Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altonschwerdt.

erste jugendliche Feuer der Begeisterung ist nicht mehr darin, und der Zweifel
an der Rätlichkeit der Offenbarung hat den Erfahrenen angekränkelt. Die blasse
Rücksicht erkältet gar leicht das Feuer der reinen Menschenliebe, wenn wir ge¬
sehen haben, daß wir uns selbst zum Opfer dieser Flammen darbringen müssen,
und was Reife genannt wird, ist zum großen Teil nur die Kunst der Dissimu¬
lation. Ist es doch von alters her Gebrauch, sich an der Fülle der Lebens¬
weisheit und frommen Schönheit des Dichters zu erfreuen, den Ursprung aber,
aus welchem diese Gaben quellen, nämlich seine Anschauung Gottes und der
Welt, für Wahnsinn zu halten, sodaß der Dichter entmutigt anfängt, das Schönste,
was er bieten könnte, die Wahrheit in ihrer vollen Reinheit, sorgfältig zu ver¬
stecken !

Er warf sich in seinen Sorgenstuhl, barg das Gesicht in den Händen und
grübelte über die Zukunft. Wie würde es ihm am besten gelingen, die Fahne
der Freiheit und der Wahrheit auch ferner hochzuhalten, da seine Verbindung
mit den "Holzfurter Nachrichten" gelöst war?

So lag er, tief in das eigene Innere versenkt, lauge da, als plötzlich sanfte
Töne an sein Ohr schlugen. Das Andante der Sonate Pathetiqne, sein liebstes
Tonstück, regte seine Wellen in der Luft des trauererfüllten Zimmers auf
und löste die Starrheit seiner Brust. Thränen der Wehmut und der Freude
drangen ihm ins Auge, und durch den Flor dieser erleichternden Flut sah er
seine geliebte Schwester Anna, die leise hereingekommen war und ihn verständnis¬
innig durch den Klang des Instrumentes von ihrer Anwesenheit benachrichtigte.

Er hörte bis zu Ende des Satzes lautlos zu, dann wandte Anna sich um,
er schritt aus sie zu, und in langer, zärtlicher Umarmung verschmolz sich das
Geschwisterpaar, das allein in der Welt stand.

Du guter Bruder, sagte Anna endlich, sich aus seinen Armen lösend und
ihr Tuch abwechselnd auf ihre und seine Wangen pressend, um die Spur der
Thränen zu verlöschen, ich fand dich so traurig in dich selbst versunken. Was
es auch sein mag, gräme dich nicht! Wir sind schon über viele Not hinweg¬
gekommen und werden mit Gottes Hilfe auch über andre hinwegkommen.
Und nun laß sehen! Du hast ja noch nicht gegessen! Ach, und alles ist kalt!
Komm, Brüderchen, ich räume das beiseite, und wir machen uns ein Täßchen
Kaffee.

Doch er ließ ihre Hand noch nicht los, ihr dankbar in die freundlichen,
altbekannten Züge blickend.

O du guter Engel! sagte er, sie von neuem in die Arme schließend.

Das junge Mädchen aber machte sich nun geschäftig im Zimmer zu thun,
und dies erhielt nnn bald ein freundlicheres und wohnlicheres Ansehen. Sie
schaffte mit Hilfe der herbeigerufenen Magd das Mittagessen, zu welchem
Dr. Glock keinen Appetit mehr verspürte, hinaus und holte die Spiritusmaschine
herbei, welche in der Jnnggescllcnwirtschaft des Redakteurs eine wichtige Rolle


Die Grafen von Altonschwerdt.

erste jugendliche Feuer der Begeisterung ist nicht mehr darin, und der Zweifel
an der Rätlichkeit der Offenbarung hat den Erfahrenen angekränkelt. Die blasse
Rücksicht erkältet gar leicht das Feuer der reinen Menschenliebe, wenn wir ge¬
sehen haben, daß wir uns selbst zum Opfer dieser Flammen darbringen müssen,
und was Reife genannt wird, ist zum großen Teil nur die Kunst der Dissimu¬
lation. Ist es doch von alters her Gebrauch, sich an der Fülle der Lebens¬
weisheit und frommen Schönheit des Dichters zu erfreuen, den Ursprung aber,
aus welchem diese Gaben quellen, nämlich seine Anschauung Gottes und der
Welt, für Wahnsinn zu halten, sodaß der Dichter entmutigt anfängt, das Schönste,
was er bieten könnte, die Wahrheit in ihrer vollen Reinheit, sorgfältig zu ver¬
stecken !

Er warf sich in seinen Sorgenstuhl, barg das Gesicht in den Händen und
grübelte über die Zukunft. Wie würde es ihm am besten gelingen, die Fahne
der Freiheit und der Wahrheit auch ferner hochzuhalten, da seine Verbindung
mit den „Holzfurter Nachrichten" gelöst war?

