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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Oft waren sie von ihren Frauen begleitet, stets führten sie mit sich die Söhne
großer Familien, die sich unter ihrer Leitung mit den Staatsgeschäften vertraut
machen sollten, und Freigelassene, die ihnen als Sekretäre dienten. Es war
eine Art Hof, das maßgebende Vorbild für die gute Gesellschaft in den Städten,
wo jene Sendlinge Roms residirten. Durch diese tägliche Berührung mit den
Kaufleuten, Kriegen" und Verwalter" waren die Provinzen römisch geworden.
Tacitus sagt, man habe dort eifrig die römischen Zeitungen gelesen, um sich
über die geringsten Vorgänge im Senat oder uns dem Forum auf dem Laufenden
zu erhalten;*) man wiederholte dort die Witze gegen die Herren des Tages;
man wollte dort die schönen Phrasen und die brillanten Gedanken der renom-
mirten Redner erfahren. Die neuen Werte der Schriftsteller, die gerade Mode
waren, wurden überall gelesen. Die Buchhändler von Lugdunum (Lyon) ließen
sich die letzten Plaidvycrs des Plinius kommen, die von Vicuna (Vienne) ver¬
kauften die Epigramme des Martial, und der Dichter selbst erzählt uns mit
Stolz, daß man überall, wohin die römische Herrschaft sich erstreckte, seine Verse
sang. Selbst zu wenig bekannten, kaum unterworfenen Völkern drang Rom
ebenso durch feine Künste und seine Literatur wie durch seine Waffen vor. "Das
beredte Gallien, sagt Juvenal, hat die Sachwalter Britanniens erzogen, und
schon ist in Thule davon die Rede, einen öffentlichen Professor der Beredt-
samkeit zu berufen."**) Juvenal will scherzen, aber er übertreibt nicht so sehr,
als er wohl meint. Britannien war eine der letzten und anscheinend eine der
am wenigsten gesicherten Eroberungen des Reiches, und doch ist es bekannt,
welche Kämpfe das Land durchtobten, als es sich zur Zeit der Invasionen vom
Reiche trennen mußte. Es ist also wahrscheinlich, daß in diesen entlegenen
Provinzen, in diesen verlorenen Ländern den Römer, der sie besuchte, mehr als
eine Überraschung erwartete; zu seinem großen Erstannen fühlte er sich dort
garnicht so sehr fremd, ja er fand manchmal sogar das wieder, was sich am
schwersten aus einem Lande ins andre übertragen läßt: die Eleganz des Be¬
nehmens, die Feinheit der Rede, die eigentümliche Gewandtheit in Scherz und
Spott, kurz alle jene Eigenschaften, welche die Römer nnter dem Namen der
in'dcmiws zusammenfaßten, weil sie dieselben an den Aufenthalt in der großen
Stadt gebunden glaubten. Als Martial in Bildnis, im Herzen Spaniens,
ankam, glaubte er bei Wilden zu sein und seufzte, daß er dahin gegangen sei.
Wie groß war seine Überraschung, dort eine ächte und rechte Römerin zu finden.
Die Elogen, die er der Mareella macht, zeigen, selbst wenn wir einen Teil
davon auf Rechnung der Höflichkeit setzen, daß die Urbanität auch nach Bildnis
gekommen war. "Sprich nur ein einzig Wort, so sagt er zu ihr, und der
Palatin wird glauben, daß du ihm angehörst. Keine der Frauen, die inmitten
der Subura geboren sind, kein Kind des kapitolinischen Hügels kann sich mit dir




