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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Gin Apostel der Geniezeit,

Mit dieser Katastrophe aber, die Schritt für Schritt über ihn hereinbrach,
schwindet auch das Interesse, das seine Person einflößen kann. Zwar ist auch
ihm eine Art Läuterung beschieden gewesen, aber die Art und Weise, wie dies
geschah, ist nicht mehr typisch, darum geschichtlich anch ohne größere Bedeutung,
da der Mann ja nur als Ausdruck der Zeit, nicht als Individuum Anspruch
auf Beachtung hat.

Schon im Februar des folgenden Jahres (1778) vermählte sich Kaufmann
mit seiner Lisette. Lavater, der bald auch von seinem Propheten sich abwenden
sollte, vollzog die Trauung. Die Neuvermählten blieben zuerst in Hegi, dem
Wohnorte der Schwiegereltern. Bald aber stellte sich die Unmöglichkeit heraus,
dieses Verhältnis fortzusetzen, sodnß sich Kaufmann zum Ankauf des Freigutes
Clarisegg bei Kloster Feldbach und Arenenberg entschloß. Dort richtete er sich
in einer Weise prächtig eil?, die seinen Mitteln keineswegs entsprach, zumal da
Haugwitzens "Geldflotte" auszubleiben anfing. Schließlich sah er sich zum Ver¬
kaufe seines Besitztums und zur Übersiedlung nach Schaffhausen genötigt.
Dort kam er, nachdem er bereits durch Haugwitz auf die Notwendigkeit einer
religiösen Umkehr aufmerksam gemacht worden war, mit Mitgliedern der
Brüdergemeine in Berührung. Der Eindruck, den das Leben und die An¬
schauungsweise dieser Leute auf ihn machten, war ein überaus eindringlicher,
sodcch sich mehr und mehr der Gedanke, selbst dieser Gemeinschaft beizutreten, in
ihm befestigte. Hatte er doch im Jahre 177l> schon von Dessau aus in Begleitung des
Fürsten von Dessau, des Herzogs von Weimar und Goethcns die Brüdergemeine
zu Barby besucht und schon damals eine "liebliche, achtungsvolle" Anregung
mit fortgenommen. Seit der nähern Bekanntschaft mit der Brüdergemeine
aber sind alle seine Schritte von der Erreichung dieser seiner Absicht bestimmt.
Seine Hoffnungen in dieser Beziehung sollten sich jedoch nur allmählich er¬
füllen. Seit Zinzendorff Tode war in der Brndergemeine eine bedeutende Er¬
nüchterung eingetreten. Der Sturm und Drang dieser religiösen Verbindung,
die sogenannte "Sichtungszeit", war bereits vorüber, und ein Geist ruhiger
Besonnenheit und solider Wirtschaft war herrschend geworden. So mußte man
gerade einem Charakter, wie der Kaufmanns war, mit Mißtrauen begegnen,
und nnr längere Prüfung konnte dasselbe mit der Zeit zerstreuen. Auch forderten
die geltenden Bestimmungen von jedem Mitglied der Gemeine die Ausübung
eines bestimmten Berufes. Kaufmann, der im Juli 1781 nach Schlesien
übersiedelte, um zunächst auf einem Gute von Haugwitz Unterkunft zu finden,
nahm also in Breslau seine früher zum Vergnügen betriebenen ärztlichen Studien
wieder anf, welche er aber, zu systematischer Arbeit unfähig, nicht zu einem er¬
wünschten Abschluß bringen konnte. Dennoch gelang es ihm, ohne ein Examen
abgelegt zu haben, durch Protektion die Erlaubnis zu erhalten, sich in dem
Brüderorte Neusalz an der Oder als Gemeinearzt niederzulassen. Endlich nach
langem, schmerzlichem Harren wurde ihm die Aufnahme in die Gemeine gewährt


Gin Apostel der Geniezeit,

Mit dieser Katastrophe aber, die Schritt für Schritt über ihn hereinbrach,
schwindet auch das Interesse, das seine Person einflößen kann. Zwar ist auch
ihm eine Art Läuterung beschieden gewesen, aber die Art und Weise, wie dies
geschah, ist nicht mehr typisch, darum geschichtlich anch ohne größere Bedeutung,
da der Mann ja nur als Ausdruck der Zeit, nicht als Individuum Anspruch
auf Beachtung hat.

