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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Verbannung ins Bett noch die Vorstellung einer Strafe, so glaube ich wohl,
daß die Abneigung gegen das Stillliegen noch erhöht werden kann.

Wie ist nun die Menschheit von der peinlichen Frage auf der Folter durch
den "Löw" bis zu der gemütlichen Strafe des Stillliegens im warmen Bett
gekommen?

Die Verbüßung von Freiheitsstrafen in besonders dazu eingerichteten Straf¬
anstalten wie bei uns kannte man in alter Zeit nicht/) Als solche ist die Frei¬
heitsstrafe wahrscheinlich von der Kirche ausgegangen und zuuüchst in den
Klöstern zur Anwendung gebracht worden; Papst Bonifacius VIII. (f 1303)
hat die Gefängnisstrafe ausdrücklich für zulässig erklärt. Von dort ging sie
wohl erst in das weltliche Recht über. Das erste Zuchthaus wurde 1552 in
London, ein andres in Amsterdam 1595 erbaut. Mit Errichtung ähnlicher An¬
stalten ging es aber langsam; je mehr sie zunahmen, desto mehr gestalteten sie
sich bei dem"Zusammenleben der Verbrecher als Stätten sittlicher Verwilderung,
als Gesellschaftslokale des Auswurfs der Menschheit, als Tummelplätze der
Gauner und Diebe. Erst mit Howard in England beginnt eine neue Epoche
des Gefängniswesens. Er bestimmte sich zuletzt sür die Jsolirung jedes ein¬
zelnen Gefangenen. Die Hauptrcformbeweguug aber ging von Nordamerika
ans. 1786 bildete sich in Philadelphia ein Verein unter dem Namen: "Phila-
delphischer Verein zur Milderung des Elends in den öffentlichen Gefängnissen."
Seine Wirksamkeit war sehr bedeutend und einflußreich. Für das neue Zucht¬
haussystem, welches die Gesellschaft aufstellte, war es besonders maßgebend, daß
Pennsylvanien vorzugsweise von Quäkern bewohnt wird. In der religiösen An¬
schauung der Quäker spielt das Dogma vou der Selbstbeschauung, von dem In-
sichgehen in der Einsamkeit eine Hauptrolle. Sie halten nicht viel von der
Bedeutung des in der Kirche eingesetzten Lehramts und nehmen an, daß der
Geist Gottes sich unmittelbar auf den einzelnen Menschen niederlassen könne
und müsse. Die Gefängnisse sind ihnen daher nicht Straf-, sondern Bnßhäuser.
Arbeit halten sie für zerstreuend und empfehlen nur Lesen in der Bibel, Ein¬
samkeit, gänzliche Abgeschlossenheit. Die Philadelphische Gesellschaft setzte bei
der Legislatur des Staates von Pennsylvanien im Jahre 1818 ein Gesetz für
Errichtung von zwei großen Staatsgefänguissen durch. Ohne Auswahl und
ohne Rücksicht auf Charakter, Temperament oder Geistesbildung wurden die
Sträflinge vereinzelt in Zellen gebracht und bekamen nicht einmal den Wärter
z" sehen, da ihnen die tägliche Nahrung durch Klappen in den Thüren zu¬
gereicht wurde. Arbeit erhielten sie fast gar nicht. Die Ergebnisse waren höchst
abschreckender Art und führten schon nach zehn Jahren zu einer gemilderten
Zellenhaft. So entwickelte sich das Aulmrnfche System, so genannt nach der



") Fulda, Die Gkfnnqmsveibchcrmift. Marburg, Elwert, 1380.

Verbannung ins Bett noch die Vorstellung einer Strafe, so glaube ich wohl,
daß die Abneigung gegen das Stillliegen noch erhöht werden kann.

Wie ist nun die Menschheit von der peinlichen Frage auf der Folter durch
den „Löw" bis zu der gemütlichen Strafe des Stillliegens im warmen Bett
gekommen?

