Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

Luther gleichfalls in dem mehrfach erwähnten Sendschreiben "vom Dolmetscher"
behandelt. Er sagt da, daß man Matth. 26, Mark. 14 den Satz: Ut auiÄ
psräitio isw ungusuti lÄotg, sse? nicht mit den Buchstabilisten übersetzen dürfe:
Warum ist die Verlierung der Salbe geschehen? In gutem Deutsch müsse das
heißen: Was soll doch solcher Unrat? d. h., wie er es selbst erläutert, daß
Magdalena mit der verschütteten Salbe unrätlich umgegangen sei, weshalb er
auch übersetzt: Es ist Schad um die Salbe. Heutzutage wird das Wort Unrat
kaum mehr richtig verstanden werden; es wäre also etwa mit "Vergeudung"
zu vertauschen.

Aber es fehlt auch nicht an Stellen, wo Luther den Urtext nicht richtig
aufgefaßt hat. Er giebt z. B. deu hebräischen Ausdruck ohn-ssmini wieder durch
"der Sohn Jemini," während es "der Benjaminit" bedeutet; im neuen Testa¬
mente übersetzt er z. B. Markus 16, 2, "an einem Sabbather," wo es "am
ersten Tage der Woche" heißen muß, da der Plural s^oviM hier die Woche be¬
zeichnet. 1. Mose 27, 39 in dem Segen Jsaaks über Esau muß es heißen:
"Siehe, du wirst eine Wohnung haben ohne Fettigkeit der Erde und ohne Thau";
Luther übersetzte hier das Gegentheil: "eine fette Wohnung auf Erden, und vom
Thau des Himmels von oben her," weil er nicht wußte, daß die unserm
Deutschen "von" entsprechende hebräische Präposition min außer der gewöhn¬
lichen partitiveu Bedeutung auch privative Bedeutung haben kann. An manchen
Stellen spielt auch Luthers allegorische Auffassung hinein, die er zumeist der
6Jo8W oräiruu-iA entnahm. Im Segen Jakobs über Joseph 1. Mose 49, 22
heißt es nach richtiger Übersetzung: "Joseph wird wachsen, er wird wachsen
wie ein Baum an der Quelle, daß die Zweige emporsteigen über die Mauer."
Luther aber übersetzte den letzten Satz: "Die Töchter treten einher im Regiments,"
weil man den Satz allegorisch aus die wohlregierten Städte im Lande bezog,
während im Urtext mit den Töchtern (des Baumes) nach der bildlichen Aus¬
drucksweise des Orients die Zweige gemeint sind, sodaß der letzte Satz das Bild
weiterführt. Eine bekannte Stelle ähnlicher Art aus dem neuen Testament ist
Apostelgeschichte 17, 11, wo Luther übersetzt: "Sie (die Juden zu Beröa) waren
aber die edelsten unter denen zu Thessalonich," während es heißen muß: "Diese
aber waren edler als die zu Thessalonich." Auch hier hat Luther die Kon¬
struktion mißverstanden, indem er den vom Komparativ abhängigen Genetiv
partitiv faßte.

Der Wunsch nach einer Revision der Lutherbibel ist schon früh aufgetaucht.
Der erste, der bei aller Anerkennung der Vortrefflichkeit der Arbeit Luthers
auf die Notwendigkeit einer solchen Revision hinwies, war August Hermann
Francke, der Gründer des Hallischen Waisenhauses. In einer im Jahre 1695
herausgegebenen Monatsschrift 0b8trog.t,lors8 didlio^s suchte er bescheidentlich
nachzuweisen, wie man an nicht wenigen Stellen der Übersetzung Luthers im
Interesse des lauteren Verstandes der heiligen Schrift und der Erbauung in der


Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

Luther gleichfalls in dem mehrfach erwähnten Sendschreiben „vom Dolmetscher"
behandelt. Er sagt da, daß man Matth. 26, Mark. 14 den Satz: Ut auiÄ
psräitio isw ungusuti lÄotg, sse? nicht mit den Buchstabilisten übersetzen dürfe:
Warum ist die Verlierung der Salbe geschehen? In gutem Deutsch müsse das
heißen: Was soll doch solcher Unrat? d. h., wie er es selbst erläutert, daß
Magdalena mit der verschütteten Salbe unrätlich umgegangen sei, weshalb er
auch übersetzt: Es ist Schad um die Salbe. Heutzutage wird das Wort Unrat
kaum mehr richtig verstanden werden; es wäre also etwa mit „Vergeudung"
zu vertauschen.

Aber es fehlt auch nicht an Stellen, wo Luther den Urtext nicht richtig
aufgefaßt hat. Er giebt z. B. deu hebräischen Ausdruck ohn-ssmini wieder durch
„der Sohn Jemini," während es „der Benjaminit" bedeutet; im neuen Testa¬
mente übersetzt er z. B. Markus 16, 2, „an einem Sabbather," wo es „am
ersten Tage der Woche" heißen muß, da der Plural s^oviM hier die Woche be¬
zeichnet. 1. Mose 27, 39 in dem Segen Jsaaks über Esau muß es heißen:
„Siehe, du wirst eine Wohnung haben ohne Fettigkeit der Erde und ohne Thau";
Luther übersetzte hier das Gegentheil: „eine fette Wohnung auf Erden, und vom
Thau des Himmels von oben her," weil er nicht wußte, daß die unserm
Deutschen „von" entsprechende hebräische Präposition min außer der gewöhn¬
lichen partitiveu Bedeutung auch privative Bedeutung haben kann. An manchen
Stellen spielt auch Luthers allegorische Auffassung hinein, die er zumeist der
6Jo8W oräiruu-iA entnahm. Im Segen Jakobs über Joseph 1. Mose 49, 22
heißt es nach richtiger Übersetzung: „Joseph wird wachsen, er wird wachsen
wie ein Baum an der Quelle, daß die Zweige emporsteigen über die Mauer."
Luther aber übersetzte den letzten Satz: „Die Töchter treten einher im Regiments,"
weil man den Satz allegorisch aus die wohlregierten Städte im Lande bezog,
während im Urtext mit den Töchtern (des Baumes) nach der bildlichen Aus¬
drucksweise des Orients die Zweige gemeint sind, sodaß der letzte Satz das Bild
weiterführt. Eine bekannte Stelle ähnlicher Art aus dem neuen Testament ist
Apostelgeschichte 17, 11, wo Luther übersetzt: „Sie (die Juden zu Beröa) waren
aber die edelsten unter denen zu Thessalonich," während es heißen muß: „Diese
aber waren edler als die zu Thessalonich." Auch hier hat Luther die Kon¬
struktion mißverstanden, indem er den vom Komparativ abhängigen Genetiv
partitiv faßte.

