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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Aehrseite der Madagaskarfrage.

sehen wünschen, so suchen sie nur ihr eignes Interesse zu fördern, denn sie
sind die einzige wirkliche Macht, die hinter dem Throne zu Antananarivo steht
und die von ihm Vorteile hat."

In den Schlußworten des Plaidoyers unsres Amerikaners für Frankreich
ist Wahrheit mit Parteilichkeit gemischt. Es sprechen hier neben berechtigter
Sorge für das Interesse der Landsleute der Haß der Aankees gegen England,
die Eifersucht des Missionärs auf Erfolge eines fremden Bekenntnisses, der Abo-
litionist, der seine Meinung rücksichtslos überall verwirklicht zu sehen strebt,
und der Teatotaler, der dasselbe im Auge hat. Er will die Freiheit verteidigen,
indem er Zwang gegen eine fremde Regierung empfiehlt. Die Thatsachen, die
er anführt, werden meist auf Wahrheit beruhen, die Rechte Frankreichs begründet
sein, der englische Egoismus ist weltbekannt, aber die Schlüsse, die er aus alle-
dem zieht, gehen offenbar in einigen Punkten zu weit. Es ist Recht auf
beiden Seiten, aber auch Unrecht, und zuletzt läuft die Frage doch nur darauf
hinaus, wer von den beiden westlichen Mächten Madagaskar am bequemste"?
und ergiebigsten für seine Interessen ausbeuten soll- Das wolle man vor Augen
haben, wenn unsre Broschüre fortfährt:

"Die amerikanische Negierung wird sich nicht zu Gunsten der Hovas, die
reine Drahtpuppen in den Händen der Engländer sind, in einen Streit mit
Frankreich verwickeln lassen und die Franzosen ihrer alten und oft anerkannten
Rechte in Madagaskar berauben helfen. Die Sache des Fortschritts und der
Zivilisation könnte durch ein solches undankbares sLafayette, aber nicht auch
Mexiko?^ und unkluges Verhalten gegen alte Verbündete, die uns auf der
afrikanischen Insel dieselben Rechte wie ihren eignen Ansiedlern bieten, nicht
gefördert werden. Zu derselben Zeit, wo wir die Übel beklagen, welche die
britischen Landherru und die Staatskirche über Irland gebracht haben, können
wir zur Ausdehnung derselben Übel über Madagaskar nicht einmal moralisch
unsre Beihilfe leihen. Die amerikanischen Missionäre können auf diesem afrika¬
nischen Felde nicht frei wirken; denn es ist von den Mopscindriua, den Bischöfen,
die bloße Staatsbeamte sind, ausschließlich in Beschlag genommen. Der Pre¬
mierminister ist das Oberhaupt der Kirche. Er hat sich nicht bloß von den
protestantischen Missionären unabhängig gemacht ^woran er zweifelsohne sehr
recht gethan hat^, sondern sie zu bloßen Dienern und Werkzeugen der Staats¬
kirche degradirt, und ihre Unterwürfigkeit gegen ihn ist Bedingung nicht nur
ihres Erfolges, sondern ihres Verbleibens auf der Insel. "Durch dieses
willkürliche Verfahre", so schreibt der Missionär Louis Street, hat der
Premierminister gegen die Rechte der Londoner Missionsgesellschaft verstoßen
und die geistlichen Angelegenheiten ganz in seine Hände genommen. Die Staats-
kirche in Madagaskar ist in Wirklichkeit weniger duldsam als in der Türkei. . . .
Man verlangt, daß wir nicht das Evangelium nach dem Neuen Testament,
sondern das Evangelium nach den Begriffen des ersten Ministers predigen."


Die Aehrseite der Madagaskarfrage.

sehen wünschen, so suchen sie nur ihr eignes Interesse zu fördern, denn sie
sind die einzige wirkliche Macht, die hinter dem Throne zu Antananarivo steht
und die von ihm Vorteile hat."

In den Schlußworten des Plaidoyers unsres Amerikaners für Frankreich
ist Wahrheit mit Parteilichkeit gemischt. Es sprechen hier neben berechtigter
Sorge für das Interesse der Landsleute der Haß der Aankees gegen England,
die Eifersucht des Missionärs auf Erfolge eines fremden Bekenntnisses, der Abo-
litionist, der seine Meinung rücksichtslos überall verwirklicht zu sehen strebt,
und der Teatotaler, der dasselbe im Auge hat. Er will die Freiheit verteidigen,
indem er Zwang gegen eine fremde Regierung empfiehlt. Die Thatsachen, die
er anführt, werden meist auf Wahrheit beruhen, die Rechte Frankreichs begründet
sein, der englische Egoismus ist weltbekannt, aber die Schlüsse, die er aus alle-
dem zieht, gehen offenbar in einigen Punkten zu weit. Es ist Recht auf
beiden Seiten, aber auch Unrecht, und zuletzt läuft die Frage doch nur darauf
hinaus, wer von den beiden westlichen Mächten Madagaskar am bequemste«?
und ergiebigsten für seine Interessen ausbeuten soll- Das wolle man vor Augen
haben, wenn unsre Broschüre fortfährt:

