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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

Ja, Sie geben es auf, und damit, denken Sie, wäre die Sache gut. Aber
es ist noch etwas andres dabei, und das ist das Ärgste. Kein Mensch in
Holzfurt traut Ihnen zu, daß Sie diese Artikel selbst geschrieben haben. Kein
Mensch glaubt, daß Sie soviel Bosheit und -- wenn Sie es mir nicht übel
nehmen wollen -- so viel Witz hätten. Die Leute sagen, ich steckte dahinter.
Sie sage", deshalb wäre ich auch verreist, ich Hütte in meiner Abwesenheit diese
Bosheiten vom Stapel gelassen. Ich laufe Gefahr, daß mir mein Geschäft
ruinirt wird.

Nun, so schlimm wird es doch wohl nicht sein! sagte Dr. Glock.

So schlimm wird es nicht sein? Die Mensche" vergeben persönliche Be¬
leidigungen niemals, und hier liegen persönliche Beleidigungen vor. Und nicht
allein die Betroffenen sind wütend, sondern alle andern mit. Denn sie sagen:
wenn es diesmal den getroffen hat, trifft es ein andres mal mich selbst. In
jedem Hause sitzt ein Skelett, und jeder fürchtet, daß das seinige ans Tageslicht
gezogen werde. Meine Bank bedarf des Vertrauens, des Kredits, wie jede Bank,
bedarf dessen noch mehr, da sie jung ist. Man wird mich diese Augriffe ent¬
gelten lassen, ich werde es auszubaden haben. Die Suppe, die Sie eingebrockt
haben, muß ich aufessen. Schon lange haben unsere Dickköpfe und Geldprotzen
,,mich auf dem Striche, und jetzt werden sie die Gelegenheit benutzen.

Er stützte den Kopf in die Hände und brütete finster vor sich hin.

Dem Redakteur sing es an leidzuthun, er sah ein, daß manches wahre
in Schmidts Worten enthalten sei, und er versuchte, ihn zu trösten, obwohl
er ein Gefühl inniger Verachtung sowohl der Anschauung des Herrn Schmidt
als auch derer, welche ihm falsche Intentionen unterlegen sollten, nicht unter^
drücken konnte. Er schlug vor, eine Anzeige zu erlasse", worin erklärt würde,
daß er, Dr. Glock, die gehässigen Artikel geschrieben habe, und daß der
Besitzer der Zeitung der Sache ganz fern stehe. Aber weder dieser Vorschlag
noch auch andere Ideen, welche er vorbrachte, gefielen Herrn Schmidt.

Es giebt nur eins, sagte er nach einer langen Pause. Es giebt nur ein
Mittel, ein radikales, um die Situation zu wenden und vielleicht sogar Nutzen
aus ihr zu ziehen. Das ist: wir müssen die Partei tauschen und Sozialdemo¬
kraten werden.

Was? rief Dr. Glock, welcher nicht glaubte seinen Ohren trauen zu dürfen.

Die Sozialdemokraten, fuhr Herr Schmidt kaltblütig fort, fangen an,
eine mächtige Partei zu werden und bringen bei jeder Wahl mehr Kandidaten
dnrch. Es kommt mir anch so vor, als würden sie von der Regierung benutzt,
den Fortschritt in Schach zu halten. Meine Bank stützt sich ihrer Natur nach
hauptsächlich auf die ärmeren Klassen. Vielleicht war es von vornherein ein
Fehler, die Zeitung nicht in sozialistischen Fahrwasser zu halten. Es ist nichts
mit dem Fortschritt und den Liberalen, es ist keine Logik in ihren Programmen,
und sie sind im Grunde die charakterloseste Gesellschaft von allen, welche seit Er-


Gr.nzboren II 1883. 27
Die Grafen von Altenschwerdt.

Ja, Sie geben es auf, und damit, denken Sie, wäre die Sache gut. Aber
es ist noch etwas andres dabei, und das ist das Ärgste. Kein Mensch in
Holzfurt traut Ihnen zu, daß Sie diese Artikel selbst geschrieben haben. Kein
Mensch glaubt, daß Sie soviel Bosheit und — wenn Sie es mir nicht übel
nehmen wollen — so viel Witz hätten. Die Leute sagen, ich steckte dahinter.
Sie sage», deshalb wäre ich auch verreist, ich Hütte in meiner Abwesenheit diese
Bosheiten vom Stapel gelassen. Ich laufe Gefahr, daß mir mein Geschäft
ruinirt wird.

Nun, so schlimm wird es doch wohl nicht sein! sagte Dr. Glock.

So schlimm wird es nicht sein? Die Mensche» vergeben persönliche Be¬
leidigungen niemals, und hier liegen persönliche Beleidigungen vor. Und nicht
allein die Betroffenen sind wütend, sondern alle andern mit. Denn sie sagen:
wenn es diesmal den getroffen hat, trifft es ein andres mal mich selbst. In
jedem Hause sitzt ein Skelett, und jeder fürchtet, daß das seinige ans Tageslicht
gezogen werde. Meine Bank bedarf des Vertrauens, des Kredits, wie jede Bank,
bedarf dessen noch mehr, da sie jung ist. Man wird mich diese Augriffe ent¬
gelten lassen, ich werde es auszubaden haben. Die Suppe, die Sie eingebrockt
haben, muß ich aufessen. Schon lange haben unsere Dickköpfe und Geldprotzen
,,mich auf dem Striche, und jetzt werden sie die Gelegenheit benutzen.

Er stützte den Kopf in die Hände und brütete finster vor sich hin.

