Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

zum Muster genommen, aber heilt erkannte er, daß dies nur ein Notbehelf sei.
Wollte er allgemeine Verständlichkeit erreichen, so mußte er die Sprache des
gemeinen Mannes zu Grunde legen, nachdem er sie in eine bestimmte Form
gebracht hatte. Als ein durch und durch deutscher Mann, aus dem Volke ge¬
kommen und im Volke stehend, beherrschte er wie keiner seiner Zeit den vor¬
liegenden Sprachstoff und konnte so auch getrost seinem schöpferischen Genius
nachgeben. Die Gefahr ängstlicher Wörtlichkeit lag ihm, der kein "Buchstabilist"
sein wollte, nicht nahe, eher die Gefahr, zu frei seinen Genius walten zu lassen,
doch bewahrte ihn die tiefe Ehrfurcht vor dem gegebenen Schriftwortc und seine
Vertrautheit mit der biblischen Anschauungsweise, bisweilen wohl auch sein
Freund Melanchthon, der immer darauf drang, dem Originaltext gerecht zu
werden, vor Mißgriffen und Übergriffen, und so sehen wir ihn, wie er mit der
größten Vorsicht, ganz allmählich, in den neuen Ausgaben seiner Übersetzung
die dem Deutschen widersprechenden Formen des Originals beseitigte. Immer aufs
neue war er bemüht zu bessern und zu feilen, und die zehn Originalausgaben,
die er erlebte, zeigen, wie seine Sprache von Jahr zu Jahr an Reinheit, Ans-
drucksfähigkeit und Gelenkigkeit gewann.

Wir geben ein paar Beispiele. Psalm 6, 10 z. B. lautet in der Ausgabe
von 1524: "Got erhöret hat mein gebeet, Got hat cmffgenommen mein bitten,"
in der vom Jahre 1531: "Der Herr hat meyn flehen gehöret, meyn gebet hat
der Herr angenommen," 1545: "Der Herr höret mein flehen, mein gebet
nimpt der Herr an." Man sieht, daß Luther recht hat, wenn er sagt, die
Ausgabe von 1524 stehe dem Hebräischen, die von 1531 dem Deutschen näher,
denn während er sich anfangs durch das Original noch binden ließ, suchte er
später mehr der deutschen Sprachart zu entsprechen. Ein andres Beispiel ent¬
nehmen wir dem neuen Testament: die Übersetzung von Matth. 12, 34, über
welche Luther in seinem Sendschreiben "vom Dolmetscher" folgendes sagt:
"Als wenn Christus spricht: sx g.l)unäg,iitig, voraus os locMtur. Wenn ich den
Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstabe" vorlegen, und also dol¬
metschen: aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund. Sag mir, ist das
deutsch geredt? Welcher Deutscher versteht solches? Was ist Überfluß des
Herzens vor ein Deutsch? Das kann kein Deutscher sagen, es sei, daß einer
ein allzu groß Herz hab, oder zu viel Herzens hab. Wiewohl das auch noch
nicht recht ist. Denn Ueberfluß des Herzens ist kein deutsch; so wenig als das
deutsch ist. Überfluß des Hauses, Überfluß des Kachelofens, Überfluß der Bank:
sondern also redt die Mutter im Hause und der gemeine Mann: Weß das
Herz voll ist, deß geht der Mund über. Das heißt gut deutsch geredt; deß
ich mich geflisfen, und leider nicht alle Wege erreicht noch getroffen hab. Denn
die lateinischen Buchstaben hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden."

Trotz solcher Vorzüge ist Luthers Bibelübersetzung vielfach der Verbesserung
fähig und bedürftig. In den drei Jahrhunderten, die seit der Reformation


Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

zum Muster genommen, aber heilt erkannte er, daß dies nur ein Notbehelf sei.
Wollte er allgemeine Verständlichkeit erreichen, so mußte er die Sprache des
gemeinen Mannes zu Grunde legen, nachdem er sie in eine bestimmte Form
gebracht hatte. Als ein durch und durch deutscher Mann, aus dem Volke ge¬
kommen und im Volke stehend, beherrschte er wie keiner seiner Zeit den vor¬
liegenden Sprachstoff und konnte so auch getrost seinem schöpferischen Genius
nachgeben. Die Gefahr ängstlicher Wörtlichkeit lag ihm, der kein „Buchstabilist"
sein wollte, nicht nahe, eher die Gefahr, zu frei seinen Genius walten zu lassen,
doch bewahrte ihn die tiefe Ehrfurcht vor dem gegebenen Schriftwortc und seine
Vertrautheit mit der biblischen Anschauungsweise, bisweilen wohl auch sein
Freund Melanchthon, der immer darauf drang, dem Originaltext gerecht zu
werden, vor Mißgriffen und Übergriffen, und so sehen wir ihn, wie er mit der
größten Vorsicht, ganz allmählich, in den neuen Ausgaben seiner Übersetzung
die dem Deutschen widersprechenden Formen des Originals beseitigte. Immer aufs
neue war er bemüht zu bessern und zu feilen, und die zehn Originalausgaben,
die er erlebte, zeigen, wie seine Sprache von Jahr zu Jahr an Reinheit, Ans-
drucksfähigkeit und Gelenkigkeit gewann.

