Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Grafen von Altenschwerdt.

zwischen König Heinrich und dem herrschsüchtigen Papst Gregor beschäftigt als
mit der ihn umgebenden realen Welt.

So ging er eines Vormittags vom Redaktionszimmer aus gemächlich durch
die Straße nach einem in der Vorstadt liegenden kleinen Wirtshause, wo er
einen schattigen Winkel im Garten zum Meditireu besonders günstig gefunden
hatte, und wo er vor Tisch ein Glas Wermut zu trinken pflegte. Er trat unter¬
wegs in einem Bäckerladen vor, um sich einige Zuckerbretzeln zu kaufen, die er
gern zum Wermut knupperte, und schritt, den Kopf voll Versfüßen, sachte dahin.
Die Sonne war nicht eben drückend an diesem Morgen. Je weiter er sich vom
Mittelpunkte der Stadt entfernte, desto häufiger wurden die Gurte" mit dem
erfrischenden Grün und freundliche!! Blumenschmuck, Die Finken ließen ihren
hellen Schlag vou den Zweigen der Bäume herab ertönen, noch andres kleines,
lustiges geflügeltes Volk huschte im Vlütterwerk umher, und Dr. Glock dachte
stillvergnügt, die Welt sei doch schön.

Als er in den Garten des kleinen, um diese Zeit wenig besuchten, Wirts¬
hauses trat, fand er ihn zu seiner Freude ganz verlassen, bis auf drei kleine
Mädchen, die mit ihren Puppen auf dem Rasen saßen. Er zog sich in seinen
gewohnten Winkel unter den Zweigen der Traueresche zurück, ließ sich seinen
Wermut auf den grüngestrichenen Tisch setzen, blinzelte durch das Laub nach
dem blauen Himmel und befand sich im Geiste im Schloßhofe von Kanossa.

Hier muß der Schwerpunkt des Stückes liegen, sagte er sich, indem er eine
Bretzel verzehrte und in kleinen Schlucken dazu von dem Getränk nippte. Diese
großartige Szene muß den vierten Akt beschließen, und dann muß im fünften
Akt der notwendige Zusammenbruch des gedemütigten Fürsten erfolgen. Elend
und zerschmettert werde ich ihn in Köln auftreten lassen. Der jetzige Streit
mit der übermütigen Kurie giebt meinem Stücke einen lebendigen Hintergrund,
und ich fühle, wie mir neue glühende Empfindungen zuströmen, indem ich sehe,
daß der alte Antagonismus zwischen dem deutschen Könige und dem gekrönten
Priester noch mit derselben Gewalt tobt wie vor so vielen Jahrhunderten.

Während er so sann, hatte sich eines der kleinen Mädchen, durch den An¬
blick der Zuckerbretzeln angelockt, dem Tische genähert. Dr. Glock sah das Ge¬
sichtchen mit großen blauen Augen über den Rand lugen und nickte ihm zu.

Willst du auch ein Stück? fragte er.

Das Kind nickte.

Dr. Glock gab ihm ab und sah alsbald auch die beiden andern Mädchen
herankommen. Er schenkte ihnen allen und lächelte über die vergnügten Mienen
der Kinder, die in stummer Dankbarkeit lauten und keinen Blick von ihm ab¬
wandten.

Nach und nach kam er mit ihnen ins Gespräch, halb mit der Tragödie,
halb mit den kleinen, zutraulichen Dingern beschäftigt, und ließ sich ihre Puppen
zeigen. Es war ein Husar, aus Wolle gestrickt, mit sehr roten Backen, und


Die Grafen von Altenschwerdt.

zwischen König Heinrich und dem herrschsüchtigen Papst Gregor beschäftigt als
mit der ihn umgebenden realen Welt.

So ging er eines Vormittags vom Redaktionszimmer aus gemächlich durch
die Straße nach einem in der Vorstadt liegenden kleinen Wirtshause, wo er
einen schattigen Winkel im Garten zum Meditireu besonders günstig gefunden
hatte, und wo er vor Tisch ein Glas Wermut zu trinken pflegte. Er trat unter¬
wegs in einem Bäckerladen vor, um sich einige Zuckerbretzeln zu kaufen, die er
gern zum Wermut knupperte, und schritt, den Kopf voll Versfüßen, sachte dahin.
Die Sonne war nicht eben drückend an diesem Morgen. Je weiter er sich vom
Mittelpunkte der Stadt entfernte, desto häufiger wurden die Gurte» mit dem
erfrischenden Grün und freundliche!! Blumenschmuck, Die Finken ließen ihren
hellen Schlag vou den Zweigen der Bäume herab ertönen, noch andres kleines,
lustiges geflügeltes Volk huschte im Vlütterwerk umher, und Dr. Glock dachte
stillvergnügt, die Welt sei doch schön.

