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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Gladstone und die irischen Revolutionäre.

Weiter hat man in der Angst vor den nun auch in London mit Spreng¬
stoffen aufgetretenen Fernern und Genossen und in der Hitze des Gefechts den
Vorschlag gehört, man solle die irische Partei aus dem Parlamente stoßen und
ihren Wählern das Stimmrecht entziehen. Wir finden diesen Gedanken ebenso
unbillig als unnötig. Die Genossenschaft Parnells ist im Unterhause nur mächtig
und gefährlich, weil englische Parteien zu geneigt sind, mit Leuten, die sie
möglicherweise unterstützen können, zu kokettiren, oder solchen, die ihnen wahr¬
scheinlich Widerstand leisten werden, zu schmeicheln. Die Redseligkeit der Home-
ruler ist nur deshalb so verdrießlich breit, weil die Regeln des Unterhauses der
Geschwätzigkeit fast gar keine Schranken setzen. Die englische gesetzgebende Ver¬
sammlung ist unsers Wissens die einzige in der Welt, wo über Anträge und
Vorschläge bis ins unendliche hinein geschwatzt werden darf, und wo man lang¬
weiligen Menschen erlaubt, während die Kollegen der Mehrzahl nach in den
Speisesaal verschwunden sind, vor sechs oder sieben derselben die Zeit mit Gerede
zu vergeuden. Wenn man geeignete Vorkehrungen zur Beschränkung des Be¬
trags an Rede träfe, mit welchen das Parlament trotz der neulichen Reform
der Geschäftsordnung noch immer heimgesucht werden kann, so würde die irische
Partei im Hause der Gemeinen bald so harmlos werden, wie eine Wespe, der
man den Stachel ausgezogen hat. Sind ferner einmal drastische Mittel not¬
wendig, so darf man sie ohne Zweifel nur gegen einzelne, nicht gegen ein ganzes
Volk anwenden. Z. B. würde es an Wahnsinn grenzen, wollte man der Stadt
Cork ihr Wahlrecht nehmen, weil sie Parnell ins Parlament geschickt hat. Würde
dagegen der jetzige Vertreter dieser Stadt der Verschwörung gegen Gesetz und
Staat überführt, so könnte man dem Urteile sehr wohl die Klausel beifügen, er
sei fortan für so und so viele Jahre nicht wählbar. Es kann sich ferner fragen,
ob irgend welche Agitation für eine Lostrennung Irlands von England auf
irischen Boden weiter zu dulden sei. Unter dem lügenhaften und sehr durch¬
sichtige" Vorgeben, daß sie lediglich für Aufhebung einer Parlamentsakte wirkten,
haben die Agitatoren jahrelang Haß gegen England ausgesät. Die Union ist
ein ebenso fundamentaler Teil der Verfassung wie die Monarchie selbst, die sich
gleichfalls auf einen Parlamentsbeschluß, die Successionsakte, gründet, und es
würde ganz so logisch sein, eine Agitation für die Absetzung der Königin zu
gestatte", als eine solche, die auf Durchschneidung des Bandes abzielt, welches
die gesetzgebenden Gewalten der beiden Inseln aneinander fesselt, namentlich wenn
man weiß, daß die Agitatoren Hochverrat und Bürgerkrieg im Auge haben.
Der Krisis muß mit straffer Gerechtigkeit und Energie entgegengetreten werden,
nicht mit Maßregeln sozialer oder parlamentarischer Proskription, die sich gegen
Jrländer kehren, welche nicht gegen das Gesetz verstoßen haben.

Es ist jetzt Mode geworden, in ängstlichem Tone von den furchtbaren
Kräften zu reden, mit denen die Chemie heutzutage die Revolution bewaffnet
hat, und beinahe anzudeuten, diese Kräfte seien unwiderstehlich. Das ist Uber-


Grenzboten Q, 1883. 2
Gladstone und die irischen Revolutionäre.

Weiter hat man in der Angst vor den nun auch in London mit Spreng¬
stoffen aufgetretenen Fernern und Genossen und in der Hitze des Gefechts den
Vorschlag gehört, man solle die irische Partei aus dem Parlamente stoßen und
ihren Wählern das Stimmrecht entziehen. Wir finden diesen Gedanken ebenso
unbillig als unnötig. Die Genossenschaft Parnells ist im Unterhause nur mächtig
und gefährlich, weil englische Parteien zu geneigt sind, mit Leuten, die sie
möglicherweise unterstützen können, zu kokettiren, oder solchen, die ihnen wahr¬
scheinlich Widerstand leisten werden, zu schmeicheln. Die Redseligkeit der Home-
ruler ist nur deshalb so verdrießlich breit, weil die Regeln des Unterhauses der
Geschwätzigkeit fast gar keine Schranken setzen. Die englische gesetzgebende Ver¬
sammlung ist unsers Wissens die einzige in der Welt, wo über Anträge und
Vorschläge bis ins unendliche hinein geschwatzt werden darf, und wo man lang¬
weiligen Menschen erlaubt, während die Kollegen der Mehrzahl nach in den
Speisesaal verschwunden sind, vor sechs oder sieben derselben die Zeit mit Gerede
zu vergeuden. Wenn man geeignete Vorkehrungen zur Beschränkung des Be¬
trags an Rede träfe, mit welchen das Parlament trotz der neulichen Reform
der Geschäftsordnung noch immer heimgesucht werden kann, so würde die irische
Partei im Hause der Gemeinen bald so harmlos werden, wie eine Wespe, der
man den Stachel ausgezogen hat. Sind ferner einmal drastische Mittel not¬
wendig, so darf man sie ohne Zweifel nur gegen einzelne, nicht gegen ein ganzes
Volk anwenden. Z. B. würde es an Wahnsinn grenzen, wollte man der Stadt
Cork ihr Wahlrecht nehmen, weil sie Parnell ins Parlament geschickt hat. Würde
dagegen der jetzige Vertreter dieser Stadt der Verschwörung gegen Gesetz und
Staat überführt, so könnte man dem Urteile sehr wohl die Klausel beifügen, er
sei fortan für so und so viele Jahre nicht wählbar. Es kann sich ferner fragen,
ob irgend welche Agitation für eine Lostrennung Irlands von England auf
irischen Boden weiter zu dulden sei. Unter dem lügenhaften und sehr durch¬
sichtige» Vorgeben, daß sie lediglich für Aufhebung einer Parlamentsakte wirkten,
haben die Agitatoren jahrelang Haß gegen England ausgesät. Die Union ist
ein ebenso fundamentaler Teil der Verfassung wie die Monarchie selbst, die sich
gleichfalls auf einen Parlamentsbeschluß, die Successionsakte, gründet, und es
würde ganz so logisch sein, eine Agitation für die Absetzung der Königin zu
gestatte», als eine solche, die auf Durchschneidung des Bandes abzielt, welches
die gesetzgebenden Gewalten der beiden Inseln aneinander fesselt, namentlich wenn
man weiß, daß die Agitatoren Hochverrat und Bürgerkrieg im Auge haben.
Der Krisis muß mit straffer Gerechtigkeit und Energie entgegengetreten werden,
nicht mit Maßregeln sozialer oder parlamentarischer Proskription, die sich gegen
Jrländer kehren, welche nicht gegen das Gesetz verstoßen haben.

