Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Apostel der Geniezeit.

Bezeichnung dann bekanntlich diese ganze Periode unsrer Literaturgeschichte ihren
Namen erhalten hat.

Schon damals hatten sich übrigens Differenzen zwischen Klinger und Goethe
ergeben. Den völligen Bruch, welcher bald darauf erfolgte, führte Klinger auf
"Tretschereien" Kaufmanns zurück, die den bereits klaffenden Riß erweitert hätten.
Aber auch hierbei kommen wir nicht über ein "es scheint" in Kaufmanns Schuld
hinaus und müssen bekennen, daß der wirkliche Sachverhalt nicht klar vor
Augen liegt, zumal da die beiden Briefsteller, in welchen Klinger auf diese
Verhältnisse zu sprechen kommt, nicht völlig übereinstimmend sind. -

Am 21. September langte Kaufmann in Weimar an. Fast bei allen
Größen, welche damals in dieser Stadt vereinigt lebten, fand er liebevolles Ent¬
gegenkommen und erregte allgemeines Interesse. Wiederholt weilte er bei Goethe,
welcher nach seinem Tagebuche einmal "eine herrliche Nacht mit ihm verbrachte,"
und mit Herder einen glücklichen Abend hindurch im Gespräch über Kaufmanns
?r"vol^7t", d. h. über seinen Wahlspruch: "Man kann, was man will" ver¬
handelte. Weniger war Wieland für den Apostel Lavaters eingenommen. Seiner
Natur widerstrebte der Verkehr mit den Enthusiasten. Gleichwohl erklärte auch
er.ihn für einen "edeln, starken und guten Menschen," der es freilich noch nötig
habe, sich in der Welt herumzuwälzen. "Wenn dieser Kaufmann, schreibt er
einmal an Merck, noch zehn Jahre Erfahrung mehr haben, seinen Schädel noch
recht oft und tüchtig angestoßen haben und ein paarmal tüchtig auf seine Nase
gefallen sein wird, mag Wohl noch ein herrlicher Mann aus ihm werden."
Freilich hielt auch Kaufmann, dem Wieland einst ein für den Druck im "Merkur"
bestimmtes, "viel Gutes" enthaltendes Manuskript über Schwärmerei und Toleranz
zurückgesandt hatte, wenig von dem eleganten Weltmanne. Er nennt ihn "den
schwachen," während er Goethe als "den großen, herrlichen, wirksamen" feiert
und Herder als "den edeln und starken" preist. Bei Herder, welcher am
1. Oktober in Weimar eintraf, fand er auch rasch den größten und andauerndsten
Beifall und war seinerseits wieder aufs höchste vou ihm entzückt. Er habe
Herder verschlungen, angetrunken, meldet er seinem Lavater.

Nachdem er so recht nach Herzenslust den Umgang dieser Geistesgrößen
genossen, brach er endlich nach Dessau auf, wo man ihn sehnlichst erwartete.
Überaus wohlwollend war der Empfang, den ihm Fürst und Fürstin hier zu
Teil werden ließen. Alles setzte er in Verwunderung. "Ich staunte ihn wie
ein wildes Tier an, erzählt Reil, der Biograph des Fürsten, und hielt ihn für
einen Lappländer, den man habe kommen lassen, die jungen Leute das Schlitt¬
schuhlaufen zu lehren." Was aber wollte Kaufmann in Dessau? Das Gerücht
ging, er komme, um als Lehrer an dem Philnnthropin thätig zu sein. Das
lag ihm gänzlich fern; er ließ öffentlich im "Merkur" erklären, er unternehme
die Reise "zu andrer Absicht." Er kam vielmehr als Richter; als solchen
empfing ihn wenigstens Basedow, indem er ihm zu verstehen gab, er sehe ihn


Lin Apostel der Geniezeit.

Bezeichnung dann bekanntlich diese ganze Periode unsrer Literaturgeschichte ihren
Namen erhalten hat.