Als er in den Garten des kleinen, um diese Zeit wenig besuchten, Wirts¬
hauses trat, fand er ihn zu seiner Freude ganz verlassen, bis auf drei kleine
Mädchen, die mit ihren Puppen auf dem Rasen saßen. Er zog sich in seinen
gewohnten Winkel unter den Zweigen der Traueresche zurück, ließ sich seinen
Wermut auf den grüngestrichenen Tisch setzen, blinzelte durch das Laub nach
dem blauen Himmel und befand sich im Geiste im Schloßhofe von Kanossa.

Hier muß der Schwerpunkt des Stückes liegen, sagte er sich, indem er eine
Bretzel verzehrte und in kleinen Schlucken dazu von dem Getränk nippte. Diese
großartige Szene muß den vierten Akt beschließen, und dann muß im fünften
Akt der notwendige Zusammenbruch des gedemütigten Fürsten erfolgen. Elend
und zerschmettert werde ich ihn in Köln auftreten lassen. Der jetzige Streit
mit der übermütigen Kurie giebt meinem Stücke einen lebendigen Hintergrund,
und ich fühle, wie mir neue glühende Empfindungen zuströmen, indem ich sehe,
daß der alte Antagonismus zwischen dem deutschen Könige und dem gekrönten
Priester noch mit derselben Gewalt tobt wie vor so vielen Jahrhunderten.

Während er so sann, hatte sich eines der kleinen Mädchen, durch den An¬
blick der Zuckerbretzeln angelockt, dem Tische genähert. Dr. Glock sah das Ge¬
sichtchen mit großen blauen Augen über den Rand lugen und nickte ihm zu.

Willst du auch ein Stück? fragte er.

Das Kind nickte.

Dr. Glock gab ihm ab und sah alsbald auch die beiden andern Mädchen
herankommen. Er schenkte ihnen allen und lächelte über die vergnügten Mienen
der Kinder, die in stummer Dankbarkeit lauten und keinen Blick von ihm ab¬
wandten.

