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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Schaffung der Welt je eine politische Rolle gespielt haben. In Ihren Artikeln, Herr
Doktor, haben Sie ja vor allem die höhern Stände angegriffen. Dabei müßten wir
bleiben -- das müßte fortgesetzt werden, indem zugleich die Tugend der Arbeiter
gelobt und deren Ziele als die richtigen hingestellt würden. Wir verlören
dreitausend Abonnenten unter der Bourgeoisie und gewännen sechstausend im
vierten Stande.

Herrn Schmidts Gesicht hatte sich unter dem Antrieb der neuen Idee
aufgehellt, und Unternehmungslust blitzte ans seinen Augen, indem er seinen
Redakteur fragend ansah.

Aber aus Dr. Glocks Miene sprach die reinste Entrüstung. Schon bei
einer früheren Gelegenheit hatte Herr Schmidt ähnliche Ideen, doch nicht in so
bestimmter Form, ausgesprochen, und schon damals war der Redakteur tous
und dran gewesen, zu kündigen.

Mein Herr, sagte er in eisigem Tone, ich sehe ein, daß unsre Wege
uicht mehr zusammenführen. Ich habe lange Zeit die immer wiederholten
Kränkungen von Ihrer Seite geduldig, vielleicht zu geduldig, ertragen und selbst
heute Ihre Vorwürfe herunterschlucken wolle". Aber es giebt eine Grenze,
mein Herr, und sie liegt dort, wo es sich um die Ehre handelt. Ich, mein
Herr, gehöre aus innigster Ueberzeugung zu der Partei, welche Sie die charakter¬
loseste Gesellschaft nennen, und ich nenne sie die einzig wahrhaft menschliche, die
gerade deshalb von oben wie von unten mit wahnsinnigem Haß angefeindet wird.
Niemals werde ich die Fahne verlassen, zu welcher ich, wenn nicht mit Hand
und Mund, so doch mit dem Herzen geschworen habe. Ich habe die Ehre, mich
Ihnen zu empfehlen.

Er war aufgestanden und entfernte sich nach einer kalten Verbeugung,
während Herr Schmidt die Achseln zuckte, die Hände in die Taschen steckte
und nachdenklich vor sich hin pfiff.

Dr. Glock ging ruhigen Schrittes nach seiner Wohnung, kümmerte sich
uicht um sein Mittagessen, welches bereits auf dem Tische stand und kalt geworden
war, zog langsam feine Handschuhe ans, legte den Hut an den gewohnten
Platz auf dem Pianino, blickte mit Hellem Gelächter über sich selbst und die
Komödie der Irrungen, welche ihn umgab, im Zimmer umher, als suche er eine
Erklärung für das Unbegreifliche der Welt, und schritt dann finster von einer
Ecke zur audern. Er fing an zu denken, daß er zwar richtig gehandelt habe,
daß er aber doch wohl dem Manne, der ihn gekränkt, einen bedeutenden Schaden
zugefügt haben müsse, da derselbe sonst doch wohl nicht so zornig und aufgeregt
gewesen sein würde. Er überlegte, was er geschrieben hatte, nahm die fraglichen
Nummern zur Hand und las sie aufmerksam. Er biß sich auf die Lippe. Wen"
er die Gedanken des Spaziergängers dnrch die Schmidtsche Brille las, waren
sie allerdings von bedenklicher Natur. Aber wer sollte denn durch ein ver¬
kehrt geschliffenes Glas blicken? Er sah düstern Auges auf die in erstarrtem


Die Grafen von Altenschwerdt.

Schaffung der Welt je eine politische Rolle gespielt haben. In Ihren Artikeln, Herr
Doktor, haben Sie ja vor allem die höhern Stände angegriffen. Dabei müßten wir
bleiben — das müßte fortgesetzt werden, indem zugleich die Tugend der Arbeiter
gelobt und deren Ziele als die richtigen hingestellt würden. Wir verlören
dreitausend Abonnenten unter der Bourgeoisie und gewännen sechstausend im
vierten Stande.

Herrn Schmidts Gesicht hatte sich unter dem Antrieb der neuen Idee
aufgehellt, und Unternehmungslust blitzte ans seinen Augen, indem er seinen
Redakteur fragend ansah.

Aber aus Dr. Glocks Miene sprach die reinste Entrüstung. Schon bei
einer früheren Gelegenheit hatte Herr Schmidt ähnliche Ideen, doch nicht in so
bestimmter Form, ausgesprochen, und schon damals war der Redakteur tous
und dran gewesen, zu kündigen.

Mein Herr, sagte er in eisigem Tone, ich sehe ein, daß unsre Wege
uicht mehr zusammenführen. Ich habe lange Zeit die immer wiederholten
Kränkungen von Ihrer Seite geduldig, vielleicht zu geduldig, ertragen und selbst
heute Ihre Vorwürfe herunterschlucken wolle». Aber es giebt eine Grenze,
mein Herr, und sie liegt dort, wo es sich um die Ehre handelt. Ich, mein
Herr, gehöre aus innigster Ueberzeugung zu der Partei, welche Sie die charakter¬
loseste Gesellschaft nennen, und ich nenne sie die einzig wahrhaft menschliche, die
gerade deshalb von oben wie von unten mit wahnsinnigem Haß angefeindet wird.
Niemals werde ich die Fahne verlassen, zu welcher ich, wenn nicht mit Hand
und Mund, so doch mit dem Herzen geschworen habe. Ich habe die Ehre, mich
Ihnen zu empfehlen.

Er war aufgestanden und entfernte sich nach einer kalten Verbeugung,
während Herr Schmidt die Achseln zuckte, die Hände in die Taschen steckte
und nachdenklich vor sich hin pfiff.

Dr. Glock ging ruhigen Schrittes nach seiner Wohnung, kümmerte sich
uicht um sein Mittagessen, welches bereits auf dem Tische stand und kalt geworden
war, zog langsam feine Handschuhe ans, legte den Hut an den gewohnten
Platz auf dem Pianino, blickte mit Hellem Gelächter über sich selbst und die
Komödie der Irrungen, welche ihn umgab, im Zimmer umher, als suche er eine
Erklärung für das Unbegreifliche der Welt, und schritt dann finster von einer
Ecke zur audern. Er fing an zu denken, daß er zwar richtig gehandelt habe,
daß er aber doch wohl dem Manne, der ihn gekränkt, einen bedeutenden Schaden
zugefügt haben müsse, da derselbe sonst doch wohl nicht so zornig und aufgeregt
gewesen sein würde. Er überlegte, was er geschrieben hatte, nahm die fraglichen
Nummern zur Hand und las sie aufmerksam. Er biß sich auf die Lippe. Wen»
er die Gedanken des Spaziergängers dnrch die Schmidtsche Brille las, waren
sie allerdings von bedenklicher Natur. Aber wer sollte denn durch ein ver¬
kehrt geschliffenes Glas blicken? Er sah düstern Auges auf die in erstarrtem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/218>, abgerufen am 03.07.2024.