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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pomxejanische Spaziergänge.

daß man nicht bloß die Häuser der Reichen im Schmuck ihrer zierlichen Fresken,
in ihrem köstlichen Marmorkleide, sondern auch die Wohnungen der Armen
mit ihrem Alltagsgerät, ihren groben Karikaturen kennen lernen wolle. In
einem solchen Plane gewann alles Bedeutung; geradezu nichts war mehr
gering zu achten. So entschloß sich denn Fiorelli auch, ehe er überhaupt an
die eigentliche Fortsetzung der Arbeiten ging, zu einer Revision dessen, was seine
Vorgänger gethan. Überall folgte er noch einmal ihren Spuren, ließ die Mauern,
die den Einsturz drohten, absteifen und stützen, richtete die schon gefallenen
Wieder auf, schützte die Fresken und die Mosaiken; gleichzeitig beschäftigte er
sich mit der endgiltigen Freilegung alles dessen, was von neuem mit Schutt
bedeckt oder überhaupt noch nicht völlig ausgegraben worden war. Ein mühe¬
volles und dem Anschein nach wenig nutzbringendes Unternehmen! Mußte man
doch darauf gefaßt sein, in einem schon einmal durchsuchten Boden nicht mehr
viel neues von Wert zu finden. Um aber das Ganze der Stadt klar zu er¬
kennen, war es notwendig, alles einzelne zu entwirren und ans Licht zu bringen.
Fiorelli verzichtete demnach lange Zeit darauf, die öffentliche Meinung durch
den Lärm und das Aufsehen unerwarteter Entdeckungen zu blenden.*) Er beschied
sich und betrieb unentwegt und in der Stille ein mehr nützliches als glänzendes
Werk. Zwölf Jahre brauchte er bis zum Abschluß der anscheinend so undank¬
baren Arbeit; als sie aber beendigt war, lag ihre Wichtigkeit vor aller Augen.
Der frühere Besucher von Pompeji wurde in jedem Augenblick durch Berge
von Asche und durch ganze Schuttinseln aufgehalten, durch welche die freie
Bewegung gehindert, die Straßen abgeschnitten, die Spaziergänge in der Stadt
unterbrochen wurden. Selbst in der Nähe des Forums und ganz dicht bei
den Theatern waren noch unausgegrabene Häuser übrig. Heute sind diese
Lücken verschwunden. Der freigelegte Teil von Pompeji ist es völlig; wir
haben ihn ganz, mit seinen geringsten Gäßchen, seinen mittelmäßigsten Häusern,
seinen bescheidensten Läden vor Augen und sind so, wenn wir ihn durchwandern,
imstande, uns von dem antiken Leben eine wahrere und vollständigere Vorstellung
zu machen. Wir müssen anerkennen, daß dieses Ergebnis es wohl verdiente,
durch ein paar Jahre hartnäckiger Arbeit erkauft zu werden.



Es darf indessen nicht vergessen werden, daß die Idee, die hohlen Räume, welche
die Leichen der Pompejaner bei ihrer Zersetzung zurückließen, mit Gips auszugießen, Fiorelli
verdankt wird. Gelingt die Operation, so giebt der Gips genau das Abbild des Toten.
Die auf Pompeji gefallene heiße Asche hat nach ihren. Erkalten die Umrisse aller von ihr
eingehüllten Gegenstände wie eine Gußform konservirt. So war es möglich, in dem kleinen
Museum am Eingange der Stadt eine Reihe von Personen zu sammeln, die so wieder¬
gegeben sind, wie sie waren, als der Tod sie überraschte! die einen kämpfen vergebens gegen
ihn an, die andern ergeben sich ohne Widerstand. Es ist ein ergreifender Anblick und eine
der größten Merkivürdigkeiteii Pompejis.
pomxejanische Spaziergänge.

daß man nicht bloß die Häuser der Reichen im Schmuck ihrer zierlichen Fresken,
in ihrem köstlichen Marmorkleide, sondern auch die Wohnungen der Armen
mit ihrem Alltagsgerät, ihren groben Karikaturen kennen lernen wolle. In
einem solchen Plane gewann alles Bedeutung; geradezu nichts war mehr
gering zu achten. So entschloß sich denn Fiorelli auch, ehe er überhaupt an
die eigentliche Fortsetzung der Arbeiten ging, zu einer Revision dessen, was seine
Vorgänger gethan. Überall folgte er noch einmal ihren Spuren, ließ die Mauern,
die den Einsturz drohten, absteifen und stützen, richtete die schon gefallenen
Wieder auf, schützte die Fresken und die Mosaiken; gleichzeitig beschäftigte er
sich mit der endgiltigen Freilegung alles dessen, was von neuem mit Schutt
bedeckt oder überhaupt noch nicht völlig ausgegraben worden war. Ein mühe¬
volles und dem Anschein nach wenig nutzbringendes Unternehmen! Mußte man
doch darauf gefaßt sein, in einem schon einmal durchsuchten Boden nicht mehr
viel neues von Wert zu finden. Um aber das Ganze der Stadt klar zu er¬
kennen, war es notwendig, alles einzelne zu entwirren und ans Licht zu bringen.
Fiorelli verzichtete demnach lange Zeit darauf, die öffentliche Meinung durch
den Lärm und das Aufsehen unerwarteter Entdeckungen zu blenden.*) Er beschied
sich und betrieb unentwegt und in der Stille ein mehr nützliches als glänzendes
Werk. Zwölf Jahre brauchte er bis zum Abschluß der anscheinend so undank¬
baren Arbeit; als sie aber beendigt war, lag ihre Wichtigkeit vor aller Augen.
Der frühere Besucher von Pompeji wurde in jedem Augenblick durch Berge
von Asche und durch ganze Schuttinseln aufgehalten, durch welche die freie
Bewegung gehindert, die Straßen abgeschnitten, die Spaziergänge in der Stadt
unterbrochen wurden. Selbst in der Nähe des Forums und ganz dicht bei
den Theatern waren noch unausgegrabene Häuser übrig. Heute sind diese
Lücken verschwunden. Der freigelegte Teil von Pompeji ist es völlig; wir
haben ihn ganz, mit seinen geringsten Gäßchen, seinen mittelmäßigsten Häusern,
seinen bescheidensten Läden vor Augen und sind so, wenn wir ihn durchwandern,
imstande, uns von dem antiken Leben eine wahrere und vollständigere Vorstellung
zu machen. Wir müssen anerkennen, daß dieses Ergebnis es wohl verdiente,
durch ein paar Jahre hartnäckiger Arbeit erkauft zu werden.



Es darf indessen nicht vergessen werden, daß die Idee, die hohlen Räume, welche
die Leichen der Pompejaner bei ihrer Zersetzung zurückließen, mit Gips auszugießen, Fiorelli
verdankt wird. Gelingt die Operation, so giebt der Gips genau das Abbild des Toten.
Die auf Pompeji gefallene heiße Asche hat nach ihren. Erkalten die Umrisse aller von ihr
eingehüllten Gegenstände wie eine Gußform konservirt. So war es möglich, in dem kleinen
Museum am Eingange der Stadt eine Reihe von Personen zu sammeln, die so wieder¬
gegeben sind, wie sie waren, als der Tod sie überraschte! die einen kämpfen vergebens gegen
ihn an, die andern ergeben sich ohne Widerstand. Es ist ein ergreifender Anblick und eine
der größten Merkivürdigkeiteii Pompejis.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/188>, abgerufen am 03.07.2024.