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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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still und sanft an ihnen hinzusterben"; aber sie träumte immer nur von der
Subura und dem Esquilin, sie wäre imstande gewesen, sich im Angesichte des
Meerbusens von Neapel nach den Gossen Roms zurückzusehnen.

Diese starke Abneigung, welche die Provinz den Schöngeistern von Rom
einflößte, macht auch ihr Stillschweigen über sie erklärlich: man spricht nicht
gern von dem, was uns mißfällt. So reden sie denn von der Provinz so
wenig als möglich, und was sie etwa gelegentlich über dieses Thema verlauten
lassen, ist weder genau und ausführlich noch neu. So wären wir denn heut¬
zutage in großer Verlegenheit, wenn wir uns ein Bild davon machen wollten,
wie sich das Leben einer kleinen Stadt des römischen Reiches gestaltete, hätte
man nicht eine solche glücklicherweise wieder aufgefunden. Die Entdeckung Pom¬
pejis tröstet uns völlig über das Stillschweigen der alten Schriftsteller. Um
zu wissen, wie die Menschen damals außerhalb Roms lebten, brauchen wir nicht
mehr unbedeutende und zweifelhafte Texte zu sammeln; weit nachdrücklicher be¬
lehrt uns darüber ein kurzer Spaziergang in Pompeji selbst.

Schon vor dem Eintritt in die Stadt dürfen wir erwarten, daß wir uns
in ihr nicht so fremd fühlen werden, als wir wohl zu glauben geneigt sind.
Überall wo es eine Hauptstadt von Bedeutung giebt, übt dieselbe unfehlbar
einen mächtigen Einfluß auf alle übrigen Städte des Landes aus; man ahmt
ihre Bauwerke nach, man kopirt ihre Moden, man spricht ihre Sprache, man
lebt ihr Leben. Im ersten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung hielt der ganze
Erdkreis sein Auge auf Rom gerichtet; Brauch und Sitte von Rom waren über¬
allhin gedrungen. Einzig und allein die griechische Kultur leistete noch Wider¬
stand; der Orient wehrte sich energisch gegen das, was er eine Invasion der
Barbaren nannte. Im Occident dagegen hatten sich die kraftvollsten und sprö¬
desten Nationalitäten besiegen lassen. Spanien, Gallien, Britannien fügten sich
ebensosehr der Gesittung wie den Gesetzen des Siegers; die Welt hatte sich
romanisirt.

Der römische Einfluß eroberte die fernsten Gebiete fast gleichzeitig von
mehreren Seiten her. Während die Legionen, welche das Reich durchzogen,
um an den Grenzen zu lagern, vermöge der natürlichen Verwandtschaft, welche
überall das Volk mit den Soldaten verknüpft, diesen Einfluß in die untern Klassen
hineintrugen, teilten die im Gefolge der Heere auftretenden Großhändler den
Kaufleuten, Ackerbauern, überhaupt allen, die zum Zwecke des Verkaufs ihrer
Produkte oder des Ankaufs der römischen mit ihnen zu thun hatten, ihre Ge¬
wohnheiten und ihre Sprache mit, ja zwangen sie ihnen auf. Die vornehme
Gesellschaft ihrerseits stand zu den Intendanten (xrovnriitores), Proprätoren,
Prokonsuln, welche der Kaiser und der Senat zur Verwaltung der Provinzen
aussandten, in enger Beziehung. Diese Persönlichkeiten waren stets Leute von
hohem Range, Ritter oder Senatoren, gewöhnt Caesars Palast zu besuchen;
sie trugen gewissermaßen einen Hauch römischer Luft jenen ferne" Ländern zu.


still und sanft an ihnen hinzusterben"; aber sie träumte immer nur von der
Subura und dem Esquilin, sie wäre imstande gewesen, sich im Angesichte des
Meerbusens von Neapel nach den Gossen Roms zurückzusehnen.

Diese starke Abneigung, welche die Provinz den Schöngeistern von Rom
einflößte, macht auch ihr Stillschweigen über sie erklärlich: man spricht nicht
gern von dem, was uns mißfällt. So reden sie denn von der Provinz so
wenig als möglich, und was sie etwa gelegentlich über dieses Thema verlauten
lassen, ist weder genau und ausführlich noch neu. So wären wir denn heut¬
zutage in großer Verlegenheit, wenn wir uns ein Bild davon machen wollten,
wie sich das Leben einer kleinen Stadt des römischen Reiches gestaltete, hätte
man nicht eine solche glücklicherweise wieder aufgefunden. Die Entdeckung Pom¬
pejis tröstet uns völlig über das Stillschweigen der alten Schriftsteller. Um
zu wissen, wie die Menschen damals außerhalb Roms lebten, brauchen wir nicht
mehr unbedeutende und zweifelhafte Texte zu sammeln; weit nachdrücklicher be¬
lehrt uns darüber ein kurzer Spaziergang in Pompeji selbst.

Schon vor dem Eintritt in die Stadt dürfen wir erwarten, daß wir uns
in ihr nicht so fremd fühlen werden, als wir wohl zu glauben geneigt sind.
Überall wo es eine Hauptstadt von Bedeutung giebt, übt dieselbe unfehlbar
einen mächtigen Einfluß auf alle übrigen Städte des Landes aus; man ahmt
ihre Bauwerke nach, man kopirt ihre Moden, man spricht ihre Sprache, man
lebt ihr Leben. Im ersten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung hielt der ganze
Erdkreis sein Auge auf Rom gerichtet; Brauch und Sitte von Rom waren über¬
allhin gedrungen. Einzig und allein die griechische Kultur leistete noch Wider¬
stand; der Orient wehrte sich energisch gegen das, was er eine Invasion der
Barbaren nannte. Im Occident dagegen hatten sich die kraftvollsten und sprö¬
desten Nationalitäten besiegen lassen. Spanien, Gallien, Britannien fügten sich
ebensosehr der Gesittung wie den Gesetzen des Siegers; die Welt hatte sich
romanisirt.

Der römische Einfluß eroberte die fernsten Gebiete fast gleichzeitig von
mehreren Seiten her. Während die Legionen, welche das Reich durchzogen,
um an den Grenzen zu lagern, vermöge der natürlichen Verwandtschaft, welche
überall das Volk mit den Soldaten verknüpft, diesen Einfluß in die untern Klassen
hineintrugen, teilten die im Gefolge der Heere auftretenden Großhändler den
Kaufleuten, Ackerbauern, überhaupt allen, die zum Zwecke des Verkaufs ihrer
Produkte oder des Ankaufs der römischen mit ihnen zu thun hatten, ihre Ge¬
wohnheiten und ihre Sprache mit, ja zwangen sie ihnen auf. Die vornehme
Gesellschaft ihrerseits stand zu den Intendanten (xrovnriitores), Proprätoren,
Prokonsuln, welche der Kaiser und der Senat zur Verwaltung der Provinzen
aussandten, in enger Beziehung. Diese Persönlichkeiten waren stets Leute von
hohem Range, Ritter oder Senatoren, gewöhnt Caesars Palast zu besuchen;
sie trugen gewissermaßen einen Hauch römischer Luft jenen ferne» Ländern zu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/252>, abgerufen am 03.07.2024.