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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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er linn bloß ein Phantast, wie der edle Ritter, ein Opfer Lavaterscher Schwär¬
merei, oder ist er ein Betrüger, der mit klarem Bewußtsein zu eignem Vorteil
andre über sich zu täuschen sucht? Das ist die wichtigste Frage, welche einem
Biographen des merkwürdigen Mannes gestellt ist.

Schon das Kostüm, in dem Kaufmann auftrat, hatte etwas sehr Auf¬
fallendes und sollte das Originalgenie auf den ersten Blick kenntlich machen.
Mit mähnenartig flatterndem Haar und langem Bart, die Brust bis an den
Nabel nackt, in grüner Friesjacke und gleichen Hosen oder einem roten Rocke,
einen Freiheitshut auf dem Kopfe, einen tüchtigen Knotenstock in der Hand, so
trat er selbst an den Höfen auf. Als Repräsentant der Menschheit, der Men¬
schen aufspüren will, führte sich der Apostel Lavaters überall ein. Den ersten
längern Aufenthalt nahm er am Hofe des durch seinen Eifer für Wissenschaft
und Kunst rühmlichst bekannten Markgrafen Karl Friedrich von Baden in Karls¬
ruhe. "Wer Schlossers Freund ist, sei auch Kaufmanns!" So hatte ihn
Schlosser empfohlen, und in Schlossers wenig günstigem Sinne sprach er sich
über die philanthropischen Versuche Basedows aus. Mochel "hörte" freilich
auch, Kaufmann habe den Fürsten die Regierungskunst lehren wollen und habe
als Vegetarianer das Fleischessen verpönt und die Erdäpfel als Volksbeglückungs¬
mittel angepriesen. Wer vermag zu sagen, wie weit dieses Gerücht zutreffend
ist oder nicht?

Weiter treffen wir Kaufmann in Mannheim, wo er sich im Sturm die
Freundschaft des Malers Müller gewann. Von diesem erhielt er allem Anschein
nach den Namen "Gottes Spürhund," welcher zunächst gewiß nicht in dem
spöttischen Sinne gemeint war, in dem ihn Goethe später in seinem bekannten
Epigramm angewandt hat. Müller sah in Kaufmann das Bild größter männlicher
Stärke, er bewunderte sein Herz, "so offen, so teilnehmend an allem, was edel ist."
"Mit der Liebe und Simplizität eines Apostels ein wahrer Menschenfischer," so
ruft er, Kaufmann schildernd, in "Fausts Spaziergang" aus. Begeisterung gab
ihm auch den Gedanken ein, Kaufmann in seiner Darstellung von Fausts Leben
zu verherrlichen. Er that es, indem er ihn als Gottes Spürhund auftreten ließ
und ihn als Menschenfreund, der sich eines vaterlosen Buben annimmt, zeichnete.
Anders freilich stellte er den Freund in späterer Zeit in seiner Dramatisirung
von Fausts Leben dar, wo Kaufmann als ein abenteuerlicher Phantast er¬
scheint, der sich mit seiner physiognomischen Kunst aller Augenblicke unsterblich
blamirt.

Die nächste Station von Bedeutung auf Kaufmanns Reise war Gotha,
wo er Mitte September 1776 die Bekanntschaft Klingers machte. Auch bei
diesem Manne war der Eindruck Kaufmanns ein überwältigender. Klinger fand
ihn "einzig" und dankte dem Himmel, "daß noch solche große und starke
Seelen existiren." Er las ihm sein neuestes Stück, den "Wirrwarr," vor und
erhielt den Rat, dasselbe in "Sturm und Drang" umzutaufen, von welcher


Grcnzbot-n II. 1833. 30

er linn bloß ein Phantast, wie der edle Ritter, ein Opfer Lavaterscher Schwär¬
merei, oder ist er ein Betrüger, der mit klarem Bewußtsein zu eignem Vorteil
andre über sich zu täuschen sucht? Das ist die wichtigste Frage, welche einem
Biographen des merkwürdigen Mannes gestellt ist.

Schon das Kostüm, in dem Kaufmann auftrat, hatte etwas sehr Auf¬
fallendes und sollte das Originalgenie auf den ersten Blick kenntlich machen.
Mit mähnenartig flatterndem Haar und langem Bart, die Brust bis an den
Nabel nackt, in grüner Friesjacke und gleichen Hosen oder einem roten Rocke,
einen Freiheitshut auf dem Kopfe, einen tüchtigen Knotenstock in der Hand, so
trat er selbst an den Höfen auf. Als Repräsentant der Menschheit, der Men¬
schen aufspüren will, führte sich der Apostel Lavaters überall ein. Den ersten
längern Aufenthalt nahm er am Hofe des durch seinen Eifer für Wissenschaft
und Kunst rühmlichst bekannten Markgrafen Karl Friedrich von Baden in Karls¬
ruhe. „Wer Schlossers Freund ist, sei auch Kaufmanns!" So hatte ihn
Schlosser empfohlen, und in Schlossers wenig günstigem Sinne sprach er sich
über die philanthropischen Versuche Basedows aus. Mochel „hörte" freilich
auch, Kaufmann habe den Fürsten die Regierungskunst lehren wollen und habe
als Vegetarianer das Fleischessen verpönt und die Erdäpfel als Volksbeglückungs¬
mittel angepriesen. Wer vermag zu sagen, wie weit dieses Gerücht zutreffend
ist oder nicht?

