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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Gin Apostel der Geniezeit.

Kaufmanns Held. Als aber Sulzer seinen Meister Herder für einen "Narren
oder für einen Erzschalk, der andre zum Besten halte," erklärte, ward Kaufmann
stutzig und wußte auf die ihm entgegengehaltenen Schlußfolgerungen Sulzers nichts
zu erwiedern. Sulzer scheint denn auch Kaufmann durchaus richtig gewürdigt zu
haben. Er erkennt in ihm "eine Art philosophischen Don Quijote" und urteilt
in einem Briefe an Zimmermann über ihn: "Kaufmann ist wirklich ein lebendes
Beispiel von einem Menschen, wie Herder sie haben will: voll Feuer, Drang,
innerer und äußerer Kraft, die, weil es ihnen an Richtung fehlet, welche die
Vernunft allein geben kann, ganz verworren durcheinander rasen, ohne auf einen
bestimmten Zweck zu zielen." Von ihm erfahren wir auch zum ersten mal klar
und deutlich, welche Absicht Kaufmann bei seinem Zuge vorschwebte. Denn er
ließ in Berlin deutlich merken, daß ihn die Meinung leitete, "Goethe, Herder,
Lavater, Schlosser, er selbst und uoch einige seien von der Vorsehung berufen,
die Menschen wieder auf die bloße Natur zurückzuführen." Es ist das Rousseausche
Ideal, das er zu verwirklichen strebte, als dessen Apostel er in die Welt zog.
Kein Wunder, daß eine derartige Phantasterei allmählich auch auf seineu Cha¬
rakter zurückwirkte, und er mehr und mehr bis dicht an den Abgrund des
Schwindels geführt wurde, zumal da die ihm bereitete Aufnahme und der große
Erfolg seines Auftretens den "guten, wohlgesinnten Jungen" immer dünkel¬
hafter machte.

Wir halten Sulzers Urteil über Kaufmann für das treffendste, was über¬
haupt von den Zeitgenossen über ihn gesagt worden ist. Ebenso weit entfernt
von überschwänglichem Lob als von ungerechter Schmähung giebt es den Schlüssel
für die ganze seltsame Erscheinung. Hier hätte nach unsrer Meinung Düntzer
einsetzen sollen, um den richtigen Maßstab für die Beurteilung seines Helden
zu gewinnen, von diesem Gesichtspunkte aus hätte er ihn in seiner vorhergehenden,
wie seiner nachfolgenden Entwicklung beleuchten sollen. Daß ihm diese Be¬
deutung der Sulzerschen Auslassungen nicht klar geworden, halten wir für den
Hauptmangel seines Buches.

Weniger klar als Sulzer sah der Magus im Norden, Hamann in Königs¬
berg, den Kaufmann auf der Durchreise wiederholt aufsuchte. Es war dem
schwächlichen Manne recht unheimlich in der Nähe des "Kraftkolosses," dessen
Denken ihm alpenähnlich vorkam, und dessen Umgang ihn wie ein Spaziergang
auf den Alpen ermüdete. Wichtiger ist der Bericht, den der Philosoph Christian
Jakob Kraus, damals noch Hauslehrer in Königsberg, in einem Briefe vom
29. Juli 1777 über Kaufmann erstattete. Er nennt ihn geradezu darin einen
"Apostel des 18. Jahrhunderts, auf dem Lavaters und Hamanns Geist ruht,
einen liebenswürdigen Schwärmer, der in Maske alle Länder durchstreicht, im
Stillen Kranke heilt, Menschen schüttelt" (so drückte sich Kaufmann selbst aus),
und fügt als neues Moment hinzu, daß er auch für das ursprüngliche Christentum
Propaganda mache. Alles könne er seinen Freunden vergeben, nur nicht, daß


Gin Apostel der Geniezeit.

Kaufmanns Held. Als aber Sulzer seinen Meister Herder für einen „Narren
oder für einen Erzschalk, der andre zum Besten halte," erklärte, ward Kaufmann
stutzig und wußte auf die ihm entgegengehaltenen Schlußfolgerungen Sulzers nichts
zu erwiedern. Sulzer scheint denn auch Kaufmann durchaus richtig gewürdigt zu
haben. Er erkennt in ihm „eine Art philosophischen Don Quijote" und urteilt
in einem Briefe an Zimmermann über ihn: „Kaufmann ist wirklich ein lebendes
Beispiel von einem Menschen, wie Herder sie haben will: voll Feuer, Drang,
innerer und äußerer Kraft, die, weil es ihnen an Richtung fehlet, welche die
Vernunft allein geben kann, ganz verworren durcheinander rasen, ohne auf einen
bestimmten Zweck zu zielen." Von ihm erfahren wir auch zum ersten mal klar
und deutlich, welche Absicht Kaufmann bei seinem Zuge vorschwebte. Denn er
ließ in Berlin deutlich merken, daß ihn die Meinung leitete, „Goethe, Herder,
Lavater, Schlosser, er selbst und uoch einige seien von der Vorsehung berufen,
die Menschen wieder auf die bloße Natur zurückzuführen." Es ist das Rousseausche
Ideal, das er zu verwirklichen strebte, als dessen Apostel er in die Welt zog.
Kein Wunder, daß eine derartige Phantasterei allmählich auch auf seineu Cha¬
rakter zurückwirkte, und er mehr und mehr bis dicht an den Abgrund des
Schwindels geführt wurde, zumal da die ihm bereitete Aufnahme und der große
Erfolg seines Auftretens den „guten, wohlgesinnten Jungen" immer dünkel¬
hafter machte.

