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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Zur Beleuchtung der Gesängen5frage.

Stadt Auborn im Staate Newyork, wo das erste Zuchthaus nach dieser neuen
Methode gebaut wurde, welche folgendes vorschrieb: Die Sträflinge sollen nicht
nur nach dem Geschlecht, sondern auch nach ihrer Arbeitsfähigkeit klassifizirt werden,
nachts vereinzelt in den Zellen schlafen, bei Tage aber truppweise zu gemein¬
samer Arbeit geführt und unter strengster Aufsicht gehalten werden. Es ist
ihnen bei Züchtigung untersagt, während der gemeinsamen Arbeit mit einander
zu sprechen oder sich durch Winke, Geberden oder ans andre Weise mit einander
zu verständigen. Zwischen den Anhängern beider Systeme wurde in Amerika
der heftigste Kampf geführt.

In Europa, namentlich auch in Deutschland, sind beide Systeme angewendet
worden. Von den deutschen Gefängnisverwaltungen wurde die Wirksamkeit und
Nützlichkeit der Jsolirzellen, besonders in Bezug auf Disziplin, zwar allgemein
anerkannt, weil dieselben Gelegenheit boten, die unruhigsten und bösartigsten
Gefangenen abzusperren; aber für das Besferungswerk wurde durch diese zeit¬
weilige Trennung der Gefangenen wenig gewonnen. Es war eine Gefängnis¬
reform nötig, durch welche einerseits der schädliche Verkehr der Gefangenen uuter
einander, andrerseits die bei völliger Jsolirung den Geisteskräften der Gefangenen
drohende Gefahr aufgehoben wurde.

In Deutschland nahm zuerst die badische Regierung diese Gefünguisreform
in die Hand und führte im Jahre 1845 die Einzelhaft in Bruchsal el". Im Herbst
1856 folgte Preußen unter Friedrich Wilhelm IV. und führte nach den Vor¬
schlägen von Dr. Julius, Dr. Wiehern u. a. die Einzelhaft in der für dieses System
erbauten Strafanstalt Moabit ein. Das in Bruchsal und Moabit eingeführte
System, welches eine weitere gleiche Anwendung in vielen andern Strafanstalten,
namentlich zu Plötzensee in Berlin, in den Zellengefängnissen zu Hamburg,
Bremen, Nürnberg, Vechtci, Heilbronn u. s. w. gefunden hat, stellt sich zur Auf¬
gabe, die Gefangenen einerseits von jedem Umgange mit ihren Genossen aus¬
zuschließen, um sie vor Verschlechterung zu bewahren, andrerseits dagegen ihnen
durch zweckmäßige gewerbliche Beschäftigung, durch Gottesdienst, geistig an¬
regenden Schulunterricht, Lektüre und häufige Besuche von Personen, die auf
ihr Wohl bedacht sind, nämlich von Beamten, Geistlichen und Lehrern der An¬
stalt, alles zu bieten, was zur Erhaltung und Förderung der geistigen und
körperlichen Gesundheit nötig erscheint.

Der Mensch begeht Verbrechen aus Leichtsinn, mit Vorbedacht, aus Bos¬
heit und Frevel. Der Leichtsinn aber eröffnet den Reigen auf dem weiten Ge¬
biete menschlicher Verirrungen, jener Leichtsinn, den Schiller in "Wallensteins
Lager" durch den Jäger schildern läßt:


Flott will ich leben und müßig gehn,
Alle Tage was neues sehn,
Mich dem Augenblick frisch vertraun,
Nicht vorwärts und nicht rückwärts schaun.

Grenzboten II. 1883. 23
Zur Beleuchtung der Gesängen5frage.

Stadt Auborn im Staate Newyork, wo das erste Zuchthaus nach dieser neuen
Methode gebaut wurde, welche folgendes vorschrieb: Die Sträflinge sollen nicht
nur nach dem Geschlecht, sondern auch nach ihrer Arbeitsfähigkeit klassifizirt werden,
nachts vereinzelt in den Zellen schlafen, bei Tage aber truppweise zu gemein¬
samer Arbeit geführt und unter strengster Aufsicht gehalten werden. Es ist
ihnen bei Züchtigung untersagt, während der gemeinsamen Arbeit mit einander
zu sprechen oder sich durch Winke, Geberden oder ans andre Weise mit einander
zu verständigen. Zwischen den Anhängern beider Systeme wurde in Amerika
der heftigste Kampf geführt.

In Europa, namentlich auch in Deutschland, sind beide Systeme angewendet
worden. Von den deutschen Gefängnisverwaltungen wurde die Wirksamkeit und
Nützlichkeit der Jsolirzellen, besonders in Bezug auf Disziplin, zwar allgemein
anerkannt, weil dieselben Gelegenheit boten, die unruhigsten und bösartigsten
Gefangenen abzusperren; aber für das Besferungswerk wurde durch diese zeit¬
weilige Trennung der Gefangenen wenig gewonnen. Es war eine Gefängnis¬
reform nötig, durch welche einerseits der schädliche Verkehr der Gefangenen uuter
einander, andrerseits die bei völliger Jsolirung den Geisteskräften der Gefangenen
drohende Gefahr aufgehoben wurde.

