Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

haben, von verfassungsmäßigen Sicherheiten plappern und sich in Rhapsodien
über die geheiligten Rechte der Staatsbürger ergehen, sollte beiseite gethan
werden als nur geeignet für die Studirstube und den Debattirklub, nicht für
praktische Staatsmänner und vernünftige Leute in einer Stunde, wo es zu
handeln gilt. Die Aufgabe, welche die Regierung vor sich hat, ist nicht politischer
Natur, sondern eine Verwaltungssache. Sie hat es mit einer furchtbaren ver¬
brecherischen Organisation zu thun, die allerdings eine politische Maske in Ge¬
stalt einer Agitation vorgenommen hat, ihrem Wesen nach aber eine Verschwörung
zu Gewaltthaten und Gesetzverlctzungen ist. Nichts, was man auf dem Wege
von Zugeständnissen thun könnte, weder Übereinkünfte noch Vergleiche, können
etwas an den Umstünden ändern, nichts als gesteigerte polizeiliche Wachsamkeit,
Anerbietung reichlicher Belohnungen für die, welche Enthüllungen machen können,
und festes Frontmachen gegen die irische Revolution mit ihren Mordplänen. . . .
Als der Staatssekretär Forster einst die Irish. 'Worlä sein Newyorker Blatt der
Feines zitirte, um zu zeigen, daß Parnell den größern Teil seiner Agitations¬
gelder von einem Redakteur erhalte, welcher das Verbrechen empfahl, behauptete
der irische Wühler, dieses Blatt nie gelesen zu haben. "Aber," so fuhr er fort,
"der sehr ehrenwerte Herr hatte es gelesen. Ich hatte keine Gemalt über das
Blatt, er aber gestattete, nachdem er es gelesen, dessen Verbreitung über ganz
Irland, sodaß er für die Sprache, die es enthielt, verantwortlicher als ich ist."
Diese Antwort war nicht' unzutreffend. Warum sollte irgend eine englische Re¬
gierung geschriebene oder gesprochene Revolution fortwährend predigen und Ver¬
breche" hervorrufen lassen? Herr Forster duldete aus Zärtlichkeit gegen die
Presse die Verbreitung jener Zeitung, die er zitirte, um Parnell der vorgängigen
Beihilfe zu systematischer Gesetzverletzung anklagen zu können. Parnells Ant¬
wort war: die liberale Milde und Langmut ist es, die man anklagen muß, und
es ist schwierig, in Abrede zu stellen, daß er damit das Rechte traf."

Polizeimaßregeln also, Belohnung von Spionen, das Haus des Engländers
vorläufig nicht mehr "seine Burg," Schmälerung der Preßfreiheit. In der
That, man traut seinen Augen kaum, wenn das dieselben Herren schreiben, welche
unser Sozialistengesetz verurteilten. Ihre Vorschläge schmecken geradezu nach
der dritten Abteilung in Petersburg, und wir vermögen keinen Unterschied zu
entdecken zwischen ihnen und den Maßregeln, die gegen die Nihilisten ergriffen
wurden und geholfen zu haben scheinen. Aber der Engländer ist trotz des Umsich¬
greifens des Radikalismus im großen und ganzen immer noch ein Praktischer Geist,
und so steht er, wenn es ihm selber an den Kragen geht, nicht an, mit Bei-
seitcsetznng des liberalen und konstitutionellen Krimskrams sich aus dem Zeug¬
hause der Gegenpartei dagegen zu bewaffnen. Wie unpraktisch und pedantisch
war dagegen das Verhalten der deutschen Liberalen zu dem Gesetzentwürfe in
Betreff der Sozialdemokraten!


haben, von verfassungsmäßigen Sicherheiten plappern und sich in Rhapsodien
über die geheiligten Rechte der Staatsbürger ergehen, sollte beiseite gethan
werden als nur geeignet für die Studirstube und den Debattirklub, nicht für
praktische Staatsmänner und vernünftige Leute in einer Stunde, wo es zu
handeln gilt. Die Aufgabe, welche die Regierung vor sich hat, ist nicht politischer
Natur, sondern eine Verwaltungssache. Sie hat es mit einer furchtbaren ver¬
brecherischen Organisation zu thun, die allerdings eine politische Maske in Ge¬
stalt einer Agitation vorgenommen hat, ihrem Wesen nach aber eine Verschwörung
zu Gewaltthaten und Gesetzverlctzungen ist. Nichts, was man auf dem Wege
von Zugeständnissen thun könnte, weder Übereinkünfte noch Vergleiche, können
etwas an den Umstünden ändern, nichts als gesteigerte polizeiliche Wachsamkeit,
Anerbietung reichlicher Belohnungen für die, welche Enthüllungen machen können,
und festes Frontmachen gegen die irische Revolution mit ihren Mordplänen. . . .