Wir halten Sulzers Urteil über Kaufmann für das treffendste, was über¬
haupt von den Zeitgenossen über ihn gesagt worden ist. Ebenso weit entfernt
von überschwänglichem Lob als von ungerechter Schmähung giebt es den Schlüssel
für die ganze seltsame Erscheinung. Hier hätte nach unsrer Meinung Düntzer
einsetzen sollen, um den richtigen Maßstab für die Beurteilung seines Helden
zu gewinnen, von diesem Gesichtspunkte aus hätte er ihn in seiner vorhergehenden,
wie seiner nachfolgenden Entwicklung beleuchten sollen. Daß ihm diese Be¬
deutung der Sulzerschen Auslassungen nicht klar geworden, halten wir für den
Hauptmangel seines Buches.

Weniger klar als Sulzer sah der Magus im Norden, Hamann in Königs¬
berg, den Kaufmann auf der Durchreise wiederholt aufsuchte. Es war dem
schwächlichen Manne recht unheimlich in der Nähe des „Kraftkolosses," dessen
Denken ihm alpenähnlich vorkam, und dessen Umgang ihn wie ein Spaziergang
auf den Alpen ermüdete. Wichtiger ist der Bericht, den der Philosoph Christian
Jakob Kraus, damals noch Hauslehrer in Königsberg, in einem Briefe vom
29. Juli 1777 über Kaufmann erstattete. Er nennt ihn geradezu darin einen
„Apostel des 18. Jahrhunderts, auf dem Lavaters und Hamanns Geist ruht,
einen liebenswürdigen Schwärmer, der in Maske alle Länder durchstreicht, im
Stillen Kranke heilt, Menschen schüttelt" (so drückte sich Kaufmann selbst aus),
und fügt als neues Moment hinzu, daß er auch für das ursprüngliche Christentum
Propaganda mache. Alles könne er seinen Freunden vergeben, nur nicht, daß


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[0244] Gin Apostel der Geniezeit. Kaufmanns Held. Als aber Sulzer seinen Meister Herder für einen „Narren oder für einen Erzschalk, der andre zum Besten halte," erklärte, ward Kaufmann stutzig und wußte auf die ihm entgegengehaltenen Schlußfolgerungen Sulzers nichts zu erwiedern. Sulzer scheint denn auch Kaufmann durchaus richtig gewürdigt zu haben. Er erkennt in ihm „eine Art philosophischen Don Quijote" und urteilt in einem Briefe an Zimmermann über ihn: „Kaufmann ist wirklich ein lebendes Beispiel von einem Menschen, wie Herder sie haben will: voll Feuer, Drang, innerer und äußerer Kraft, die, weil es ihnen an Richtung fehlet, welche die Vernunft allein geben kann, ganz verworren durcheinander rasen, ohne auf einen bestimmten Zweck zu zielen." Von ihm erfahren wir auch zum ersten mal klar und deutlich, welche Absicht Kaufmann bei seinem Zuge vorschwebte. Denn er ließ in Berlin deutlich merken, daß ihn die Meinung leitete, „Goethe, Herder, Lavater, Schlosser, er selbst und uoch einige seien von der Vorsehung berufen, die Menschen wieder auf die bloße Natur zurückzuführen." Es ist das Rousseausche Ideal, das er zu verwirklichen strebte, als dessen Apostel er in die Welt zog. Kein Wunder, daß eine derartige Phantasterei allmählich auch auf seineu Cha¬ rakter zurückwirkte, und er mehr und mehr bis dicht an den Abgrund des Schwindels geführt wurde, zumal da die ihm bereitete Aufnahme und der große Erfolg seines Auftretens den „guten, wohlgesinnten Jungen" immer dünkel¬ hafter machte. Wir halten Sulzers Urteil über Kaufmann für das treffendste, was über¬ haupt von den Zeitgenossen über ihn gesagt worden ist. Ebenso weit entfernt von überschwänglichem Lob als von ungerechter Schmähung giebt es den Schlüssel für die ganze seltsame Erscheinung. Hier hätte nach unsrer Meinung Düntzer einsetzen sollen, um den richtigen Maßstab für die Beurteilung seines Helden zu gewinnen, von diesem Gesichtspunkte aus hätte er ihn in seiner vorhergehenden, wie seiner nachfolgenden Entwicklung beleuchten sollen. Daß ihm diese Be¬ deutung der Sulzerschen Auslassungen nicht klar geworden, halten wir für den Hauptmangel seines Buches. Weniger klar als Sulzer sah der Magus im Norden, Hamann in Königs¬ berg, den Kaufmann auf der Durchreise wiederholt aufsuchte. Es war dem schwächlichen Manne recht unheimlich in der Nähe des „Kraftkolosses," dessen Denken ihm alpenähnlich vorkam, und dessen Umgang ihn wie ein Spaziergang auf den Alpen ermüdete. Wichtiger ist der Bericht, den der Philosoph Christian Jakob Kraus, damals noch Hauslehrer in Königsberg, in einem Briefe vom 29. Juli 1777 über Kaufmann erstattete. Er nennt ihn geradezu darin einen „Apostel des 18. Jahrhunderts, auf dem Lavaters und Hamanns Geist ruht, einen liebenswürdigen Schwärmer, der in Maske alle Länder durchstreicht, im Stillen Kranke heilt, Menschen schüttelt" (so drückte sich Kaufmann selbst aus), und fügt als neues Moment hinzu, daß er auch für das ursprüngliche Christentum Propaganda mache. Alles könne er seinen Freunden vergeben, nur nicht, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/244>, abgerufen am 03.07.2024.