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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ein neuer Lessingmythus.

des herzoglichen Hauses geschehen wäre. Auch macht er den Herzog allein für
jene Maßregel verantwortlich, während schon in dem Verbreitetsien Handbuche
der Braunschweig-Lüneburgischen Geschichte, bei W. Havemann (III. S, 622),
zu lesen steht, daß auch die Landstünde der Truppenlieferung zugestimmt haben.
Und das war keine leere Form; weiß man doch, daß zeitgemäße Reformversuche
auf verschiedenen Gebieten an dem Widerspruche der Landstände gescheitert sind.

Aber auch die Art und Weise der Ausführung jener Beschlüsse, die Truppen-
ciushebung, wird durch Herrn von Seventornen (S. 17) grundfalsch dargestellt. Mit
roher, rücksichtsloser Gewalt sei verfahren, alle alten gedienten Soldaten seien
wieder eingefordert worden. "Wer sich nicht binnen drei Tagen stellt," habe es
geheißen, "der kommt auf zehn Jahre nach Wolfenbüttel in den Karren," und
eine Anmerkung zu dieser Kraftstelle -- wohl um den Glauben an diese Er¬
zählung zu stärken -- belehrt uns. daß "im Zuchthause zu Wolfenbüttel die
in Ketten geschmiedeten Insassen schwere Karren ziehen mußten." Dies alles
sind rein aus der Luft gegriffene Behauptungen. Die Wahrheit ist, daß man
mit äußerster Schonung der Landesinteressen wie der Unterthanen vorging.
Denn die Mannschaften, durch welche die Regimenter vor dem Auszuge verstärkt
werden mußten, waren sämtlich geworben, und in den für die Werber aufge¬
stellten "Regeln" heißt es unter anderm ausdrücklich, daß die "zu liefernden
Rekruten sämtlich Ausländer und freiwyllig geworben" sein müßten. Ferner
sollen "die abzuliefernden Recruten sogleich bey ihrer Ablieferung, und ehe das
Werbegeld dafür bezahlt wird, ob bey ihrer Anwerbung etwas gewaltthätiges
oder sonst ordnungswidriges vorgegangen, genau exciminirt" werden.
Sodann haben sich die Werber "zu gewärtigen, daß, wann sich Landeskinder
und Unterthanen, ob sie sich gleich freywillig haben annehmen lassen,
oder uufreywillige Ausländer, desgleichen unmashaltige oder auch ungesunde
und unbrauchbare Leute darunter finden, selbige ohne Rücksicht ausgeschlossen"
werden. In man ging noch weiter; man suchte auch die im Dienste befindlichen
Landeskinder möglichst aus den Regimentern zu entfernen. Eine Verordnung
vom 9. Februar 1776 bestimmte in dieser Beziehung folgendes: "Um sowol
eines Theils die zum March bestunden Regimenter zu completiren, als auch und
vornemlich zum Nutzen des Publici die annoch unter Gewehr stehende würklich
oder bald in Hofnung angesessene Landes-Kinder austauschen und ohn¬
verrückt hier behalten zu können, haben wir gnädigst resolviret, die sich hier
und da auf den Dörfern aufhaltende unnütze oder sonst entbehrliche, zum Kriegs¬
dienst jedoch noch tüchtige und wo nicht völlig maaßhaltige, doch derselben nahe
kommende starke Leute freiwillig und gegen ein Handgeld von 3. 4. 5 bis
auf 10 Th. und 2 Th. vouveur anwerben zu lasten. Wobey Wir jedoch
nochmals declariren, wie ihr es auch den Leuten kund zu machen habt, daß
durchaus keine Gewalt bey dieser Anwerbung statt finden soll."
Diese Bestimmungen wurden in späteren Verordnungen mehrfach wiederholt.


Ein neuer Lessingmythus.

des herzoglichen Hauses geschehen wäre. Auch macht er den Herzog allein für
jene Maßregel verantwortlich, während schon in dem Verbreitetsien Handbuche
der Braunschweig-Lüneburgischen Geschichte, bei W. Havemann (III. S, 622),
zu lesen steht, daß auch die Landstünde der Truppenlieferung zugestimmt haben.
Und das war keine leere Form; weiß man doch, daß zeitgemäße Reformversuche
auf verschiedenen Gebieten an dem Widerspruche der Landstände gescheitert sind.

Aber auch die Art und Weise der Ausführung jener Beschlüsse, die Truppen-
ciushebung, wird durch Herrn von Seventornen (S. 17) grundfalsch dargestellt. Mit
roher, rücksichtsloser Gewalt sei verfahren, alle alten gedienten Soldaten seien
wieder eingefordert worden. „Wer sich nicht binnen drei Tagen stellt," habe es
geheißen, „der kommt auf zehn Jahre nach Wolfenbüttel in den Karren," und
eine Anmerkung zu dieser Kraftstelle — wohl um den Glauben an diese Er¬
zählung zu stärken — belehrt uns. daß „im Zuchthause zu Wolfenbüttel die
in Ketten geschmiedeten Insassen schwere Karren ziehen mußten." Dies alles
sind rein aus der Luft gegriffene Behauptungen. Die Wahrheit ist, daß man
mit äußerster Schonung der Landesinteressen wie der Unterthanen vorging.
Denn die Mannschaften, durch welche die Regimenter vor dem Auszuge verstärkt
werden mußten, waren sämtlich geworben, und in den für die Werber aufge¬
stellten „Regeln" heißt es unter anderm ausdrücklich, daß die „zu liefernden
Rekruten sämtlich Ausländer und freiwyllig geworben" sein müßten. Ferner
sollen „die abzuliefernden Recruten sogleich bey ihrer Ablieferung, und ehe das
Werbegeld dafür bezahlt wird, ob bey ihrer Anwerbung etwas gewaltthätiges
oder sonst ordnungswidriges vorgegangen, genau exciminirt" werden.
Sodann haben sich die Werber „zu gewärtigen, daß, wann sich Landeskinder
und Unterthanen, ob sie sich gleich freywillig haben annehmen lassen,
oder uufreywillige Ausländer, desgleichen unmashaltige oder auch ungesunde
und unbrauchbare Leute darunter finden, selbige ohne Rücksicht ausgeschlossen"
werden. In man ging noch weiter; man suchte auch die im Dienste befindlichen
Landeskinder möglichst aus den Regimentern zu entfernen. Eine Verordnung
vom 9. Februar 1776 bestimmte in dieser Beziehung folgendes: „Um sowol
eines Theils die zum March bestunden Regimenter zu completiren, als auch und
vornemlich zum Nutzen des Publici die annoch unter Gewehr stehende würklich
oder bald in Hofnung angesessene Landes-Kinder austauschen und ohn¬
verrückt hier behalten zu können, haben wir gnädigst resolviret, die sich hier
und da auf den Dörfern aufhaltende unnütze oder sonst entbehrliche, zum Kriegs¬
dienst jedoch noch tüchtige und wo nicht völlig maaßhaltige, doch derselben nahe
kommende starke Leute freiwillig und gegen ein Handgeld von 3. 4. 5 bis
auf 10 Th. und 2 Th. vouveur anwerben zu lasten. Wobey Wir jedoch
nochmals declariren, wie ihr es auch den Leuten kund zu machen habt, daß
durchaus keine Gewalt bey dieser Anwerbung statt finden soll."
Diese Bestimmungen wurden in späteren Verordnungen mehrfach wiederholt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/143>, abgerufen am 03.07.2024.