So lag er, tief in das eigene Innere versenkt, lauge da, als plötzlich sanfte
Töne an sein Ohr schlugen. Das Andante der Sonate Pathetiqne, sein liebstes
Tonstück, regte seine Wellen in der Luft des trauererfüllten Zimmers auf
und löste die Starrheit seiner Brust. Thränen der Wehmut und der Freude
drangen ihm ins Auge, und durch den Flor dieser erleichternden Flut sah er
seine geliebte Schwester Anna, die leise hereingekommen war und ihn verständnis¬
innig durch den Klang des Instrumentes von ihrer Anwesenheit benachrichtigte.

Er hörte bis zu Ende des Satzes lautlos zu, dann wandte Anna sich um,
er schritt aus sie zu, und in langer, zärtlicher Umarmung verschmolz sich das
Geschwisterpaar, das allein in der Welt stand.

Du guter Bruder, sagte Anna endlich, sich aus seinen Armen lösend und
ihr Tuch abwechselnd auf ihre und seine Wangen pressend, um die Spur der
Thränen zu verlöschen, ich fand dich so traurig in dich selbst versunken. Was
es auch sein mag, gräme dich nicht! Wir sind schon über viele Not hinweg¬
gekommen und werden mit Gottes Hilfe auch über andre hinwegkommen.
Und nun laß sehen! Du hast ja noch nicht gegessen! Ach, und alles ist kalt!
Komm, Brüderchen, ich räume das beiseite, und wir machen uns ein Täßchen
Kaffee.

Doch er ließ ihre Hand noch nicht los, ihr dankbar in die freundlichen,
altbekannten Züge blickend.

O du guter Engel! sagte er, sie von neuem in die Arme schließend.

