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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

vergangen sind, hat die Schriftauslegung große Fortschritte gemacht, und zumal
in unserm Jahrhundert hat die gesamte Philologie durch tieferes Erfassen
des psychologischen Momentes der Sprache auch zu einem tiefern Eindringen
in den Geist und die Ausdrucksmittel der einzelnen Sprachen und der einzelnen
Schriftsteller geführt. So ist mau auch in das Verstüuduis der Grundsprache"
und des Textes der Bibel immer weiter eingedrungen, sodaß mir jetzt vieles
einzelne besser und richtiger verstehen, als wie es Luther vermochte. Wenn
man trotzdem nicht früher schon zu einer durchgreifenden Revision von Luthers
Übersetzung geschritten ist, so hat dies seinen Grund teils in der Ehrfurcht
vor dem Namen Luthers, teils darin, daß bei uns die Theologie allzulange
zu sehr für die Theologen, zu wenig für die Gemeinde gearbeitet hat, daß man
sich deshalb nicht genug bemühte, die Ergebnisse theologischer Forschung gemein^
verständlich zu bearbeiten.

Aber auch nach der Seite des dentschen Ausdrucks bedarf vieles in der
lutherischen Übersetzung einer Berichtigung. Die deutsche Sprache hat seit
Luther nicht stillgestanden in ihrer natürlichen Entwicklung. Manche Ausdrücke
sind uus unverständlich geworden, andre Wörter werden in einem andern
Sinne gebraucht als zu Luthers Zeiten; auch die Formbildung und die Kor--
struktion der Nennwörter und der Zeitwörter hat sich vielfach geändert. Da
galt es denn zunächst den Text der Lutherischen Bibel von den Fehlern zu
reinigen, welche im Laufe der Zeit durch Mißverständnis der Sprache Luthers
eingedrungen sind. Bei Luther lautet z. B. der Plural vieler Wörter wie der
Singular, und umgekehrt bildet er den Genetiv, Dativ und Aecusativ gewisser
weiblichen Nennwörter im Singular auf en, was in unsrer Sprachweise der
Plural ist. So heißt es in unser" Bibeln Richter 4, 5, daß Debora uuter den
Palmen Debora wohnte; Luther hatte richtig übersetzt: unter der Palmen De-
bora, da der Grundtext nur von einer Palme redet; spätere Herausgeber aber
vertauschten dies aus Unkenntniß mit: "unter den Palmen." Ferner braucht
Luther nach Zeitwörter" öfter andere Kasus als wir. Wenn es 1. Mose 3, 24
bei ihm heißt: Gott lagerte vor den Garten Eden den Cherubim, so hat er damit
richtig den Plural gemeint, da er lagern (ein Lager bereiten) mit dem Dativ
konstruirt; nach unsrer Sprache muß es also "die Cherubim" heißen. So hat
man auch für den Lutherischen Ausdruck "reich Arabien" Trabis, tslix) irr¬
tümlich "Reich Arabien" (z. B. 1. Könige, 10, 1) eingesetzt. Weiter sind manche
Ausdrücke für uns mißverständlich geworden, da sie in dem Sinne, in welchem
Luther sie gebrauchte, in der lebenden Sprache nicht mehr vorhanden sind.
So braucht Luther das Adverbium "lieber" im Sinne von "doch," während wir
es in Stellen wie 1. Mose 13, 8: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen'mir
und dir, irrthümlich für den Vokativ halte"; daß es Luther nicht so faßte, geht
aus Stellen wie Richter 4, 19, Psalm 137, 3 hervor, wo eine Frau oder
mehrere angeredet werden. Instruktiv ist auch die Stelle Matth. 26, 3, welche


Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

vergangen sind, hat die Schriftauslegung große Fortschritte gemacht, und zumal
in unserm Jahrhundert hat die gesamte Philologie durch tieferes Erfassen
des psychologischen Momentes der Sprache auch zu einem tiefern Eindringen
in den Geist und die Ausdrucksmittel der einzelnen Sprachen und der einzelnen
Schriftsteller geführt. So ist mau auch in das Verstüuduis der Grundsprache«
und des Textes der Bibel immer weiter eingedrungen, sodaß mir jetzt vieles
einzelne besser und richtiger verstehen, als wie es Luther vermochte. Wenn
man trotzdem nicht früher schon zu einer durchgreifenden Revision von Luthers
Übersetzung geschritten ist, so hat dies seinen Grund teils in der Ehrfurcht
vor dem Namen Luthers, teils darin, daß bei uns die Theologie allzulange
zu sehr für die Theologen, zu wenig für die Gemeinde gearbeitet hat, daß man
sich deshalb nicht genug bemühte, die Ergebnisse theologischer Forschung gemein^
verständlich zu bearbeiten.

Aber auch nach der Seite des dentschen Ausdrucks bedarf vieles in der
lutherischen Übersetzung einer Berichtigung. Die deutsche Sprache hat seit
Luther nicht stillgestanden in ihrer natürlichen Entwicklung. Manche Ausdrücke
sind uus unverständlich geworden, andre Wörter werden in einem andern
Sinne gebraucht als zu Luthers Zeiten; auch die Formbildung und die Kor--
struktion der Nennwörter und der Zeitwörter hat sich vielfach geändert. Da
galt es denn zunächst den Text der Lutherischen Bibel von den Fehlern zu
reinigen, welche im Laufe der Zeit durch Mißverständnis der Sprache Luthers
eingedrungen sind. Bei Luther lautet z. B. der Plural vieler Wörter wie der
Singular, und umgekehrt bildet er den Genetiv, Dativ und Aecusativ gewisser
weiblichen Nennwörter im Singular auf en, was in unsrer Sprachweise der
Plural ist. So heißt es in unser» Bibeln Richter 4, 5, daß Debora uuter den
Palmen Debora wohnte; Luther hatte richtig übersetzt: unter der Palmen De-
bora, da der Grundtext nur von einer Palme redet; spätere Herausgeber aber
vertauschten dies aus Unkenntniß mit: „unter den Palmen." Ferner braucht
Luther nach Zeitwörter» öfter andere Kasus als wir. Wenn es 1. Mose 3, 24
bei ihm heißt: Gott lagerte vor den Garten Eden den Cherubim, so hat er damit
richtig den Plural gemeint, da er lagern (ein Lager bereiten) mit dem Dativ
konstruirt; nach unsrer Sprache muß es also „die Cherubim" heißen. So hat
man auch für den Lutherischen Ausdruck „reich Arabien" Trabis, tslix) irr¬
tümlich „Reich Arabien" (z. B. 1. Könige, 10, 1) eingesetzt. Weiter sind manche
Ausdrücke für uns mißverständlich geworden, da sie in dem Sinne, in welchem
Luther sie gebrauchte, in der lebenden Sprache nicht mehr vorhanden sind.
So braucht Luther das Adverbium „lieber" im Sinne von „doch," während wir
es in Stellen wie 1. Mose 13, 8: Lieber, laß nicht Zank sein zwischen'mir
und dir, irrthümlich für den Vokativ halte»; daß es Luther nicht so faßte, geht
aus Stellen wie Richter 4, 19, Psalm 137, 3 hervor, wo eine Frau oder
mehrere angeredet werden. Instruktiv ist auch die Stelle Matth. 26, 3, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/133>, abgerufen am 01.10.2024.