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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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pompejanische Spaziergänge.

das neue Aussehen, das die alte Stadt gewonnen, überraschen. Nicht bloß, daß
jetzt offenbar alles besser geordnet und die Führung der Arbeiten geregelter
ist; wandert man einsam durch die stillen Gassen, tritt man durch die offenen
Thüren in die Häuser ein und macht so um ein völlig freigelegtes Quartier
die Runde, so hat man auch den Eindruck, als sei die Illusion leichter und
vollständiger, das Eindringen in das antike Leben noch bequemer geworden als
früher. Diesen Fortschritt verdanken wir zum großen Teil Fiorelli und seinem
Entschlüsse, mit dem alten Schlendrian zu brechen und neue Methoden anzu¬
wenden. Nicht oft genug kann betont werden, daß man sich bei diesen Aus¬
grabungen heute nicht mehr dasselbe Ziel setzt wie früher. Die Leute, die am
1. April 1748 die Asche, welche fast seit siebzehn Jahrhunderte" Pompeji be¬
deckte, zum erstenmal von der Stelle bewegten, hatten nur eine einzige Absicht:
sie wollten Kunstwerke finden, um das Museum des Königs zu bereichern.
Somit kann man sich leicht denken, wie bei deu damaligen Arbeiten Verfahren
wurde. Man grub aufs geraten? ohl und gleichzeitig an mehreren Stellen, wie
eben die Hoffnung auf einen Glücksfall es eingab. Wurde nach oberflächlichem
Suchen nichts gefunden,, so gab man die angefangene Ausgrabung auf und
fing irgend wo anders von vorn an. Wurde der Schutt unbequem, so warf
man ihn ohne Umstände auf die schon freigelegten Häuser, die so in das
Dunkel, aus welchem sie kaum erst emporgetaucht waren, wieder zurücksanken.
Für die Erhaltung derjenigen Häuser aber, die etwa noch offen liegen blieben,
geschah nicht das mindeste. Die Fresken, die der Übertragung in die Museen
von Portici oder Neapel nicht für würdig befunden worden waren, blieben
allen Unbilden des Wetters, dem Winde und der Sonne ausgesetzt, die dann
gar schnell ihre Farben auslöschten. Die Mosaiken gingen unter den Schritten
der Reisenden und der Arbeiter vollends zu Grunde; die Mauern bekamen
Risse, barsten und stürzten zuletzt ganz ein. Wohl erhoben einige einsichtige
und kenntnisreiche Männer Klage über die traurige Methode bei den Aus¬
grabungen; da aber diese füglich einen Ertrag von Meisterwerken gewährten,
da dank ihnen das Museum von Neapel unstreitig eines der reichsten der
Welt geworden war, so ließ man die Unzufriedenen reden, und ihre Proteste
verhallten ungehört. Dieses barbarische System hat, obschon mit der Zeit
etwas mehr Schonung Platz griff, doch im wesentlichen unverändert bis auf
unsre Tage bestanden.

Mit Fiorelli ist dies anders geworden; immer von neuem hat er es in
seinen Berichten ausgesprochen, daß das Hauptinteresse der Ausgrabungen von
Pompeji eben Pompeji selbst sei, daß die Entdeckung von Kunstwerken erst in
zweiter Linie stehe, daß es vor allem darauf ankomme, eine römische Stadt von
den Toten aufzuerwecken, aufsaß sie uns ein Bild des antiken Lebens gebe,
daß es gelte, sie ganz und gar und in ihrem geringsten Gemäuer freizulegen,
wenn anders die Belehrung, die wir davon erwarten, vollständig sein soll,


pompejanische Spaziergänge.

das neue Aussehen, das die alte Stadt gewonnen, überraschen. Nicht bloß, daß
jetzt offenbar alles besser geordnet und die Führung der Arbeiten geregelter
ist; wandert man einsam durch die stillen Gassen, tritt man durch die offenen
Thüren in die Häuser ein und macht so um ein völlig freigelegtes Quartier
die Runde, so hat man auch den Eindruck, als sei die Illusion leichter und
vollständiger, das Eindringen in das antike Leben noch bequemer geworden als
früher. Diesen Fortschritt verdanken wir zum großen Teil Fiorelli und seinem
Entschlüsse, mit dem alten Schlendrian zu brechen und neue Methoden anzu¬
wenden. Nicht oft genug kann betont werden, daß man sich bei diesen Aus¬
grabungen heute nicht mehr dasselbe Ziel setzt wie früher. Die Leute, die am
1. April 1748 die Asche, welche fast seit siebzehn Jahrhunderte» Pompeji be¬
deckte, zum erstenmal von der Stelle bewegten, hatten nur eine einzige Absicht:
sie wollten Kunstwerke finden, um das Museum des Königs zu bereichern.
Somit kann man sich leicht denken, wie bei deu damaligen Arbeiten Verfahren
wurde. Man grub aufs geraten? ohl und gleichzeitig an mehreren Stellen, wie
eben die Hoffnung auf einen Glücksfall es eingab. Wurde nach oberflächlichem
Suchen nichts gefunden,, so gab man die angefangene Ausgrabung auf und
fing irgend wo anders von vorn an. Wurde der Schutt unbequem, so warf
man ihn ohne Umstände auf die schon freigelegten Häuser, die so in das
Dunkel, aus welchem sie kaum erst emporgetaucht waren, wieder zurücksanken.
Für die Erhaltung derjenigen Häuser aber, die etwa noch offen liegen blieben,
geschah nicht das mindeste. Die Fresken, die der Übertragung in die Museen
von Portici oder Neapel nicht für würdig befunden worden waren, blieben
allen Unbilden des Wetters, dem Winde und der Sonne ausgesetzt, die dann
gar schnell ihre Farben auslöschten. Die Mosaiken gingen unter den Schritten
der Reisenden und der Arbeiter vollends zu Grunde; die Mauern bekamen
Risse, barsten und stürzten zuletzt ganz ein. Wohl erhoben einige einsichtige
und kenntnisreiche Männer Klage über die traurige Methode bei den Aus¬
grabungen; da aber diese füglich einen Ertrag von Meisterwerken gewährten,
da dank ihnen das Museum von Neapel unstreitig eines der reichsten der
Welt geworden war, so ließ man die Unzufriedenen reden, und ihre Proteste
verhallten ungehört. Dieses barbarische System hat, obschon mit der Zeit
etwas mehr Schonung Platz griff, doch im wesentlichen unverändert bis auf
unsre Tage bestanden.

