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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

mischen Ziffern I, II und III, eine zusammenhängende Schilderung der sozialen
Verhältnisse in deutschen Mittelstädten enthielten. Sie führten den harmlosen
Titel: "Gedanken eines Spaziergängers," aber sie waren den gebräuchlichen
Gedanken eines Holzfurter Spaziergängers so unähnlich, daß man allgemein
nicht umhin konnte, darüber in peinliche Verwunderung zu geraten. Wenn
einige maßgebenden Persönlichkeiten der Bürgerressource und des adlichen Ka¬
sinos Recht hatten, so bezweckten diese Artikel nichts andres als eine zersetzende
Kritik und boshafte Persiflage der ehrwürdigsten Institutionen Holzfurts. Wenn
die Frau Präsidentin von Randow und die Frau Direktorin Feddersen sich
nicht irrten, so waren gewisse Wendungen und Bezeichnungen in diesen Artikeln
persönliche Beleidigungen der achtbarsten und angesehensten Männer und Frauen
der Holzfurter Gesellschaft. Kommerzienrat Knath stand nicht an zu behaupten,
daß der Verfasser der Gedanken eines Spaziergängers eine hämische Canaille
sein müsse, und der Rittergutsbesitzer Vluhm meinte, daß demselben die nähere
Bekanntschaft mit einem Strohbund und einer Großknechtspeitsche gesund sein
möchte. Der Apotheker Mertens, dessen zarte Frau bei dem ehrgeizigen Unter¬
nehmen, einem zwölften Kinde das Leben zu geben, verschieden war, fand etwas
Unsittliches in der Bloßstellung intimer Verhältnisse von Privatpersonen, und
der Notar Stievensen, welcher sich ein Vermögen in geschickter Vertauschung der
Besitztitel von Häusern und Grundstücken erworben hatte, sprach die Ansicht aus,
daß die Sache eine Infamie sei und daß man den Spaziergänger wegen Ver¬
gehen gegen Paragraph so und so gerichtlich belangen könne. Ein jeder sah
ein, daß der Redakteur der Zeitung, Dr. Glock, zunächst zur Verantwortung zu
ziehen sei, und niemand begriff, daß ein so sanftmütig aussehender Mensch eine
so niederträchtige und schadenfrohe Gesinnung hegen könne, weshalb man denn
allgemein vermutete, daß jemand anders dahinterstecke.

Dem Dr. Glock selber war es seit einigen Tagen aufgefallen, daß einige
seiner Bekannten, denen er auf der Straße begegnet war, ihn nicht gesehen und
seinen Gruß nicht erwiedert hatten. Da er aber selbst kurzsichtig und sehr ge¬
neigt war, Kurzsichtigkeit bei andern zu entschuldigen, hatte er nicht sehr darauf
geachtet. Einen Stammtisch zu besuchen, hatte er nicht die Gewohnheit, da er
bis in die tiefe Nacht hinein zu arbeiten hatte. Dazu fühlte sich seine Seele
seit der Abreise des Herrn Schmidt so erleichtert, daß in ihr der Gedanke an
eine vor Jahren angefangene Tragödie aus der deutschen Geschichte wieder auf¬
getaucht war und er angefangen hatte, in seinen Mußestunden daran zu arbeiten.
So war bei ihm die Angelegenheit des "Spaziergängers," welcher ja nun im
Stande der Druckreife war und keiner Feile mehr bedürfte, in den Hintergrund
getreten, und sein Interesse an der Wirkung desselben hatte nachgelassen, nun
es nicht mehr fraglich war, ob derselbe das Licht der Welt erblicken würde.
I)r. Glock ließ sich, um ganz ungestört seinen dichterischen Erfindungen nach¬
gehen zu können, sein Essen ins Haus tragen, und war mehr mit dem Streite


Die Grafen von Altenschwerdt.

mischen Ziffern I, II und III, eine zusammenhängende Schilderung der sozialen
Verhältnisse in deutschen Mittelstädten enthielten. Sie führten den harmlosen
Titel: „Gedanken eines Spaziergängers," aber sie waren den gebräuchlichen
Gedanken eines Holzfurter Spaziergängers so unähnlich, daß man allgemein
nicht umhin konnte, darüber in peinliche Verwunderung zu geraten. Wenn
einige maßgebenden Persönlichkeiten der Bürgerressource und des adlichen Ka¬
sinos Recht hatten, so bezweckten diese Artikel nichts andres als eine zersetzende
Kritik und boshafte Persiflage der ehrwürdigsten Institutionen Holzfurts. Wenn
die Frau Präsidentin von Randow und die Frau Direktorin Feddersen sich
nicht irrten, so waren gewisse Wendungen und Bezeichnungen in diesen Artikeln
persönliche Beleidigungen der achtbarsten und angesehensten Männer und Frauen
der Holzfurter Gesellschaft. Kommerzienrat Knath stand nicht an zu behaupten,
daß der Verfasser der Gedanken eines Spaziergängers eine hämische Canaille
sein müsse, und der Rittergutsbesitzer Vluhm meinte, daß demselben die nähere
Bekanntschaft mit einem Strohbund und einer Großknechtspeitsche gesund sein
möchte. Der Apotheker Mertens, dessen zarte Frau bei dem ehrgeizigen Unter¬
nehmen, einem zwölften Kinde das Leben zu geben, verschieden war, fand etwas
Unsittliches in der Bloßstellung intimer Verhältnisse von Privatpersonen, und
der Notar Stievensen, welcher sich ein Vermögen in geschickter Vertauschung der
Besitztitel von Häusern und Grundstücken erworben hatte, sprach die Ansicht aus,
daß die Sache eine Infamie sei und daß man den Spaziergänger wegen Ver¬
gehen gegen Paragraph so und so gerichtlich belangen könne. Ein jeder sah
ein, daß der Redakteur der Zeitung, Dr. Glock, zunächst zur Verantwortung zu
ziehen sei, und niemand begriff, daß ein so sanftmütig aussehender Mensch eine
so niederträchtige und schadenfrohe Gesinnung hegen könne, weshalb man denn
allgemein vermutete, daß jemand anders dahinterstecke.

