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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Kehrseite der Mad.ig^skcirfragc,

Radama I. nach einigen Siegen über benachbarte Stämme zum König der
ganzen Insel, und nachdem er 1828 bei einem Aufstande des malagassischcn
Adels ermordet worden, ergriff seine Witwe Ranovalo I. die Zügel der Re¬
gierung. Während sie die liberalen Ideen der französischen Revolution, denen
ihr Gemahl gefolgt war, verleugnete und einer Reaktion gegen die Gesittung
und das Christentum Vorschub leistete, behielt sie den Anspruch, Herrscherin
über ganz Madagaskar zu sein, unverändert bei. Während ihrer langen Re¬
gierung wurden die Rechte Frankreichs, die niemals aufgegeben, sondern wieder¬
holt, zunächst durch die Expedition des Admirals Mackau, 1818, und später
durch eine andre, welche die Ortschaften Tamatave, Tintingue und Foulepointe
besetzte, geltend gemacht worden waren, von Großbritannien, wenigstens mittel¬
bar, abermals anerkannt. Als 1840 einige Häuptlinge der Hovas sich gegen
die Königin aufgelehnt und die Franzosen um Beistand angegangen hatten, nahmen
die Häuptlinge der Sakalawas und Äukautars an dem Aufstande gegen die
Eroberer teil. Sie traten in dieser Zeit durch einen 1841 unterzeichnete" Ver¬
trag den Küstenstrich im Norden, der bis zur Bucht von Diego Suarez geht,
an Frankreich ab. und Lord Granville hat neulich zugegeben, daß Palmerston
damals die Giltigkeit dieses Vertrages anerkannt hat. Ferner ersuchte die bri¬
tische Regierung, weit entfernt, gegen diese Übereinkunft Einspruch zu thun, das
Pariser Kabinet, sich an der Expedition beteiligen zu dürfen, die l 845 zur Be¬
strafung der Mordthaten abging, welche die Hovas an französischen und eng¬
lischen Kolonisten verübt hatten. Die Regierung Ludwig Philipps ging bereit¬
willig darauf ein, und die Flaggen des Conway und der Zelee wehten freund¬
schaftlich neben einander, während ihre Kanonen die Schanzen der Hovas
beschossen."

1862 folgte Radama II. seiner Mutter auf dem Throne, und Madagaskar
wurde von neuem dem Christentum und der Zivilisation geöffnet. Das Heiden¬
tum war in den mittleren Provinzen bald fast ganz verschwunden, und die Ge¬
sittung begann durch die von Missionären gegründeten Schulen Fortschritte zu
machen. Eine Revolution der Adelspartei nnter dem Häuptling Rambosalam
wurde unterdrückt, aber bald folgte eine zweite, welcher der König im Mai 1863
zum Opfer fiel. Auch seine Witwe und Nachfolgerin Rasvherina hatte mit
einem Aufstande zu kämpfen, der sich gegen die unter ihr einflußreich gewordenen
Franzosen richtete, und der wohl nicht ohne Mitwirkung Englands ausgebrochen
war. Als sie 1868 starb, folgte ihr die jetzige Königin Ranovalo II., die sich
im Februar 1869 taufen ließ. Dieselbe hielt sich anfangs zur katholischen Kirche,
die in Madagaskar gegen 60,000 Bekenner zählt, ist aber seitdem zum Prote¬
stantismus übergetreten und gerirt sich als Haupt einer Staatskirche nach dem
Muster der englischen.

"Die gegenwärtige Madagaskarfrage, sagt unser Amerikaner, mit der wir
dadurch in Verbindung gekommen sind, daß unser Konsul einen Handelsvertrag


Die Kehrseite der Mad.ig^skcirfragc,

Radama I. nach einigen Siegen über benachbarte Stämme zum König der
ganzen Insel, und nachdem er 1828 bei einem Aufstande des malagassischcn
Adels ermordet worden, ergriff seine Witwe Ranovalo I. die Zügel der Re¬
gierung. Während sie die liberalen Ideen der französischen Revolution, denen
ihr Gemahl gefolgt war, verleugnete und einer Reaktion gegen die Gesittung
und das Christentum Vorschub leistete, behielt sie den Anspruch, Herrscherin
über ganz Madagaskar zu sein, unverändert bei. Während ihrer langen Re¬
gierung wurden die Rechte Frankreichs, die niemals aufgegeben, sondern wieder¬
holt, zunächst durch die Expedition des Admirals Mackau, 1818, und später
durch eine andre, welche die Ortschaften Tamatave, Tintingue und Foulepointe
besetzte, geltend gemacht worden waren, von Großbritannien, wenigstens mittel¬
bar, abermals anerkannt. Als 1840 einige Häuptlinge der Hovas sich gegen
die Königin aufgelehnt und die Franzosen um Beistand angegangen hatten, nahmen
die Häuptlinge der Sakalawas und Äukautars an dem Aufstande gegen die
Eroberer teil. Sie traten in dieser Zeit durch einen 1841 unterzeichnete» Ver¬
trag den Küstenstrich im Norden, der bis zur Bucht von Diego Suarez geht,
an Frankreich ab. und Lord Granville hat neulich zugegeben, daß Palmerston
damals die Giltigkeit dieses Vertrages anerkannt hat. Ferner ersuchte die bri¬
tische Regierung, weit entfernt, gegen diese Übereinkunft Einspruch zu thun, das
Pariser Kabinet, sich an der Expedition beteiligen zu dürfen, die l 845 zur Be¬
strafung der Mordthaten abging, welche die Hovas an französischen und eng¬
lischen Kolonisten verübt hatten. Die Regierung Ludwig Philipps ging bereit¬
willig darauf ein, und die Flaggen des Conway und der Zelee wehten freund¬
schaftlich neben einander, während ihre Kanonen die Schanzen der Hovas
beschossen."

