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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejaiiische Spaziergänge.

und Novius hatten sich mehr als einmal in der Schilderung des Mißgeschicks
eines Kandidaten gefallen. Unzweifelhaft handelte es sich um die Wahlen in
irgend einem kleinen Munizipium; daß man sich über die Wahlen in Rom lustig
machte, würden die Römer kaum geduldet haben. In einem "Die Setinerin"
betitelten Stücke hatte der Dichter Titinius eine jener verstockten Provinzialinnen,
die sich leicht einbilden, die ganze Welt drehe sich um ihr Dorf, auf die Bühne
gebracht; auf dieses Dorf beziehen sie alles, um seinetwillen, glauben sie, ist
überhaupt alles geschaffen. Auch die Heldin jener Komödie denkt, während man
ihr die Wunder Roms zeigt, nur an ihr liebes Sella. Beim Anblick des Tiber
ruft sie aus: "Ach, welch ein Glück wäre es doch für das Gebiet von Sella,
wenn man ihn dorthin ableiten könnte!" Leider sind dies nur kurze Bruch¬
stücke; die Komödien^ selbst sind fast gänzlich verloren gegangen, und die spär¬
lichen Neste erregen nur unsre Neugierde, ohne sie zu befriedigen.

Sehen wir uns bei deu Schriftstellern um, die ganz auf uns gekommen
find, so sind wir kaum glücklicher. In der Regel sprechen sie von der Provinz
nur, um uns zu sagen, wie tiefen Widerwillen sie ihnen einflöße. Die Provinz
war bei den Gebildeten und den Schöngeistern damals ebensowenig Mode als
heutzutage; alle ohne Ausnahme erklärten es für unmöglich, außerhalb Roms
zu leben. Daß Rom für bleibenden Aufenthalt eine der ungesundesten Städte
der Welt sei, mußten sie freilich wohl oder übel zugeben. Seit deu Tagen
des Numa hatte dort die Göttin Febris ihre Altäre gehabt, und die Ge¬
bete, die man seit so langer Zeit zu ihr emporsandte, hatten sie nicht ver¬
söhnt. Seneca gesteht, mau brauche diesem drückenden Dunstkreise von Staub
und Rauch nur auf eiuen Augenblick zu entfliehen, um sich sogleich viel wohler
zu fühlen; aber man verließ ihn immer nur ungern. Solange Cicero ruhig dort
lebte, genirte er sich, selbst in seinen öffentlichen Reden, durchaus nicht, ganz
offen zu gestehen, Rom sei eine sehr häßliche und schlechtgebaute Stadt, die
Häuser seien zu hoch, die Straßen zu eng.*) Sobald er aber gezwungen war,
sie zu verlassen, wurde er andrer Meinung. "Wie schön ist Rom!" rief er
bei der Rückkehr aus.**) Er brauchte nur ein paar Monate aus der Haupt¬
stadt verbannt gewesen zu sein, um sie bewundernswert zu finden. Gleichwohl
verließ er sie einige Jahre später noch einmal, um die Verwaltung Ciliciers
anzutreten, und abermals sehnte er sich, sobald er sie aus den Augen ver¬
loren, nach ihr zurück. Noch war er in seiner Provinz nicht angekommen, so
beschäftigte er sich bereits mit der Möglichkeit, so bald als nur möglich wieder
heimzukehren. Während er Länder verwaltete, größer als Königreiche, während
er an der Spitze von Heeren stand und für seine Siege die Huldigungen des
Senats entgegennahm, war er untröstlich, dem Capital so fern zu sein, und
schrieb an seinen Freund Caelius trübselige Briefe, worin er ihm empfahl, Rom




**) Cicero, ?ro rv<I,, lui xox. I.
*) Cicero, vo leZssZiAr, II, 35. --
Pompejaiiische Spaziergänge.

und Novius hatten sich mehr als einmal in der Schilderung des Mißgeschicks
eines Kandidaten gefallen. Unzweifelhaft handelte es sich um die Wahlen in
irgend einem kleinen Munizipium; daß man sich über die Wahlen in Rom lustig
machte, würden die Römer kaum geduldet haben. In einem „Die Setinerin"
betitelten Stücke hatte der Dichter Titinius eine jener verstockten Provinzialinnen,
die sich leicht einbilden, die ganze Welt drehe sich um ihr Dorf, auf die Bühne
gebracht; auf dieses Dorf beziehen sie alles, um seinetwillen, glauben sie, ist
überhaupt alles geschaffen. Auch die Heldin jener Komödie denkt, während man
ihr die Wunder Roms zeigt, nur an ihr liebes Sella. Beim Anblick des Tiber
ruft sie aus: „Ach, welch ein Glück wäre es doch für das Gebiet von Sella,
wenn man ihn dorthin ableiten könnte!" Leider sind dies nur kurze Bruch¬
stücke; die Komödien^ selbst sind fast gänzlich verloren gegangen, und die spär¬
lichen Neste erregen nur unsre Neugierde, ohne sie zu befriedigen.

