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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

mehr belohnen, kann man gar nicht besser antworten als durch den mit ein
paar Beispielen leicht zu führenden Nachweis, daß die letzten Ausgrabungen
nicht minder glücklich gewesen sind als die ältern.

Zunächst fanden sich immer von neueni interessante Malereien? fast kein
Haus giebt es, worin nicht irgend eine solche vorhanden wäre. Schon das Ver¬
zeichnis, welches Svglicmo von allen während der zwölf Jahre von 1867--1879
entdeckten Wandgemälden anfertigte, zählt über 800 Nummern, darunter eine
ganze Reihe höchst wertvoller Stücke.*) Ich muß mich hier auf das wesentlichste
beschränken und nenne deshalb mir das Orpheusfresko, nicht weil es merkwürdiger
ist als andres, sondern weil mau in einer der Christenkatakomben zu Rom
ein ganz ähnliches gefunden hat. Die beide" Bilder unterscheiden sich von ein¬
ander fast nur durch ihre Größe. Das Gemälde aus Pompeji mißt fast Meter.
So^ ist hier alles einzelne mehr ausgeführt und besser sichtbar als in dem
kleineren, von der Zeit stark mitgenommenen Katakombenbilde; aber im ganzen
stimmen sie überein. Orpheus ist sitzend dargestellt; ein leichter Mantel fällt ihm
von den Schultern auf die Kniee nieder, mit dem Plectrum rührt er die neun-
saitige Leier. Ihm zu Füßen hat der Maler von Pompeji Tiere von mannig¬
facher Art versammelt: einen Löwen, einen Panther, einen Tiger, einen Eber,
einen Hirsch und einen Hasen; weiterhin sind Bäume und Felsen, die der Zauber
seiner Stimme herbeizieht, und ein Bach, der, um ihm länger zuzuhören, seineu
Lauf unterbricht. Der christliche Künstler hat alle diese Tiere weggelassen und
sie durch zwei Schafe ersetzt; unzweifelhaft wollte er an den Guten Hirten
erinnern, der in den ersten Zeiten der Kirche das gewöhnliche, sozusagen offizielle
Abbild Christi war. Im ganzen aber hat er das heidnische Fresko reproduzirt.
Er konnte dies unbedenklich thun: diese schöne, ernste und sanfte Gestalt, die
nur mit dem Thema ihrer Gesänge beschäftigt scheint, ohne die sonderbaren
Wirkungen derselben zu bemerken, hat schon an sich etwas Religiöses. Das
Christentum brauchte nichts daran zu ändern, um sie seinem Gottesdienst und
seinen Glaubenssätzen anzupassen; so hat es denn nicht gezögert, Christus in
der Gestalt darzustellen, welche die Heiden dem thrakischen Sänger gegeben
hatten. Die Vergleichung des Orpheus von Pompeji mit dem der Katakomben
zeigt uns ganz handgreiflich, mit welcher Leichtigkeit von der werdenden Kirche
die antiken Typen entlehnt wurden, und eine wie große Rolle in der Frühzeit
der christlichen Kunst die Nachahmung der griechischen Vorbilder spielte.

Etwas länger müssen wir bei einer sehr merkwürdigen und ganz unver¬
hofften Entdeckung verweilen, welche im Hause des Bankiers L. Caecilius Ju-
cundus gemacht wurde. Auf den ersten Anblick unterscheidet sich dieses Haus
uicht sehr bedeutend von den übrigen, vielmehr liegt es in einer ziemlich engen



Soglicmos Arbeit befindet sich gleichfalls in dem oben angeführten, zum Jahrestage
der Zerstörung von Pompeji hemusgebenen Werke.
Grenzboten II. 1SS3, 24
Pompejanische Spaziergänge.

mehr belohnen, kann man gar nicht besser antworten als durch den mit ein
paar Beispielen leicht zu führenden Nachweis, daß die letzten Ausgrabungen
nicht minder glücklich gewesen sind als die ältern.

Zunächst fanden sich immer von neueni interessante Malereien? fast kein
Haus giebt es, worin nicht irgend eine solche vorhanden wäre. Schon das Ver¬
zeichnis, welches Svglicmo von allen während der zwölf Jahre von 1867—1879
entdeckten Wandgemälden anfertigte, zählt über 800 Nummern, darunter eine
ganze Reihe höchst wertvoller Stücke.*) Ich muß mich hier auf das wesentlichste
beschränken und nenne deshalb mir das Orpheusfresko, nicht weil es merkwürdiger
ist als andres, sondern weil mau in einer der Christenkatakomben zu Rom
ein ganz ähnliches gefunden hat. Die beide» Bilder unterscheiden sich von ein¬
ander fast nur durch ihre Größe. Das Gemälde aus Pompeji mißt fast Meter.
So^ ist hier alles einzelne mehr ausgeführt und besser sichtbar als in dem
kleineren, von der Zeit stark mitgenommenen Katakombenbilde; aber im ganzen
stimmen sie überein. Orpheus ist sitzend dargestellt; ein leichter Mantel fällt ihm
von den Schultern auf die Kniee nieder, mit dem Plectrum rührt er die neun-
saitige Leier. Ihm zu Füßen hat der Maler von Pompeji Tiere von mannig¬
facher Art versammelt: einen Löwen, einen Panther, einen Tiger, einen Eber,
einen Hirsch und einen Hasen; weiterhin sind Bäume und Felsen, die der Zauber
seiner Stimme herbeizieht, und ein Bach, der, um ihm länger zuzuhören, seineu
Lauf unterbricht. Der christliche Künstler hat alle diese Tiere weggelassen und
sie durch zwei Schafe ersetzt; unzweifelhaft wollte er an den Guten Hirten
erinnern, der in den ersten Zeiten der Kirche das gewöhnliche, sozusagen offizielle
Abbild Christi war. Im ganzen aber hat er das heidnische Fresko reproduzirt.
Er konnte dies unbedenklich thun: diese schöne, ernste und sanfte Gestalt, die
nur mit dem Thema ihrer Gesänge beschäftigt scheint, ohne die sonderbaren
Wirkungen derselben zu bemerken, hat schon an sich etwas Religiöses. Das
Christentum brauchte nichts daran zu ändern, um sie seinem Gottesdienst und
seinen Glaubenssätzen anzupassen; so hat es denn nicht gezögert, Christus in
der Gestalt darzustellen, welche die Heiden dem thrakischen Sänger gegeben
hatten. Die Vergleichung des Orpheus von Pompeji mit dem der Katakomben
zeigt uns ganz handgreiflich, mit welcher Leichtigkeit von der werdenden Kirche
die antiken Typen entlehnt wurden, und eine wie große Rolle in der Frühzeit
der christlichen Kunst die Nachahmung der griechischen Vorbilder spielte.