1862 folgte Radama II. seiner Mutter auf dem Throne, und Madagaskar
wurde von neuem dem Christentum und der Zivilisation geöffnet. Das Heiden¬
tum war in den mittleren Provinzen bald fast ganz verschwunden, und die Ge¬
sittung begann durch die von Missionären gegründeten Schulen Fortschritte zu
machen. Eine Revolution der Adelspartei nnter dem Häuptling Rambosalam
wurde unterdrückt, aber bald folgte eine zweite, welcher der König im Mai 1863
zum Opfer fiel. Auch seine Witwe und Nachfolgerin Rasvherina hatte mit
einem Aufstande zu kämpfen, der sich gegen die unter ihr einflußreich gewordenen
Franzosen richtete, und der wohl nicht ohne Mitwirkung Englands ausgebrochen
war. Als sie 1868 starb, folgte ihr die jetzige Königin Ranovalo II., die sich
im Februar 1869 taufen ließ. Dieselbe hielt sich anfangs zur katholischen Kirche,
die in Madagaskar gegen 60,000 Bekenner zählt, ist aber seitdem zum Prote¬
stantismus übergetreten und gerirt sich als Haupt einer Staatskirche nach dem
Muster der englischen.

„Die gegenwärtige Madagaskarfrage, sagt unser Amerikaner, mit der wir
dadurch in Verbindung gekommen sind, daß unser Konsul einen Handelsvertrag


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[0229] Die Kehrseite der Mad.ig^skcirfragc, Radama I. nach einigen Siegen über benachbarte Stämme zum König der ganzen Insel, und nachdem er 1828 bei einem Aufstande des malagassischcn Adels ermordet worden, ergriff seine Witwe Ranovalo I. die Zügel der Re¬ gierung. Während sie die liberalen Ideen der französischen Revolution, denen ihr Gemahl gefolgt war, verleugnete und einer Reaktion gegen die Gesittung und das Christentum Vorschub leistete, behielt sie den Anspruch, Herrscherin über ganz Madagaskar zu sein, unverändert bei. Während ihrer langen Re¬ gierung wurden die Rechte Frankreichs, die niemals aufgegeben, sondern wieder¬ holt, zunächst durch die Expedition des Admirals Mackau, 1818, und später durch eine andre, welche die Ortschaften Tamatave, Tintingue und Foulepointe besetzte, geltend gemacht worden waren, von Großbritannien, wenigstens mittel¬ bar, abermals anerkannt. Als 1840 einige Häuptlinge der Hovas sich gegen die Königin aufgelehnt und die Franzosen um Beistand angegangen hatten, nahmen die Häuptlinge der Sakalawas und Äukautars an dem Aufstande gegen die Eroberer teil. Sie traten in dieser Zeit durch einen 1841 unterzeichnete» Ver¬ trag den Küstenstrich im Norden, der bis zur Bucht von Diego Suarez geht, an Frankreich ab. und Lord Granville hat neulich zugegeben, daß Palmerston damals die Giltigkeit dieses Vertrages anerkannt hat. Ferner ersuchte die bri¬ tische Regierung, weit entfernt, gegen diese Übereinkunft Einspruch zu thun, das Pariser Kabinet, sich an der Expedition beteiligen zu dürfen, die l 845 zur Be¬ strafung der Mordthaten abging, welche die Hovas an französischen und eng¬ lischen Kolonisten verübt hatten. Die Regierung Ludwig Philipps ging bereit¬ willig darauf ein, und die Flaggen des Conway und der Zelee wehten freund¬ schaftlich neben einander, während ihre Kanonen die Schanzen der Hovas beschossen." 1862 folgte Radama II. seiner Mutter auf dem Throne, und Madagaskar wurde von neuem dem Christentum und der Zivilisation geöffnet. Das Heiden¬ tum war in den mittleren Provinzen bald fast ganz verschwunden, und die Ge¬ sittung begann durch die von Missionären gegründeten Schulen Fortschritte zu machen. Eine Revolution der Adelspartei nnter dem Häuptling Rambosalam wurde unterdrückt, aber bald folgte eine zweite, welcher der König im Mai 1863 zum Opfer fiel. Auch seine Witwe und Nachfolgerin Rasvherina hatte mit einem Aufstande zu kämpfen, der sich gegen die unter ihr einflußreich gewordenen Franzosen richtete, und der wohl nicht ohne Mitwirkung Englands ausgebrochen war. Als sie 1868 starb, folgte ihr die jetzige Königin Ranovalo II., die sich im Februar 1869 taufen ließ. Dieselbe hielt sich anfangs zur katholischen Kirche, die in Madagaskar gegen 60,000 Bekenner zählt, ist aber seitdem zum Prote¬ stantismus übergetreten und gerirt sich als Haupt einer Staatskirche nach dem Muster der englischen. „Die gegenwärtige Madagaskarfrage, sagt unser Amerikaner, mit der wir dadurch in Verbindung gekommen sind, daß unser Konsul einen Handelsvertrag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/229>, abgerufen am 03.07.2024.