Als der Staatssekretär Forster einst die Irish. 'Worlä sein Newyorker Blatt der
Feines zitirte, um zu zeigen, daß Parnell den größern Teil seiner Agitations¬
gelder von einem Redakteur erhalte, welcher das Verbrechen empfahl, behauptete
der irische Wühler, dieses Blatt nie gelesen zu haben. »Aber,« so fuhr er fort,
»der sehr ehrenwerte Herr hatte es gelesen. Ich hatte keine Gemalt über das
Blatt, er aber gestattete, nachdem er es gelesen, dessen Verbreitung über ganz
Irland, sodaß er für die Sprache, die es enthielt, verantwortlicher als ich ist.«
Diese Antwort war nicht' unzutreffend. Warum sollte irgend eine englische Re¬
gierung geschriebene oder gesprochene Revolution fortwährend predigen und Ver¬
breche» hervorrufen lassen? Herr Forster duldete aus Zärtlichkeit gegen die
Presse die Verbreitung jener Zeitung, die er zitirte, um Parnell der vorgängigen
Beihilfe zu systematischer Gesetzverletzung anklagen zu können. Parnells Ant¬
wort war: die liberale Milde und Langmut ist es, die man anklagen muß, und
es ist schwierig, in Abrede zu stellen, daß er damit das Rechte traf."

Polizeimaßregeln also, Belohnung von Spionen, das Haus des Engländers
vorläufig nicht mehr „seine Burg," Schmälerung der Preßfreiheit. In der
That, man traut seinen Augen kaum, wenn das dieselben Herren schreiben, welche
unser Sozialistengesetz verurteilten. Ihre Vorschläge schmecken geradezu nach
der dritten Abteilung in Petersburg, und wir vermögen keinen Unterschied zu
entdecken zwischen ihnen und den Maßregeln, die gegen die Nihilisten ergriffen
wurden und geholfen zu haben scheinen. Aber der Engländer ist trotz des Umsich¬
greifens des Radikalismus im großen und ganzen immer noch ein Praktischer Geist,
und so steht er, wenn es ihm selber an den Kragen geht, nicht an, mit Bei-
seitcsetznng des liberalen und konstitutionellen Krimskrams sich aus dem Zeug¬
hause der Gegenpartei dagegen zu bewaffnen. Wie unpraktisch und pedantisch
war dagegen das Verhalten der deutschen Liberalen zu dem Gesetzentwürfe in
Betreff der Sozialdemokraten!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152773"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26"> haben, von verfassungsmäßigen Sicherheiten plappern und sich in Rhapsodien<lb/>
über die geheiligten Rechte der Staatsbürger ergehen, sollte beiseite gethan<lb/>
werden als nur geeignet für die Studirstube und den Debattirklub, nicht für<lb/>
praktische Staatsmänner und vernünftige Leute in einer Stunde, wo es zu<lb/>
handeln gilt. Die Aufgabe, welche die Regierung vor sich hat, ist nicht politischer<lb/>
Natur, sondern eine Verwaltungssache. Sie hat es mit einer furchtbaren ver¬<lb/>
brecherischen Organisation zu thun, die allerdings eine politische Maske in Ge¬<lb/>
stalt einer Agitation vorgenommen hat, ihrem Wesen nach aber eine Verschwörung<lb/>
zu Gewaltthaten und Gesetzverlctzungen ist. Nichts, was man auf dem Wege<lb/>
von Zugeständnissen thun könnte, weder Übereinkünfte noch Vergleiche, können<lb/>
etwas an den Umstünden ändern, nichts als gesteigerte polizeiliche Wachsamkeit,<lb/>
Anerbietung reichlicher Belohnungen für die, welche Enthüllungen machen können,<lb/>
und festes Frontmachen gegen die irische Revolution mit ihren Mordplänen. . . .<lb/>
Als der Staatssekretär Forster einst die Irish. 'Worlä sein Newyorker Blatt der<lb/>
Feines zitirte, um zu zeigen, daß Parnell den größern Teil seiner Agitations¬<lb/>
gelder von einem Redakteur erhalte, welcher das Verbrechen empfahl, behauptete<lb/>
der irische Wühler, dieses Blatt nie gelesen zu haben. »Aber,« so fuhr er fort,<lb/>
»der sehr ehrenwerte Herr hatte es gelesen. Ich hatte keine Gemalt über das<lb/>
Blatt, er aber gestattete, nachdem er es gelesen, dessen Verbreitung über ganz<lb/>
Irland, sodaß er für die Sprache, die es enthielt, verantwortlicher als ich ist.«<lb/>
Diese Antwort war nicht' unzutreffend. Warum sollte irgend eine englische Re¬<lb/>
gierung geschriebene oder gesprochene Revolution fortwährend predigen und Ver¬<lb/>
breche» hervorrufen lassen? Herr Forster duldete aus Zärtlichkeit gegen die<lb/>
Presse die Verbreitung jener Zeitung, die er zitirte, um Parnell der vorgängigen<lb/>
Beihilfe zu systematischer Gesetzverletzung anklagen zu können. Parnells Ant¬<lb/>
wort war: die liberale Milde und Langmut ist es, die man anklagen muß, und<lb/>
