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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Ein neuer Lessingmythus.

gänzlich verschwiegen. Und zu welchem Zwecke? Um für die leuchtende Gestalt
Lessings einen recht dunkeln Hintergrund zu gewinnen. Als wenn die Persön¬
lichkeit des gewaltigen Mannes solcher kleinlichen Kunstgriffe bedürfte! als wenn
sie dadurch gewinnen könnte! Herr von Seventorneu scheint dergleichen freilich
für nötig zu halten. Denn um die Zeit recht finster erscheinen zu lassen,
werden die Ursachen wirklich vorhandener Mißstände soweit als möglich ins
Arge gezogen, werden die Thatsachen willkürlich entstellt. Ein harter Ausspruch,
der sich aber an der Hand von Druckschriften unwiderleglich beweisen läßt.
Wer aber schon diese nicht kennt oder eigenmächtig bei Seite schiebt, soll mau
von dem glauben, daß er bei Benutzung von Akten, wenn er solche überhaupt
eingesehen hat, der Wahrheit allein die Ehre giebt? muß mau nicht vielmehr
befürchten, daß er hier seiner Phantasie ebenfalls die Zügel schießen läßt?

Besonders auffällig tritt das Bestreben der Schwarzfärberei bei der Beur¬
teilung der sogenannten Subsidienvertrüge hervor, dnrch welche bekanntlich mehrere
braunschweigische Regimenter an England für den amerikanischen Krieg über¬
lassen wurden. Es wird in unseren Tagen, wo solche Dinge glücklicherweise
zur Unmöglichkeit geworden sind, gewiß niemand einfallen, diesen Verträgen
das Wort reden zu wollen. Aber die Forderung wird doch wohl gerecht sein,
daß man dieselben im Geiste der Zeit beurteile und sie durch Uebertreibungen
nicht schlimmer erscheinen lasse, als sie in Wirklichkeit waren. Das Herzogthum
Braunschweig stand dicht vor dem finanziellen Bankerott. Man kann es Herrn
v. S. nicht allzuhoch anrechnen, daß er dafür lediglich die von Zeitgenossen
und Späteren arg übertriebene Verschwendung Herzog Karls I. verantwortlich
macht, da dieser Irrtum in vielen Geschichtswerken sich findet. In Wahrheit
aber kamen viele ungünstige Umstände zusammen, diese böse finanzielle Lage
hervorzurufen; so die von den Vorgängern vererbte Schuldenlast, die über¬
mäßigen Kraftanstrengungen, welche der siebenjährige Krieg dem Lande auferlegt
hatte, die Verwüstungen, welche der Krieg hinterließ, das Ausbleiben der von
englischer Seite fest erwarteten Entschädigungsgelder, die durch dies alles ver¬
ursachten wirtschaftlichen Stockungen, welche auch die mit großem Sinne errich¬
teten gewerblichen Staatsanlagen aufs empfindlichste schädigten; dazu dann der
Unterhalt mehrerer fürstlichen Wittwen, zahlreicher Prinzen und Prinzessinnen
u. s. w. -- Momente, deren nähere Darlegung hier zu weit führen würde.
Das zweifellose Verdienst des damaligen Erbprinzen und spätern Herzogs Karl
Wilhelm Ferdinand ist, daß er das Land aus dieser traurigen Lage durch weise,
ihm selbst große Entsagungen auferlegende Maßregeln in geordnete, glückliche
Verhältnisse übergeführt hat. Unter den obwaltenden Zeitumständen aber wäre
es ohne Hilfe des englischen Geldes die bare Unmöglichkeit gewesen, der
drückenden Schuldenlast so schnell, wie es geschehen ist, ledig zu werden. Diesen
Gesichtspunkt, den Drang der Landesnvt, setzt v. S. vollkommen außer Augen.
Voll Entsetzen stellt er die Dinge so dar, als wenn alles nur zum Vorteil