Weiter treffen wir Kaufmann in Mannheim, wo er sich im Sturm die
Freundschaft des Malers Müller gewann. Von diesem erhielt er allem Anschein
nach den Namen „Gottes Spürhund," welcher zunächst gewiß nicht in dem
spöttischen Sinne gemeint war, in dem ihn Goethe später in seinem bekannten
Epigramm angewandt hat. Müller sah in Kaufmann das Bild größter männlicher
Stärke, er bewunderte sein Herz, „so offen, so teilnehmend an allem, was edel ist."
„Mit der Liebe und Simplizität eines Apostels ein wahrer Menschenfischer," so
ruft er, Kaufmann schildernd, in „Fausts Spaziergang" aus. Begeisterung gab
ihm auch den Gedanken ein, Kaufmann in seiner Darstellung von Fausts Leben
zu verherrlichen. Er that es, indem er ihn als Gottes Spürhund auftreten ließ
und ihn als Menschenfreund, der sich eines vaterlosen Buben annimmt, zeichnete.
Anders freilich stellte er den Freund in späterer Zeit in seiner Dramatisirung
von Fausts Leben dar, wo Kaufmann als ein abenteuerlicher Phantast er¬
scheint, der sich mit seiner physiognomischen Kunst aller Augenblicke unsterblich
blamirt.

Die nächste Station von Bedeutung auf Kaufmanns Reise war Gotha,
wo er Mitte September 1776 die Bekanntschaft Klingers machte. Auch bei
diesem Manne war der Eindruck Kaufmanns ein überwältigender. Klinger fand
ihn „einzig" und dankte dem Himmel, „daß noch solche große und starke
Seelen existiren." Er las ihm sein neuestes Stück, den „Wirrwarr," vor und
erhielt den Rat, dasselbe in „Sturm und Drang" umzutaufen, von welcher


Grcnzbot-n II. 1833. 30
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[0241] er linn bloß ein Phantast, wie der edle Ritter, ein Opfer Lavaterscher Schwär¬ merei, oder ist er ein Betrüger, der mit klarem Bewußtsein zu eignem Vorteil andre über sich zu täuschen sucht? Das ist die wichtigste Frage, welche einem Biographen des merkwürdigen Mannes gestellt ist. Schon das Kostüm, in dem Kaufmann auftrat, hatte etwas sehr Auf¬ fallendes und sollte das Originalgenie auf den ersten Blick kenntlich machen. Mit mähnenartig flatterndem Haar und langem Bart, die Brust bis an den Nabel nackt, in grüner Friesjacke und gleichen Hosen oder einem roten Rocke, einen Freiheitshut auf dem Kopfe, einen tüchtigen Knotenstock in der Hand, so trat er selbst an den Höfen auf. Als Repräsentant der Menschheit, der Men¬ schen aufspüren will, führte sich der Apostel Lavaters überall ein. Den ersten längern Aufenthalt nahm er am Hofe des durch seinen Eifer für Wissenschaft und Kunst rühmlichst bekannten Markgrafen Karl Friedrich von Baden in Karls¬ ruhe. „Wer Schlossers Freund ist, sei auch Kaufmanns!" So hatte ihn Schlosser empfohlen, und in Schlossers wenig günstigem Sinne sprach er sich über die philanthropischen Versuche Basedows aus. Mochel „hörte" freilich auch, Kaufmann habe den Fürsten die Regierungskunst lehren wollen und habe als Vegetarianer das Fleischessen verpönt und die Erdäpfel als Volksbeglückungs¬ mittel angepriesen. Wer vermag zu sagen, wie weit dieses Gerücht zutreffend ist oder nicht? Weiter treffen wir Kaufmann in Mannheim, wo er sich im Sturm die Freundschaft des Malers Müller gewann. Von diesem erhielt er allem Anschein nach den Namen „Gottes Spürhund," welcher zunächst gewiß nicht in dem spöttischen Sinne gemeint war, in dem ihn Goethe später in seinem bekannten Epigramm angewandt hat. Müller sah in Kaufmann das Bild größter männlicher Stärke, er bewunderte sein Herz, „so offen, so teilnehmend an allem, was edel ist." „Mit der Liebe und Simplizität eines Apostels ein wahrer Menschenfischer," so ruft er, Kaufmann schildernd, in „Fausts Spaziergang" aus. Begeisterung gab ihm auch den Gedanken ein, Kaufmann in seiner Darstellung von Fausts Leben zu verherrlichen. Er that es, indem er ihn als Gottes Spürhund auftreten ließ und ihn als Menschenfreund, der sich eines vaterlosen Buben annimmt, zeichnete. Anders freilich stellte er den Freund in späterer Zeit in seiner Dramatisirung von Fausts Leben dar, wo Kaufmann als ein abenteuerlicher Phantast er¬ scheint, der sich mit seiner physiognomischen Kunst aller Augenblicke unsterblich blamirt. Die nächste Station von Bedeutung auf Kaufmanns Reise war Gotha, wo er Mitte September 1776 die Bekanntschaft Klingers machte. Auch bei diesem Manne war der Eindruck Kaufmanns ein überwältigender. Klinger fand ihn „einzig" und dankte dem Himmel, „daß noch solche große und starke Seelen existiren." Er las ihm sein neuestes Stück, den „Wirrwarr," vor und erhielt den Rat, dasselbe in „Sturm und Drang" umzutaufen, von welcher Grcnzbot-n II. 1833. 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/241>, abgerufen am 03.07.2024.