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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ein Apostel der Geniezeit.

sich verkörpert. Dieser Mann ist Christof Kaufmann, dessen Lebensgang
und Charakterbild wir im folgenden zu zeichnen versuchen wollen. Wir halten
uns dabei an das von Heinrich Düntzer entworfene Lebensbild des Mannes/')
welches vor kurzem als eine wesentlich erweiterte Neubearbeitung einer in
Raumers "Historischen Taschenbuch" vom Jahre 1859 enthaltenen Abhandlung
erschienen ist.

Auch diese neueste Arbeit des gelehrten Verfassers bezeugt dessen allbekannte
Sorgfalt und Gründlichkeit im Zusammentragen von biographischen Material,
das er in diesem Falle wohl vollständig heranzuziehen gewußt hat. Nicht so
anerkennend ist das Urteil, das wir über die Verarbeitung und geistige Durch¬
dringung desselben fällen müssen. Nach unserm Dafürhalten hat es dem Ver¬
fasser bei seiner Arbeit an dem psychologischen Verständnis für die Entwicklung
seines Helden gefehlt, und dieser Mangel macht es erklärlich, daß er sein Bild
verzerrter hingestellt hat, als es in Wirklichkeit ist. Kaufmann ist ihm von
vornherein ein Betrüger und gewissenloser Abenteurer, und so verabsäumt er
es ganz, zu untersuchen, wie er dazu geworden ist. Uns erscheint der Mann
als ein Opfer unverstandener Ideen, als einer, der sich selbst betrog und be¬
rauscht von dem Erfolge, den sein Auftreten überall hatte, mehr und mehr auf
Abwege geführt wurde, die allerdings zuweilen mit denen eines Schwindlers
eine verzweifelte Ähnlichkeit haben. Wir hoffen diese unsre abweichende Auf¬
fassung im folgenden begründen zu können und wollen hier nur noch darauf
hinweisen, daß die Quellen, welche uns für Kaufmanns geniale Periode -- und
diese wird allein ein allgemeineres Interesse behalten -- zu Gebote stehen, doch
derartig sind, daß sie nur mit größter Vorsicht benutzt werden können. Dies
gilt in erster Linie von den durch Schmohl ans Mvchels Nachlaß gemachten
Veröffentlichungen, welche von dessen ehemaligen Kollegen Simon und Schweig¬
häuser, deren unten Erwähnung geschehen wird, als eine "bubenhafte Satire"
bezeichnet wurden, ein Urteil, das uns durch Schmohls wortreiche Entgegnung
nicht genügend entkräftet zu sein scheint. Mancherlei andre Bedenken gegen die
Glaubwürdigkeit verschiedner Angaben über Kaufmann, auf welche Düntzer seine
Darstellung aufgebaut hat, unterdrücken wir hier, um im Verlauf der Erzählung
gelegentlich mit ihnen hervorzutreten. Nichts liegt uns ferner, als eine Rettung
Kaufmanns zu versuchen, aber unmöglich ist es doch, die starken Bedenken,
die uns bei wiederholtem Lesen von Düntzers Buch und bei eigner Beschäf¬
tigung mit dem Gegenstande gekommen sind, hier unberücksichtigt zu lassen.

Christof Kaufmann, der Sohn nicht unbemittelter Eltern, war am 14. August
1753 zu Winterthur in der Schweiz geboren. Über die Einflüsse, welche er in
seiner Jugend erfuhr, wissen wir wenig sicheres. Die Mutter war nach dein,



Christof Kaufmann, der Apostel der Geniezeit und der Herrnhutiscke Arzt.
Von Heinrich Düntzer. Leipzig, Wartigs Verlag, 1382.
Ein Apostel der Geniezeit.

sich verkörpert. Dieser Mann ist Christof Kaufmann, dessen Lebensgang
und Charakterbild wir im folgenden zu zeichnen versuchen wollen. Wir halten
uns dabei an das von Heinrich Düntzer entworfene Lebensbild des Mannes/')
welches vor kurzem als eine wesentlich erweiterte Neubearbeitung einer in
Raumers „Historischen Taschenbuch" vom Jahre 1859 enthaltenen Abhandlung
erschienen ist.

