Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Apostel der Geniezeit.

nur noch von der eines Ehrmann übertroffen werden konnte. Viermal hat
Lavater sein Ideal in den "Physiognomischen Fragmenten" abgebildet, als Brust¬
bild und in Silhouette; er verkündete ihn als einen Jüngling, der Mann sei,
nannte ihn seinen lieben Freund, den Seher Gottes und der Wahrheit, und po¬
saunte Kaufmanns Wahlspruch: "Man kann, was man will, und man will, was
man kann" in alle Welt hinaus.

Inzwischen hatten seine Freunde Simon und Schweighäuser sich am Schlüsse
des JahreS 1775 nach Dessau zu Basedow begeben, dem sie Kaufmanns Be¬
geisterung und Opferfreudigkeit derartig anpriesen, daß dieser bald alles daran
setzte, den feurigen Jüngling für sein Unternehmen zu gewinnen. Aber die
Freunde in der Schweiz, Lavater, Jselin und Schlosser, suchten Kaufmann zurück¬
zuhalten. Er sollte, meinte Lavater, seine Kräfte seiner Vaterstadt widmen, wo
er unentbehrlich sei. Jselin fand die Einladung zu enthusiastisch; das allein
Richtige traf wohl Schlosser, wenn er Kaufmann schrieb: "Geh zu Basedow und
arbeite, und lerne da, was das heißt, Kinder erziehen. Eh' du's aber thust,
greif in deinen Busen, und frag' dich, was dn sie lehren willst; weißt du dann
was mehr als andre, und das mit Gewißheit, so geh' und lehre." Kaufmann
ließ sich gern halten, besuchte aber doch die verwandte philanthropische Anstalt
von Karl Ulysses von Salis zu Marschlins in Graubündten, ohne indeß dabei
etwas auszurichten.

In diese Zeit fällt auch seine Verlobung mit Anna Elisabeth Ziegler, der
Tochter des Obervogtes Adrian Ziegler auf Schloß Hegi bei Winterthur, einer
höchst empfindsamen Seele, welche für Lavater schwürinte und "nach einem
Wörtchen aus Goethes Herzen schmachtete."

Endlich aber gab er doch dem Drängen Basedows und seiner Dessauer
Freunde nach und brach im Mai 1776 nach Dessau auf, nachdem ihm das
Reisegeld von dort ans zugesandt worden war. Nach einer Nachricht in Mvchels
"Urne" scheint Kaufmanns Verhalten dabei nicht ganz reinlich gewesen zu sein,
doch läßt sich etwas Bestimmtes kaum darüber sagen.

Diese Reise nun ist es, welche Kaufmann vor allem berühmt oder berüch¬
tigt gemacht hat. Sein Leben bis zu diesem Wendepunkt zeigt ihn wohl als
einen Wirrkopf, der in seinem überschäumenden Kraftgefühl sich schlecht in den
Gang der realen Welt zu finden weiß, berechtigt aber noch keineswegs dazu,
ihn als Schwindler zu brandmarken. Sehen wir nnn zu, ob sich das auch
von jetzt an noch behaupten läßt.

Eigentümlich ist ohne Frage das Schauspiel, das sich jetzt unserm Auge
darbietet. Wie er so hinauszieht auf seinem geliebten Schimmel, begleitet von
seinem treuherzigen, aber ziemlich einfältigen Schreiber Ehrmann, wird man
unwillkürlich an den edeln Ritter Don Quijote und seinen Schildknappen Sancho
Pansa erinnert, während wiederum mancher Zug in seinem Gebahren eine ge¬
wisse Ähnlichkeit mit dem Treiben eines Cagliostro nicht verleugnen kann. Ist


Apostel der Geniezeit.

nur noch von der eines Ehrmann übertroffen werden konnte. Viermal hat
Lavater sein Ideal in den „Physiognomischen Fragmenten" abgebildet, als Brust¬
bild und in Silhouette; er verkündete ihn als einen Jüngling, der Mann sei,
nannte ihn seinen lieben Freund, den Seher Gottes und der Wahrheit, und po¬
saunte Kaufmanns Wahlspruch: „Man kann, was man will, und man will, was
man kann" in alle Welt hinaus.

Inzwischen hatten seine Freunde Simon und Schweighäuser sich am Schlüsse
des JahreS 1775 nach Dessau zu Basedow begeben, dem sie Kaufmanns Be¬
geisterung und Opferfreudigkeit derartig anpriesen, daß dieser bald alles daran
setzte, den feurigen Jüngling für sein Unternehmen zu gewinnen. Aber die
Freunde in der Schweiz, Lavater, Jselin und Schlosser, suchten Kaufmann zurück¬
zuhalten. Er sollte, meinte Lavater, seine Kräfte seiner Vaterstadt widmen, wo
er unentbehrlich sei. Jselin fand die Einladung zu enthusiastisch; das allein
Richtige traf wohl Schlosser, wenn er Kaufmann schrieb: „Geh zu Basedow und
arbeite, und lerne da, was das heißt, Kinder erziehen. Eh' du's aber thust,
greif in deinen Busen, und frag' dich, was dn sie lehren willst; weißt du dann
was mehr als andre, und das mit Gewißheit, so geh' und lehre." Kaufmann
ließ sich gern halten, besuchte aber doch die verwandte philanthropische Anstalt
von Karl Ulysses von Salis zu Marschlins in Graubündten, ohne indeß dabei
etwas auszurichten.

