dem Grafen allein war, fing sie sogleich an von dem Bilde zu sprechen. Sie lobte die künstlerische Ausführung und fragte, wen es vorstelle. Sie hatte eine deutliche Ahnung, wer die Dame sei, aber sie besaß offenbar nicht die zarte Schonung der Gefühle ihrer Mitmenschen, welche sie zur Besiegung ihrer Neugierde hätte bewegen können. In dem Grafen erregte die Frage ein schmerzliches Gefühl, und er antwortete mit sichtlichem Widerstreben. Doch gab er keine ausweichende Antwort, sondern sagte einfach, daß es das Bild seiner verstorbenen Frau sei. Gräfin Sibylle sah ihn mit einem Blick voll Mitgefühl an, legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte nach einer Pause: Ich bin indiskret gewesen, verzeihen Sie nur. Ach, fuhr sie mit einem Seufzer fort, es sind bei uns ältern Leuten so viele Erinnerungen nur noch trauriger Art! Und doch reden wir so gern von der Vergangenheit! Was mag der Grund dieses Wider¬ spruchs sein? Sie hatte mehr in die Luft und gleichsam mit sich selbst gesprochen, indem sie es so dem Grafen freistellte, ob er antworten und sein Herz eröffnen wollte oder nicht. In der That antwortete er nicht, sondern blickte nachdenklich vor sich nieder. Ich weiß, was es heißt, sein zweites Selbst verlieren, fuhr sie fort, und ich kann mich in Ihre Gefühle hineindenken, lieber Graf. Ein trauriges Lächeln zuckte um den Mund des alten Herrn. Glücklich, wem die Erinnerung eine ungetrübte ist! sagte sie. Aber wie wenige können das sagen, wenn sie zurückblicken. Wie ist doch das Leben voller Stürme, voll von innern und äußern Schwierigkeiten! Sie drückte mit einer graziösen Bewegung ihr Battisttuch leicht an die Augen und seufzte tief. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, wie sehr meine Erinnerung getrübt ist, sagte der Graf mit gerunzelter Stirn. Sie blickte ihn fragend und mit einer Miene des Erstaunens an. Ah — sollte? — Mir schwebt so etwas vor, sagte sie mit sanftester und teilnehmendster Stimme. Dieses Porträt ist bis vor wenig Tagen verhüllt gewesen, sagte der General ernst. Aber der Tod hat das Bild, welches ich in meinem Innern trage, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/275>, abgerufen am 22.07.2024.