es ist schwierig, in Abrede zu stellen, daß er damit das Rechte traf."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Polizeimaßregeln also, Belohnung von Spionen, das Haus des Engländers<lb/>
vorläufig nicht mehr &#x201E;seine Burg," Schmälerung der Preßfreiheit. In der<lb/>
That, man traut seinen Augen kaum, wenn das dieselben Herren schreiben, welche<lb/>
unser Sozialistengesetz verurteilten. Ihre Vorschläge schmecken geradezu nach<lb/>
der dritten Abteilung in Petersburg, und wir vermögen keinen Unterschied zu<lb/>
entdecken zwischen ihnen und den Maßregeln, die gegen die Nihilisten ergriffen<lb/>
wurden und geholfen zu haben scheinen. Aber der Engländer ist trotz des Umsich¬<lb/>
greifens des Radikalismus im großen und ganzen immer noch ein Praktischer Geist,<lb/>
und so steht er, wenn es ihm selber an den Kragen geht, nicht an, mit Bei-<lb/>
seitcsetznng des liberalen und konstitutionellen Krimskrams sich aus dem Zeug¬<lb/>
hause der Gegenpartei dagegen zu bewaffnen. Wie unpraktisch und pedantisch<lb/>
war dagegen das Verhalten der deutschen Liberalen zu dem Gesetzentwürfe in<lb/>
Betreff der Sozialdemokraten!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] haben, von verfassungsmäßigen Sicherheiten plappern und sich in Rhapsodien über die geheiligten Rechte der Staatsbürger ergehen, sollte beiseite gethan werden als nur geeignet für die Studirstube und den Debattirklub, nicht für praktische Staatsmänner und vernünftige Leute in einer Stunde, wo es zu handeln gilt. Die Aufgabe, welche die Regierung vor sich hat, ist nicht politischer Natur, sondern eine Verwaltungssache. Sie hat es mit einer furchtbaren ver¬ brecherischen Organisation zu thun, die allerdings eine politische Maske in Ge¬ stalt einer Agitation vorgenommen hat, ihrem Wesen nach aber eine Verschwörung zu Gewaltthaten und Gesetzverlctzungen ist. Nichts, was man auf dem Wege von Zugeständnissen thun könnte, weder Übereinkünfte noch Vergleiche, können etwas an den Umstünden ändern, nichts als gesteigerte polizeiliche Wachsamkeit, Anerbietung reichlicher Belohnungen für die, welche Enthüllungen machen können, und festes Frontmachen gegen die irische Revolution mit ihren Mordplänen. . . . Als der Staatssekretär Forster einst die Irish. 'Worlä sein Newyorker Blatt der Feines zitirte, um zu zeigen, daß Parnell den größern Teil seiner Agitations¬ gelder von einem Redakteur erhalte, welcher das Verbrechen empfahl, behauptete der irische Wühler, dieses Blatt nie gelesen zu haben. »Aber,« so fuhr er fort, »der sehr ehrenwerte Herr hatte es gelesen. Ich hatte keine Gemalt über das Blatt, er aber gestattete, nachdem er es gelesen, dessen Verbreitung über ganz Irland, sodaß er für die Sprache, die es enthielt, verantwortlicher als ich ist.« Diese Antwort war nicht' unzutreffend. Warum sollte irgend eine englische Re¬ gierung geschriebene oder gesprochene Revolution fortwährend predigen und Ver¬ breche» hervorrufen lassen? Herr Forster duldete aus Zärtlichkeit gegen die Presse die Verbreitung jener Zeitung, die er zitirte, um Parnell der vorgängigen Beihilfe zu systematischer Gesetzverletzung anklagen zu können. Parnells Ant¬ wort war: die liberale Milde und Langmut ist es, die man anklagen muß, und es ist schwierig, in Abrede zu stellen, daß er damit das Rechte traf." Polizeimaßregeln also, Belohnung von Spionen, das Haus des Engländers vorläufig nicht mehr „seine Burg," Schmälerung der Preßfreiheit. In der That, man traut seinen Augen kaum, wenn das dieselben Herren schreiben, welche unser Sozialistengesetz verurteilten. Ihre Vorschläge schmecken geradezu nach der dritten Abteilung in Petersburg, und wir vermögen keinen Unterschied zu entdecken zwischen ihnen und den Maßregeln, die gegen die Nihilisten ergriffen wurden und geholfen zu haben scheinen. Aber der Engländer ist trotz des Umsich¬ greifens des Radikalismus im großen und ganzen immer noch ein Praktischer Geist, und so steht er, wenn es ihm selber an den Kragen geht, nicht an, mit Bei- seitcsetznng des liberalen und konstitutionellen Krimskrams sich aus dem Zeug¬ hause der Gegenpartei dagegen zu bewaffnen. Wie unpraktisch und pedantisch war dagegen das Verhalten der deutschen Liberalen zu dem Gesetzentwürfe in Betreff der Sozialdemokraten!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/16>, abgerufen am 01.07.2024.