In diese Zeit fällt auch seine Verlobung mit Anna Elisabeth Ziegler, der
Tochter des Obervogtes Adrian Ziegler auf Schloß Hegi bei Winterthur, einer
höchst empfindsamen Seele, welche für Lavater schwürinte und „nach einem
Wörtchen aus Goethes Herzen schmachtete."

Endlich aber gab er doch dem Drängen Basedows und seiner Dessauer
Freunde nach und brach im Mai 1776 nach Dessau auf, nachdem ihm das
Reisegeld von dort ans zugesandt worden war. Nach einer Nachricht in Mvchels
„Urne" scheint Kaufmanns Verhalten dabei nicht ganz reinlich gewesen zu sein,
doch läßt sich etwas Bestimmtes kaum darüber sagen.

Diese Reise nun ist es, welche Kaufmann vor allem berühmt oder berüch¬
tigt gemacht hat. Sein Leben bis zu diesem Wendepunkt zeigt ihn wohl als
einen Wirrkopf, der in seinem überschäumenden Kraftgefühl sich schlecht in den
Gang der realen Welt zu finden weiß, berechtigt aber noch keineswegs dazu,
ihn als Schwindler zu brandmarken. Sehen wir nnn zu, ob sich das auch
von jetzt an noch behaupten läßt.

