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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Pompejanische Spaziergänge.

halb Pompeji, das heißt den vielleicht bescheidenen, aber sichern und leichten
Erfolg, gänzlich aufgeben und sich dafür neuen Schwierigkeiten und Zufällen
aussetzen sollte. Weshalb auch sollte er sich dazu verstehen? Welcher Grund
könnte eine solche Preisgebung rechtfertigen? Pompeji, meint Beule, hat so
ziemlich alles hergegeben, was man von ihm erwarten darf. In dieser neuen,
in sechzehn Jahren von denselben Künstlern wieder aufgebauten und aufge¬
schmückten Stadt ist alles einander ähnlich. Selbst wenn man annimmt, daß
die Ausgrabungen in Zukunft ebenso glücklich sind wie in der Vergangenheit,
wird man hier doch immer nur dasselbe, aus den gleichen Materialien errichtete,
auf die gleiche Art dispvnirte Haus finden: mit seinem Atrium und seinem
Peristyl, seinen Räumen für die Herren und für die Sklaven, seinen teils für
die Intimität des Familienlebens, teils für den Empfang der Gäste bestimmten
Gemächern. Überdies wird man nach Beule dieses so oft studirte, kunstreiche
Haus, wo man immer irgend ein kostbares Stück zu entdecken hoffen durfte,
garnicht einmal mehr finden. Die reichen Quartiere, die das Forum und das
Theater umgaben, sind ausgegraben; wir müssen daraufgefaßt sein, kaum noch
auf etwas andres zu stoßen als auf die Wohnungen der Armen: lohnt es der
Mühe, sich um solcher Hütten willen in Kosten zu stürzen?

Fiorelli konnte darauf antworten, daß diese Hütten denn doch auch ihr
Interesse haben. Die reichen Klassen des Altertums sind, uns genügend be¬
kannt: von ihnen vornehmlich erzählt uns die Literatur, von ihrem Denken,
ihrem Leben berichtet sie uns. Um die Armen dagegen haben sich weder Dichter
noch Geschichtschreiber viel bekümmert. Welchen Dienst würde uns Pompeji
leisten, wenn es uns eine Art lebendes Bild der Volksklassen des römischen
Kaiserreichs vor Augen führte! Wenn man also auch sicher wäre, daß nur uoch
Wohnungen der Armen übrig sind, so wäre dies noch lange kein Grund, die
Ausgrabungen einzustellen. Aber diese Vorhersagung Benies hat sich nicht
einmal bewahrheitet. Nach wie vor sind in den neuen Quartieren von Pompeji
ebenso viele geschmackolle Häuser gefunden worden wie in den alten, und in den
wenigen Jahren hat man ebenso merkwürdige Entdeckungen gemacht wie früher.
Denen, die sich der Meinung zuneigen, daß Pompeji ein erschöpftes Bergwerk
sei, und die zu fürchten scheinen, es möchte die darauf verwendete Mühe nicht


eine Fülle der prächtigsten Kunstwerke barg; auch die schönsten Bronzcbüsten, heute die
Zierden des Museums von Neapel, wurden hier gesunden. In eiuer andern Abhandlung,
gleich hinter Comparettis Aufsatz, prüft de Petra die Berichte der Ingenieure, welche im
Jahre 1750 die dortigen Ausgrabungen leiteten, und weist nach, daß damals nur ein Teil
der Villa freigelegt wurde, sodasz man also, wenn man heute die Arbeiten fortsetzte, einige
Aussichten auf eine ebenso schöne Ernte hätte. Die Hoffnung, eine Statue von Marmor
oder Bronze wie den Aeschines oder den trunkenen Faun zu finden, ist -- das muß man
gestehen -- verführerisch genug, um die Wiederaufnahme der höchst bedauerlicher Weise ab¬
gebrochenen Ausgrabungen wünschenswert zu machen.
Pompejanische Spaziergänge.

halb Pompeji, das heißt den vielleicht bescheidenen, aber sichern und leichten
Erfolg, gänzlich aufgeben und sich dafür neuen Schwierigkeiten und Zufällen
aussetzen sollte. Weshalb auch sollte er sich dazu verstehen? Welcher Grund
könnte eine solche Preisgebung rechtfertigen? Pompeji, meint Beule, hat so
ziemlich alles hergegeben, was man von ihm erwarten darf. In dieser neuen,
in sechzehn Jahren von denselben Künstlern wieder aufgebauten und aufge¬
schmückten Stadt ist alles einander ähnlich. Selbst wenn man annimmt, daß
die Ausgrabungen in Zukunft ebenso glücklich sind wie in der Vergangenheit,
wird man hier doch immer nur dasselbe, aus den gleichen Materialien errichtete,
auf die gleiche Art dispvnirte Haus finden: mit seinem Atrium und seinem
Peristyl, seinen Räumen für die Herren und für die Sklaven, seinen teils für
die Intimität des Familienlebens, teils für den Empfang der Gäste bestimmten
Gemächern. Überdies wird man nach Beule dieses so oft studirte, kunstreiche
Haus, wo man immer irgend ein kostbares Stück zu entdecken hoffen durfte,
garnicht einmal mehr finden. Die reichen Quartiere, die das Forum und das
Theater umgaben, sind ausgegraben; wir müssen daraufgefaßt sein, kaum noch
auf etwas andres zu stoßen als auf die Wohnungen der Armen: lohnt es der
Mühe, sich um solcher Hütten willen in Kosten zu stürzen?

Fiorelli konnte darauf antworten, daß diese Hütten denn doch auch ihr
Interesse haben. Die reichen Klassen des Altertums sind, uns genügend be¬
kannt: von ihnen vornehmlich erzählt uns die Literatur, von ihrem Denken,
ihrem Leben berichtet sie uns. Um die Armen dagegen haben sich weder Dichter
noch Geschichtschreiber viel bekümmert. Welchen Dienst würde uns Pompeji
leisten, wenn es uns eine Art lebendes Bild der Volksklassen des römischen
Kaiserreichs vor Augen führte! Wenn man also auch sicher wäre, daß nur uoch
Wohnungen der Armen übrig sind, so wäre dies noch lange kein Grund, die
Ausgrabungen einzustellen. Aber diese Vorhersagung Benies hat sich nicht
einmal bewahrheitet. Nach wie vor sind in den neuen Quartieren von Pompeji
ebenso viele geschmackolle Häuser gefunden worden wie in den alten, und in den
wenigen Jahren hat man ebenso merkwürdige Entdeckungen gemacht wie früher.
Denen, die sich der Meinung zuneigen, daß Pompeji ein erschöpftes Bergwerk
sei, und die zu fürchten scheinen, es möchte die darauf verwendete Mühe nicht


eine Fülle der prächtigsten Kunstwerke barg; auch die schönsten Bronzcbüsten, heute die
Zierden des Museums von Neapel, wurden hier gesunden. In eiuer andern Abhandlung,
gleich hinter Comparettis Aufsatz, prüft de Petra die Berichte der Ingenieure, welche im
Jahre 1750 die dortigen Ausgrabungen leiteten, und weist nach, daß damals nur ein Teil
der Villa freigelegt wurde, sodasz man also, wenn man heute die Arbeiten fortsetzte, einige
Aussichten auf eine ebenso schöne Ernte hätte. Die Hoffnung, eine Statue von Marmor
oder Bronze wie den Aeschines oder den trunkenen Faun zu finden, ist — das muß man
gestehen — verführerisch genug, um die Wiederaufnahme der höchst bedauerlicher Weise ab¬
gebrochenen Ausgrabungen wünschenswert zu machen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/192>, abgerufen am 01.10.2024.