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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.

Straße und sieht von dort bescheiden genug aus. Auf Äußerlichkeiten gab Ju-
eundus nicht viel; vielleicht war es ihm, als einem vorsichtigen Manne, sogar
lieb, daß er sein Vermögen nicht allzusehr zur Schau stellte. Treten wir aber
in das Hans ein, so merken wir bald, daß wir bei einem reichen Manne sind.
Den Empfangssaal schmücken mythologische Gemälde; im Peristyl ist eine große
Jagd dargestellt. Diese Malerei ist jedoch nicht das merkwürdigste, was das
Peristyl barg: beim Nachgraben über einer Thüröffnung, an ganz gut versteckter
Stelle, fand man die Rechnungsbücher des pompejanischen Bankiers.

Das war eine große Neuigkeit; denn Bücher scheinen in Pompeji sehr
selten gewesen zu sein. Während in Herculaneum, von welcher Stadt wir
doch nur wenige Häuser kennen, fast auf den ersten Schlag eine Bibliothek
entdeckt wurde, war in Pompeji in der ganzen langen Ausgrabungszeit von
über hundert Jahren noch kein Wachstäfelchen, keine Papyrusrolle, kein Buch
auf Pergament, keine Bibliothek, kein Archiv irgend welcher Art gefunden worden.
Dieser Umstand ist nicht leicht zu erklären.*) Gewiß war Pompeji kein Ort
zum Studiren, und viele Gelehrte wird es dort kaum gegeben haben; aber
selbst in Vergnügungsstädten sind doch auch gewisse Bücher am Platze. Wenn
heutzutage eine unsrer herrlichen Stationen an der See oder einer unsrer
schönen Thermalbadeorte, die man gleichfalls nicht aufsucht, um sich zu lang¬
weilen, von einer plötzlichen Sturmflut verschlungen würde -- ich glaube,
man fände, nachdem sich die Wasser verlaufen hätten, zwar nicht viele wissen¬
schaftliche Bücher, aber doch eine ganz hübsche Sammlung von Romanen oder
Zeitungen. Auch wenn wir annehmen, daß es in Pompeji keine philosophischen
Werke gab wie in Herculaneum, so müssen doch wenigstens die Dichter, welche
die Liebe besangen, dort gelesen worden sein; finden sich doch ihre Verse überall
auf die Wände gekritzelt. So scheint es, daß man längst ein paar Exemplare
der Elegien des Properz oder der Liebesknust des Ovid hätte entdecken müssen;
aber es ist alles verloren gegangen. Das einzige Anzeichen, welches darauf
schließen läßt, daß die Pompejaner manchmal Bücher kauften und daß sie dem¬
nach auch bei sich zu Hause solche besaßen, ist das Aushängeschild eines Buch¬
ladens nahe bei dem Stabiauer Thore. An dem Geschäft scheinen vier Associes
beteiligt gewesen zu sein. Wenn aber der Laden erhalten ist, so sind die
Bücher leider verschwunden. Man kann sich also leicht die Freude der Ent¬
decker vorstellen, als sie sich am 3. Juli 1875 überzeugten, daß sie, wenn es
auch keine wirkliche Bibliothek war, doch einen Fund gemacht hatten, den man
das Portefeuille des Bankiers Jucundus nennen kann.

Es war eine ziemlich große Kiste. Sie stand in einer Art Nische oberhalb



*) Die wahrscheinlichste Erklärung ist noch, daß die heiße Asche, welche Pompeji begrub,
die Papyrus verzehrt hat, während sie von dem Schlammstrom, der sich über Herculaneum
ergoß und sich dort bis zu 20 Meter Höhe aufstaute, gerade konservirt wurden.
pompejanische Spaziergänge.

Straße und sieht von dort bescheiden genug aus. Auf Äußerlichkeiten gab Ju-
eundus nicht viel; vielleicht war es ihm, als einem vorsichtigen Manne, sogar
lieb, daß er sein Vermögen nicht allzusehr zur Schau stellte. Treten wir aber
in das Hans ein, so merken wir bald, daß wir bei einem reichen Manne sind.
Den Empfangssaal schmücken mythologische Gemälde; im Peristyl ist eine große
Jagd dargestellt. Diese Malerei ist jedoch nicht das merkwürdigste, was das
Peristyl barg: beim Nachgraben über einer Thüröffnung, an ganz gut versteckter
Stelle, fand man die Rechnungsbücher des pompejanischen Bankiers.

