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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Gewohnheit, französische Phrasen zu machen; sein Herz nahm daran keinen An¬
teil mehr.

Ein seltsames altes Mvvennest! sagte Gräfin Sibylle, als sich der Wagen
der Besitzung des Generals näherte und der Thurm auf dem Hügel sich ihrem
Blicke darbot.

Es war ein Heller Tag, das Meer lag ruhig, und ein langer Zug von
Wasservögeln strich eben über die Höhen hin dem Lande zu. Die weißen
Fittiche der fliegenden Küstenbewohner glänzten am blauen Himmel.

Graf Dietrich wandte sich um. Die Eremitage eines Philosophen, sagte er.

Der alte Haushofmeister des Grafen kam dem Wagen, welcher von weitem
schon bemerkt worden war, an der Gartenpforte entgegen und führte die Herr¬
schaften hinauf, wo sie der Graf unter dem Vorbau empfing und ins Hans
geleitete.

Das ist wirklich der beneidenswerte Aufenthalt eines Weisen! rief Gräfin
Sibylle, als sie sich in dem Zimmer mit den Büchern und physikalischen Instru¬
menten umsah. Welch ein Glück, Graf Franeker, muß es sein, so von der Welt
und ihrer Unruhe abgeschieden, den Studien und dem Anblick der ewig wahren
Natur sich hingeben zu können!

Der Graf erwiederte nur mit einen: Lächeln. Indem er Gräfin Sibylle
betrachtete, deren Aussehen etwas ganz andres verriet als die Freude an
eben den Genüssen, die sie für begehrenswert erklärte, dachte er an das Rätsel
der Menschenbrust, welche sich immer nach dem sehnt, was ihr nicht beschieden
ist, und er fragte sich, was wohl der Grund davon sei, daß wir diejenigen
Güter am höchsten schätzen, welche zu erlangen wir durch unsre Natur ver¬
hindert werden.

Dorothea erinnerte sich während dieses Besuches der Stunde, welche sie
hier einmal, allein mit dem Grafen, in so intimen Gespräch verlebt hatte, und
an jenen andern schönen Augenblick, wo sie nach der Fahrt auf dem Meere
Eberhardts Diplomatie scherzend bewundert hatte. Dieser Raum erschien ihr
jetzt durch die heuchlerische Konversation der Gräfin entweiht und seines frühern
Zaubers beraubt zu werden. Während sie in solchen Gedanken ihren Blick von
den Sprechenden abwandte, fiel ihr etwas ungewöhnliches im Zimmer auf: das
große Bild über dem Bureau, welches sie immer nur mit einem Schleier be¬
deckt gesehen hatte, hing heute unverhüllt und zeigte das Porträt einer jungen
Dame von pikanter Schönheit. Es war ein brünetter Kopf mit großen, etwas
erstaunt blickenden Augen, hoch und kokett aufgetürmten Haar und vollen roten
Lippen.

Der General sah, daß Dorothea mit Interesse das Bild betrachtete, sagte
jedoch nichts. Auch die Gräfin bemerkte es, und es fiel ihr auf, daß im Hin¬
blick auf das Porträt sich in des Grafen wie in Dorotheens Gesicht ein gewisses
gegenseitiges Verständnis malte. Sie hätte gern erfahren, welche Bewandtnis


Die Grafen von Altenschwerdt.

Gewohnheit, französische Phrasen zu machen; sein Herz nahm daran keinen An¬
teil mehr.

Ein seltsames altes Mvvennest! sagte Gräfin Sibylle, als sich der Wagen
der Besitzung des Generals näherte und der Thurm auf dem Hügel sich ihrem
Blicke darbot.

Es war ein Heller Tag, das Meer lag ruhig, und ein langer Zug von
Wasservögeln strich eben über die Höhen hin dem Lande zu. Die weißen
Fittiche der fliegenden Küstenbewohner glänzten am blauen Himmel.

Graf Dietrich wandte sich um. Die Eremitage eines Philosophen, sagte er.

Der alte Haushofmeister des Grafen kam dem Wagen, welcher von weitem
schon bemerkt worden war, an der Gartenpforte entgegen und führte die Herr¬
schaften hinauf, wo sie der Graf unter dem Vorbau empfing und ins Hans
geleitete.

Das ist wirklich der beneidenswerte Aufenthalt eines Weisen! rief Gräfin
Sibylle, als sie sich in dem Zimmer mit den Büchern und physikalischen Instru¬
menten umsah. Welch ein Glück, Graf Franeker, muß es sein, so von der Welt
und ihrer Unruhe abgeschieden, den Studien und dem Anblick der ewig wahren
Natur sich hingeben zu können!

Der Graf erwiederte nur mit einen: Lächeln. Indem er Gräfin Sibylle
betrachtete, deren Aussehen etwas ganz andres verriet als die Freude an
eben den Genüssen, die sie für begehrenswert erklärte, dachte er an das Rätsel
der Menschenbrust, welche sich immer nach dem sehnt, was ihr nicht beschieden
ist, und er fragte sich, was wohl der Grund davon sei, daß wir diejenigen
Güter am höchsten schätzen, welche zu erlangen wir durch unsre Natur ver¬
hindert werden.