Ein neuer Lessingmythus.

gänzlich verschwiegen. Und zu welchem Zwecke? Um für die leuchtende Gestalt
Lessings einen recht dunkeln Hintergrund zu gewinnen. Als wenn die Persön¬
lichkeit des gewaltigen Mannes solcher kleinlichen Kunstgriffe bedürfte! als wenn
sie dadurch gewinnen könnte! Herr von Seventorneu scheint dergleichen freilich
für nötig zu halten. Denn um die Zeit recht finster erscheinen zu lassen,
werden die Ursachen wirklich vorhandener Mißstände soweit als möglich ins
Arge gezogen, werden die Thatsachen willkürlich entstellt. Ein harter Ausspruch,
der sich aber an der Hand von Druckschriften unwiderleglich beweisen läßt.
Wer aber schon diese nicht kennt oder eigenmächtig bei Seite schiebt, soll mau
von dem glauben, daß er bei Benutzung von Akten, wenn er solche überhaupt
eingesehen hat, der Wahrheit allein die Ehre giebt? muß mau nicht vielmehr
befürchten, daß er hier seiner Phantasie ebenfalls die Zügel schießen läßt?

Besonders auffällig tritt das Bestreben der Schwarzfärberei bei der Beur¬
teilung der sogenannten Subsidienvertrüge hervor, dnrch welche bekanntlich mehrere
braunschweigische Regimenter an England für den amerikanischen Krieg über¬
lassen wurden. Es wird in unseren Tagen, wo solche Dinge glücklicherweise
zur Unmöglichkeit geworden sind, gewiß niemand einfallen, diesen Verträgen
das Wort reden zu wollen. Aber die Forderung wird doch wohl gerecht sein,
daß man dieselben im Geiste der Zeit beurteile und sie durch Uebertreibungen
nicht schlimmer erscheinen lasse, als sie in Wirklichkeit waren. Das Herzogthum
Braunschweig stand dicht vor dem finanziellen Bankerott. Man kann es Herrn
v. S. nicht allzuhoch anrechnen, daß er dafür lediglich die von Zeitgenossen
und Späteren arg übertriebene Verschwendung Herzog Karls I. verantwortlich
macht, da dieser Irrtum in vielen Geschichtswerken sich findet. In Wahrheit
aber kamen viele ungünstige Umstände zusammen, diese böse finanzielle Lage
hervorzurufen; so die von den Vorgängern vererbte Schuldenlast, die über¬
mäßigen Kraftanstrengungen, welche der siebenjährige Krieg dem Lande auferlegt
hatte, die Verwüstungen, welche der Krieg hinterließ, das Ausbleiben der von
englischer Seite fest erwarteten Entschädigungsgelder, die durch dies alles ver¬
ursachten wirtschaftlichen Stockungen, welche auch die mit großem Sinne errich¬
teten gewerblichen Staatsanlagen aufs empfindlichste schädigten; dazu dann der
Unterhalt mehrerer fürstlichen Wittwen, zahlreicher Prinzen und Prinzessinnen
u. s. w. — Momente, deren nähere Darlegung hier zu weit führen würde.
Das zweifellose Verdienst des damaligen Erbprinzen und spätern Herzogs Karl
Wilhelm Ferdinand ist, daß er das Land aus dieser traurigen Lage durch weise,
ihm selbst große Entsagungen auferlegende Maßregeln in geordnete, glückliche
Verhältnisse übergeführt hat. Unter den obwaltenden Zeitumständen aber wäre
es ohne Hilfe des englischen Geldes die bare Unmöglichkeit gewesen, der
drückenden Schuldenlast so schnell, wie es geschehen ist, ledig zu werden. Diesen
Gesichtspunkt, den Drang der Landesnvt, setzt v. S. vollkommen außer Augen.
Voll Entsetzen stellt er die Dinge so dar, als wenn alles nur zum Vorteil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/142>, abgerufen am 03.07.2024.