Eigentümlich ist ohne Frage das Schauspiel, das sich jetzt unserm Auge
darbietet. Wie er so hinauszieht auf seinem geliebten Schimmel, begleitet von
seinem treuherzigen, aber ziemlich einfältigen Schreiber Ehrmann, wird man
unwillkürlich an den edeln Ritter Don Quijote und seinen Schildknappen Sancho
Pansa erinnert, während wiederum mancher Zug in seinem Gebahren eine ge¬
wisse Ähnlichkeit mit dem Treiben eines Cagliostro nicht verleugnen kann. Ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152989"/>
          <fw type="header" place="top"> Apostel der Geniezeit.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_967" prev="#ID_966"> nur noch von der eines Ehrmann übertroffen werden konnte. Viermal hat<lb/>
Lavater sein Ideal in den &#x201E;Physiognomischen Fragmenten" abgebildet, als Brust¬<lb/>
bild und in Silhouette; er verkündete ihn als einen Jüngling, der Mann sei,<lb/>
nannte ihn seinen lieben Freund, den Seher Gottes und der Wahrheit, und po¬<lb/>
saunte Kaufmanns Wahlspruch: &#x201E;Man kann, was man will, und man will, was<lb/>
man kann" in alle Welt hinaus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_968"> Inzwischen hatten seine Freunde Simon und Schweighäuser sich am Schlüsse<lb/>
des JahreS 1775 nach Dessau zu Basedow begeben, dem sie Kaufmanns Be¬<lb/>
geisterung und Opferfreudigkeit derartig anpriesen, daß dieser bald alles daran<lb/>
setzte, den feurigen Jüngling für sein Unternehmen zu gewinnen. Aber die<lb/>
Freunde in der Schweiz, Lavater, Jselin und Schlosser, suchten Kaufmann zurück¬<lb/>
zuhalten. Er sollte, meinte Lavater, seine Kräfte seiner Vaterstadt widmen, wo<lb/>
er unentbehrlich sei. Jselin fand die Einladung zu enthusiastisch; das allein<lb/>
Richtige traf wohl Schlosser, wenn er Kaufmann schrieb: &#x201E;Geh zu Basedow und<lb/>
arbeite, und lerne da, was das heißt, Kinder erziehen. Eh' du's aber thust,<lb/>
greif in deinen Busen, und frag' dich, was dn sie lehren willst; weißt du dann<lb/>
was mehr als andre, und das mit Gewißheit, so geh' und lehre." Kaufmann<lb/>
ließ sich gern halten, besuchte aber doch die verwandte philanthropische Anstalt<lb/>
von Karl Ulysses von Salis zu Marschlins in Graubündten, ohne indeß dabei<lb/>
etwas auszurichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_969"> In diese Zeit fällt auch seine Verlobung mit Anna Elisabeth Ziegler, der<lb/>
Tochter des Obervogtes Adrian Ziegler auf Schloß Hegi bei Winterthur, einer<lb/>
höchst empfindsamen Seele, welche für Lavater schwürinte und &#x201E;nach einem<lb/>
Wörtchen aus Goethes Herzen schmachtete."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_970"> Endlich aber gab er doch dem Drängen Basedows und seiner Dessauer<lb/>
Freunde nach und brach im Mai 1776 nach Dessau auf, nachdem ihm das<lb/>
Reisegeld von dort ans zugesandt worden war. Nach einer Nachricht in Mvchels<lb/>
&#x201E;Urne" scheint Kaufmanns Verhalten dabei nicht ganz reinlich gewesen zu sein,<lb/>
doch läßt sich etwas Bestimmtes kaum darüber sagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_971"> Diese Reise nun ist es, welche Kaufmann vor allem berühmt oder berüch¬<lb/>
tigt gemacht hat. Sein Leben bis zu diesem Wendepunkt zeigt ihn wohl als<lb/>
einen Wirrkopf, der in seinem überschäumenden Kraftgefühl sich schlecht in den<lb/>
Gang der realen Welt zu finden weiß, berechtigt aber noch keineswegs dazu,<lb/>
ihn als Schwindler zu brandmarken. Sehen wir nnn zu, ob sich das auch<lb/>
von jetzt an noch behaupten läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_972" next="#ID_973"> Eigentümlich ist ohne Frage das Schauspiel, das sich jetzt unserm Auge<lb/>
darbietet. Wie er so hinauszieht auf seinem geliebten Schimmel, begleitet von<lb/>
seinem treuherzigen, aber ziemlich einfältigen Schreiber Ehrmann, wird man<lb/>
unwillkürlich an den edeln Ritter Don Quijote und seinen Schildknappen Sancho<lb/>
Pansa erinnert, während wiederum mancher Zug in seinem Gebahren eine ge¬<lb/>
wisse Ähnlichkeit mit dem Treiben eines Cagliostro nicht verleugnen kann. Ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] Apostel der Geniezeit. nur noch von der eines Ehrmann übertroffen werden konnte. Viermal hat Lavater sein Ideal in den „Physiognomischen Fragmenten" abgebildet, als Brust¬ bild und in Silhouette; er verkündete ihn als einen Jüngling, der Mann sei, nannte ihn seinen lieben Freund, den Seher Gottes und der Wahrheit, und po¬ saunte Kaufmanns Wahlspruch: „Man kann, was man will, und man will, was man kann" in alle Welt hinaus. Inzwischen hatten seine Freunde Simon und Schweighäuser sich am Schlüsse des JahreS 1775 nach Dessau zu Basedow begeben, dem sie Kaufmanns Be¬ geisterung und Opferfreudigkeit derartig anpriesen, daß dieser bald alles daran setzte, den feurigen Jüngling für sein Unternehmen zu gewinnen. Aber die Freunde in der Schweiz, Lavater, Jselin und Schlosser, suchten Kaufmann zurück¬ zuhalten. Er sollte, meinte Lavater, seine Kräfte seiner Vaterstadt widmen, wo er unentbehrlich sei. Jselin fand die Einladung zu enthusiastisch; das allein Richtige traf wohl Schlosser, wenn er Kaufmann schrieb: „Geh zu Basedow und arbeite, und lerne da, was das heißt, Kinder erziehen. Eh' du's aber thust, greif in deinen Busen, und frag' dich, was dn sie lehren willst; weißt du dann was mehr als andre, und das mit Gewißheit, so geh' und lehre." Kaufmann ließ sich gern halten, besuchte aber doch die verwandte philanthropische Anstalt von Karl Ulysses von Salis zu Marschlins in Graubündten, ohne indeß dabei etwas auszurichten. In diese Zeit fällt auch seine Verlobung mit Anna Elisabeth Ziegler, der Tochter des Obervogtes Adrian Ziegler auf Schloß Hegi bei Winterthur, einer höchst empfindsamen Seele, welche für Lavater schwürinte und „nach einem Wörtchen aus Goethes Herzen schmachtete." Endlich aber gab er doch dem Drängen Basedows und seiner Dessauer Freunde nach und brach im Mai 1776 nach Dessau auf, nachdem ihm das Reisegeld von dort ans zugesandt worden war. Nach einer Nachricht in Mvchels „Urne" scheint Kaufmanns Verhalten dabei nicht ganz reinlich gewesen zu sein, doch läßt sich etwas Bestimmtes kaum darüber sagen. Diese Reise nun ist es, welche Kaufmann vor allem berühmt oder berüch¬ tigt gemacht hat. Sein Leben bis zu diesem Wendepunkt zeigt ihn wohl als einen Wirrkopf, der in seinem überschäumenden Kraftgefühl sich schlecht in den Gang der realen Welt zu finden weiß, berechtigt aber noch keineswegs dazu, ihn als Schwindler zu brandmarken. Sehen wir nnn zu, ob sich das auch von jetzt an noch behaupten läßt. Eigentümlich ist ohne Frage das Schauspiel, das sich jetzt unserm Auge darbietet. Wie er so hinauszieht auf seinem geliebten Schimmel, begleitet von seinem treuherzigen, aber ziemlich einfältigen Schreiber Ehrmann, wird man unwillkürlich an den edeln Ritter Don Quijote und seinen Schildknappen Sancho Pansa erinnert, während wiederum mancher Zug in seinem Gebahren eine ge¬ wisse Ähnlichkeit mit dem Treiben eines Cagliostro nicht verleugnen kann. Ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/240
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/240>, abgerufen am 01.10.2024.