Schon im Februar des folgenden Jahres (1778) vermählte sich Kaufmann
mit seiner Lisette. Lavater, der bald auch von seinem Propheten sich abwenden
sollte, vollzog die Trauung. Die Neuvermählten blieben zuerst in Hegi, dem
Wohnorte der Schwiegereltern. Bald aber stellte sich die Unmöglichkeit heraus,
dieses Verhältnis fortzusetzen, sodnß sich Kaufmann zum Ankauf des Freigutes
Clarisegg bei Kloster Feldbach und Arenenberg entschloß. Dort richtete er sich
in einer Weise prächtig eil?, die seinen Mitteln keineswegs entsprach, zumal da
Haugwitzens „Geldflotte" auszubleiben anfing. Schließlich sah er sich zum Ver¬
kaufe seines Besitztums und zur Übersiedlung nach Schaffhausen genötigt.
Dort kam er, nachdem er bereits durch Haugwitz auf die Notwendigkeit einer
religiösen Umkehr aufmerksam gemacht worden war, mit Mitgliedern der
Brüdergemeine in Berührung. Der Eindruck, den das Leben und die An¬
schauungsweise dieser Leute auf ihn machten, war ein überaus eindringlicher,
sodcch sich mehr und mehr der Gedanke, selbst dieser Gemeinschaft beizutreten, in
ihm befestigte. Hatte er doch im Jahre 177l> schon von Dessau aus in Begleitung des
Fürsten von Dessau, des Herzogs von Weimar und Goethcns die Brüdergemeine
zu Barby besucht und schon damals eine „liebliche, achtungsvolle" Anregung
mit fortgenommen. Seit der nähern Bekanntschaft mit der Brüdergemeine
aber sind alle seine Schritte von der Erreichung dieser seiner Absicht bestimmt.
Seine Hoffnungen in dieser Beziehung sollten sich jedoch nur allmählich er¬
füllen. Seit Zinzendorff Tode war in der Brndergemeine eine bedeutende Er¬
nüchterung eingetreten. Der Sturm und Drang dieser religiösen Verbindung,
die sogenannte „Sichtungszeit", war bereits vorüber, und ein Geist ruhiger
Besonnenheit und solider Wirtschaft war herrschend geworden. So mußte man
gerade einem Charakter, wie der Kaufmanns war, mit Mißtrauen begegnen,
und nnr längere Prüfung konnte dasselbe mit der Zeit zerstreuen. Auch forderten
die geltenden Bestimmungen von jedem Mitglied der Gemeine die Ausübung
eines bestimmten Berufes. Kaufmann, der im Juli 1781 nach Schlesien
übersiedelte, um zunächst auf einem Gute von Haugwitz Unterkunft zu finden,
nahm also in Breslau seine früher zum Vergnügen betriebenen ärztlichen Studien
wieder anf, welche er aber, zu systematischer Arbeit unfähig, nicht zu einem er¬
wünschten Abschluß bringen konnte. Dennoch gelang es ihm, ohne ein Examen
abgelegt zu haben, durch Protektion die Erlaubnis zu erhalten, sich in dem
Brüderorte Neusalz an der Oder als Gemeinearzt niederzulassen. Endlich nach
langem, schmerzlichem Harren wurde ihm die Aufnahme in die Gemeine gewährt


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[0247] Gin Apostel der Geniezeit, Mit dieser Katastrophe aber, die Schritt für Schritt über ihn hereinbrach, schwindet auch das Interesse, das seine Person einflößen kann. Zwar ist auch ihm eine Art Läuterung beschieden gewesen, aber die Art und Weise, wie dies geschah, ist nicht mehr typisch, darum geschichtlich anch ohne größere Bedeutung, da der Mann ja nur als Ausdruck der Zeit, nicht als Individuum Anspruch auf Beachtung hat. Schon im Februar des folgenden Jahres (1778) vermählte sich Kaufmann mit seiner Lisette. Lavater, der bald auch von seinem Propheten sich abwenden sollte, vollzog die Trauung. Die Neuvermählten blieben zuerst in Hegi, dem Wohnorte der Schwiegereltern. Bald aber stellte sich die Unmöglichkeit heraus, dieses Verhältnis fortzusetzen, sodnß sich Kaufmann zum Ankauf des Freigutes Clarisegg bei Kloster Feldbach und Arenenberg entschloß. Dort richtete er sich in einer Weise prächtig eil?, die seinen Mitteln keineswegs entsprach, zumal da Haugwitzens „Geldflotte" auszubleiben anfing. Schließlich sah er sich zum Ver¬ kaufe seines Besitztums und zur Übersiedlung nach Schaffhausen genötigt. Dort kam er, nachdem er bereits durch Haugwitz auf die Notwendigkeit einer religiösen Umkehr aufmerksam gemacht worden war, mit Mitgliedern der Brüdergemeine in Berührung. Der Eindruck, den das Leben und die An¬ schauungsweise dieser Leute auf ihn machten, war ein überaus eindringlicher, sodcch sich mehr und mehr der Gedanke, selbst dieser Gemeinschaft beizutreten, in ihm befestigte. Hatte er doch im Jahre 177l> schon von Dessau aus in Begleitung des Fürsten von Dessau, des Herzogs von Weimar und Goethcns die Brüdergemeine zu Barby besucht und schon damals eine „liebliche, achtungsvolle" Anregung mit fortgenommen. Seit der nähern Bekanntschaft mit der Brüdergemeine aber sind alle seine Schritte von der Erreichung dieser seiner Absicht bestimmt. Seine Hoffnungen in dieser Beziehung sollten sich jedoch nur allmählich er¬ füllen. Seit Zinzendorff Tode war in der Brndergemeine eine bedeutende Er¬ nüchterung eingetreten. Der Sturm und Drang dieser religiösen Verbindung, die sogenannte „Sichtungszeit", war bereits vorüber, und ein Geist ruhiger Besonnenheit und solider Wirtschaft war herrschend geworden. So mußte man gerade einem Charakter, wie der Kaufmanns war, mit Mißtrauen begegnen, und nnr längere Prüfung konnte dasselbe mit der Zeit zerstreuen. Auch forderten die geltenden Bestimmungen von jedem Mitglied der Gemeine die Ausübung eines bestimmten Berufes. Kaufmann, der im Juli 1781 nach Schlesien übersiedelte, um zunächst auf einem Gute von Haugwitz Unterkunft zu finden, nahm also in Breslau seine früher zum Vergnügen betriebenen ärztlichen Studien wieder anf, welche er aber, zu systematischer Arbeit unfähig, nicht zu einem er¬ wünschten Abschluß bringen konnte. Dennoch gelang es ihm, ohne ein Examen abgelegt zu haben, durch Protektion die Erlaubnis zu erhalten, sich in dem Brüderorte Neusalz an der Oder als Gemeinearzt niederzulassen. Endlich nach langem, schmerzlichem Harren wurde ihm die Aufnahme in die Gemeine gewährt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/247>, abgerufen am 03.07.2024.