Dem Redakteur sing es an leidzuthun, er sah ein, daß manches wahre
in Schmidts Worten enthalten sei, und er versuchte, ihn zu trösten, obwohl
er ein Gefühl inniger Verachtung sowohl der Anschauung des Herrn Schmidt
als auch derer, welche ihm falsche Intentionen unterlegen sollten, nicht unter^
drücken konnte. Er schlug vor, eine Anzeige zu erlasse», worin erklärt würde,
daß er, Dr. Glock, die gehässigen Artikel geschrieben habe, und daß der
Besitzer der Zeitung der Sache ganz fern stehe. Aber weder dieser Vorschlag
noch auch andere Ideen, welche er vorbrachte, gefielen Herrn Schmidt.

Es giebt nur eins, sagte er nach einer langen Pause. Es giebt nur ein
Mittel, ein radikales, um die Situation zu wenden und vielleicht sogar Nutzen
aus ihr zu ziehen. Das ist: wir müssen die Partei tauschen und Sozialdemo¬
kraten werden.

Was? rief Dr. Glock, welcher nicht glaubte seinen Ohren trauen zu dürfen.

Die Sozialdemokraten, fuhr Herr Schmidt kaltblütig fort, fangen an,
eine mächtige Partei zu werden und bringen bei jeder Wahl mehr Kandidaten
dnrch. Es kommt mir anch so vor, als würden sie von der Regierung benutzt,
den Fortschritt in Schach zu halten. Meine Bank stützt sich ihrer Natur nach
hauptsächlich auf die ärmeren Klassen. Vielleicht war es von vornherein ein
Fehler, die Zeitung nicht in sozialistischen Fahrwasser zu halten. Es ist nichts
mit dem Fortschritt und den Liberalen, es ist keine Logik in ihren Programmen,
und sie sind im Grunde die charakterloseste Gesellschaft von allen, welche seit Er-


Gr.nzboren II 1883. 27
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[0217] Die Grafen von Altenschwerdt. Ja, Sie geben es auf, und damit, denken Sie, wäre die Sache gut. Aber es ist noch etwas andres dabei, und das ist das Ärgste. Kein Mensch in Holzfurt traut Ihnen zu, daß Sie diese Artikel selbst geschrieben haben. Kein Mensch glaubt, daß Sie soviel Bosheit und — wenn Sie es mir nicht übel nehmen wollen — so viel Witz hätten. Die Leute sagen, ich steckte dahinter. Sie sage», deshalb wäre ich auch verreist, ich Hütte in meiner Abwesenheit diese Bosheiten vom Stapel gelassen. Ich laufe Gefahr, daß mir mein Geschäft ruinirt wird. Nun, so schlimm wird es doch wohl nicht sein! sagte Dr. Glock. So schlimm wird es nicht sein? Die Mensche» vergeben persönliche Be¬ leidigungen niemals, und hier liegen persönliche Beleidigungen vor. Und nicht allein die Betroffenen sind wütend, sondern alle andern mit. Denn sie sagen: wenn es diesmal den getroffen hat, trifft es ein andres mal mich selbst. In jedem Hause sitzt ein Skelett, und jeder fürchtet, daß das seinige ans Tageslicht gezogen werde. Meine Bank bedarf des Vertrauens, des Kredits, wie jede Bank, bedarf dessen noch mehr, da sie jung ist. Man wird mich diese Augriffe ent¬ gelten lassen, ich werde es auszubaden haben. Die Suppe, die Sie eingebrockt haben, muß ich aufessen. Schon lange haben unsere Dickköpfe und Geldprotzen ,,mich auf dem Striche, und jetzt werden sie die Gelegenheit benutzen. Er stützte den Kopf in die Hände und brütete finster vor sich hin. Dem Redakteur sing es an leidzuthun, er sah ein, daß manches wahre in Schmidts Worten enthalten sei, und er versuchte, ihn zu trösten, obwohl er ein Gefühl inniger Verachtung sowohl der Anschauung des Herrn Schmidt als auch derer, welche ihm falsche Intentionen unterlegen sollten, nicht unter^ drücken konnte. Er schlug vor, eine Anzeige zu erlasse», worin erklärt würde, daß er, Dr. Glock, die gehässigen Artikel geschrieben habe, und daß der Besitzer der Zeitung der Sache ganz fern stehe. Aber weder dieser Vorschlag noch auch andere Ideen, welche er vorbrachte, gefielen Herrn Schmidt. Es giebt nur eins, sagte er nach einer langen Pause. Es giebt nur ein Mittel, ein radikales, um die Situation zu wenden und vielleicht sogar Nutzen aus ihr zu ziehen. Das ist: wir müssen die Partei tauschen und Sozialdemo¬ kraten werden. Was? rief Dr. Glock, welcher nicht glaubte seinen Ohren trauen zu dürfen. Die Sozialdemokraten, fuhr Herr Schmidt kaltblütig fort, fangen an, eine mächtige Partei zu werden und bringen bei jeder Wahl mehr Kandidaten dnrch. Es kommt mir anch so vor, als würden sie von der Regierung benutzt, den Fortschritt in Schach zu halten. Meine Bank stützt sich ihrer Natur nach hauptsächlich auf die ärmeren Klassen. Vielleicht war es von vornherein ein Fehler, die Zeitung nicht in sozialistischen Fahrwasser zu halten. Es ist nichts mit dem Fortschritt und den Liberalen, es ist keine Logik in ihren Programmen, und sie sind im Grunde die charakterloseste Gesellschaft von allen, welche seit Er- Gr.nzboren II 1883. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/217>, abgerufen am 03.07.2024.