„Die amerikanische Negierung wird sich nicht zu Gunsten der Hovas, die
reine Drahtpuppen in den Händen der Engländer sind, in einen Streit mit
Frankreich verwickeln lassen und die Franzosen ihrer alten und oft anerkannten
Rechte in Madagaskar berauben helfen. Die Sache des Fortschritts und der
Zivilisation könnte durch ein solches undankbares sLafayette, aber nicht auch
Mexiko?^ und unkluges Verhalten gegen alte Verbündete, die uns auf der
afrikanischen Insel dieselben Rechte wie ihren eignen Ansiedlern bieten, nicht
gefördert werden. Zu derselben Zeit, wo wir die Übel beklagen, welche die
britischen Landherru und die Staatskirche über Irland gebracht haben, können
wir zur Ausdehnung derselben Übel über Madagaskar nicht einmal moralisch
unsre Beihilfe leihen. Die amerikanischen Missionäre können auf diesem afrika¬
nischen Felde nicht frei wirken; denn es ist von den Mopscindriua, den Bischöfen,
die bloße Staatsbeamte sind, ausschließlich in Beschlag genommen. Der Pre¬
mierminister ist das Oberhaupt der Kirche. Er hat sich nicht bloß von den
protestantischen Missionären unabhängig gemacht ^woran er zweifelsohne sehr
recht gethan hat^, sondern sie zu bloßen Dienern und Werkzeugen der Staats¬
kirche degradirt, und ihre Unterwürfigkeit gegen ihn ist Bedingung nicht nur
ihres Erfolges, sondern ihres Verbleibens auf der Insel. »Durch dieses
willkürliche Verfahre», so schreibt der Missionär Louis Street, hat der
Premierminister gegen die Rechte der Londoner Missionsgesellschaft verstoßen
und die geistlichen Angelegenheiten ganz in seine Hände genommen. Die Staats-
kirche in Madagaskar ist in Wirklichkeit weniger duldsam als in der Türkei. . . .
Man verlangt, daß wir nicht das Evangelium nach dem Neuen Testament,
sondern das Evangelium nach den Begriffen des ersten Ministers predigen.«


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[0232] Die Aehrseite der Madagaskarfrage. sehen wünschen, so suchen sie nur ihr eignes Interesse zu fördern, denn sie sind die einzige wirkliche Macht, die hinter dem Throne zu Antananarivo steht und die von ihm Vorteile hat." In den Schlußworten des Plaidoyers unsres Amerikaners für Frankreich ist Wahrheit mit Parteilichkeit gemischt. Es sprechen hier neben berechtigter Sorge für das Interesse der Landsleute der Haß der Aankees gegen England, die Eifersucht des Missionärs auf Erfolge eines fremden Bekenntnisses, der Abo- litionist, der seine Meinung rücksichtslos überall verwirklicht zu sehen strebt, und der Teatotaler, der dasselbe im Auge hat. Er will die Freiheit verteidigen, indem er Zwang gegen eine fremde Regierung empfiehlt. Die Thatsachen, die er anführt, werden meist auf Wahrheit beruhen, die Rechte Frankreichs begründet sein, der englische Egoismus ist weltbekannt, aber die Schlüsse, die er aus alle- dem zieht, gehen offenbar in einigen Punkten zu weit. Es ist Recht auf beiden Seiten, aber auch Unrecht, und zuletzt läuft die Frage doch nur darauf hinaus, wer von den beiden westlichen Mächten Madagaskar am bequemste«? und ergiebigsten für seine Interessen ausbeuten soll- Das wolle man vor Augen haben, wenn unsre Broschüre fortfährt: „Die amerikanische Negierung wird sich nicht zu Gunsten der Hovas, die reine Drahtpuppen in den Händen der Engländer sind, in einen Streit mit Frankreich verwickeln lassen und die Franzosen ihrer alten und oft anerkannten Rechte in Madagaskar berauben helfen. Die Sache des Fortschritts und der Zivilisation könnte durch ein solches undankbares sLafayette, aber nicht auch Mexiko?^ und unkluges Verhalten gegen alte Verbündete, die uns auf der afrikanischen Insel dieselben Rechte wie ihren eignen Ansiedlern bieten, nicht gefördert werden. Zu derselben Zeit, wo wir die Übel beklagen, welche die britischen Landherru und die Staatskirche über Irland gebracht haben, können wir zur Ausdehnung derselben Übel über Madagaskar nicht einmal moralisch unsre Beihilfe leihen. Die amerikanischen Missionäre können auf diesem afrika¬ nischen Felde nicht frei wirken; denn es ist von den Mopscindriua, den Bischöfen, die bloße Staatsbeamte sind, ausschließlich in Beschlag genommen. Der Pre¬ mierminister ist das Oberhaupt der Kirche. Er hat sich nicht bloß von den protestantischen Missionären unabhängig gemacht ^woran er zweifelsohne sehr recht gethan hat^, sondern sie zu bloßen Dienern und Werkzeugen der Staats¬ kirche degradirt, und ihre Unterwürfigkeit gegen ihn ist Bedingung nicht nur ihres Erfolges, sondern ihres Verbleibens auf der Insel. »Durch dieses willkürliche Verfahre», so schreibt der Missionär Louis Street, hat der Premierminister gegen die Rechte der Londoner Missionsgesellschaft verstoßen und die geistlichen Angelegenheiten ganz in seine Hände genommen. Die Staats- kirche in Madagaskar ist in Wirklichkeit weniger duldsam als in der Türkei. . . . Man verlangt, daß wir nicht das Evangelium nach dem Neuen Testament, sondern das Evangelium nach den Begriffen des ersten Ministers predigen.«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/232>, abgerufen am 03.07.2024.