Wir geben ein paar Beispiele. Psalm 6, 10 z. B. lautet in der Ausgabe
von 1524: „Got erhöret hat mein gebeet, Got hat cmffgenommen mein bitten,"
in der vom Jahre 1531: „Der Herr hat meyn flehen gehöret, meyn gebet hat
der Herr angenommen," 1545: „Der Herr höret mein flehen, mein gebet
nimpt der Herr an." Man sieht, daß Luther recht hat, wenn er sagt, die
Ausgabe von 1524 stehe dem Hebräischen, die von 1531 dem Deutschen näher,
denn während er sich anfangs durch das Original noch binden ließ, suchte er
später mehr der deutschen Sprachart zu entsprechen. Ein andres Beispiel ent¬
nehmen wir dem neuen Testament: die Übersetzung von Matth. 12, 34, über
welche Luther in seinem Sendschreiben „vom Dolmetscher" folgendes sagt:
„Als wenn Christus spricht: sx g.l)unäg,iitig, voraus os locMtur. Wenn ich den
Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstabe» vorlegen, und also dol¬
metschen: aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund. Sag mir, ist das
deutsch geredt? Welcher Deutscher versteht solches? Was ist Überfluß des
Herzens vor ein Deutsch? Das kann kein Deutscher sagen, es sei, daß einer
ein allzu groß Herz hab, oder zu viel Herzens hab. Wiewohl das auch noch
nicht recht ist. Denn Ueberfluß des Herzens ist kein deutsch; so wenig als das
deutsch ist. Überfluß des Hauses, Überfluß des Kachelofens, Überfluß der Bank:
sondern also redt die Mutter im Hause und der gemeine Mann: Weß das
Herz voll ist, deß geht der Mund über. Das heißt gut deutsch geredt; deß
ich mich geflisfen, und leider nicht alle Wege erreicht noch getroffen hab. Denn
die lateinischen Buchstaben hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden."

Trotz solcher Vorzüge ist Luthers Bibelübersetzung vielfach der Verbesserung
fähig und bedürftig. In den drei Jahrhunderten, die seit der Reformation