Etwas länger müssen wir bei einer sehr merkwürdigen und ganz unver¬
hofften Entdeckung verweilen, welche im Hause des Bankiers L. Caecilius Ju-
cundus gemacht wurde. Auf den ersten Anblick unterscheidet sich dieses Haus
uicht sehr bedeutend von den übrigen, vielmehr liegt es in einer ziemlich engen



Soglicmos Arbeit befindet sich gleichfalls in dem oben angeführten, zum Jahrestage
der Zerstörung von Pompeji hemusgebenen Werke.
Grenzboten II. 1SS3, 24
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[0193] Pompejanische Spaziergänge. mehr belohnen, kann man gar nicht besser antworten als durch den mit ein paar Beispielen leicht zu führenden Nachweis, daß die letzten Ausgrabungen nicht minder glücklich gewesen sind als die ältern. Zunächst fanden sich immer von neueni interessante Malereien? fast kein Haus giebt es, worin nicht irgend eine solche vorhanden wäre. Schon das Ver¬ zeichnis, welches Svglicmo von allen während der zwölf Jahre von 1867—1879 entdeckten Wandgemälden anfertigte, zählt über 800 Nummern, darunter eine ganze Reihe höchst wertvoller Stücke.*) Ich muß mich hier auf das wesentlichste beschränken und nenne deshalb mir das Orpheusfresko, nicht weil es merkwürdiger ist als andres, sondern weil mau in einer der Christenkatakomben zu Rom ein ganz ähnliches gefunden hat. Die beide» Bilder unterscheiden sich von ein¬ ander fast nur durch ihre Größe. Das Gemälde aus Pompeji mißt fast Meter. So^ ist hier alles einzelne mehr ausgeführt und besser sichtbar als in dem kleineren, von der Zeit stark mitgenommenen Katakombenbilde; aber im ganzen stimmen sie überein. Orpheus ist sitzend dargestellt; ein leichter Mantel fällt ihm von den Schultern auf die Kniee nieder, mit dem Plectrum rührt er die neun- saitige Leier. Ihm zu Füßen hat der Maler von Pompeji Tiere von mannig¬ facher Art versammelt: einen Löwen, einen Panther, einen Tiger, einen Eber, einen Hirsch und einen Hasen; weiterhin sind Bäume und Felsen, die der Zauber seiner Stimme herbeizieht, und ein Bach, der, um ihm länger zuzuhören, seineu Lauf unterbricht. Der christliche Künstler hat alle diese Tiere weggelassen und sie durch zwei Schafe ersetzt; unzweifelhaft wollte er an den Guten Hirten erinnern, der in den ersten Zeiten der Kirche das gewöhnliche, sozusagen offizielle Abbild Christi war. Im ganzen aber hat er das heidnische Fresko reproduzirt. Er konnte dies unbedenklich thun: diese schöne, ernste und sanfte Gestalt, die nur mit dem Thema ihrer Gesänge beschäftigt scheint, ohne die sonderbaren Wirkungen derselben zu bemerken, hat schon an sich etwas Religiöses. Das Christentum brauchte nichts daran zu ändern, um sie seinem Gottesdienst und seinen Glaubenssätzen anzupassen; so hat es denn nicht gezögert, Christus in der Gestalt darzustellen, welche die Heiden dem thrakischen Sänger gegeben hatten. Die Vergleichung des Orpheus von Pompeji mit dem der Katakomben zeigt uns ganz handgreiflich, mit welcher Leichtigkeit von der werdenden Kirche die antiken Typen entlehnt wurden, und eine wie große Rolle in der Frühzeit der christlichen Kunst die Nachahmung der griechischen Vorbilder spielte. Etwas länger müssen wir bei einer sehr merkwürdigen und ganz unver¬ hofften Entdeckung verweilen, welche im Hause des Bankiers L. Caecilius Ju- cundus gemacht wurde. Auf den ersten Anblick unterscheidet sich dieses Haus uicht sehr bedeutend von den übrigen, vielmehr liegt es in einer ziemlich engen Soglicmos Arbeit befindet sich gleichfalls in dem oben angeführten, zum Jahrestage der Zerstörung von Pompeji hemusgebenen Werke. Grenzboten II. 1SS3, 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/193>, abgerufen am 03.07.2024.