In Deutschland nahm zuerst die badische Regierung diese Gefünguisreform
in die Hand und führte im Jahre 1845 die Einzelhaft in Bruchsal el». Im Herbst
1856 folgte Preußen unter Friedrich Wilhelm IV. und führte nach den Vor¬
schlägen von Dr. Julius, Dr. Wiehern u. a. die Einzelhaft in der für dieses System
erbauten Strafanstalt Moabit ein. Das in Bruchsal und Moabit eingeführte
System, welches eine weitere gleiche Anwendung in vielen andern Strafanstalten,
namentlich zu Plötzensee in Berlin, in den Zellengefängnissen zu Hamburg,
Bremen, Nürnberg, Vechtci, Heilbronn u. s. w. gefunden hat, stellt sich zur Auf¬
gabe, die Gefangenen einerseits von jedem Umgange mit ihren Genossen aus¬
zuschließen, um sie vor Verschlechterung zu bewahren, andrerseits dagegen ihnen
durch zweckmäßige gewerbliche Beschäftigung, durch Gottesdienst, geistig an¬
regenden Schulunterricht, Lektüre und häufige Besuche von Personen, die auf
ihr Wohl bedacht sind, nämlich von Beamten, Geistlichen und Lehrern der An¬
stalt, alles zu bieten, was zur Erhaltung und Förderung der geistigen und
körperlichen Gesundheit nötig erscheint.

Der Mensch begeht Verbrechen aus Leichtsinn, mit Vorbedacht, aus Bos¬
heit und Frevel. Der Leichtsinn aber eröffnet den Reigen auf dem weiten Ge¬
biete menschlicher Verirrungen, jener Leichtsinn, den Schiller in „Wallensteins
Lager" durch den Jäger schildern läßt:


Flott will ich leben und müßig gehn,
Alle Tage was neues sehn,
Mich dem Augenblick frisch vertraun,
Nicht vorwärts und nicht rückwärts schaun.

Grenzboten II. 1883. 23
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[0185] Zur Beleuchtung der Gesängen5frage. Stadt Auborn im Staate Newyork, wo das erste Zuchthaus nach dieser neuen Methode gebaut wurde, welche folgendes vorschrieb: Die Sträflinge sollen nicht nur nach dem Geschlecht, sondern auch nach ihrer Arbeitsfähigkeit klassifizirt werden, nachts vereinzelt in den Zellen schlafen, bei Tage aber truppweise zu gemein¬ samer Arbeit geführt und unter strengster Aufsicht gehalten werden. Es ist ihnen bei Züchtigung untersagt, während der gemeinsamen Arbeit mit einander zu sprechen oder sich durch Winke, Geberden oder ans andre Weise mit einander zu verständigen. Zwischen den Anhängern beider Systeme wurde in Amerika der heftigste Kampf geführt. In Europa, namentlich auch in Deutschland, sind beide Systeme angewendet worden. Von den deutschen Gefängnisverwaltungen wurde die Wirksamkeit und Nützlichkeit der Jsolirzellen, besonders in Bezug auf Disziplin, zwar allgemein anerkannt, weil dieselben Gelegenheit boten, die unruhigsten und bösartigsten Gefangenen abzusperren; aber für das Besferungswerk wurde durch diese zeit¬ weilige Trennung der Gefangenen wenig gewonnen. Es war eine Gefängnis¬ reform nötig, durch welche einerseits der schädliche Verkehr der Gefangenen uuter einander, andrerseits die bei völliger Jsolirung den Geisteskräften der Gefangenen drohende Gefahr aufgehoben wurde. In Deutschland nahm zuerst die badische Regierung diese Gefünguisreform in die Hand und führte im Jahre 1845 die Einzelhaft in Bruchsal el». Im Herbst 1856 folgte Preußen unter Friedrich Wilhelm IV. und führte nach den Vor¬ schlägen von Dr. Julius, Dr. Wiehern u. a. die Einzelhaft in der für dieses System erbauten Strafanstalt Moabit ein. Das in Bruchsal und Moabit eingeführte System, welches eine weitere gleiche Anwendung in vielen andern Strafanstalten, namentlich zu Plötzensee in Berlin, in den Zellengefängnissen zu Hamburg, Bremen, Nürnberg, Vechtci, Heilbronn u. s. w. gefunden hat, stellt sich zur Auf¬ gabe, die Gefangenen einerseits von jedem Umgange mit ihren Genossen aus¬ zuschließen, um sie vor Verschlechterung zu bewahren, andrerseits dagegen ihnen durch zweckmäßige gewerbliche Beschäftigung, durch Gottesdienst, geistig an¬ regenden Schulunterricht, Lektüre und häufige Besuche von Personen, die auf ihr Wohl bedacht sind, nämlich von Beamten, Geistlichen und Lehrern der An¬ stalt, alles zu bieten, was zur Erhaltung und Förderung der geistigen und körperlichen Gesundheit nötig erscheint. Der Mensch begeht Verbrechen aus Leichtsinn, mit Vorbedacht, aus Bos¬ heit und Frevel. Der Leichtsinn aber eröffnet den Reigen auf dem weiten Ge¬ biete menschlicher Verirrungen, jener Leichtsinn, den Schiller in „Wallensteins Lager" durch den Jäger schildern läßt: Flott will ich leben und müßig gehn, Alle Tage was neues sehn, Mich dem Augenblick frisch vertraun, Nicht vorwärts und nicht rückwärts schaun. Grenzboten II. 1883. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/185>, abgerufen am 01.07.2024.