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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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La Apostel der Geniezeit.

Empfindsamkeit und als solches keineswegs Kaufmanns Eigentum war. Kauf¬
mann fand diese Gründung eines neuen "geheimen Ordens" schicklich, "um eine
Verbindung mit vielen bedeutenden Männern herbeizuführen"; Düntzer weiß,
daß er ihn "bald zu beherrschen gedachte."

Viel wichtiger aber ward eine andre, gleichfalls in der Zeit liegende Idee,
die er jetzt ergriff und die nächsten Jahre hindurch fast ausschließlich verfolgte.
Es war die Zeit, da Basedow, erfüllt von den in Rousseaus Linn<z ausge¬
sprochenen Mahnungen, sich mit einer völligen Umgestaltung der Erziehung trug.
An die Stelle schulmeisterlicher Pedanterie wünschte er Freiheit und Liebe zur
Bildung zu setzen; wo früher Zwang und Herkommen herrschte, da sollte jetzt
Leben und Erfahrung den Unterricht gestalten. Kaufmann berichtet, er habe
diesen Gedanken ergriffen, "ermüdet von der Eingeschränktheit der Kunst, sowie
überworfen mit allem menschlichen Wissen und niedergedrückt von seiner eignen
und andrer Menschen Schwäche." Aber so glaubhaft diese Erklärung erscheint,
so wenig befriedigt sie wiederum Düntzer. Er meint, alles dies " sei nur Spiegel¬
fechterei, mehr äußerlich sei dieser Gedanke an ihn herangetreten, als daß er
aus der Tiefe seiner Seele aufgestiegen wäre"; aber er bleibt auch hier den
Beweis für seine Behauptung schuldig. Zur Ausführung seines Planes schloß
sich Kaufmann an drei junge Männer an, welche gewillt waren, ihr Leben der
heiligen Sache zu widmen. Es waren dies Johann Friedrich Simon,
Johann Schweighüuser und Johann Ehrmann, der letzte lange Jahre hin¬
durch ohne alle Selbständigkeit der treueste und begeistertste "Amanuensis"
Kaufmanns. Bald schloß sich diesem Bunde, von Kaufmann dazu veranlaßt,
auch der Prcdigtkandidat Mochel an. Kaufmann erklärte sich zu pekuniärer
Unterstützung des Unternehmens bereit und ließ es an Versprechungen aller
Art nicht fehlen, begnügte sich aber nach Mochels Angabe damit, hundert Louisdor
unter die Genossen zu verteilen. Das Programm der Verbündeten ward in
den "Philanthropischen Absichten redlicher Jünglinge," welche Jselin im Jahre 1775
herausgab, der Öffentlichkeit kund gethan. Was es enthielt, teilt Düntzer leider
nicht mit, wohl aber versucht er auf die Angabe Schmohls hin, der das Buch
nur Simon, Schweighäuser und Ehrmann zuschreibt, Kaufmann seinen Anteil
an der Autorschaft zu bestreiten gegen das ausdrückliche Zeugnis Jselins, der
doch als Herausgeber am besten über das wahre Verhältnis unterrichtet sein
mußte.

Zunächst hatte Kaufmann wenig Aussicht, daß das Unternehmen wirklich
zur Ausführung gelangen würde. Er kehrte in seine Vaterstadt Winterthur
zurück, von wo aus er sich uach Zürich, Basel und Emmendingen wandte, um
sich mit Lavater, Jselin, Sarcisiu und Johann Georg Schlosser bekannt z" machen.
Da ist es nun von höchstem Interesse zu beobachten, welchen verschiednen Ein¬
druck der junge Kaufmann auf diese Männer macht und welche Eindrücke er
seinerseits wiederum von ihnen empfängt, wie er gleichsam zwischen ihnen hin-


La Apostel der Geniezeit.

Empfindsamkeit und als solches keineswegs Kaufmanns Eigentum war. Kauf¬
mann fand diese Gründung eines neuen „geheimen Ordens" schicklich, „um eine
Verbindung mit vielen bedeutenden Männern herbeizuführen"; Düntzer weiß,
daß er ihn „bald zu beherrschen gedachte."

Viel wichtiger aber ward eine andre, gleichfalls in der Zeit liegende Idee,
die er jetzt ergriff und die nächsten Jahre hindurch fast ausschließlich verfolgte.
Es war die Zeit, da Basedow, erfüllt von den in Rousseaus Linn<z ausge¬
sprochenen Mahnungen, sich mit einer völligen Umgestaltung der Erziehung trug.
An die Stelle schulmeisterlicher Pedanterie wünschte er Freiheit und Liebe zur
Bildung zu setzen; wo früher Zwang und Herkommen herrschte, da sollte jetzt
Leben und Erfahrung den Unterricht gestalten. Kaufmann berichtet, er habe
diesen Gedanken ergriffen, „ermüdet von der Eingeschränktheit der Kunst, sowie
überworfen mit allem menschlichen Wissen und niedergedrückt von seiner eignen
und andrer Menschen Schwäche." Aber so glaubhaft diese Erklärung erscheint,
so wenig befriedigt sie wiederum Düntzer. Er meint, alles dies „ sei nur Spiegel¬
fechterei, mehr äußerlich sei dieser Gedanke an ihn herangetreten, als daß er
aus der Tiefe seiner Seele aufgestiegen wäre"; aber er bleibt auch hier den
Beweis für seine Behauptung schuldig. Zur Ausführung seines Planes schloß
sich Kaufmann an drei junge Männer an, welche gewillt waren, ihr Leben der
heiligen Sache zu widmen. Es waren dies Johann Friedrich Simon,
Johann Schweighüuser und Johann Ehrmann, der letzte lange Jahre hin¬
durch ohne alle Selbständigkeit der treueste und begeistertste „Amanuensis"
Kaufmanns. Bald schloß sich diesem Bunde, von Kaufmann dazu veranlaßt,
auch der Prcdigtkandidat Mochel an. Kaufmann erklärte sich zu pekuniärer
Unterstützung des Unternehmens bereit und ließ es an Versprechungen aller
Art nicht fehlen, begnügte sich aber nach Mochels Angabe damit, hundert Louisdor
unter die Genossen zu verteilen. Das Programm der Verbündeten ward in
den „Philanthropischen Absichten redlicher Jünglinge," welche Jselin im Jahre 1775
herausgab, der Öffentlichkeit kund gethan. Was es enthielt, teilt Düntzer leider
nicht mit, wohl aber versucht er auf die Angabe Schmohls hin, der das Buch
nur Simon, Schweighäuser und Ehrmann zuschreibt, Kaufmann seinen Anteil
an der Autorschaft zu bestreiten gegen das ausdrückliche Zeugnis Jselins, der
doch als Herausgeber am besten über das wahre Verhältnis unterrichtet sein
mußte.