Dem Dr. Glock selber war es seit einigen Tagen aufgefallen, daß einige
seiner Bekannten, denen er auf der Straße begegnet war, ihn nicht gesehen und
seinen Gruß nicht erwiedert hatten. Da er aber selbst kurzsichtig und sehr ge¬
neigt war, Kurzsichtigkeit bei andern zu entschuldigen, hatte er nicht sehr darauf
geachtet. Einen Stammtisch zu besuchen, hatte er nicht die Gewohnheit, da er
bis in die tiefe Nacht hinein zu arbeiten hatte. Dazu fühlte sich seine Seele
seit der Abreise des Herrn Schmidt so erleichtert, daß in ihr der Gedanke an
eine vor Jahren angefangene Tragödie aus der deutschen Geschichte wieder auf¬
getaucht war und er angefangen hatte, in seinen Mußestunden daran zu arbeiten.
So war bei ihm die Angelegenheit des „Spaziergängers," welcher ja nun im
Stande der Druckreife war und keiner Feile mehr bedürfte, in den Hintergrund
getreten, und sein Interesse an der Wirkung desselben hatte nachgelassen, nun
es nicht mehr fraglich war, ob derselbe das Licht der Welt erblicken würde.
I)r. Glock ließ sich, um ganz ungestört seinen dichterischen Erfindungen nach¬
gehen zu können, sein Essen ins Haus tragen, und war mehr mit dem Streite


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[0210] Die Grafen von Altenschwerdt. mischen Ziffern I, II und III, eine zusammenhängende Schilderung der sozialen Verhältnisse in deutschen Mittelstädten enthielten. Sie führten den harmlosen Titel: „Gedanken eines Spaziergängers," aber sie waren den gebräuchlichen Gedanken eines Holzfurter Spaziergängers so unähnlich, daß man allgemein nicht umhin konnte, darüber in peinliche Verwunderung zu geraten. Wenn einige maßgebenden Persönlichkeiten der Bürgerressource und des adlichen Ka¬ sinos Recht hatten, so bezweckten diese Artikel nichts andres als eine zersetzende Kritik und boshafte Persiflage der ehrwürdigsten Institutionen Holzfurts. Wenn die Frau Präsidentin von Randow und die Frau Direktorin Feddersen sich nicht irrten, so waren gewisse Wendungen und Bezeichnungen in diesen Artikeln persönliche Beleidigungen der achtbarsten und angesehensten Männer und Frauen der Holzfurter Gesellschaft. Kommerzienrat Knath stand nicht an zu behaupten, daß der Verfasser der Gedanken eines Spaziergängers eine hämische Canaille sein müsse, und der Rittergutsbesitzer Vluhm meinte, daß demselben die nähere Bekanntschaft mit einem Strohbund und einer Großknechtspeitsche gesund sein möchte. Der Apotheker Mertens, dessen zarte Frau bei dem ehrgeizigen Unter¬ nehmen, einem zwölften Kinde das Leben zu geben, verschieden war, fand etwas Unsittliches in der Bloßstellung intimer Verhältnisse von Privatpersonen, und der Notar Stievensen, welcher sich ein Vermögen in geschickter Vertauschung der Besitztitel von Häusern und Grundstücken erworben hatte, sprach die Ansicht aus, daß die Sache eine Infamie sei und daß man den Spaziergänger wegen Ver¬ gehen gegen Paragraph so und so gerichtlich belangen könne. Ein jeder sah ein, daß der Redakteur der Zeitung, Dr. Glock, zunächst zur Verantwortung zu ziehen sei, und niemand begriff, daß ein so sanftmütig aussehender Mensch eine so niederträchtige und schadenfrohe Gesinnung hegen könne, weshalb man denn allgemein vermutete, daß jemand anders dahinterstecke. Dem Dr. Glock selber war es seit einigen Tagen aufgefallen, daß einige seiner Bekannten, denen er auf der Straße begegnet war, ihn nicht gesehen und seinen Gruß nicht erwiedert hatten. Da er aber selbst kurzsichtig und sehr ge¬ neigt war, Kurzsichtigkeit bei andern zu entschuldigen, hatte er nicht sehr darauf geachtet. Einen Stammtisch zu besuchen, hatte er nicht die Gewohnheit, da er bis in die tiefe Nacht hinein zu arbeiten hatte. Dazu fühlte sich seine Seele seit der Abreise des Herrn Schmidt so erleichtert, daß in ihr der Gedanke an eine vor Jahren angefangene Tragödie aus der deutschen Geschichte wieder auf¬ getaucht war und er angefangen hatte, in seinen Mußestunden daran zu arbeiten. So war bei ihm die Angelegenheit des „Spaziergängers," welcher ja nun im Stande der Druckreife war und keiner Feile mehr bedürfte, in den Hintergrund getreten, und sein Interesse an der Wirkung desselben hatte nachgelassen, nun es nicht mehr fraglich war, ob derselbe das Licht der Welt erblicken würde. I)r. Glock ließ sich, um ganz ungestört seinen dichterischen Erfindungen nach¬ gehen zu können, sein Essen ins Haus tragen, und war mehr mit dem Streite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/210>, abgerufen am 01.07.2024.