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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Gin Apostel der Geniezeit,

sie Autoren seien; sein Charakter sei höchste idealische Ehrlichkeit, Einfalt und
Liebe, Diesen Brief, von großer Begeisterung eingegeben, möge der Leser selbst
bei Düntzer (S. 104, 105) nachlesen, damit er beurteilen könne, wie gewaltig
Kaufmanns Persönlichkeit auf Kraus wirkte, und zugleich erkenne, wie viel oder
wenig Verdachtsmomente gegen ihn daraus zu entnehmen sind. Er wird dann
auch entscheiden können, ob Düntzer Recht habe, wenn er behauptet: "An allem,
was Kaufmann ihm sKraus^ sagte, war kaum ein wahres Wort, fast alles auf¬
schneiderische Großsprecherei, die jetzt ins Kraut geschossen war, wo er den aben¬
teuerlichen Zug nach Rußland sich vorgesetzt hatte." Für einen Unbefangenen
scheint uns wenig in dem Briefe enthalten zu sein, was einen derartigen Vor¬
wurf verdiente; die vorhandenen Abweichungen von dem wirklichen Sachverhalt
lassen sich ungezwungen aus einem ungenauen Wiedererzählen und aus leichten
Verwechslungen Kaufens erklären.

Von Königsberg zog Kaufmann weiter nach Riga. Aber weder dort noch
auf den Chwastowischen Besitzungen zu Salv-Weina vermochte er etwas aus¬
zurichten. Er trat daher den Rückweg nach Deutschland an, den er über
Petersburg nahm, um von dort ans zu Schiff nach Lübeck weiter zu fahren,
eine Reiseroute, die noch heute wegen ihrer Billigkeit und Bequemlichkeit beliebt
ist, daher auch den Besuch von Petersburg auf die einfachste Weise erklärt und
gewaltsame Konjekturen, die Düntzer auch hier uicht unterläßt, unnötig macht

Von Lübeck aus besuchte Kaufmann Claudius in Wandsbeck, der ihm schon
von früher her bekannt war und nun die Bekanntschaft mit Voß vermittelte.
Über diesen Besuch siud wir näher unterrichtet durch einen Brief von Ernestine
Voß. Sie schildert uns Kaufmanns äußere Persönlichkeit und den Eindruck,
den er hervorrief, ganz so, wie wir schon von andrer Seite darüber belehrt
worden sind. Auch daß er als Vegetarianer gelebt und sich als Arzt mit Er¬
folg bewährt habe, steht nicht als vereinzelte Angabe da. Neu aber ist der
Umstand, daß Kaufmann behauptet habe, kein Kranker, welcher Zutrauen hätte,
stürbe bei seiner Behandlung, und ferner, daß er, der doch seine Jugend durch
sein Aussehen sofort verriet, schon mit einem frühern Menschenalter in Berührung
gestanden habe und bestimmt sei, noch lange nach dem jetzigen Geschlecht fort¬
zuwirken. Das siud in der That Momente, die auf den ersten Blick gravirend
für Kaufmann erscheinen und für den Fall, daß die Wahrheit dieses Berichtes
nachgewiesen werden könnte, die Frage nach Kaufmanns Charakter zur be¬
stimmtesten Entscheidung führen würden. Aber gerade hier ist Vorsicht mehr
als bei allen andern Angaben über Kaufmann geboten. Wie Düntzer selbst
hervorhebt, findet sich von dieser "rätselhaften, an Se. Germain und Cagliostro
erinnernden Umhüllung seiner Person anderwärts keine Spur," sie kann sonst
auch in keiner Weise belegt werden. Dazu kommt, daß Ernestine Voß hier
"aus später Erinnerung" berichtet, daß also wenigstens die Möglichkeit einer
Verwechslung, hervorgehend aus einer Ideenassociation des Erlebten und gerücht-


Gin Apostel der Geniezeit,

sie Autoren seien; sein Charakter sei höchste idealische Ehrlichkeit, Einfalt und
Liebe, Diesen Brief, von großer Begeisterung eingegeben, möge der Leser selbst
bei Düntzer (S. 104, 105) nachlesen, damit er beurteilen könne, wie gewaltig
Kaufmanns Persönlichkeit auf Kraus wirkte, und zugleich erkenne, wie viel oder
wenig Verdachtsmomente gegen ihn daraus zu entnehmen sind. Er wird dann
auch entscheiden können, ob Düntzer Recht habe, wenn er behauptet: „An allem,
was Kaufmann ihm sKraus^ sagte, war kaum ein wahres Wort, fast alles auf¬
schneiderische Großsprecherei, die jetzt ins Kraut geschossen war, wo er den aben¬
teuerlichen Zug nach Rußland sich vorgesetzt hatte." Für einen Unbefangenen
scheint uns wenig in dem Briefe enthalten zu sein, was einen derartigen Vor¬
wurf verdiente; die vorhandenen Abweichungen von dem wirklichen Sachverhalt
lassen sich ungezwungen aus einem ungenauen Wiedererzählen und aus leichten
Verwechslungen Kaufens erklären.

