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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.

nie zu verlassen und stets "in diesem Lichte" zu leben.*) Genau genommen
ist es ja begreiflich genug, daß ein Staatsmann das Forum nicht freiwillig
aus den, Auge verlor; er hatte ein viel zu großes Interesse daran, diesem Mittel-
Punkte nahe zu bleiben. Viel überraschender ist es, daß selbst Unbemittelte, für
die das Leben in Rom so teuer und schwierig war, gleichfalls an dem bleibenden
Aufenthalt dort hartnäckig festhielten. Juvenal hat uns die Leiden, denen ein
armer Klient wie er in Rom alle Tage ausgesetzt ist. beredt geschildert. Um
sich zum Verlassen der Stadt Mut zu machen, rühmt er sich selbst den Aufent¬
halt in Sora, in Fabrateria, in Frusino, reizenden Landstädtchen, wo man nicht
Gefahr laufe, morgens übergefahren und abends von Räubern erschlagen zu
werden, wo man sich für dieselbe Summe, die man in Rom an Jahresmiete
für ein elendes dunkles Loch bezahle, ein Haus mit einem Gärtchen kaufen
könne. "Ja, spricht er zu sich selbst mit einer Ergriffenheit, die für uns etwas
rührendes hat, dort mußt du leben, dem Landbau hold, ein eifriger Pfleger
deines kleinen Besitzes; mit dem Ertrage wirst du hundert Pythagoreer satt
macheu können. Es ist viel wert, gleichviel wo, gleichviel in welchem Erden-
winkel, Herr zu sein auf seiner Scholle, und wenn auch nur für eine einzige
Eidechse Platz darauf wäre!"**) Dennoch gewann es Juvenal nicht über sich,
danach zu handeln; er blieb in Rom, wo Martial ihn uns zeigt, wie er in
der Morgenfrühe die Stufen des großen und des kleinen Caelius im Schweiße
seines Angesichts hinaufsteigt, um den Reichen, die ihn beschützen, den Hof zu
machen. Statius zeigte mehr Entschlossenheit. Er sah seinen Dichterruf zu¬
nehmen, ohne daß sich deswegen seine Glücksumstände verbesserten; er war der
erste Poet in Rom und dabei einer der ärmsten: um zu leben, mußte er die
Liebeshandel der Reichen besiegen und die Tugenden des Domitian in allen
Tonarten verherrlichen. Seine größte Sorge aber war: er hatte eine erwachsene
Tochter zu verheiraten, ein talentvolles Mädchen, das auf der Leier spielte und
die Verse ihres Vaters entzückend vortrug. Unglücklicherweise hatte er ihr keine
Mitgift zu geben, und "ihre schöne Jugend verstrich unfruchtbar und einsam."***)
Da beschloß er "ach Neapel, in seine Heimat zurückzukehren, wo er eine leichtere
Existenz und weniger anspruchsvolle Schwiegersöhne zu finden hoffte; aber seine
Frau weigerte sich, ihm dahin zu folgen. Sie war eine jener starren Römerinnen,
denen es ganz unmöglich schien, irgendwo anders zu leben als auf einem der
sieben Hügel. Bei dem Gedanken, daß sie Rom verlassen sollte, stieß sie tiefe
Seufzer aus und verbrachte schlaflose Nächte. Vergebens schilderte ihr Statius
in reizenden Versen die Wunder von Puteoli und Bajae, das Zauberland,
"wo Alles sich vereint, das Leben zu schmücken, wo die Sommer erfrischend
kühl und die Winter lau sind, wo das Meer die Gestade liebkost, um dann





*) Cicero, tÄm. II, 12. vrbom, urdom, mi Ruth, vois, ot in d"o wo" vivo! --
**) Juvenal III, 228--231. --
***) Statius Siloah III, S, 60.
pompejanische Spaziergänge.

nie zu verlassen und stets „in diesem Lichte" zu leben.*) Genau genommen
ist es ja begreiflich genug, daß ein Staatsmann das Forum nicht freiwillig
aus den, Auge verlor; er hatte ein viel zu großes Interesse daran, diesem Mittel-
Punkte nahe zu bleiben. Viel überraschender ist es, daß selbst Unbemittelte, für
die das Leben in Rom so teuer und schwierig war, gleichfalls an dem bleibenden
Aufenthalt dort hartnäckig festhielten. Juvenal hat uns die Leiden, denen ein
armer Klient wie er in Rom alle Tage ausgesetzt ist. beredt geschildert. Um
sich zum Verlassen der Stadt Mut zu machen, rühmt er sich selbst den Aufent¬
halt in Sora, in Fabrateria, in Frusino, reizenden Landstädtchen, wo man nicht
Gefahr laufe, morgens übergefahren und abends von Räubern erschlagen zu
werden, wo man sich für dieselbe Summe, die man in Rom an Jahresmiete
für ein elendes dunkles Loch bezahle, ein Haus mit einem Gärtchen kaufen
könne. „Ja, spricht er zu sich selbst mit einer Ergriffenheit, die für uns etwas
rührendes hat, dort mußt du leben, dem Landbau hold, ein eifriger Pfleger
deines kleinen Besitzes; mit dem Ertrage wirst du hundert Pythagoreer satt
macheu können. Es ist viel wert, gleichviel wo, gleichviel in welchem Erden-
winkel, Herr zu sein auf seiner Scholle, und wenn auch nur für eine einzige
Eidechse Platz darauf wäre!"**) Dennoch gewann es Juvenal nicht über sich,
danach zu handeln; er blieb in Rom, wo Martial ihn uns zeigt, wie er in
der Morgenfrühe die Stufen des großen und des kleinen Caelius im Schweiße
seines Angesichts hinaufsteigt, um den Reichen, die ihn beschützen, den Hof zu
machen. Statius zeigte mehr Entschlossenheit. Er sah seinen Dichterruf zu¬
nehmen, ohne daß sich deswegen seine Glücksumstände verbesserten; er war der
erste Poet in Rom und dabei einer der ärmsten: um zu leben, mußte er die
Liebeshandel der Reichen besiegen und die Tugenden des Domitian in allen
Tonarten verherrlichen. Seine größte Sorge aber war: er hatte eine erwachsene
Tochter zu verheiraten, ein talentvolles Mädchen, das auf der Leier spielte und
die Verse ihres Vaters entzückend vortrug. Unglücklicherweise hatte er ihr keine
Mitgift zu geben, und „ihre schöne Jugend verstrich unfruchtbar und einsam."***)
Da beschloß er »ach Neapel, in seine Heimat zurückzukehren, wo er eine leichtere
Existenz und weniger anspruchsvolle Schwiegersöhne zu finden hoffte; aber seine
Frau weigerte sich, ihm dahin zu folgen. Sie war eine jener starren Römerinnen,
denen es ganz unmöglich schien, irgendwo anders zu leben als auf einem der
sieben Hügel. Bei dem Gedanken, daß sie Rom verlassen sollte, stieß sie tiefe
Seufzer aus und verbrachte schlaflose Nächte. Vergebens schilderte ihr Statius
in reizenden Versen die Wunder von Puteoli und Bajae, das Zauberland,
„wo Alles sich vereint, das Leben zu schmücken, wo die Sommer erfrischend
kühl und die Winter lau sind, wo das Meer die Gestade liebkost, um dann