Das junge Mädchen aber machte sich nun geschäftig im Zimmer zu thun,
und dies erhielt nnn bald ein freundlicheres und wohnlicheres Ansehen. Sie
schaffte mit Hilfe der herbeigerufenen Magd das Mittagessen, zu welchem
Dr. Glock keinen Appetit mehr verspürte, hinaus und holte die Spiritusmaschine
herbei, welche in der Jnnggescllcnwirtschaft des Redakteurs eine wichtige Rolle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152969"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altonschwerdt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_901" prev="#ID_900"> erste jugendliche Feuer der Begeisterung ist nicht mehr darin, und der Zweifel<lb/>
an der Rätlichkeit der Offenbarung hat den Erfahrenen angekränkelt. Die blasse<lb/>
Rücksicht erkältet gar leicht das Feuer der reinen Menschenliebe, wenn wir ge¬<lb/>
sehen haben, daß wir uns selbst zum Opfer dieser Flammen darbringen müssen,<lb/>
und was Reife genannt wird, ist zum großen Teil nur die Kunst der Dissimu¬<lb/>
lation. Ist es doch von alters her Gebrauch, sich an der Fülle der Lebens¬<lb/>
weisheit und frommen Schönheit des Dichters zu erfreuen, den Ursprung aber,<lb/>
aus welchem diese Gaben quellen, nämlich seine Anschauung Gottes und der<lb/>
Welt, für Wahnsinn zu halten, sodaß der Dichter entmutigt anfängt, das Schönste,<lb/>
was er bieten könnte, die Wahrheit in ihrer vollen Reinheit, sorgfältig zu ver¬<lb/>
stecken !</p><lb/>
          <p xml:id="ID_902"> Er warf sich in seinen Sorgenstuhl, barg das Gesicht in den Händen und<lb/>
grübelte über die Zukunft. Wie würde es ihm am besten gelingen, die Fahne<lb/>
der Freiheit und der Wahrheit auch ferner hochzuhalten, da seine Verbindung<lb/>
mit den &#x201E;Holzfurter Nachrichten" gelöst war?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_903"> So lag er, tief in das eigene Innere versenkt, lauge da, als plötzlich sanfte<lb/>
Töne an sein Ohr schlugen. Das Andante der Sonate Pathetiqne, sein liebstes<lb/>
Tonstück, regte seine Wellen in der Luft des trauererfüllten Zimmers auf<lb/>
und löste die Starrheit seiner Brust. Thränen der Wehmut und der Freude<lb/>
drangen ihm ins Auge, und durch den Flor dieser erleichternden Flut sah er<lb/>
seine geliebte Schwester Anna, die leise hereingekommen war und ihn verständnis¬<lb/>
innig durch den Klang des Instrumentes von ihrer Anwesenheit benachrichtigte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_904"> Er hörte bis zu Ende des Satzes lautlos zu, dann wandte Anna sich um,<lb/>
er schritt aus sie zu, und in langer, zärtlicher Umarmung verschmolz sich das<lb/>
Geschwisterpaar, das allein in der Welt stand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_905"> Du guter Bruder, sagte Anna endlich, sich aus seinen Armen lösend und<lb/>
ihr Tuch abwechselnd auf ihre und seine Wangen pressend, um die Spur der<lb/>
Thränen zu verlöschen, ich fand dich so traurig in dich selbst versunken. Was<lb/>
es auch sein mag, gräme dich nicht! Wir sind schon über viele Not hinweg¬<lb/>
gekommen und werden mit Gottes Hilfe auch über andre hinwegkommen.<lb/>
Und nun laß sehen! Du hast ja noch nicht gegessen! Ach, und alles ist kalt!<lb/>
Komm, Brüderchen, ich räume das beiseite, und wir machen uns ein Täßchen<lb/>
Kaffee.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_906"> Doch er ließ ihre Hand noch nicht los, ihr dankbar in die freundlichen,<lb/>
altbekannten Züge blickend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_907"> O du guter Engel! sagte er, sie von neuem in die Arme schließend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_908" next="#ID_909"> Das junge Mädchen aber machte sich nun geschäftig im Zimmer zu thun,<lb/>
und dies erhielt nnn bald ein freundlicheres und wohnlicheres Ansehen. Sie<lb/>
schaffte mit Hilfe der herbeigerufenen Magd das Mittagessen, zu welchem<lb/>
Dr. Glock keinen Appetit mehr verspürte, hinaus und holte die Spiritusmaschine<lb/>
herbei, welche in der Jnnggescllcnwirtschaft des Redakteurs eine wichtige Rolle</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] Die Grafen von Altonschwerdt. erste jugendliche Feuer der Begeisterung ist nicht mehr darin, und der Zweifel an der Rätlichkeit der Offenbarung hat den Erfahrenen angekränkelt. Die blasse Rücksicht erkältet gar leicht das Feuer der reinen Menschenliebe, wenn wir ge¬ sehen haben, daß wir uns selbst zum Opfer dieser Flammen darbringen müssen, und was Reife genannt wird, ist zum großen Teil nur die Kunst der Dissimu¬ lation. Ist es doch von alters her Gebrauch, sich an der Fülle der Lebens¬ weisheit und frommen Schönheit des Dichters zu erfreuen, den Ursprung aber, aus welchem diese Gaben quellen, nämlich seine Anschauung Gottes und der Welt, für Wahnsinn zu halten, sodaß der Dichter entmutigt anfängt, das Schönste, was er bieten könnte, die Wahrheit in ihrer vollen Reinheit, sorgfältig zu ver¬ stecken ! Er warf sich in seinen Sorgenstuhl, barg das Gesicht in den Händen und grübelte über die Zukunft. Wie würde es ihm am besten gelingen, die Fahne der Freiheit und der Wahrheit auch ferner hochzuhalten, da seine Verbindung mit den „Holzfurter Nachrichten" gelöst war? So lag er, tief in das eigene Innere versenkt, lauge da, als plötzlich sanfte Töne an sein Ohr schlugen. Das Andante der Sonate Pathetiqne, sein liebstes Tonstück, regte seine Wellen in der Luft des trauererfüllten Zimmers auf und löste die Starrheit seiner Brust. Thränen der Wehmut und der Freude drangen ihm ins Auge, und durch den Flor dieser erleichternden Flut sah er seine geliebte Schwester Anna, die leise hereingekommen war und ihn verständnis¬ innig durch den Klang des Instrumentes von ihrer Anwesenheit benachrichtigte. Er hörte bis zu Ende des Satzes lautlos zu, dann wandte Anna sich um, er schritt aus sie zu, und in langer, zärtlicher Umarmung verschmolz sich das Geschwisterpaar, das allein in der Welt stand. Du guter Bruder, sagte Anna endlich, sich aus seinen Armen lösend und ihr Tuch abwechselnd auf ihre und seine Wangen pressend, um die Spur der Thränen zu verlöschen, ich fand dich so traurig in dich selbst versunken. Was es auch sein mag, gräme dich nicht! Wir sind schon über viele Not hinweg¬ gekommen und werden mit Gottes Hilfe auch über andre hinwegkommen. Und nun laß sehen! Du hast ja noch nicht gegessen! Ach, und alles ist kalt! Komm, Brüderchen, ich räume das beiseite, und wir machen uns ein Täßchen Kaffee. Doch er ließ ihre Hand noch nicht los, ihr dankbar in die freundlichen, altbekannten Züge blickend. O du guter Engel! sagte er, sie von neuem in die Arme schließend. Das junge Mädchen aber machte sich nun geschäftig im Zimmer zu thun, und dies erhielt nnn bald ein freundlicheres und wohnlicheres Ansehen. Sie schaffte mit Hilfe der herbeigerufenen Magd das Mittagessen, zu welchem Dr. Glock keinen Appetit mehr verspürte, hinaus und holte die Spiritusmaschine herbei, welche in der Jnnggescllcnwirtschaft des Redakteurs eine wichtige Rolle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/220>, abgerufen am 03.07.2024.