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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Fett liegende" Cotelettes und die runzligen Pflaumen in dein Menageporzcllan
auf dem Sophatisch.

O welch ein hartes Loos ist es doch, Schriftsteller zu sein und uicht ver¬
standen zu inertem von den guten Leute", denen man helfen möchte! Da sieht
man das Wahre so deutlich vor sich, und das arme Volk, das man glücklich
machen möchte, steinigt den Wohlthäter. Gar nicht zu reden von dem traurigen
Schicksal, einem innern Drange zu folgen, der uns unwiderstehlich zur Schön¬
heit der Ideale hinanzieht, und doch dabei mit schweren Ketten vor den Mist¬
wagen der Nützlichkeit gespannt zu sein und die Hiebe des Knechtes zu fühlen, der
mit uns seinen Tagelohn verdienen will! Sollte dieser Mann, der die Literatur wie
einen Handel mit Käse und Heringen betrachtet, doch am Ende Recht haben? Sollte
es wahr sein, daß die Menschen unverbesserlich sind? O nein, es ist nicht wahr! Wenn
ich wirklich denken müßte, daß sie niemals empfänglich gemacht werden könnten für die
Wahrheit, so würde ich es ganz aufgeben Schriftsteller zu sein und wieder zurück¬
kehren zu meinem Beruf des Lehrers der jungen Leute, bei deuen doch wenigstens
die Fähigkeit des Enthusiasmus noch nicht abgestorben ist. Aber nein! Ich
will die Hand so schnell noch nicht zurückziehen vom Pfluge. Aus Redakteuren
ist el" hoher und heiliger Beruf verliehen, und die Mühsal und Undankbarkeit
darf uus nicht schrecken. Geduld und Sanftmut muß das Feuer lindern. Wir
müssen bedenken, daß es ja eben die große Masse der Unmündigen ist, die uns
als den Einsichtigen Wert verleiht, denn was wären wir und welchen Nutzen
hätten wir, wenn alle so dächten wie wir und mit solcher Klarheit wie wir
hineinblickten in die verschlungenen Fäden der politischen und sozialen Verhält¬
nisse? Ertragen wir also die Püffe und Schläge, ertragen wir Verkennung,
Entrüstung und Haß, wie der edelherzige und liebevolle Moffat und der mut¬
volle, langmütige Livingstone die Beleidigungen und Verfolgungen der armen
Schwarzen ertragen und zuletzt doch mit der Milch ihrer Sanftmut und Geduld
besiegt haben! Freilich, es ist eine schwere Aufgabe!

Er blieb vor seinem Büchcrpult stehen und las mit melancholischen Lächeln
den Namen Goethe. Du freilich, großer Mann, verstandest beides! Du wußtest
das Schöne mit dem Nützlichen zu vereinigen! Du warst ein Missionär, den
man dckorirte! Zu deiner Größe durfte die Gemeinheit nicht hinanspritzen,
deine diamantene Härte durfte nicht bekritzelt werden. Du warst nicht nur
weise, sondern auch klug. Du bargst deine Gedanken in einer Schale, die für
den Geistespöbel uicht zu durchdringen ist. Du warst ein so großer Fabulirer,
daß dn ii" vergoldeten Ministevkleide gehen und von eben den Leuten bewundert
und gelobt werden konntest, deren innerstes Wesen du mit der Ferse zer¬
tratest! Aber wärest du uicht doch deinem Volke und der Welt mehr gewesen,
wem? du dich nicht gescheut hättest, dein Kreuz auf dich zu nehmen? Da
sagen die Menschen, daß die Erfahrung den Dichter klare, und sie loben deine
spätern Werke als die reifern. Ach ja, es mag wohl wahr sein, aber das


Die Grafen von Altenschwerdt.

Fett liegende» Cotelettes und die runzligen Pflaumen in dein Menageporzcllan
auf dem Sophatisch.

O welch ein hartes Loos ist es doch, Schriftsteller zu sein und uicht ver¬
standen zu inertem von den guten Leute», denen man helfen möchte! Da sieht
man das Wahre so deutlich vor sich, und das arme Volk, das man glücklich
machen möchte, steinigt den Wohlthäter. Gar nicht zu reden von dem traurigen
Schicksal, einem innern Drange zu folgen, der uns unwiderstehlich zur Schön¬
heit der Ideale hinanzieht, und doch dabei mit schweren Ketten vor den Mist¬
wagen der Nützlichkeit gespannt zu sein und die Hiebe des Knechtes zu fühlen, der
mit uns seinen Tagelohn verdienen will! Sollte dieser Mann, der die Literatur wie
einen Handel mit Käse und Heringen betrachtet, doch am Ende Recht haben? Sollte
es wahr sein, daß die Menschen unverbesserlich sind? O nein, es ist nicht wahr! Wenn
ich wirklich denken müßte, daß sie niemals empfänglich gemacht werden könnten für die
Wahrheit, so würde ich es ganz aufgeben Schriftsteller zu sein und wieder zurück¬
kehren zu meinem Beruf des Lehrers der jungen Leute, bei deuen doch wenigstens
die Fähigkeit des Enthusiasmus noch nicht abgestorben ist. Aber nein! Ich
will die Hand so schnell noch nicht zurückziehen vom Pfluge. Aus Redakteuren
ist el» hoher und heiliger Beruf verliehen, und die Mühsal und Undankbarkeit
darf uus nicht schrecken. Geduld und Sanftmut muß das Feuer lindern. Wir
müssen bedenken, daß es ja eben die große Masse der Unmündigen ist, die uns
als den Einsichtigen Wert verleiht, denn was wären wir und welchen Nutzen
hätten wir, wenn alle so dächten wie wir und mit solcher Klarheit wie wir
hineinblickten in die verschlungenen Fäden der politischen und sozialen Verhält¬
nisse? Ertragen wir also die Püffe und Schläge, ertragen wir Verkennung,
Entrüstung und Haß, wie der edelherzige und liebevolle Moffat und der mut¬
volle, langmütige Livingstone die Beleidigungen und Verfolgungen der armen
Schwarzen ertragen und zuletzt doch mit der Milch ihrer Sanftmut und Geduld
besiegt haben! Freilich, es ist eine schwere Aufgabe!