Der Wunsch nach einer Revision der Lutherbibel ist schon früh aufgetaucht.
Der erste, der bei aller Anerkennung der Vortrefflichkeit der Arbeit Luthers
auf die Notwendigkeit einer solchen Revision hinwies, war August Hermann
Francke, der Gründer des Hallischen Waisenhauses. In einer im Jahre 1695
herausgegebenen Monatsschrift 0b8trog.t,lors8 didlio^s suchte er bescheidentlich
nachzuweisen, wie man an nicht wenigen Stellen der Übersetzung Luthers im
Interesse des lauteren Verstandes der heiligen Schrift und der Erbauung in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152891"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_546" prev="#ID_545"> Luther gleichfalls in dem mehrfach erwähnten Sendschreiben &#x201E;vom Dolmetscher"<lb/>
behandelt. Er sagt da, daß man Matth. 26, Mark. 14 den Satz: Ut auiÄ<lb/>
psräitio isw ungusuti lÄotg, sse? nicht mit den Buchstabilisten übersetzen dürfe:<lb/>
Warum ist die Verlierung der Salbe geschehen? In gutem Deutsch müsse das<lb/>
heißen: Was soll doch solcher Unrat? d. h., wie er es selbst erläutert, daß<lb/>
Magdalena mit der verschütteten Salbe unrätlich umgegangen sei, weshalb er<lb/>
auch übersetzt: Es ist Schad um die Salbe. Heutzutage wird das Wort Unrat<lb/>
kaum mehr richtig verstanden werden; es wäre also etwa mit &#x201E;Vergeudung"<lb/>
zu vertauschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_547"> Aber es fehlt auch nicht an Stellen, wo Luther den Urtext nicht richtig<lb/>
aufgefaßt hat. Er giebt z. B. deu hebräischen Ausdruck ohn-ssmini wieder durch<lb/>
&#x201E;der Sohn Jemini," während es &#x201E;der Benjaminit" bedeutet; im neuen Testa¬<lb/>
mente übersetzt er z. B. Markus 16, 2, &#x201E;an einem Sabbather," wo es &#x201E;am<lb/>
ersten Tage der Woche" heißen muß, da der Plural s^oviM hier die Woche be¬<lb/>
zeichnet. 1. Mose 27, 39 in dem Segen Jsaaks über Esau muß es heißen:<lb/>
&#x201E;Siehe, du wirst eine Wohnung haben ohne Fettigkeit der Erde und ohne Thau";<lb/>
Luther übersetzte hier das Gegentheil: &#x201E;eine fette Wohnung auf Erden, und vom<lb/>
Thau des Himmels von oben her," weil er nicht wußte, daß die unserm<lb/>
Deutschen &#x201E;von" entsprechende hebräische Präposition min außer der gewöhn¬<lb/>
lichen partitiveu Bedeutung auch privative Bedeutung haben kann. An manchen<lb/>
Stellen spielt auch Luthers allegorische Auffassung hinein, die er zumeist der<lb/>
6Jo8W oräiruu-iA entnahm. Im Segen Jakobs über Joseph 1. Mose 49, 22<lb/>
heißt es nach richtiger Übersetzung: &#x201E;Joseph wird wachsen, er wird wachsen<lb/>
wie ein Baum an der Quelle, daß die Zweige emporsteigen über die Mauer."<lb/>
Luther aber übersetzte den letzten Satz: &#x201E;Die Töchter treten einher im Regiments,"<lb/>
weil man den Satz allegorisch aus die wohlregierten Städte im Lande bezog,<lb/>
während im Urtext mit den Töchtern (des Baumes) nach der bildlichen Aus¬<lb/>
drucksweise des Orients die Zweige gemeint sind, sodaß der letzte Satz das Bild<lb/>
weiterführt. Eine bekannte Stelle ähnlicher Art aus dem neuen Testament ist<lb/>
Apostelgeschichte 17, 11, wo Luther übersetzt: &#x201E;Sie (die Juden zu Beröa) waren<lb/>
aber die edelsten unter denen zu Thessalonich," während es heißen muß: &#x201E;Diese<lb/>
aber waren edler als die zu Thessalonich." Auch hier hat Luther die Kon¬<lb/>
struktion mißverstanden, indem er den vom Komparativ abhängigen Genetiv<lb/>
partitiv faßte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_548" next="#ID_549"> Der Wunsch nach einer Revision der Lutherbibel ist schon früh aufgetaucht.<lb/>
Der erste, der bei aller Anerkennung der Vortrefflichkeit der Arbeit Luthers<lb/>