Dorothea erinnerte sich während dieses Besuches der Stunde, welche sie
hier einmal, allein mit dem Grafen, in so intimen Gespräch verlebt hatte, und
an jenen andern schönen Augenblick, wo sie nach der Fahrt auf dem Meere
Eberhardts Diplomatie scherzend bewundert hatte. Dieser Raum erschien ihr
jetzt durch die heuchlerische Konversation der Gräfin entweiht und seines frühern
Zaubers beraubt zu werden. Während sie in solchen Gedanken ihren Blick von
den Sprechenden abwandte, fiel ihr etwas ungewöhnliches im Zimmer auf: das
große Bild über dem Bureau, welches sie immer nur mit einem Schleier be¬
deckt gesehen hatte, hing heute unverhüllt und zeigte das Porträt einer jungen
Dame von pikanter Schönheit. Es war ein brünetter Kopf mit großen, etwas
erstaunt blickenden Augen, hoch und kokett aufgetürmten Haar und vollen roten
Lippen.

Der General sah, daß Dorothea mit Interesse das Bild betrachtete, sagte
jedoch nichts. Auch die Gräfin bemerkte es, und es fiel ihr auf, daß im Hin¬
blick auf das Porträt sich in des Grafen wie in Dorotheens Gesicht ein gewisses
gegenseitiges Verständnis malte. Sie hätte gern erfahren, welche Bewandtnis


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[0274] Die Grafen von Altenschwerdt. Gewohnheit, französische Phrasen zu machen; sein Herz nahm daran keinen An¬ teil mehr. Ein seltsames altes Mvvennest! sagte Gräfin Sibylle, als sich der Wagen der Besitzung des Generals näherte und der Thurm auf dem Hügel sich ihrem Blicke darbot. Es war ein Heller Tag, das Meer lag ruhig, und ein langer Zug von Wasservögeln strich eben über die Höhen hin dem Lande zu. Die weißen Fittiche der fliegenden Küstenbewohner glänzten am blauen Himmel. Graf Dietrich wandte sich um. Die Eremitage eines Philosophen, sagte er. Der alte Haushofmeister des Grafen kam dem Wagen, welcher von weitem schon bemerkt worden war, an der Gartenpforte entgegen und führte die Herr¬ schaften hinauf, wo sie der Graf unter dem Vorbau empfing und ins Hans geleitete. Das ist wirklich der beneidenswerte Aufenthalt eines Weisen! rief Gräfin Sibylle, als sie sich in dem Zimmer mit den Büchern und physikalischen Instru¬ menten umsah. Welch ein Glück, Graf Franeker, muß es sein, so von der Welt und ihrer Unruhe abgeschieden, den Studien und dem Anblick der ewig wahren Natur sich hingeben zu können! Der Graf erwiederte nur mit einen: Lächeln. Indem er Gräfin Sibylle betrachtete, deren Aussehen etwas ganz andres verriet als die Freude an eben den Genüssen, die sie für begehrenswert erklärte, dachte er an das Rätsel der Menschenbrust, welche sich immer nach dem sehnt, was ihr nicht beschieden ist, und er fragte sich, was wohl der Grund davon sei, daß wir diejenigen Güter am höchsten schätzen, welche zu erlangen wir durch unsre Natur ver¬ hindert werden. Dorothea erinnerte sich während dieses Besuches der Stunde, welche sie hier einmal, allein mit dem Grafen, in so intimen Gespräch verlebt hatte, und an jenen andern schönen Augenblick, wo sie nach der Fahrt auf dem Meere Eberhardts Diplomatie scherzend bewundert hatte. Dieser Raum erschien ihr jetzt durch die heuchlerische Konversation der Gräfin entweiht und seines frühern Zaubers beraubt zu werden. Während sie in solchen Gedanken ihren Blick von den Sprechenden abwandte, fiel ihr etwas ungewöhnliches im Zimmer auf: das große Bild über dem Bureau, welches sie immer nur mit einem Schleier be¬ deckt gesehen hatte, hing heute unverhüllt und zeigte das Porträt einer jungen Dame von pikanter Schönheit. Es war ein brünetter Kopf mit großen, etwas erstaunt blickenden Augen, hoch und kokett aufgetürmten Haar und vollen roten Lippen. Der General sah, daß Dorothea mit Interesse das Bild betrachtete, sagte jedoch nichts. Auch die Gräfin bemerkte es, und es fiel ihr auf, daß im Hin¬ blick auf das Porträt sich in des Grafen wie in Dorotheens Gesicht ein gewisses gegenseitiges Verständnis malte. Sie hätte gern erfahren, welche Bewandtnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/274>, abgerufen am 25.08.2024.