Die Verbüßung von Freiheitsstrafen in besonders dazu eingerichteten Straf¬
anstalten wie bei uns kannte man in alter Zeit nicht/) Als solche ist die Frei¬
heitsstrafe wahrscheinlich von der Kirche ausgegangen und zuuüchst in den
Klöstern zur Anwendung gebracht worden; Papst Bonifacius VIII. (f 1303)
hat die Gefängnisstrafe ausdrücklich für zulässig erklärt. Von dort ging sie
wohl erst in das weltliche Recht über. Das erste Zuchthaus wurde 1552 in
London, ein andres in Amsterdam 1595 erbaut. Mit Errichtung ähnlicher An¬
stalten ging es aber langsam; je mehr sie zunahmen, desto mehr gestalteten sie
sich bei dem»Zusammenleben der Verbrecher als Stätten sittlicher Verwilderung,
als Gesellschaftslokale des Auswurfs der Menschheit, als Tummelplätze der
Gauner und Diebe. Erst mit Howard in England beginnt eine neue Epoche
des Gefängniswesens. Er bestimmte sich zuletzt sür die Jsolirung jedes ein¬
zelnen Gefangenen. Die Hauptrcformbeweguug aber ging von Nordamerika
ans. 1786 bildete sich in Philadelphia ein Verein unter dem Namen: „Phila-
delphischer Verein zur Milderung des Elends in den öffentlichen Gefängnissen."
Seine Wirksamkeit war sehr bedeutend und einflußreich. Für das neue Zucht¬
haussystem, welches die Gesellschaft aufstellte, war es besonders maßgebend, daß
Pennsylvanien vorzugsweise von Quäkern bewohnt wird. In der religiösen An¬
schauung der Quäker spielt das Dogma vou der Selbstbeschauung, von dem In-
sichgehen in der Einsamkeit eine Hauptrolle. Sie halten nicht viel von der
Bedeutung des in der Kirche eingesetzten Lehramts und nehmen an, daß der
Geist Gottes sich unmittelbar auf den einzelnen Menschen niederlassen könne
und müsse. Die Gefängnisse sind ihnen daher nicht Straf-, sondern Bnßhäuser.
Arbeit halten sie für zerstreuend und empfehlen nur Lesen in der Bibel, Ein¬
samkeit, gänzliche Abgeschlossenheit. Die Philadelphische Gesellschaft setzte bei
der Legislatur des Staates von Pennsylvanien im Jahre 1818 ein Gesetz für
Errichtung von zwei großen Staatsgefänguissen durch. Ohne Auswahl und
ohne Rücksicht auf Charakter, Temperament oder Geistesbildung wurden die
Sträflinge vereinzelt in Zellen gebracht und bekamen nicht einmal den Wärter
z» sehen, da ihnen die tägliche Nahrung durch Klappen in den Thüren zu¬
gereicht wurde. Arbeit erhielten sie fast gar nicht. Die Ergebnisse waren höchst
abschreckender Art und führten schon nach zehn Jahren zu einer gemilderten
Zellenhaft. So entwickelte sich das Aulmrnfche System, so genannt nach der



») Fulda, Die Gkfnnqmsveibchcrmift. Marburg, Elwert, 1380.
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[0184] Verbannung ins Bett noch die Vorstellung einer Strafe, so glaube ich wohl, daß die Abneigung gegen das Stillliegen noch erhöht werden kann. Wie ist nun die Menschheit von der peinlichen Frage auf der Folter durch den „Löw" bis zu der gemütlichen Strafe des Stillliegens im warmen Bett gekommen? Die Verbüßung von Freiheitsstrafen in besonders dazu eingerichteten Straf¬ anstalten wie bei uns kannte man in alter Zeit nicht/) Als solche ist die Frei¬ heitsstrafe wahrscheinlich von der Kirche ausgegangen und zuuüchst in den Klöstern zur Anwendung gebracht worden; Papst Bonifacius VIII. (f 1303) hat die Gefängnisstrafe ausdrücklich für zulässig erklärt. Von dort ging sie wohl erst in das weltliche Recht über. Das erste Zuchthaus wurde 1552 in London, ein andres in Amsterdam 1595 erbaut. Mit Errichtung ähnlicher An¬ stalten ging es aber langsam; je mehr sie zunahmen, desto mehr gestalteten sie sich bei dem»Zusammenleben der Verbrecher als Stätten sittlicher Verwilderung, als Gesellschaftslokale des Auswurfs der Menschheit, als Tummelplätze der Gauner und Diebe. Erst mit Howard in England beginnt eine neue Epoche des Gefängniswesens. Er bestimmte sich zuletzt sür die Jsolirung jedes ein¬ zelnen Gefangenen. Die Hauptrcformbeweguug aber ging von Nordamerika ans. 1786 bildete sich in Philadelphia ein Verein unter dem Namen: „Phila- delphischer Verein zur Milderung des Elends in den öffentlichen Gefängnissen." Seine Wirksamkeit war sehr bedeutend und einflußreich. Für das neue Zucht¬ haussystem, welches die Gesellschaft aufstellte, war es besonders maßgebend, daß Pennsylvanien vorzugsweise von Quäkern bewohnt wird. In der religiösen An¬ schauung der Quäker spielt das Dogma vou der Selbstbeschauung, von dem In- sichgehen in der Einsamkeit eine Hauptrolle. Sie halten nicht viel von der Bedeutung des in der Kirche eingesetzten Lehramts und nehmen an, daß der Geist Gottes sich unmittelbar auf den einzelnen Menschen niederlassen könne und müsse. Die Gefängnisse sind ihnen daher nicht Straf-, sondern Bnßhäuser. Arbeit halten sie für zerstreuend und empfehlen nur Lesen in der Bibel, Ein¬ samkeit, gänzliche Abgeschlossenheit. Die Philadelphische Gesellschaft setzte bei der Legislatur des Staates von Pennsylvanien im Jahre 1818 ein Gesetz für Errichtung von zwei großen Staatsgefänguissen durch. Ohne Auswahl und ohne Rücksicht auf Charakter, Temperament oder Geistesbildung wurden die Sträflinge vereinzelt in Zellen gebracht und bekamen nicht einmal den Wärter z» sehen, da ihnen die tägliche Nahrung durch Klappen in den Thüren zu¬ gereicht wurde. Arbeit erhielten sie fast gar nicht. Die Ergebnisse waren höchst abschreckender Art und führten schon nach zehn Jahren zu einer gemilderten Zellenhaft. So entwickelte sich das Aulmrnfche System, so genannt nach der ») Fulda, Die Gkfnnqmsveibchcrmift. Marburg, Elwert, 1380.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/184>, abgerufen am 03.07.2024.