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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Lin Apostel der Geniezeit.

was Kaufmanns Gattin im "Lebenslauf" ihres Mannes erzählt, eine fromme
Christin und scheint dem Sohne ihre Gesinnung schon in jungen Jahren nahe
gelegt zu haben. Dnntzer teilt den betreffenden Passus ans dem "Lebenslauf"
mit und meint dann, man höre hier Kaufmann heraus, "der natürlich seine
christliche Erziehung und den Einfluß derselben auf die Richtung seiner Seele
hervorzuheben liebte." Wer aber Gelegenheit gehabt hat, "Lebensläufe," wie
sie noch heute fast bei jedem Begräbnis in der Brüdergemeine vorgelesen werden,
mit anzuhören, der erkennt in jener Schilderung christlicher Jugendeindrücke
vielmehr eine spezifisch herrnhutische Eigentümlichkeit und erinnert sich, daß er
ähnliche Wendungen und Ausdrücke bei gleicher Gelegenheit in gleicher Weise
vernommen, wo ein Hinweis auf derartige erste religiöse Erfassungen fast niemals
zu fehlen pflegt.

Kaufmann erzählt selbst, daß er bei Sulzer mathematischen Unterricht ge¬
nossen habe, eine Angabe, die durch den Umstand, daß Sulzer bei einem spätern
Besuche, welchen ihm Kaufmann in Berlin abstattete, in seinem Bericht darüber
nicht ausdrücklich eine frühere Bekanntschaft hervorhebt, wohl kaum umgestoßen
wird. Ebensowenig haben wir ein Recht, die weitere Angabe Kaufmanns, daß
ihm Geßners Führung in der Physik ein neues Interesse an der Natur erweckt
habe, zu bezweifeln. Wo diese Einwirkung auf den Knaben erfolgte, ob in
Zürich oder in Winterthur, ist nicht zu entscheiden und im Grunde anch gleich-
giltig. Der Beruf, dem sich der junge Mann zuwandte, war der eines Apo¬
thekers, der seiner Neigung zur Arzneikunde jedenfalls entsprach. So viel wissen
wir wenigstens nach der Mitteilung seiner Gattin; Düntzer freilich weiß ver¬
möge eigner Divination noch mehr: "Das Apothekerfach, bemerkt er (S. 4),
wählte er, weil er dabei aller eigentlichen Studien überhoben zu sein glaubte (!)
und ihm die mechanische Thätigkeit anziehend war, die denn auch nur zu häufig
in die ärztliche übergriff." Im Jahre 1774 finden wir Kaufmann als Apo¬
thekerburschen in Straßbnrg im Dienste des Doktors und Apothekers Spiel¬
mann. Sein Beruf ließ ihm genug Zeit, um daneben auch naturwissenschaftliche
Studien zu treiben, aber da er nur zu seinein Vergnügen studirte und wie alle
Originalgenies wenig von gründlicher Arbeit hielt, wird der Nutzen, den er
daraus zog, eben nicht groß gewesen sein.

Der Grundzug, der Kaufmanns ganzes Leben beherrscht, tritt schon in
Straßburg zum erstenmale hervor, er will wirken, Einfluß ausüben, bilden,
reformiren, unbekümmert darum, wie es mit seiner eignen Bildung steht, nur
vertrauend auf die eigne ursprüngliche Kraft. Er beginnt damit, daß er seine
Dienste dem Pfarrer Oberlin zu Waldbach im Steinthal anbietet und dem Manne,
der bemüht ist, dem "elsässischen Sibirien" die Segnungen der Kultur zu bringen,
seinen Rat und Beistand aufzudringen sucht. Dieser scheint ihn aber abgewiesen
zu haben, und so trägt er sich mit dem Gedanken, einen "Lorenzorden von der
hörnernen Dose" zu gründen, ein Gedanke, der recht eigentlich ein Produkt der


Lin Apostel der Geniezeit.

was Kaufmanns Gattin im „Lebenslauf" ihres Mannes erzählt, eine fromme
Christin und scheint dem Sohne ihre Gesinnung schon in jungen Jahren nahe
gelegt zu haben. Dnntzer teilt den betreffenden Passus ans dem „Lebenslauf"
mit und meint dann, man höre hier Kaufmann heraus, „der natürlich seine
christliche Erziehung und den Einfluß derselben auf die Richtung seiner Seele
hervorzuheben liebte." Wer aber Gelegenheit gehabt hat, „Lebensläufe," wie
sie noch heute fast bei jedem Begräbnis in der Brüdergemeine vorgelesen werden,
mit anzuhören, der erkennt in jener Schilderung christlicher Jugendeindrücke
vielmehr eine spezifisch herrnhutische Eigentümlichkeit und erinnert sich, daß er
ähnliche Wendungen und Ausdrücke bei gleicher Gelegenheit in gleicher Weise
vernommen, wo ein Hinweis auf derartige erste religiöse Erfassungen fast niemals
zu fehlen pflegt.