Es ist jetzt Mode geworden, in ängstlichem Tone von den furchtbaren
Kräften zu reden, mit denen die Chemie heutzutage die Revolution bewaffnet
hat, und beinahe anzudeuten, diese Kräfte seien unwiderstehlich. Das ist Uber-


Grenzboten Q, 1883. 2
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[0017] Gladstone und die irischen Revolutionäre. Weiter hat man in der Angst vor den nun auch in London mit Spreng¬ stoffen aufgetretenen Fernern und Genossen und in der Hitze des Gefechts den Vorschlag gehört, man solle die irische Partei aus dem Parlamente stoßen und ihren Wählern das Stimmrecht entziehen. Wir finden diesen Gedanken ebenso unbillig als unnötig. Die Genossenschaft Parnells ist im Unterhause nur mächtig und gefährlich, weil englische Parteien zu geneigt sind, mit Leuten, die sie möglicherweise unterstützen können, zu kokettiren, oder solchen, die ihnen wahr¬ scheinlich Widerstand leisten werden, zu schmeicheln. Die Redseligkeit der Home- ruler ist nur deshalb so verdrießlich breit, weil die Regeln des Unterhauses der Geschwätzigkeit fast gar keine Schranken setzen. Die englische gesetzgebende Ver¬ sammlung ist unsers Wissens die einzige in der Welt, wo über Anträge und Vorschläge bis ins unendliche hinein geschwatzt werden darf, und wo man lang¬ weiligen Menschen erlaubt, während die Kollegen der Mehrzahl nach in den Speisesaal verschwunden sind, vor sechs oder sieben derselben die Zeit mit Gerede zu vergeuden. Wenn man geeignete Vorkehrungen zur Beschränkung des Be¬ trags an Rede träfe, mit welchen das Parlament trotz der neulichen Reform der Geschäftsordnung noch immer heimgesucht werden kann, so würde die irische Partei im Hause der Gemeinen bald so harmlos werden, wie eine Wespe, der man den Stachel ausgezogen hat. Sind ferner einmal drastische Mittel not¬ wendig, so darf man sie ohne Zweifel nur gegen einzelne, nicht gegen ein ganzes Volk anwenden. Z. B. würde es an Wahnsinn grenzen, wollte man der Stadt Cork ihr Wahlrecht nehmen, weil sie Parnell ins Parlament geschickt hat. Würde dagegen der jetzige Vertreter dieser Stadt der Verschwörung gegen Gesetz und Staat überführt, so könnte man dem Urteile sehr wohl die Klausel beifügen, er sei fortan für so und so viele Jahre nicht wählbar. Es kann sich ferner fragen, ob irgend welche Agitation für eine Lostrennung Irlands von England auf irischen Boden weiter zu dulden sei. Unter dem lügenhaften und sehr durch¬ sichtige» Vorgeben, daß sie lediglich für Aufhebung einer Parlamentsakte wirkten, haben die Agitatoren jahrelang Haß gegen England ausgesät. Die Union ist ein ebenso fundamentaler Teil der Verfassung wie die Monarchie selbst, die sich gleichfalls auf einen Parlamentsbeschluß, die Successionsakte, gründet, und es würde ganz so logisch sein, eine Agitation für die Absetzung der Königin zu gestatte», als eine solche, die auf Durchschneidung des Bandes abzielt, welches die gesetzgebenden Gewalten der beiden Inseln aneinander fesselt, namentlich wenn man weiß, daß die Agitatoren Hochverrat und Bürgerkrieg im Auge haben. Der Krisis muß mit straffer Gerechtigkeit und Energie entgegengetreten werden, nicht mit Maßregeln sozialer oder parlamentarischer Proskription, die sich gegen Jrländer kehren, welche nicht gegen das Gesetz verstoßen haben. Es ist jetzt Mode geworden, in ängstlichem Tone von den furchtbaren Kräften zu reden, mit denen die Chemie heutzutage die Revolution bewaffnet hat, und beinahe anzudeuten, diese Kräfte seien unwiderstehlich. Das ist Uber- Grenzboten Q, 1883. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/17>, abgerufen am 01.07.2024.