Das war eine große Neuigkeit; denn Bücher scheinen in Pompeji sehr
selten gewesen zu sein. Während in Herculaneum, von welcher Stadt wir
doch nur wenige Häuser kennen, fast auf den ersten Schlag eine Bibliothek
entdeckt wurde, war in Pompeji in der ganzen langen Ausgrabungszeit von
über hundert Jahren noch kein Wachstäfelchen, keine Papyrusrolle, kein Buch
auf Pergament, keine Bibliothek, kein Archiv irgend welcher Art gefunden worden.
Dieser Umstand ist nicht leicht zu erklären.*) Gewiß war Pompeji kein Ort
zum Studiren, und viele Gelehrte wird es dort kaum gegeben haben; aber
selbst in Vergnügungsstädten sind doch auch gewisse Bücher am Platze. Wenn
heutzutage eine unsrer herrlichen Stationen an der See oder einer unsrer
schönen Thermalbadeorte, die man gleichfalls nicht aufsucht, um sich zu lang¬
weilen, von einer plötzlichen Sturmflut verschlungen würde — ich glaube,
man fände, nachdem sich die Wasser verlaufen hätten, zwar nicht viele wissen¬
schaftliche Bücher, aber doch eine ganz hübsche Sammlung von Romanen oder
Zeitungen. Auch wenn wir annehmen, daß es in Pompeji keine philosophischen
Werke gab wie in Herculaneum, so müssen doch wenigstens die Dichter, welche
die Liebe besangen, dort gelesen worden sein; finden sich doch ihre Verse überall
auf die Wände gekritzelt. So scheint es, daß man längst ein paar Exemplare
der Elegien des Properz oder der Liebesknust des Ovid hätte entdecken müssen;
aber es ist alles verloren gegangen. Das einzige Anzeichen, welches darauf
schließen läßt, daß die Pompejaner manchmal Bücher kauften und daß sie dem¬
nach auch bei sich zu Hause solche besaßen, ist das Aushängeschild eines Buch¬
ladens nahe bei dem Stabiauer Thore. An dem Geschäft scheinen vier Associes
beteiligt gewesen zu sein. Wenn aber der Laden erhalten ist, so sind die
Bücher leider verschwunden. Man kann sich also leicht die Freude der Ent¬
decker vorstellen, als sie sich am 3. Juli 1875 überzeugten, daß sie, wenn es
auch keine wirkliche Bibliothek war, doch einen Fund gemacht hatten, den man
das Portefeuille des Bankiers Jucundus nennen kann.

Es war eine ziemlich große Kiste. Sie stand in einer Art Nische oberhalb



*) Die wahrscheinlichste Erklärung ist noch, daß die heiße Asche, welche Pompeji begrub,
die Papyrus verzehrt hat, während sie von dem Schlammstrom, der sich über Herculaneum
ergoß und sich dort bis zu 20 Meter Höhe aufstaute, gerade konservirt wurden.
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[0194] pompejanische Spaziergänge. Straße und sieht von dort bescheiden genug aus. Auf Äußerlichkeiten gab Ju- eundus nicht viel; vielleicht war es ihm, als einem vorsichtigen Manne, sogar lieb, daß er sein Vermögen nicht allzusehr zur Schau stellte. Treten wir aber in das Hans ein, so merken wir bald, daß wir bei einem reichen Manne sind. Den Empfangssaal schmücken mythologische Gemälde; im Peristyl ist eine große Jagd dargestellt. Diese Malerei ist jedoch nicht das merkwürdigste, was das Peristyl barg: beim Nachgraben über einer Thüröffnung, an ganz gut versteckter Stelle, fand man die Rechnungsbücher des pompejanischen Bankiers. Das war eine große Neuigkeit; denn Bücher scheinen in Pompeji sehr selten gewesen zu sein. Während in Herculaneum, von welcher Stadt wir doch nur wenige Häuser kennen, fast auf den ersten Schlag eine Bibliothek entdeckt wurde, war in Pompeji in der ganzen langen Ausgrabungszeit von über hundert Jahren noch kein Wachstäfelchen, keine Papyrusrolle, kein Buch auf Pergament, keine Bibliothek, kein Archiv irgend welcher Art gefunden worden. Dieser Umstand ist nicht leicht zu erklären.*) Gewiß war Pompeji kein Ort zum Studiren, und viele Gelehrte wird es dort kaum gegeben haben; aber selbst in Vergnügungsstädten sind doch auch gewisse Bücher am Platze. Wenn heutzutage eine unsrer herrlichen Stationen an der See oder einer unsrer schönen Thermalbadeorte, die man gleichfalls nicht aufsucht, um sich zu lang¬ weilen, von einer plötzlichen Sturmflut verschlungen würde — ich glaube, man fände, nachdem sich die Wasser verlaufen hätten, zwar nicht viele wissen¬ schaftliche Bücher, aber doch eine ganz hübsche Sammlung von Romanen oder Zeitungen. Auch wenn wir annehmen, daß es in Pompeji keine philosophischen Werke gab wie in Herculaneum, so müssen doch wenigstens die Dichter, welche die Liebe besangen, dort gelesen worden sein; finden sich doch ihre Verse überall auf die Wände gekritzelt. So scheint es, daß man längst ein paar Exemplare der Elegien des Properz oder der Liebesknust des Ovid hätte entdecken müssen; aber es ist alles verloren gegangen. Das einzige Anzeichen, welches darauf schließen läßt, daß die Pompejaner manchmal Bücher kauften und daß sie dem¬ nach auch bei sich zu Hause solche besaßen, ist das Aushängeschild eines Buch¬ ladens nahe bei dem Stabiauer Thore. An dem Geschäft scheinen vier Associes beteiligt gewesen zu sein. Wenn aber der Laden erhalten ist, so sind die Bücher leider verschwunden. Man kann sich also leicht die Freude der Ent¬ decker vorstellen, als sie sich am 3. Juli 1875 überzeugten, daß sie, wenn es auch keine wirkliche Bibliothek war, doch einen Fund gemacht hatten, den man das Portefeuille des Bankiers Jucundus nennen kann. Es war eine ziemlich große Kiste. Sie stand in einer Art Nische oberhalb *) Die wahrscheinlichste Erklärung ist noch, daß die heiße Asche, welche Pompeji begrub, die Papyrus verzehrt hat, während sie von dem Schlammstrom, der sich über Herculaneum ergoß und sich dort bis zu 20 Meter Höhe aufstaute, gerade konservirt wurden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/194>, abgerufen am 01.10.2024.