Von Königsberg zog Kaufmann weiter nach Riga. Aber weder dort noch
auf den Chwastowischen Besitzungen zu Salv-Weina vermochte er etwas aus¬
zurichten. Er trat daher den Rückweg nach Deutschland an, den er über
Petersburg nahm, um von dort ans zu Schiff nach Lübeck weiter zu fahren,
eine Reiseroute, die noch heute wegen ihrer Billigkeit und Bequemlichkeit beliebt
ist, daher auch den Besuch von Petersburg auf die einfachste Weise erklärt und
gewaltsame Konjekturen, die Düntzer auch hier uicht unterläßt, unnötig macht

Von Lübeck aus besuchte Kaufmann Claudius in Wandsbeck, der ihm schon
von früher her bekannt war und nun die Bekanntschaft mit Voß vermittelte.
Über diesen Besuch siud wir näher unterrichtet durch einen Brief von Ernestine
Voß. Sie schildert uns Kaufmanns äußere Persönlichkeit und den Eindruck,
den er hervorrief, ganz so, wie wir schon von andrer Seite darüber belehrt
worden sind. Auch daß er als Vegetarianer gelebt und sich als Arzt mit Er¬
folg bewährt habe, steht nicht als vereinzelte Angabe da. Neu aber ist der
Umstand, daß Kaufmann behauptet habe, kein Kranker, welcher Zutrauen hätte,
stürbe bei seiner Behandlung, und ferner, daß er, der doch seine Jugend durch
sein Aussehen sofort verriet, schon mit einem frühern Menschenalter in Berührung
gestanden habe und bestimmt sei, noch lange nach dem jetzigen Geschlecht fort¬
zuwirken. Das siud in der That Momente, die auf den ersten Blick gravirend
für Kaufmann erscheinen und für den Fall, daß die Wahrheit dieses Berichtes
nachgewiesen werden könnte, die Frage nach Kaufmanns Charakter zur be¬
stimmtesten Entscheidung führen würden. Aber gerade hier ist Vorsicht mehr
als bei allen andern Angaben über Kaufmann geboten. Wie Düntzer selbst
hervorhebt, findet sich von dieser „rätselhaften, an Se. Germain und Cagliostro
erinnernden Umhüllung seiner Person anderwärts keine Spur," sie kann sonst
auch in keiner Weise belegt werden. Dazu kommt, daß Ernestine Voß hier
„aus später Erinnerung" berichtet, daß also wenigstens die Möglichkeit einer
Verwechslung, hervorgehend aus einer Ideenassociation des Erlebten und gerücht-


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[0245] Gin Apostel der Geniezeit, sie Autoren seien; sein Charakter sei höchste idealische Ehrlichkeit, Einfalt und Liebe, Diesen Brief, von großer Begeisterung eingegeben, möge der Leser selbst bei Düntzer (S. 104, 105) nachlesen, damit er beurteilen könne, wie gewaltig Kaufmanns Persönlichkeit auf Kraus wirkte, und zugleich erkenne, wie viel oder wenig Verdachtsmomente gegen ihn daraus zu entnehmen sind. Er wird dann auch entscheiden können, ob Düntzer Recht habe, wenn er behauptet: „An allem, was Kaufmann ihm sKraus^ sagte, war kaum ein wahres Wort, fast alles auf¬ schneiderische Großsprecherei, die jetzt ins Kraut geschossen war, wo er den aben¬ teuerlichen Zug nach Rußland sich vorgesetzt hatte." Für einen Unbefangenen scheint uns wenig in dem Briefe enthalten zu sein, was einen derartigen Vor¬ wurf verdiente; die vorhandenen Abweichungen von dem wirklichen Sachverhalt lassen sich ungezwungen aus einem ungenauen Wiedererzählen und aus leichten Verwechslungen Kaufens erklären. Von Königsberg zog Kaufmann weiter nach Riga. Aber weder dort noch auf den Chwastowischen Besitzungen zu Salv-Weina vermochte er etwas aus¬ zurichten. Er trat daher den Rückweg nach Deutschland an, den er über Petersburg nahm, um von dort ans zu Schiff nach Lübeck weiter zu fahren, eine Reiseroute, die noch heute wegen ihrer Billigkeit und Bequemlichkeit beliebt ist, daher auch den Besuch von Petersburg auf die einfachste Weise erklärt und gewaltsame Konjekturen, die Düntzer auch hier uicht unterläßt, unnötig macht Von Lübeck aus besuchte Kaufmann Claudius in Wandsbeck, der ihm schon von früher her bekannt war und nun die Bekanntschaft mit Voß vermittelte. Über diesen Besuch siud wir näher unterrichtet durch einen Brief von Ernestine Voß. Sie schildert uns Kaufmanns äußere Persönlichkeit und den Eindruck, den er hervorrief, ganz so, wie wir schon von andrer Seite darüber belehrt worden sind. Auch daß er als Vegetarianer gelebt und sich als Arzt mit Er¬ folg bewährt habe, steht nicht als vereinzelte Angabe da. Neu aber ist der Umstand, daß Kaufmann behauptet habe, kein Kranker, welcher Zutrauen hätte, stürbe bei seiner Behandlung, und ferner, daß er, der doch seine Jugend durch sein Aussehen sofort verriet, schon mit einem frühern Menschenalter in Berührung gestanden habe und bestimmt sei, noch lange nach dem jetzigen Geschlecht fort¬ zuwirken. Das siud in der That Momente, die auf den ersten Blick gravirend für Kaufmann erscheinen und für den Fall, daß die Wahrheit dieses Berichtes nachgewiesen werden könnte, die Frage nach Kaufmanns Charakter zur be¬ stimmtesten Entscheidung führen würden. Aber gerade hier ist Vorsicht mehr als bei allen andern Angaben über Kaufmann geboten. Wie Düntzer selbst hervorhebt, findet sich von dieser „rätselhaften, an Se. Germain und Cagliostro erinnernden Umhüllung seiner Person anderwärts keine Spur," sie kann sonst auch in keiner Weise belegt werden. Dazu kommt, daß Ernestine Voß hier „aus später Erinnerung" berichtet, daß also wenigstens die Möglichkeit einer Verwechslung, hervorgehend aus einer Ideenassociation des Erlebten und gerücht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/245>, abgerufen am 03.07.2024.