Auch diese neueste Arbeit des gelehrten Verfassers bezeugt dessen allbekannte
Sorgfalt und Gründlichkeit im Zusammentragen von biographischen Material,
das er in diesem Falle wohl vollständig heranzuziehen gewußt hat. Nicht so
anerkennend ist das Urteil, das wir über die Verarbeitung und geistige Durch¬
dringung desselben fällen müssen. Nach unserm Dafürhalten hat es dem Ver¬
fasser bei seiner Arbeit an dem psychologischen Verständnis für die Entwicklung
seines Helden gefehlt, und dieser Mangel macht es erklärlich, daß er sein Bild
verzerrter hingestellt hat, als es in Wirklichkeit ist. Kaufmann ist ihm von
vornherein ein Betrüger und gewissenloser Abenteurer, und so verabsäumt er
es ganz, zu untersuchen, wie er dazu geworden ist. Uns erscheint der Mann
als ein Opfer unverstandener Ideen, als einer, der sich selbst betrog und be¬
rauscht von dem Erfolge, den sein Auftreten überall hatte, mehr und mehr auf
Abwege geführt wurde, die allerdings zuweilen mit denen eines Schwindlers
eine verzweifelte Ähnlichkeit haben. Wir hoffen diese unsre abweichende Auf¬
fassung im folgenden begründen zu können und wollen hier nur noch darauf
hinweisen, daß die Quellen, welche uns für Kaufmanns geniale Periode — und
diese wird allein ein allgemeineres Interesse behalten — zu Gebote stehen, doch
derartig sind, daß sie nur mit größter Vorsicht benutzt werden können. Dies
gilt in erster Linie von den durch Schmohl ans Mvchels Nachlaß gemachten
Veröffentlichungen, welche von dessen ehemaligen Kollegen Simon und Schweig¬
häuser, deren unten Erwähnung geschehen wird, als eine „bubenhafte Satire"
bezeichnet wurden, ein Urteil, das uns durch Schmohls wortreiche Entgegnung
nicht genügend entkräftet zu sein scheint. Mancherlei andre Bedenken gegen die
Glaubwürdigkeit verschiedner Angaben über Kaufmann, auf welche Düntzer seine
Darstellung aufgebaut hat, unterdrücken wir hier, um im Verlauf der Erzählung
gelegentlich mit ihnen hervorzutreten. Nichts liegt uns ferner, als eine Rettung
Kaufmanns zu versuchen, aber unmöglich ist es doch, die starken Bedenken,
die uns bei wiederholtem Lesen von Düntzers Buch und bei eigner Beschäf¬
tigung mit dem Gegenstande gekommen sind, hier unberücksichtigt zu lassen.

Christof Kaufmann, der Sohn nicht unbemittelter Eltern, war am 14. August
1753 zu Winterthur in der Schweiz geboren. Über die Einflüsse, welche er in
seiner Jugend erfuhr, wissen wir wenig sicheres. Die Mutter war nach dein,



Christof Kaufmann, der Apostel der Geniezeit und der Herrnhutiscke Arzt.
Von Heinrich Düntzer. Leipzig, Wartigs Verlag, 1382.
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[0236] Ein Apostel der Geniezeit. sich verkörpert. Dieser Mann ist Christof Kaufmann, dessen Lebensgang und Charakterbild wir im folgenden zu zeichnen versuchen wollen. Wir halten uns dabei an das von Heinrich Düntzer entworfene Lebensbild des Mannes/') welches vor kurzem als eine wesentlich erweiterte Neubearbeitung einer in Raumers „Historischen Taschenbuch" vom Jahre 1859 enthaltenen Abhandlung erschienen ist. Auch diese neueste Arbeit des gelehrten Verfassers bezeugt dessen allbekannte Sorgfalt und Gründlichkeit im Zusammentragen von biographischen Material, das er in diesem Falle wohl vollständig heranzuziehen gewußt hat. Nicht so anerkennend ist das Urteil, das wir über die Verarbeitung und geistige Durch¬ dringung desselben fällen müssen. Nach unserm Dafürhalten hat es dem Ver¬ fasser bei seiner Arbeit an dem psychologischen Verständnis für die Entwicklung seines Helden gefehlt, und dieser Mangel macht es erklärlich, daß er sein Bild verzerrter hingestellt hat, als es in Wirklichkeit ist. Kaufmann ist ihm von vornherein ein Betrüger und gewissenloser Abenteurer, und so verabsäumt er es ganz, zu untersuchen, wie er dazu geworden ist. Uns erscheint der Mann als ein Opfer unverstandener Ideen, als einer, der sich selbst betrog und be¬ rauscht von dem Erfolge, den sein Auftreten überall hatte, mehr und mehr auf Abwege geführt wurde, die allerdings zuweilen mit denen eines Schwindlers eine verzweifelte Ähnlichkeit haben. Wir hoffen diese unsre abweichende Auf¬ fassung im folgenden begründen zu können und wollen hier nur noch darauf hinweisen, daß die Quellen, welche uns für Kaufmanns geniale Periode — und diese wird allein ein allgemeineres Interesse behalten — zu Gebote stehen, doch derartig sind, daß sie nur mit größter Vorsicht benutzt werden können. Dies gilt in erster Linie von den durch Schmohl ans Mvchels Nachlaß gemachten Veröffentlichungen, welche von dessen ehemaligen Kollegen Simon und Schweig¬ häuser, deren unten Erwähnung geschehen wird, als eine „bubenhafte Satire" bezeichnet wurden, ein Urteil, das uns durch Schmohls wortreiche Entgegnung nicht genügend entkräftet zu sein scheint. Mancherlei andre Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit verschiedner Angaben über Kaufmann, auf welche Düntzer seine Darstellung aufgebaut hat, unterdrücken wir hier, um im Verlauf der Erzählung gelegentlich mit ihnen hervorzutreten. Nichts liegt uns ferner, als eine Rettung Kaufmanns zu versuchen, aber unmöglich ist es doch, die starken Bedenken, die uns bei wiederholtem Lesen von Düntzers Buch und bei eigner Beschäf¬ tigung mit dem Gegenstande gekommen sind, hier unberücksichtigt zu lassen. Christof Kaufmann, der Sohn nicht unbemittelter Eltern, war am 14. August 1753 zu Winterthur in der Schweiz geboren. Über die Einflüsse, welche er in seiner Jugend erfuhr, wissen wir wenig sicheres. Die Mutter war nach dein, Christof Kaufmann, der Apostel der Geniezeit und der Herrnhutiscke Arzt. Von Heinrich Düntzer. Leipzig, Wartigs Verlag, 1382.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/236>, abgerufen am 03.07.2024.