Schon damals hatten sich übrigens Differenzen zwischen Klinger und Goethe
ergeben. Den völligen Bruch, welcher bald darauf erfolgte, führte Klinger auf
„Tretschereien" Kaufmanns zurück, die den bereits klaffenden Riß erweitert hätten.
Aber auch hierbei kommen wir nicht über ein „es scheint" in Kaufmanns Schuld
hinaus und müssen bekennen, daß der wirkliche Sachverhalt nicht klar vor
Augen liegt, zumal da die beiden Briefsteller, in welchen Klinger auf diese
Verhältnisse zu sprechen kommt, nicht völlig übereinstimmend sind. -

Am 21. September langte Kaufmann in Weimar an. Fast bei allen
Größen, welche damals in dieser Stadt vereinigt lebten, fand er liebevolles Ent¬
gegenkommen und erregte allgemeines Interesse. Wiederholt weilte er bei Goethe,
welcher nach seinem Tagebuche einmal „eine herrliche Nacht mit ihm verbrachte,"
und mit Herder einen glücklichen Abend hindurch im Gespräch über Kaufmanns
?r«vol^7t«, d. h. über seinen Wahlspruch: „Man kann, was man will" ver¬
handelte. Weniger war Wieland für den Apostel Lavaters eingenommen. Seiner
Natur widerstrebte der Verkehr mit den Enthusiasten. Gleichwohl erklärte auch
er.ihn für einen „edeln, starken und guten Menschen," der es freilich noch nötig
habe, sich in der Welt herumzuwälzen. „Wenn dieser Kaufmann, schreibt er
einmal an Merck, noch zehn Jahre Erfahrung mehr haben, seinen Schädel noch
recht oft und tüchtig angestoßen haben und ein paarmal tüchtig auf seine Nase
gefallen sein wird, mag Wohl noch ein herrlicher Mann aus ihm werden."
Freilich hielt auch Kaufmann, dem Wieland einst ein für den Druck im „Merkur"
bestimmtes, „viel Gutes" enthaltendes Manuskript über Schwärmerei und Toleranz
zurückgesandt hatte, wenig von dem eleganten Weltmanne. Er nennt ihn „den
schwachen," während er Goethe als „den großen, herrlichen, wirksamen" feiert
und Herder als „den edeln und starken" preist. Bei Herder, welcher am
1. Oktober in Weimar eintraf, fand er auch rasch den größten und andauerndsten
Beifall und war seinerseits wieder aufs höchste vou ihm entzückt. Er habe
Herder verschlungen, angetrunken, meldet er seinem Lavater.