Sehen wir uns bei deu Schriftstellern um, die ganz auf uns gekommen
find, so sind wir kaum glücklicher. In der Regel sprechen sie von der Provinz
nur, um uns zu sagen, wie tiefen Widerwillen sie ihnen einflöße. Die Provinz
war bei den Gebildeten und den Schöngeistern damals ebensowenig Mode als
heutzutage; alle ohne Ausnahme erklärten es für unmöglich, außerhalb Roms
zu leben. Daß Rom für bleibenden Aufenthalt eine der ungesundesten Städte
der Welt sei, mußten sie freilich wohl oder übel zugeben. Seit deu Tagen
des Numa hatte dort die Göttin Febris ihre Altäre gehabt, und die Ge¬
bete, die man seit so langer Zeit zu ihr emporsandte, hatten sie nicht ver¬
söhnt. Seneca gesteht, mau brauche diesem drückenden Dunstkreise von Staub
und Rauch nur auf eiuen Augenblick zu entfliehen, um sich sogleich viel wohler
zu fühlen; aber man verließ ihn immer nur ungern. Solange Cicero ruhig dort
lebte, genirte er sich, selbst in seinen öffentlichen Reden, durchaus nicht, ganz
offen zu gestehen, Rom sei eine sehr häßliche und schlechtgebaute Stadt, die
Häuser seien zu hoch, die Straßen zu eng.*) Sobald er aber gezwungen war,
sie zu verlassen, wurde er andrer Meinung. „Wie schön ist Rom!" rief er
bei der Rückkehr aus.**) Er brauchte nur ein paar Monate aus der Haupt¬
stadt verbannt gewesen zu sein, um sie bewundernswert zu finden. Gleichwohl
verließ er sie einige Jahre später noch einmal, um die Verwaltung Ciliciers
anzutreten, und abermals sehnte er sich, sobald er sie aus den Augen ver¬
loren, nach ihr zurück. Noch war er in seiner Provinz nicht angekommen, so
beschäftigte er sich bereits mit der Möglichkeit, so bald als nur möglich wieder
heimzukehren. Während er Länder verwaltete, größer als Königreiche, während
er an der Spitze von Heeren stand und für seine Siege die Huldigungen des
Senats entgegennahm, war er untröstlich, dem Capital so fern zu sein, und
schrieb an seinen Freund Caelius trübselige Briefe, worin er ihm empfahl, Rom




**) Cicero, ?ro rv<I,, lui xox. I.
*) Cicero, vo leZssZiAr, II, 35. —
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[0250] Pompejaiiische Spaziergänge. und Novius hatten sich mehr als einmal in der Schilderung des Mißgeschicks eines Kandidaten gefallen. Unzweifelhaft handelte es sich um die Wahlen in irgend einem kleinen Munizipium; daß man sich über die Wahlen in Rom lustig machte, würden die Römer kaum geduldet haben. In einem „Die Setinerin" betitelten Stücke hatte der Dichter Titinius eine jener verstockten Provinzialinnen, die sich leicht einbilden, die ganze Welt drehe sich um ihr Dorf, auf die Bühne gebracht; auf dieses Dorf beziehen sie alles, um seinetwillen, glauben sie, ist überhaupt alles geschaffen. Auch die Heldin jener Komödie denkt, während man ihr die Wunder Roms zeigt, nur an ihr liebes Sella. Beim Anblick des Tiber ruft sie aus: „Ach, welch ein Glück wäre es doch für das Gebiet von Sella, wenn man ihn dorthin ableiten könnte!" Leider sind dies nur kurze Bruch¬ stücke; die Komödien^ selbst sind fast gänzlich verloren gegangen, und die spär¬ lichen Neste erregen nur unsre Neugierde, ohne sie zu befriedigen. Sehen wir uns bei deu Schriftstellern um, die ganz auf uns gekommen find, so sind wir kaum glücklicher. In der Regel sprechen sie von der Provinz nur, um uns zu sagen, wie tiefen Widerwillen sie ihnen einflöße. Die Provinz war bei den Gebildeten und den Schöngeistern damals ebensowenig Mode als heutzutage; alle ohne Ausnahme erklärten es für unmöglich, außerhalb Roms zu leben. Daß Rom für bleibenden Aufenthalt eine der ungesundesten Städte der Welt sei, mußten sie freilich wohl oder übel zugeben. Seit deu Tagen des Numa hatte dort die Göttin Febris ihre Altäre gehabt, und die Ge¬ bete, die man seit so langer Zeit zu ihr emporsandte, hatten sie nicht ver¬ söhnt. Seneca gesteht, mau brauche diesem drückenden Dunstkreise von Staub und Rauch nur auf eiuen Augenblick zu entfliehen, um sich sogleich viel wohler zu fühlen; aber man verließ ihn immer nur ungern. Solange Cicero ruhig dort lebte, genirte er sich, selbst in seinen öffentlichen Reden, durchaus nicht, ganz offen zu gestehen, Rom sei eine sehr häßliche und schlechtgebaute Stadt, die Häuser seien zu hoch, die Straßen zu eng.*) Sobald er aber gezwungen war, sie zu verlassen, wurde er andrer Meinung. „Wie schön ist Rom!" rief er bei der Rückkehr aus.**) Er brauchte nur ein paar Monate aus der Haupt¬ stadt verbannt gewesen zu sein, um sie bewundernswert zu finden. Gleichwohl verließ er sie einige Jahre später noch einmal, um die Verwaltung Ciliciers anzutreten, und abermals sehnte er sich, sobald er sie aus den Augen ver¬ loren, nach ihr zurück. Noch war er in seiner Provinz nicht angekommen, so beschäftigte er sich bereits mit der Möglichkeit, so bald als nur möglich wieder heimzukehren. Während er Länder verwaltete, größer als Königreiche, während er an der Spitze von Heeren stand und für seine Siege die Huldigungen des Senats entgegennahm, war er untröstlich, dem Capital so fern zu sein, und schrieb an seinen Freund Caelius trübselige Briefe, worin er ihm empfahl, Rom **) Cicero, ?ro rv<I,, lui xox. I. *) Cicero, vo leZssZiAr, II, 35. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/250>, abgerufen am 01.07.2024.