Er blieb vor seinem Büchcrpult stehen und las mit melancholischen Lächeln
den Namen Goethe. Du freilich, großer Mann, verstandest beides! Du wußtest
das Schöne mit dem Nützlichen zu vereinigen! Du warst ein Missionär, den
man dckorirte! Zu deiner Größe durfte die Gemeinheit nicht hinanspritzen,
deine diamantene Härte durfte nicht bekritzelt werden. Du warst nicht nur
weise, sondern auch klug. Du bargst deine Gedanken in einer Schale, die für
den Geistespöbel uicht zu durchdringen ist. Du warst ein so großer Fabulirer,
daß dn ii» vergoldeten Ministevkleide gehen und von eben den Leuten bewundert
und gelobt werden konntest, deren innerstes Wesen du mit der Ferse zer¬
tratest! Aber wärest du uicht doch deinem Volke und der Welt mehr gewesen,
wem? du dich nicht gescheut hättest, dein Kreuz auf dich zu nehmen? Da
sagen die Menschen, daß die Erfahrung den Dichter klare, und sie loben deine
spätern Werke als die reifern. Ach ja, es mag wohl wahr sein, aber das


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[0219] Die Grafen von Altenschwerdt. Fett liegende» Cotelettes und die runzligen Pflaumen in dein Menageporzcllan auf dem Sophatisch. O welch ein hartes Loos ist es doch, Schriftsteller zu sein und uicht ver¬ standen zu inertem von den guten Leute», denen man helfen möchte! Da sieht man das Wahre so deutlich vor sich, und das arme Volk, das man glücklich machen möchte, steinigt den Wohlthäter. Gar nicht zu reden von dem traurigen Schicksal, einem innern Drange zu folgen, der uns unwiderstehlich zur Schön¬ heit der Ideale hinanzieht, und doch dabei mit schweren Ketten vor den Mist¬ wagen der Nützlichkeit gespannt zu sein und die Hiebe des Knechtes zu fühlen, der mit uns seinen Tagelohn verdienen will! Sollte dieser Mann, der die Literatur wie einen Handel mit Käse und Heringen betrachtet, doch am Ende Recht haben? Sollte es wahr sein, daß die Menschen unverbesserlich sind? O nein, es ist nicht wahr! Wenn ich wirklich denken müßte, daß sie niemals empfänglich gemacht werden könnten für die Wahrheit, so würde ich es ganz aufgeben Schriftsteller zu sein und wieder zurück¬ kehren zu meinem Beruf des Lehrers der jungen Leute, bei deuen doch wenigstens die Fähigkeit des Enthusiasmus noch nicht abgestorben ist. Aber nein! Ich will die Hand so schnell noch nicht zurückziehen vom Pfluge. Aus Redakteuren ist el» hoher und heiliger Beruf verliehen, und die Mühsal und Undankbarkeit darf uus nicht schrecken. Geduld und Sanftmut muß das Feuer lindern. Wir müssen bedenken, daß es ja eben die große Masse der Unmündigen ist, die uns als den Einsichtigen Wert verleiht, denn was wären wir und welchen Nutzen hätten wir, wenn alle so dächten wie wir und mit solcher Klarheit wie wir hineinblickten in die verschlungenen Fäden der politischen und sozialen Verhält¬ nisse? Ertragen wir also die Püffe und Schläge, ertragen wir Verkennung, Entrüstung und Haß, wie der edelherzige und liebevolle Moffat und der mut¬ volle, langmütige Livingstone die Beleidigungen und Verfolgungen der armen Schwarzen ertragen und zuletzt doch mit der Milch ihrer Sanftmut und Geduld besiegt haben! Freilich, es ist eine schwere Aufgabe! Er blieb vor seinem Büchcrpult stehen und las mit melancholischen Lächeln den Namen Goethe. Du freilich, großer Mann, verstandest beides! Du wußtest das Schöne mit dem Nützlichen zu vereinigen! Du warst ein Missionär, den man dckorirte! Zu deiner Größe durfte die Gemeinheit nicht hinanspritzen, deine diamantene Härte durfte nicht bekritzelt werden. Du warst nicht nur weise, sondern auch klug. Du bargst deine Gedanken in einer Schale, die für den Geistespöbel uicht zu durchdringen ist. Du warst ein so großer Fabulirer, daß dn ii» vergoldeten Ministevkleide gehen und von eben den Leuten bewundert und gelobt werden konntest, deren innerstes Wesen du mit der Ferse zer¬ tratest! Aber wärest du uicht doch deinem Volke und der Welt mehr gewesen, wem? du dich nicht gescheut hättest, dein Kreuz auf dich zu nehmen? Da sagen die Menschen, daß die Erfahrung den Dichter klare, und sie loben deine spätern Werke als die reifern. Ach ja, es mag wohl wahr sein, aber das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/219>, abgerufen am 03.07.2024.