Kaufmann erzählt selbst, daß er bei Sulzer mathematischen Unterricht ge¬
nossen habe, eine Angabe, die durch den Umstand, daß Sulzer bei einem spätern
Besuche, welchen ihm Kaufmann in Berlin abstattete, in seinem Bericht darüber
nicht ausdrücklich eine frühere Bekanntschaft hervorhebt, wohl kaum umgestoßen
wird. Ebensowenig haben wir ein Recht, die weitere Angabe Kaufmanns, daß
ihm Geßners Führung in der Physik ein neues Interesse an der Natur erweckt
habe, zu bezweifeln. Wo diese Einwirkung auf den Knaben erfolgte, ob in
Zürich oder in Winterthur, ist nicht zu entscheiden und im Grunde anch gleich-
giltig. Der Beruf, dem sich der junge Mann zuwandte, war der eines Apo¬
thekers, der seiner Neigung zur Arzneikunde jedenfalls entsprach. So viel wissen
wir wenigstens nach der Mitteilung seiner Gattin; Düntzer freilich weiß ver¬
möge eigner Divination noch mehr: „Das Apothekerfach, bemerkt er (S. 4),
wählte er, weil er dabei aller eigentlichen Studien überhoben zu sein glaubte (!)
und ihm die mechanische Thätigkeit anziehend war, die denn auch nur zu häufig
in die ärztliche übergriff." Im Jahre 1774 finden wir Kaufmann als Apo¬
thekerburschen in Straßbnrg im Dienste des Doktors und Apothekers Spiel¬
mann. Sein Beruf ließ ihm genug Zeit, um daneben auch naturwissenschaftliche
Studien zu treiben, aber da er nur zu seinein Vergnügen studirte und wie alle
Originalgenies wenig von gründlicher Arbeit hielt, wird der Nutzen, den er
daraus zog, eben nicht groß gewesen sein.

Der Grundzug, der Kaufmanns ganzes Leben beherrscht, tritt schon in
Straßburg zum erstenmale hervor, er will wirken, Einfluß ausüben, bilden,
reformiren, unbekümmert darum, wie es mit seiner eignen Bildung steht, nur
vertrauend auf die eigne ursprüngliche Kraft. Er beginnt damit, daß er seine
Dienste dem Pfarrer Oberlin zu Waldbach im Steinthal anbietet und dem Manne,
der bemüht ist, dem „elsässischen Sibirien" die Segnungen der Kultur zu bringen,
seinen Rat und Beistand aufzudringen sucht. Dieser scheint ihn aber abgewiesen
zu haben, und so trägt er sich mit dem Gedanken, einen „Lorenzorden von der
hörnernen Dose" zu gründen, ein Gedanke, der recht eigentlich ein Produkt der


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[0237] Lin Apostel der Geniezeit. was Kaufmanns Gattin im „Lebenslauf" ihres Mannes erzählt, eine fromme Christin und scheint dem Sohne ihre Gesinnung schon in jungen Jahren nahe gelegt zu haben. Dnntzer teilt den betreffenden Passus ans dem „Lebenslauf" mit und meint dann, man höre hier Kaufmann heraus, „der natürlich seine christliche Erziehung und den Einfluß derselben auf die Richtung seiner Seele hervorzuheben liebte." Wer aber Gelegenheit gehabt hat, „Lebensläufe," wie sie noch heute fast bei jedem Begräbnis in der Brüdergemeine vorgelesen werden, mit anzuhören, der erkennt in jener Schilderung christlicher Jugendeindrücke vielmehr eine spezifisch herrnhutische Eigentümlichkeit und erinnert sich, daß er ähnliche Wendungen und Ausdrücke bei gleicher Gelegenheit in gleicher Weise vernommen, wo ein Hinweis auf derartige erste religiöse Erfassungen fast niemals zu fehlen pflegt. Kaufmann erzählt selbst, daß er bei Sulzer mathematischen Unterricht ge¬ nossen habe, eine Angabe, die durch den Umstand, daß Sulzer bei einem spätern Besuche, welchen ihm Kaufmann in Berlin abstattete, in seinem Bericht darüber nicht ausdrücklich eine frühere Bekanntschaft hervorhebt, wohl kaum umgestoßen wird. Ebensowenig haben wir ein Recht, die weitere Angabe Kaufmanns, daß ihm Geßners Führung in der Physik ein neues Interesse an der Natur erweckt habe, zu bezweifeln. Wo diese Einwirkung auf den Knaben erfolgte, ob in Zürich oder in Winterthur, ist nicht zu entscheiden und im Grunde anch gleich- giltig. Der Beruf, dem sich der junge Mann zuwandte, war der eines Apo¬ thekers, der seiner Neigung zur Arzneikunde jedenfalls entsprach. So viel wissen wir wenigstens nach der Mitteilung seiner Gattin; Düntzer freilich weiß ver¬ möge eigner Divination noch mehr: „Das Apothekerfach, bemerkt er (S. 4), wählte er, weil er dabei aller eigentlichen Studien überhoben zu sein glaubte (!) und ihm die mechanische Thätigkeit anziehend war, die denn auch nur zu häufig in die ärztliche übergriff." Im Jahre 1774 finden wir Kaufmann als Apo¬ thekerburschen in Straßbnrg im Dienste des Doktors und Apothekers Spiel¬ mann. Sein Beruf ließ ihm genug Zeit, um daneben auch naturwissenschaftliche Studien zu treiben, aber da er nur zu seinein Vergnügen studirte und wie alle Originalgenies wenig von gründlicher Arbeit hielt, wird der Nutzen, den er daraus zog, eben nicht groß gewesen sein. Der Grundzug, der Kaufmanns ganzes Leben beherrscht, tritt schon in Straßburg zum erstenmale hervor, er will wirken, Einfluß ausüben, bilden, reformiren, unbekümmert darum, wie es mit seiner eignen Bildung steht, nur vertrauend auf die eigne ursprüngliche Kraft. Er beginnt damit, daß er seine Dienste dem Pfarrer Oberlin zu Waldbach im Steinthal anbietet und dem Manne, der bemüht ist, dem „elsässischen Sibirien" die Segnungen der Kultur zu bringen, seinen Rat und Beistand aufzudringen sucht. Dieser scheint ihn aber abgewiesen zu haben, und so trägt er sich mit dem Gedanken, einen „Lorenzorden von der hörnernen Dose" zu gründen, ein Gedanke, der recht eigentlich ein Produkt der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/237>, abgerufen am 03.07.2024.