Mit Fiorelli ist dies anders geworden; immer von neuem hat er es in
seinen Berichten ausgesprochen, daß das Hauptinteresse der Ausgrabungen von
Pompeji eben Pompeji selbst sei, daß die Entdeckung von Kunstwerken erst in
zweiter Linie stehe, daß es vor allem darauf ankomme, eine römische Stadt von
den Toten aufzuerwecken, aufsaß sie uns ein Bild des antiken Lebens gebe,
daß es gelte, sie ganz und gar und in ihrem geringsten Gemäuer freizulegen,
wenn anders die Belehrung, die wir davon erwarten, vollständig sein soll,


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[0187] pompejanische Spaziergänge. das neue Aussehen, das die alte Stadt gewonnen, überraschen. Nicht bloß, daß jetzt offenbar alles besser geordnet und die Führung der Arbeiten geregelter ist; wandert man einsam durch die stillen Gassen, tritt man durch die offenen Thüren in die Häuser ein und macht so um ein völlig freigelegtes Quartier die Runde, so hat man auch den Eindruck, als sei die Illusion leichter und vollständiger, das Eindringen in das antike Leben noch bequemer geworden als früher. Diesen Fortschritt verdanken wir zum großen Teil Fiorelli und seinem Entschlüsse, mit dem alten Schlendrian zu brechen und neue Methoden anzu¬ wenden. Nicht oft genug kann betont werden, daß man sich bei diesen Aus¬ grabungen heute nicht mehr dasselbe Ziel setzt wie früher. Die Leute, die am 1. April 1748 die Asche, welche fast seit siebzehn Jahrhunderte» Pompeji be¬ deckte, zum erstenmal von der Stelle bewegten, hatten nur eine einzige Absicht: sie wollten Kunstwerke finden, um das Museum des Königs zu bereichern. Somit kann man sich leicht denken, wie bei deu damaligen Arbeiten Verfahren wurde. Man grub aufs geraten? ohl und gleichzeitig an mehreren Stellen, wie eben die Hoffnung auf einen Glücksfall es eingab. Wurde nach oberflächlichem Suchen nichts gefunden,, so gab man die angefangene Ausgrabung auf und fing irgend wo anders von vorn an. Wurde der Schutt unbequem, so warf man ihn ohne Umstände auf die schon freigelegten Häuser, die so in das Dunkel, aus welchem sie kaum erst emporgetaucht waren, wieder zurücksanken. Für die Erhaltung derjenigen Häuser aber, die etwa noch offen liegen blieben, geschah nicht das mindeste. Die Fresken, die der Übertragung in die Museen von Portici oder Neapel nicht für würdig befunden worden waren, blieben allen Unbilden des Wetters, dem Winde und der Sonne ausgesetzt, die dann gar schnell ihre Farben auslöschten. Die Mosaiken gingen unter den Schritten der Reisenden und der Arbeiter vollends zu Grunde; die Mauern bekamen Risse, barsten und stürzten zuletzt ganz ein. Wohl erhoben einige einsichtige und kenntnisreiche Männer Klage über die traurige Methode bei den Aus¬ grabungen; da aber diese füglich einen Ertrag von Meisterwerken gewährten, da dank ihnen das Museum von Neapel unstreitig eines der reichsten der Welt geworden war, so ließ man die Unzufriedenen reden, und ihre Proteste verhallten ungehört. Dieses barbarische System hat, obschon mit der Zeit etwas mehr Schonung Platz griff, doch im wesentlichen unverändert bis auf unsre Tage bestanden. Mit Fiorelli ist dies anders geworden; immer von neuem hat er es in seinen Berichten ausgesprochen, daß das Hauptinteresse der Ausgrabungen von Pompeji eben Pompeji selbst sei, daß die Entdeckung von Kunstwerken erst in zweiter Linie stehe, daß es vor allem darauf ankomme, eine römische Stadt von den Toten aufzuerwecken, aufsaß sie uns ein Bild des antiken Lebens gebe, daß es gelte, sie ganz und gar und in ihrem geringsten Gemäuer freizulegen, wenn anders die Belehrung, die wir davon erwarten, vollständig sein soll,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/187>, abgerufen am 01.07.2024.