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152889"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_541" prev="#ID_540"> zum Muster genommen, aber heilt erkannte er, daß dies nur ein Notbehelf sei.<lb/>
Wollte er allgemeine Verständlichkeit erreichen, so mußte er die Sprache des<lb/>
gemeinen Mannes zu Grunde legen, nachdem er sie in eine bestimmte Form<lb/>
gebracht hatte. Als ein durch und durch deutscher Mann, aus dem Volke ge¬<lb/>
kommen und im Volke stehend, beherrschte er wie keiner seiner Zeit den vor¬<lb/>
liegenden Sprachstoff und konnte so auch getrost seinem schöpferischen Genius<lb/>
nachgeben. Die Gefahr ängstlicher Wörtlichkeit lag ihm, der kein &#x201E;Buchstabilist"<lb/>
sein wollte, nicht nahe, eher die Gefahr, zu frei seinen Genius walten zu lassen,<lb/>
doch bewahrte ihn die tiefe Ehrfurcht vor dem gegebenen Schriftwortc und seine<lb/>
Vertrautheit mit der biblischen Anschauungsweise, bisweilen wohl auch sein<lb/>
Freund Melanchthon, der immer darauf drang, dem Originaltext gerecht zu<lb/>
werden, vor Mißgriffen und Übergriffen, und so sehen wir ihn, wie er mit der<lb/>
größten Vorsicht, ganz allmählich, in den neuen Ausgaben seiner Übersetzung<lb/>
die dem Deutschen widersprechenden Formen des Originals beseitigte. Immer aufs<lb/>
neue war er bemüht zu bessern und zu feilen, und die zehn Originalausgaben,<lb/>
die er erlebte, zeigen, wie seine Sprache von Jahr zu Jahr an Reinheit, Ans-<lb/>
drucksfähigkeit und Gelenkigkeit gewann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_542"> Wir geben ein paar Beispiele. Psalm 6, 10 z. B. lautet in der Ausgabe<lb/>
von 1524: &#x201E;Got erhöret hat mein gebeet, Got hat cmffgenommen mein bitten,"<lb/>
in der vom Jahre 1531: &#x201E;Der Herr hat meyn flehen gehöret, meyn gebet hat<lb/>
der Herr angenommen," 1545: &#x201E;Der Herr höret mein flehen, mein gebet<lb/>
nimpt der Herr an." Man sieht, daß Luther recht hat, wenn er sagt, die<lb/>
Ausgabe von 1524 stehe dem Hebräischen, die von 1531 dem Deutschen näher,<lb/>
denn während er sich anfangs durch das Original noch binden ließ, suchte er<lb/>
später mehr der deutschen Sprachart zu entsprechen. Ein andres Beispiel ent¬<lb/>
nehmen wir dem neuen Testament: die Übersetzung von Matth. 12, 34, über<lb/>
welche Luther in seinem Sendschreiben &#x201E;vom Dolmetscher" folgendes sagt:<lb/>
&#x201E;Als wenn Christus spricht: sx g.l)unäg,iitig, voraus os locMtur. Wenn ich den<lb/>
Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstabe» vorlegen, und also dol¬<lb/>
metschen: aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund. Sag mir, ist das<lb/>
deutsch geredt? Welcher Deutscher versteht solches? Was ist Überfluß des<lb/>
Herzens vor ein Deutsch? Das kann kein Deutscher sagen, es sei, daß einer<lb/>
ein allzu groß Herz hab, oder zu viel Herzens hab. Wiewohl das auch noch<lb/>
nicht recht ist. Denn Ueberfluß des Herzens ist kein deutsch; so wenig als das<lb/>
deutsch ist. Überfluß des Hauses, Überfluß des Kachelofens, Überfluß der Bank:<lb/>
sondern also redt die Mutter im Hause und der gemeine Mann: Weß das<lb/>
Herz voll ist, deß geht der Mund über. Das heißt gut deutsch geredt; deß<lb/>
ich mich geflisfen, und leider nicht alle Wege erreicht noch getroffen hab. Denn<lb/>
die lateinischen Buchstaben hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_543" next="#ID_544"> Trotz solcher Vorzüge ist Luthers Bibelübersetzung vielfach der Verbesserung<lb/>
fähig und bedürftig.  In den drei Jahrhunderten, die seit der Reformation</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0132] Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung. zum Muster genommen, aber heilt erkannte er, daß dies nur ein Notbehelf sei. Wollte er allgemeine Verständlichkeit erreichen, so mußte er die Sprache des gemeinen Mannes zu Grunde legen, nachdem er sie in eine bestimmte Form gebracht hatte. Als ein durch und durch deutscher Mann, aus dem Volke ge¬ kommen und im Volke stehend, beherrschte er wie keiner seiner Zeit den vor¬ liegenden Sprachstoff und konnte so auch getrost seinem schöpferischen Genius nachgeben. Die Gefahr ängstlicher Wörtlichkeit lag ihm, der kein „Buchstabilist" sein wollte, nicht nahe, eher die Gefahr, zu frei seinen Genius walten zu lassen, doch bewahrte ihn die tiefe Ehrfurcht vor dem gegebenen Schriftwortc und seine Vertrautheit mit der biblischen Anschauungsweise, bisweilen wohl auch sein Freund Melanchthon, der immer darauf drang, dem Originaltext gerecht zu werden, vor Mißgriffen und Übergriffen, und so sehen wir ihn, wie er mit der größten Vorsicht, ganz allmählich, in den neuen Ausgaben seiner Übersetzung die dem Deutschen widersprechenden Formen des Originals beseitigte. Immer aufs neue war er bemüht zu bessern und zu feilen, und die zehn Originalausgaben, die er erlebte, zeigen, wie seine Sprache von Jahr zu Jahr an Reinheit, Ans- drucksfähigkeit und Gelenkigkeit gewann. Wir geben ein paar Beispiele. Psalm 6, 10 z. B. lautet in der Ausgabe von 1524: „Got erhöret hat mein gebeet, Got hat cmffgenommen mein bitten," in der vom Jahre 1531: „Der Herr hat meyn flehen gehöret, meyn gebet hat der Herr angenommen," 1545: „Der Herr höret mein flehen, mein gebet nimpt der Herr an." Man sieht, daß Luther recht hat, wenn er sagt, die Ausgabe von 1524 stehe dem Hebräischen, die von 1531 dem Deutschen näher, denn während er sich anfangs durch das Original noch binden ließ, suchte er später mehr der deutschen Sprachart zu entsprechen. Ein andres Beispiel ent¬ nehmen wir dem neuen Testament: die Übersetzung von Matth. 12, 34, über welche Luther in seinem Sendschreiben „vom Dolmetscher" folgendes sagt: „Als wenn Christus spricht: sx g.l)unäg,iitig, voraus os locMtur. Wenn ich den Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstabe» vorlegen, und also dol¬ metschen: aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund. Sag mir, ist das deutsch geredt? Welcher Deutscher versteht solches? Was ist Überfluß des Herzens vor ein Deutsch? Das kann kein Deutscher sagen, es sei, daß einer ein allzu groß Herz hab, oder zu viel Herzens hab. Wiewohl das auch noch nicht recht ist. Denn Ueberfluß des Herzens ist kein deutsch; so wenig als das deutsch ist. Überfluß des Hauses, Überfluß des Kachelofens, Überfluß der Bank: sondern also redt die Mutter im Hause und der gemeine Mann: Weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über. Das heißt gut deutsch geredt; deß ich mich geflisfen, und leider nicht alle Wege erreicht noch getroffen hab. Denn die lateinischen Buchstaben hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden." Trotz solcher Vorzüge ist Luthers Bibelübersetzung vielfach der Verbesserung fähig und bedürftig. In den drei Jahrhunderten, die seit der Reformation

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/132
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/132>, abgerufen am 01.10.2024.