*) Cicero, tÄm. II, 12. vrbom, urdom, mi Ruth, vois, ot in d»o wo« vivo! —
**) Juvenal III, 228—231. —
***) Statius Siloah III, S, 60.
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[0251] pompejanische Spaziergänge. nie zu verlassen und stets „in diesem Lichte" zu leben.*) Genau genommen ist es ja begreiflich genug, daß ein Staatsmann das Forum nicht freiwillig aus den, Auge verlor; er hatte ein viel zu großes Interesse daran, diesem Mittel- Punkte nahe zu bleiben. Viel überraschender ist es, daß selbst Unbemittelte, für die das Leben in Rom so teuer und schwierig war, gleichfalls an dem bleibenden Aufenthalt dort hartnäckig festhielten. Juvenal hat uns die Leiden, denen ein armer Klient wie er in Rom alle Tage ausgesetzt ist. beredt geschildert. Um sich zum Verlassen der Stadt Mut zu machen, rühmt er sich selbst den Aufent¬ halt in Sora, in Fabrateria, in Frusino, reizenden Landstädtchen, wo man nicht Gefahr laufe, morgens übergefahren und abends von Räubern erschlagen zu werden, wo man sich für dieselbe Summe, die man in Rom an Jahresmiete für ein elendes dunkles Loch bezahle, ein Haus mit einem Gärtchen kaufen könne. „Ja, spricht er zu sich selbst mit einer Ergriffenheit, die für uns etwas rührendes hat, dort mußt du leben, dem Landbau hold, ein eifriger Pfleger deines kleinen Besitzes; mit dem Ertrage wirst du hundert Pythagoreer satt macheu können. Es ist viel wert, gleichviel wo, gleichviel in welchem Erden- winkel, Herr zu sein auf seiner Scholle, und wenn auch nur für eine einzige Eidechse Platz darauf wäre!"**) Dennoch gewann es Juvenal nicht über sich, danach zu handeln; er blieb in Rom, wo Martial ihn uns zeigt, wie er in der Morgenfrühe die Stufen des großen und des kleinen Caelius im Schweiße seines Angesichts hinaufsteigt, um den Reichen, die ihn beschützen, den Hof zu machen. Statius zeigte mehr Entschlossenheit. Er sah seinen Dichterruf zu¬ nehmen, ohne daß sich deswegen seine Glücksumstände verbesserten; er war der erste Poet in Rom und dabei einer der ärmsten: um zu leben, mußte er die Liebeshandel der Reichen besiegen und die Tugenden des Domitian in allen Tonarten verherrlichen. Seine größte Sorge aber war: er hatte eine erwachsene Tochter zu verheiraten, ein talentvolles Mädchen, das auf der Leier spielte und die Verse ihres Vaters entzückend vortrug. Unglücklicherweise hatte er ihr keine Mitgift zu geben, und „ihre schöne Jugend verstrich unfruchtbar und einsam."***) Da beschloß er »ach Neapel, in seine Heimat zurückzukehren, wo er eine leichtere Existenz und weniger anspruchsvolle Schwiegersöhne zu finden hoffte; aber seine Frau weigerte sich, ihm dahin zu folgen. Sie war eine jener starren Römerinnen, denen es ganz unmöglich schien, irgendwo anders zu leben als auf einem der sieben Hügel. Bei dem Gedanken, daß sie Rom verlassen sollte, stieß sie tiefe Seufzer aus und verbrachte schlaflose Nächte. Vergebens schilderte ihr Statius in reizenden Versen die Wunder von Puteoli und Bajae, das Zauberland, „wo Alles sich vereint, das Leben zu schmücken, wo die Sommer erfrischend kühl und die Winter lau sind, wo das Meer die Gestade liebkost, um dann *) Cicero, tÄm. II, 12. vrbom, urdom, mi Ruth, vois, ot in d»o wo« vivo! — **) Juvenal III, 228—231. — ***) Statius Siloah III, S, 60.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/251>, abgerufen am 02.07.2024.