"*) Juvenal XV, 110.
*) Tacitus, ^.im. XVI, 22. --

Oft waren sie von ihren Frauen begleitet, stets führten sie mit sich die Söhne
großer Familien, die sich unter ihrer Leitung mit den Staatsgeschäften vertraut
machen sollten, und Freigelassene, die ihnen als Sekretäre dienten. Es war
eine Art Hof, das maßgebende Vorbild für die gute Gesellschaft in den Städten,
wo jene Sendlinge Roms residirten. Durch diese tägliche Berührung mit den
Kaufleuten, Kriegen« und Verwalter» waren die Provinzen römisch geworden.
Tacitus sagt, man habe dort eifrig die römischen Zeitungen gelesen, um sich
über die geringsten Vorgänge im Senat oder uns dem Forum auf dem Laufenden
zu erhalten;*) man wiederholte dort die Witze gegen die Herren des Tages;
man wollte dort die schönen Phrasen und die brillanten Gedanken der renom-
mirten Redner erfahren. Die neuen Werte der Schriftsteller, die gerade Mode
waren, wurden überall gelesen. Die Buchhändler von Lugdunum (Lyon) ließen
sich die letzten Plaidvycrs des Plinius kommen, die von Vicuna (Vienne) ver¬
kauften die Epigramme des Martial, und der Dichter selbst erzählt uns mit
Stolz, daß man überall, wohin die römische Herrschaft sich erstreckte, seine Verse
sang. Selbst zu wenig bekannten, kaum unterworfenen Völkern drang Rom
ebenso durch feine Künste und seine Literatur wie durch seine Waffen vor. „Das
beredte Gallien, sagt Juvenal, hat die Sachwalter Britanniens erzogen, und
schon ist in Thule davon die Rede, einen öffentlichen Professor der Beredt-
samkeit zu berufen."**) Juvenal will scherzen, aber er übertreibt nicht so sehr,
als er wohl meint. Britannien war eine der letzten und anscheinend eine der
am wenigsten gesicherten Eroberungen des Reiches, und doch ist es bekannt,
welche Kämpfe das Land durchtobten, als es sich zur Zeit der Invasionen vom
Reiche trennen mußte. Es ist also wahrscheinlich, daß in diesen entlegenen
Provinzen, in diesen verlorenen Ländern den Römer, der sie besuchte, mehr als
eine Überraschung erwartete; zu seinem großen Erstannen fühlte er sich dort
garnicht so sehr fremd, ja er fand manchmal sogar das wieder, was sich am
schwersten aus einem Lande ins andre übertragen läßt: die Eleganz des Be¬
nehmens, die Feinheit der Rede, die eigentümliche Gewandtheit in Scherz und
Spott, kurz alle jene Eigenschaften, welche die Römer nnter dem Namen der
in'dcmiws zusammenfaßten, weil sie dieselben an den Aufenthalt in der großen
Stadt gebunden glaubten. Als Martial in Bildnis, im Herzen Spaniens,
ankam, glaubte er bei Wilden zu sein und seufzte, daß er dahin gegangen sei.
Wie groß war seine Überraschung, dort eine ächte und rechte Römerin zu finden.
Die Elogen, die er der Mareella macht, zeigen, selbst wenn wir einen Teil
davon auf Rechnung der Höflichkeit setzen, daß die Urbanität auch nach Bildnis
gekommen war. „Sprich nur ein einzig Wort, so sagt er zu ihr, und der
Palatin wird glauben, daß du ihm angehörst. Keine der Frauen, die inmitten
der Subura geboren sind, kein Kind des kapitolinischen Hügels kann sich mit dir




»*) Juvenal XV, 110.
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[0253] Oft waren sie von ihren Frauen begleitet, stets führten sie mit sich die Söhne großer Familien, die sich unter ihrer Leitung mit den Staatsgeschäften vertraut machen sollten, und Freigelassene, die ihnen als Sekretäre dienten. Es war eine Art Hof, das maßgebende Vorbild für die gute Gesellschaft in den Städten, wo jene Sendlinge Roms residirten. Durch diese tägliche Berührung mit den Kaufleuten, Kriegen« und Verwalter» waren die Provinzen römisch geworden. Tacitus sagt, man habe dort eifrig die römischen Zeitungen gelesen, um sich über die geringsten Vorgänge im Senat oder uns dem Forum auf dem Laufenden zu erhalten;*) man wiederholte dort die Witze gegen die Herren des Tages; man wollte dort die schönen Phrasen und die brillanten Gedanken der renom- mirten Redner erfahren. Die neuen Werte der Schriftsteller, die gerade Mode waren, wurden überall gelesen. Die Buchhändler von Lugdunum (Lyon) ließen sich die letzten Plaidvycrs des Plinius kommen, die von Vicuna (Vienne) ver¬ kauften die Epigramme des Martial, und der Dichter selbst erzählt uns mit Stolz, daß man überall, wohin die römische Herrschaft sich erstreckte, seine Verse sang. Selbst zu wenig bekannten, kaum unterworfenen Völkern drang Rom ebenso durch feine Künste und seine Literatur wie durch seine Waffen vor. „Das beredte Gallien, sagt Juvenal, hat die Sachwalter Britanniens erzogen, und schon ist in Thule davon die Rede, einen öffentlichen Professor der Beredt- samkeit zu berufen."**) Juvenal will scherzen, aber er übertreibt nicht so sehr, als er wohl meint. Britannien war eine der letzten und anscheinend eine der am wenigsten gesicherten Eroberungen des Reiches, und doch ist es bekannt, welche Kämpfe das Land durchtobten, als es sich zur Zeit der Invasionen vom Reiche trennen mußte. Es ist also wahrscheinlich, daß in diesen entlegenen Provinzen, in diesen verlorenen Ländern den Römer, der sie besuchte, mehr als eine Überraschung erwartete; zu seinem großen Erstannen fühlte er sich dort garnicht so sehr fremd, ja er fand manchmal sogar das wieder, was sich am schwersten aus einem Lande ins andre übertragen läßt: die Eleganz des Be¬ nehmens, die Feinheit der Rede, die eigentümliche Gewandtheit in Scherz und Spott, kurz alle jene Eigenschaften, welche die Römer nnter dem Namen der in'dcmiws zusammenfaßten, weil sie dieselben an den Aufenthalt in der großen Stadt gebunden glaubten. Als Martial in Bildnis, im Herzen Spaniens, ankam, glaubte er bei Wilden zu sein und seufzte, daß er dahin gegangen sei. Wie groß war seine Überraschung, dort eine ächte und rechte Römerin zu finden. Die Elogen, die er der Mareella macht, zeigen, selbst wenn wir einen Teil davon auf Rechnung der Höflichkeit setzen, daß die Urbanität auch nach Bildnis gekommen war. „Sprich nur ein einzig Wort, so sagt er zu ihr, und der Palatin wird glauben, daß du ihm angehörst. Keine der Frauen, die inmitten der Subura geboren sind, kein Kind des kapitolinischen Hügels kann sich mit dir »*) Juvenal XV, 110. *) Tacitus, ^.im. XVI, 22. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/253>, abgerufen am 22.07.2024.