Nachdem er so recht nach Herzenslust den Umgang dieser Geistesgrößen
genossen, brach er endlich nach Dessau auf, wo man ihn sehnlichst erwartete.
Überaus wohlwollend war der Empfang, den ihm Fürst und Fürstin hier zu
Teil werden ließen. Alles setzte er in Verwunderung. „Ich staunte ihn wie
ein wildes Tier an, erzählt Reil, der Biograph des Fürsten, und hielt ihn für
einen Lappländer, den man habe kommen lassen, die jungen Leute das Schlitt¬
schuhlaufen zu lehren." Was aber wollte Kaufmann in Dessau? Das Gerücht
ging, er komme, um als Lehrer an dem Philnnthropin thätig zu sein. Das
lag ihm gänzlich fern; er ließ öffentlich im „Merkur" erklären, er unternehme
die Reise „zu andrer Absicht." Er kam vielmehr als Richter; als solchen
empfing ihn wenigstens Basedow, indem er ihm zu verstehen gab, er sehe ihn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152991"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin Apostel der Geniezeit.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_977" prev="#ID_976"> Bezeichnung dann bekanntlich diese ganze Periode unsrer Literaturgeschichte ihren<lb/>
Namen erhalten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_978"> Schon damals hatten sich übrigens Differenzen zwischen Klinger und Goethe<lb/>
ergeben. Den völligen Bruch, welcher bald darauf erfolgte, führte Klinger auf<lb/>
&#x201E;Tretschereien" Kaufmanns zurück, die den bereits klaffenden Riß erweitert hätten.<lb/>
Aber auch hierbei kommen wir nicht über ein &#x201E;es scheint" in Kaufmanns Schuld<lb/>
hinaus und müssen bekennen, daß der wirkliche Sachverhalt nicht klar vor<lb/>
Augen liegt, zumal da die beiden Briefsteller, in welchen Klinger auf diese<lb/>
Verhältnisse zu sprechen kommt, nicht völlig übereinstimmend sind. -</p><lb/>
          <p xml:id="ID_979"> Am 21. September langte Kaufmann in Weimar an. Fast bei allen<lb/>
Größen, welche damals in dieser Stadt vereinigt lebten, fand er liebevolles Ent¬<lb/>
gegenkommen und erregte allgemeines Interesse. Wiederholt weilte er bei Goethe,<lb/>
welcher nach seinem Tagebuche einmal &#x201E;eine herrliche Nacht mit ihm verbrachte,"<lb/>
und mit Herder einen glücklichen Abend hindurch im Gespräch über Kaufmanns<lb/>
?r«vol^7t«, d. h. über seinen Wahlspruch: &#x201E;Man kann, was man will" ver¬<lb/>
handelte. Weniger war Wieland für den Apostel Lavaters eingenommen. Seiner<lb/>
Natur widerstrebte der Verkehr mit den Enthusiasten. Gleichwohl erklärte auch<lb/>
er.ihn für einen &#x201E;edeln, starken und guten Menschen," der es freilich noch nötig<lb/>
habe, sich in der Welt herumzuwälzen. &#x201E;Wenn dieser Kaufmann, schreibt er<lb/>
einmal an Merck, noch zehn Jahre Erfahrung mehr haben, seinen Schädel noch<lb/>
recht oft und tüchtig angestoßen haben und ein paarmal tüchtig auf seine Nase<lb/>
gefallen sein wird, mag Wohl noch ein herrlicher Mann aus ihm werden."<lb/>
Freilich hielt auch Kaufmann, dem Wieland einst ein für den Druck im &#x201E;Merkur"<lb/>
bestimmtes, &#x201E;viel Gutes" enthaltendes Manuskript über Schwärmerei und Toleranz<lb/>
zurückgesandt hatte, wenig von dem eleganten Weltmanne. Er nennt ihn &#x201E;den<lb/>
schwachen," während er Goethe als &#x201E;den großen, herrlichen, wirksamen" feiert<lb/>
und Herder als &#x201E;den edeln und starken" preist. Bei Herder, welcher am<lb/>
1. Oktober in Weimar eintraf, fand er auch rasch den größten und andauerndsten<lb/>
Beifall und war seinerseits wieder aufs höchste vou ihm entzückt. Er habe<lb/>
Herder verschlungen, angetrunken, meldet er seinem Lavater.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_980" next="#ID_981"> Nachdem er so recht nach Herzenslust den Umgang dieser Geistesgrößen<lb/>
genossen, brach er endlich nach Dessau auf, wo man ihn sehnlichst erwartete.<lb/>
Überaus wohlwollend war der Empfang, den ihm Fürst und Fürstin hier zu<lb/>