Zunächst hatte Kaufmann wenig Aussicht, daß das Unternehmen wirklich
zur Ausführung gelangen würde. Er kehrte in seine Vaterstadt Winterthur
zurück, von wo aus er sich uach Zürich, Basel und Emmendingen wandte, um
sich mit Lavater, Jselin, Sarcisiu und Johann Georg Schlosser bekannt z» machen.
Da ist es nun von höchstem Interesse zu beobachten, welchen verschiednen Ein¬
druck der junge Kaufmann auf diese Männer macht und welche Eindrücke er
seinerseits wiederum von ihnen empfängt, wie er gleichsam zwischen ihnen hin-


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[0238] La Apostel der Geniezeit. Empfindsamkeit und als solches keineswegs Kaufmanns Eigentum war. Kauf¬ mann fand diese Gründung eines neuen „geheimen Ordens" schicklich, „um eine Verbindung mit vielen bedeutenden Männern herbeizuführen"; Düntzer weiß, daß er ihn „bald zu beherrschen gedachte." Viel wichtiger aber ward eine andre, gleichfalls in der Zeit liegende Idee, die er jetzt ergriff und die nächsten Jahre hindurch fast ausschließlich verfolgte. Es war die Zeit, da Basedow, erfüllt von den in Rousseaus Linn<z ausge¬ sprochenen Mahnungen, sich mit einer völligen Umgestaltung der Erziehung trug. An die Stelle schulmeisterlicher Pedanterie wünschte er Freiheit und Liebe zur Bildung zu setzen; wo früher Zwang und Herkommen herrschte, da sollte jetzt Leben und Erfahrung den Unterricht gestalten. Kaufmann berichtet, er habe diesen Gedanken ergriffen, „ermüdet von der Eingeschränktheit der Kunst, sowie überworfen mit allem menschlichen Wissen und niedergedrückt von seiner eignen und andrer Menschen Schwäche." Aber so glaubhaft diese Erklärung erscheint, so wenig befriedigt sie wiederum Düntzer. Er meint, alles dies „ sei nur Spiegel¬ fechterei, mehr äußerlich sei dieser Gedanke an ihn herangetreten, als daß er aus der Tiefe seiner Seele aufgestiegen wäre"; aber er bleibt auch hier den Beweis für seine Behauptung schuldig. Zur Ausführung seines Planes schloß sich Kaufmann an drei junge Männer an, welche gewillt waren, ihr Leben der heiligen Sache zu widmen. Es waren dies Johann Friedrich Simon, Johann Schweighüuser und Johann Ehrmann, der letzte lange Jahre hin¬ durch ohne alle Selbständigkeit der treueste und begeistertste „Amanuensis" Kaufmanns. Bald schloß sich diesem Bunde, von Kaufmann dazu veranlaßt, auch der Prcdigtkandidat Mochel an. Kaufmann erklärte sich zu pekuniärer Unterstützung des Unternehmens bereit und ließ es an Versprechungen aller Art nicht fehlen, begnügte sich aber nach Mochels Angabe damit, hundert Louisdor unter die Genossen zu verteilen. Das Programm der Verbündeten ward in den „Philanthropischen Absichten redlicher Jünglinge," welche Jselin im Jahre 1775 herausgab, der Öffentlichkeit kund gethan. Was es enthielt, teilt Düntzer leider nicht mit, wohl aber versucht er auf die Angabe Schmohls hin, der das Buch nur Simon, Schweighäuser und Ehrmann zuschreibt, Kaufmann seinen Anteil an der Autorschaft zu bestreiten gegen das ausdrückliche Zeugnis Jselins, der doch als Herausgeber am besten über das wahre Verhältnis unterrichtet sein mußte. Zunächst hatte Kaufmann wenig Aussicht, daß das Unternehmen wirklich zur Ausführung gelangen würde. Er kehrte in seine Vaterstadt Winterthur zurück, von wo aus er sich uach Zürich, Basel und Emmendingen wandte, um sich mit Lavater, Jselin, Sarcisiu und Johann Georg Schlosser bekannt z» machen. Da ist es nun von höchstem Interesse zu beobachten, welchen verschiednen Ein¬ druck der junge Kaufmann auf diese Männer macht und welche Eindrücke er seinerseits wiederum von ihnen empfängt, wie er gleichsam zwischen ihnen hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/238>, abgerufen am 03.07.2024.