auf die Notwendigkeit einer solchen Revision hinwies, war August Hermann<lb/>
Francke, der Gründer des Hallischen Waisenhauses. In einer im Jahre 1695<lb/>
herausgegebenen Monatsschrift 0b8trog.t,lors8 didlio^s suchte er bescheidentlich<lb/>
nachzuweisen, wie man an nicht wenigen Stellen der Übersetzung Luthers im<lb/>
Interesse des lauteren Verstandes der heiligen Schrift und der Erbauung in der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134] Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung. Luther gleichfalls in dem mehrfach erwähnten Sendschreiben „vom Dolmetscher" behandelt. Er sagt da, daß man Matth. 26, Mark. 14 den Satz: Ut auiÄ psräitio isw ungusuti lÄotg, sse? nicht mit den Buchstabilisten übersetzen dürfe: Warum ist die Verlierung der Salbe geschehen? In gutem Deutsch müsse das heißen: Was soll doch solcher Unrat? d. h., wie er es selbst erläutert, daß Magdalena mit der verschütteten Salbe unrätlich umgegangen sei, weshalb er auch übersetzt: Es ist Schad um die Salbe. Heutzutage wird das Wort Unrat kaum mehr richtig verstanden werden; es wäre also etwa mit „Vergeudung" zu vertauschen. Aber es fehlt auch nicht an Stellen, wo Luther den Urtext nicht richtig aufgefaßt hat. Er giebt z. B. deu hebräischen Ausdruck ohn-ssmini wieder durch „der Sohn Jemini," während es „der Benjaminit" bedeutet; im neuen Testa¬ mente übersetzt er z. B. Markus 16, 2, „an einem Sabbather," wo es „am ersten Tage der Woche" heißen muß, da der Plural s^oviM hier die Woche be¬ zeichnet. 1. Mose 27, 39 in dem Segen Jsaaks über Esau muß es heißen: „Siehe, du wirst eine Wohnung haben ohne Fettigkeit der Erde und ohne Thau"; Luther übersetzte hier das Gegentheil: „eine fette Wohnung auf Erden, und vom Thau des Himmels von oben her," weil er nicht wußte, daß die unserm Deutschen „von" entsprechende hebräische Präposition min außer der gewöhn¬ lichen partitiveu Bedeutung auch privative Bedeutung haben kann. An manchen Stellen spielt auch Luthers allegorische Auffassung hinein, die er zumeist der 6Jo8W oräiruu-iA entnahm. Im Segen Jakobs über Joseph 1. Mose 49, 22 heißt es nach richtiger Übersetzung: „Joseph wird wachsen, er wird wachsen wie ein Baum an der Quelle, daß die Zweige emporsteigen über die Mauer." Luther aber übersetzte den letzten Satz: „Die Töchter treten einher im Regiments," weil man den Satz allegorisch aus die wohlregierten Städte im Lande bezog, während im Urtext mit den Töchtern (des Baumes) nach der bildlichen Aus¬ drucksweise des Orients die Zweige gemeint sind, sodaß der letzte Satz das Bild weiterführt. Eine bekannte Stelle ähnlicher Art aus dem neuen Testament ist Apostelgeschichte 17, 11, wo Luther übersetzt: „Sie (die Juden zu Beröa) waren aber die edelsten unter denen zu Thessalonich," während es heißen muß: „Diese aber waren edler als die zu Thessalonich." Auch hier hat Luther die Kon¬ struktion mißverstanden, indem er den vom Komparativ abhängigen Genetiv partitiv faßte. Der Wunsch nach einer Revision der Lutherbibel ist schon früh aufgetaucht. Der erste, der bei aller Anerkennung der Vortrefflichkeit der Arbeit Luthers auf die Notwendigkeit einer solchen Revision hinwies, war August Hermann Francke, der Gründer des Hallischen Waisenhauses. In einer im Jahre 1695 herausgegebenen Monatsschrift 0b8trog.t,lors8 didlio^s suchte er bescheidentlich nachzuweisen, wie man an nicht wenigen Stellen der Übersetzung Luthers im Interesse des lauteren Verstandes der heiligen Schrift und der Erbauung in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/134
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/134>, abgerufen am 01.10.2024.