Teil werden ließen. Alles setzte er in Verwunderung. &#x201E;Ich staunte ihn wie<lb/>
ein wildes Tier an, erzählt Reil, der Biograph des Fürsten, und hielt ihn für<lb/>
einen Lappländer, den man habe kommen lassen, die jungen Leute das Schlitt¬<lb/>
schuhlaufen zu lehren." Was aber wollte Kaufmann in Dessau? Das Gerücht<lb/>
ging, er komme, um als Lehrer an dem Philnnthropin thätig zu sein. Das<lb/>
lag ihm gänzlich fern; er ließ öffentlich im &#x201E;Merkur" erklären, er unternehme<lb/>
die Reise &#x201E;zu andrer Absicht." Er kam vielmehr als Richter; als solchen<lb/>
empfing ihn wenigstens Basedow, indem er ihm zu verstehen gab, er sehe ihn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0242] Lin Apostel der Geniezeit. Bezeichnung dann bekanntlich diese ganze Periode unsrer Literaturgeschichte ihren Namen erhalten hat. Schon damals hatten sich übrigens Differenzen zwischen Klinger und Goethe ergeben. Den völligen Bruch, welcher bald darauf erfolgte, führte Klinger auf „Tretschereien" Kaufmanns zurück, die den bereits klaffenden Riß erweitert hätten. Aber auch hierbei kommen wir nicht über ein „es scheint" in Kaufmanns Schuld hinaus und müssen bekennen, daß der wirkliche Sachverhalt nicht klar vor Augen liegt, zumal da die beiden Briefsteller, in welchen Klinger auf diese Verhältnisse zu sprechen kommt, nicht völlig übereinstimmend sind. - Am 21. September langte Kaufmann in Weimar an. Fast bei allen Größen, welche damals in dieser Stadt vereinigt lebten, fand er liebevolles Ent¬ gegenkommen und erregte allgemeines Interesse. Wiederholt weilte er bei Goethe, welcher nach seinem Tagebuche einmal „eine herrliche Nacht mit ihm verbrachte," und mit Herder einen glücklichen Abend hindurch im Gespräch über Kaufmanns ?r«vol^7t«, d. h. über seinen Wahlspruch: „Man kann, was man will" ver¬ handelte. Weniger war Wieland für den Apostel Lavaters eingenommen. Seiner Natur widerstrebte der Verkehr mit den Enthusiasten. Gleichwohl erklärte auch er.ihn für einen „edeln, starken und guten Menschen," der es freilich noch nötig habe, sich in der Welt herumzuwälzen. „Wenn dieser Kaufmann, schreibt er einmal an Merck, noch zehn Jahre Erfahrung mehr haben, seinen Schädel noch recht oft und tüchtig angestoßen haben und ein paarmal tüchtig auf seine Nase gefallen sein wird, mag Wohl noch ein herrlicher Mann aus ihm werden." Freilich hielt auch Kaufmann, dem Wieland einst ein für den Druck im „Merkur" bestimmtes, „viel Gutes" enthaltendes Manuskript über Schwärmerei und Toleranz zurückgesandt hatte, wenig von dem eleganten Weltmanne. Er nennt ihn „den schwachen," während er Goethe als „den großen, herrlichen, wirksamen" feiert und Herder als „den edeln und starken" preist. Bei Herder, welcher am 1. Oktober in Weimar eintraf, fand er auch rasch den größten und andauerndsten Beifall und war seinerseits wieder aufs höchste vou ihm entzückt. Er habe Herder verschlungen, angetrunken, meldet er seinem Lavater. Nachdem er so recht nach Herzenslust den Umgang dieser Geistesgrößen genossen, brach er endlich nach Dessau auf, wo man ihn sehnlichst erwartete. Überaus wohlwollend war der Empfang, den ihm Fürst und Fürstin hier zu Teil werden ließen. Alles setzte er in Verwunderung. „Ich staunte ihn wie ein wildes Tier an, erzählt Reil, der Biograph des Fürsten, und hielt ihn für einen Lappländer, den man habe kommen lassen, die jungen Leute das Schlitt¬ schuhlaufen zu lehren." Was aber wollte Kaufmann in Dessau? Das Gerücht ging, er komme, um als Lehrer an dem Philnnthropin thätig zu sein. Das lag ihm gänzlich fern; er ließ öffentlich im „Merkur" erklären, er unternehme die Reise „zu andrer Absicht." Er kam vielmehr als Richter; als solchen empfing ihn wenigstens Basedow, indem er ihm zu verstehen gab, er sehe ihn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/242
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/242>, abgerufen am 03.07.2024.