Nach und nach kam er mit ihnen ins Gespräch, halb mit der Tragödie,
halb mit den kleinen, zutraulichen Dingern beschäftigt, und ließ sich ihre Puppen
zeigen. Es war ein Husar, aus Wolle gestrickt, mit sehr roten Backen, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152960"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Grafen von Altenschwerdt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> zwischen König Heinrich und dem herrschsüchtigen Papst Gregor beschäftigt als<lb/>
mit der ihn umgebenden realen Welt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_842"> So ging er eines Vormittags vom Redaktionszimmer aus gemächlich durch<lb/>
die Straße nach einem in der Vorstadt liegenden kleinen Wirtshause, wo er<lb/>
einen schattigen Winkel im Garten zum Meditireu besonders günstig gefunden<lb/>
hatte, und wo er vor Tisch ein Glas Wermut zu trinken pflegte. Er trat unter¬<lb/>
wegs in einem Bäckerladen vor, um sich einige Zuckerbretzeln zu kaufen, die er<lb/>
gern zum Wermut knupperte, und schritt, den Kopf voll Versfüßen, sachte dahin.<lb/>
Die Sonne war nicht eben drückend an diesem Morgen. Je weiter er sich vom<lb/>
Mittelpunkte der Stadt entfernte, desto häufiger wurden die Gurte» mit dem<lb/>
erfrischenden Grün und freundliche!! Blumenschmuck, Die Finken ließen ihren<lb/>
hellen Schlag vou den Zweigen der Bäume herab ertönen, noch andres kleines,<lb/>
lustiges geflügeltes Volk huschte im Vlütterwerk umher, und Dr. Glock dachte<lb/>
stillvergnügt, die Welt sei doch schön.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_843"> Als er in den Garten des kleinen, um diese Zeit wenig besuchten, Wirts¬<lb/>
hauses trat, fand er ihn zu seiner Freude ganz verlassen, bis auf drei kleine<lb/>
Mädchen, die mit ihren Puppen auf dem Rasen saßen. Er zog sich in seinen<lb/>
gewohnten Winkel unter den Zweigen der Traueresche zurück, ließ sich seinen<lb/>
Wermut auf den grüngestrichenen Tisch setzen, blinzelte durch das Laub nach<lb/>
dem blauen Himmel und befand sich im Geiste im Schloßhofe von Kanossa.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_844"> Hier muß der Schwerpunkt des Stückes liegen, sagte er sich, indem er eine<lb/>
Bretzel verzehrte und in kleinen Schlucken dazu von dem Getränk nippte. Diese<lb/>
großartige Szene muß den vierten Akt beschließen, und dann muß im fünften<lb/>
Akt der notwendige Zusammenbruch des gedemütigten Fürsten erfolgen. Elend<lb/>
und zerschmettert werde ich ihn in Köln auftreten lassen. Der jetzige Streit<lb/>
mit der übermütigen Kurie giebt meinem Stücke einen lebendigen Hintergrund,<lb/>
und ich fühle, wie mir neue glühende Empfindungen zuströmen, indem ich sehe,<lb/>
daß der alte Antagonismus zwischen dem deutschen Könige und dem gekrönten<lb/>
Priester noch mit derselben Gewalt tobt wie vor so vielen Jahrhunderten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_845"> Während er so sann, hatte sich eines der kleinen Mädchen, durch den An¬<lb/>
blick der Zuckerbretzeln angelockt, dem Tische genähert. Dr. Glock sah das Ge¬<lb/>
sichtchen mit großen blauen Augen über den Rand lugen und nickte ihm zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846"> Willst du auch ein Stück? fragte er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_847"> Das Kind nickte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_848"> Dr. Glock gab ihm ab und sah alsbald auch die beiden andern Mädchen<lb/>
herankommen. Er schenkte ihnen allen und lächelte über die vergnügten Mienen<lb/>
der Kinder, die in stummer Dankbarkeit lauten und keinen Blick von ihm ab¬<lb/>
wandten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_849" next="#ID_850"> Nach und nach kam er mit ihnen ins Gespräch, halb mit der Tragödie,<lb/>
halb mit den kleinen, zutraulichen Dingern beschäftigt, und ließ sich ihre Puppen<lb/>
zeigen.  Es war ein Husar, aus Wolle gestrickt, mit sehr roten Backen, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0211] Die Grafen von Altenschwerdt. zwischen König Heinrich und dem herrschsüchtigen Papst Gregor beschäftigt als mit der ihn umgebenden realen Welt. So ging er eines Vormittags vom Redaktionszimmer aus gemächlich durch die Straße nach einem in der Vorstadt liegenden kleinen Wirtshause, wo er einen schattigen Winkel im Garten zum Meditireu besonders günstig gefunden hatte, und wo er vor Tisch ein Glas Wermut zu trinken pflegte. Er trat unter¬ wegs in einem Bäckerladen vor, um sich einige Zuckerbretzeln zu kaufen, die er gern zum Wermut knupperte, und schritt, den Kopf voll Versfüßen, sachte dahin. Die Sonne war nicht eben drückend an diesem Morgen. Je weiter er sich vom Mittelpunkte der Stadt entfernte, desto häufiger wurden die Gurte» mit dem erfrischenden Grün und freundliche!! Blumenschmuck, Die Finken ließen ihren hellen Schlag vou den Zweigen der Bäume herab ertönen, noch andres kleines, lustiges geflügeltes Volk huschte im Vlütterwerk umher, und Dr. Glock dachte stillvergnügt, die Welt sei doch schön. Als er in den Garten des kleinen, um diese Zeit wenig besuchten, Wirts¬ hauses trat, fand er ihn zu seiner Freude ganz verlassen, bis auf drei kleine Mädchen, die mit ihren Puppen auf dem Rasen saßen. Er zog sich in seinen gewohnten Winkel unter den Zweigen der Traueresche zurück, ließ sich seinen Wermut auf den grüngestrichenen Tisch setzen, blinzelte durch das Laub nach dem blauen Himmel und befand sich im Geiste im Schloßhofe von Kanossa. Hier muß der Schwerpunkt des Stückes liegen, sagte er sich, indem er eine Bretzel verzehrte und in kleinen Schlucken dazu von dem Getränk nippte. Diese großartige Szene muß den vierten Akt beschließen, und dann muß im fünften Akt der notwendige Zusammenbruch des gedemütigten Fürsten erfolgen. Elend und zerschmettert werde ich ihn in Köln auftreten lassen. Der jetzige Streit mit der übermütigen Kurie giebt meinem Stücke einen lebendigen Hintergrund, und ich fühle, wie mir neue glühende Empfindungen zuströmen, indem ich sehe, daß der alte Antagonismus zwischen dem deutschen Könige und dem gekrönten Priester noch mit derselben Gewalt tobt wie vor so vielen Jahrhunderten. Während er so sann, hatte sich eines der kleinen Mädchen, durch den An¬ blick der Zuckerbretzeln angelockt, dem Tische genähert. Dr. Glock sah das Ge¬ sichtchen mit großen blauen Augen über den Rand lugen und nickte ihm zu. Willst du auch ein Stück? fragte er. Das Kind nickte. Dr. Glock gab ihm ab und sah alsbald auch die beiden andern Mädchen herankommen. Er schenkte ihnen allen und lächelte über die vergnügten Mienen der Kinder, die in stummer Dankbarkeit lauten und keinen Blick von ihm ab¬ wandten. Nach und nach kam er mit ihnen ins Gespräch, halb mit der Tragödie, halb mit den kleinen, zutraulichen Dingern beschäftigt, und ließ sich ihre Puppen zeigen. Es war ein Husar, aus Wolle gestrickt, mit sehr roten Backen, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/211
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/211>, abgerufen am 03.07.2024.