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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

alten Testaments, welches den Zweck hat, den weitern Kreis der evangelischen
Gemeindeglieder mit dem Werke bekannt zu machen: Die Revision der
Lutherischen Bibelübersetzung. Von Lio. t-nsol. Ernst Kühn, Konsisto-
rialassessor und Diakonus in Dresden (Halle, Buchhandlung des Waisenhauses).

Luthers Bibelübersetzung war eine für ihre Zeit eminente Leistung. War
Luther auch nicht der Sprachgelehrteste in jener Periode der neuerstehenden
klassischen und hebräischen Philologie, so war er doch gelehrt genug, um selb¬
ständig über exegetische Fragen urteilen zu können, und was ihm an philolo¬
gischer Tiefe abging, wurde zum Teil durch sein vorzügliches exegetisches Gefühl
und dadurch ersetzt, daß er sich ganz in den biblischen Geist eingelebt hatte.
Außerdem standen ihm verschiedne Hilfsmittel zu Gebote, welche einen wert¬
vollen Schatz exegetischer Überlieferung in sich bargen: zunächst die alten Über¬
setzungen, für beide Testamente die Vulgata, für das alte Testament noch die
griechische Übersetzung der Siebzig, ferner die lateinischen Übersetzungen des alten
Testaments von Sandes Pagninus (f 1541) und Sebastian Münster (f 1552),
welche deshalb von Bedeutung sind, weil beide Gelehrten zu den berühmtesten
Hebraisten der damaligen Zeit gehörten. Dazu kamen von Kommentaren be¬
sonders zwei, die damals sehr beliebt waren: die d1c>88g, oräing,rig, und die des
Nicolaus von Lyra (s 1340), von denen die erstere, das Werk des der ersten Hälfte
des neunten Jahrhunderts angehörigen Walafricd Strabo, eine große exegetische
Kompilation ist, welche den Kern der ältern Patristischen Exegese nach der Seite
der Wort- und Sacherklärung wie nach der der erbaulichen Auslegung enthält
und fast fünf Jahrhunderte lang für einen großen Teil des Abendlandes die
Fundgrube der ältern Bibelwisfenschaft bildete, während die letztere, bekannt
unter dem Titel ?o8Ws,6 vsrvswa" in V. se ?68eg.in.6noir, durch das zu
jener Zeit ganz ungewöhnliche Bestreben, vor allem den Wortsinn zu erfassen,
und durch die Benutzung der jüdischen Gelehrsamkeit und ihrer Erklärung des
alten Testaments ausgezeichnet war. So war Luther imstande, im ganzen
richtig zu übersetzen, wiewohl es bei einem so großartigen Werke nicht ohne
Fehler abgehen konnte.

Fast noch größere Bewunderung aber verdient Luthers Werk in Bezug
auf seine Handhabung der deutschen Sprache. Wie scharf er seine Aufgabe nach
dieser Seite hin erfaßte, mit welchem rastlosen Eifer er für die Erfüllung
dieser Aufgabe thätig war, darüber giebt er selbst in seinem Sendschreiben "vom
Dolmetscher" Auskunft. "Ich hab deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden
wollen, da ich deutsch zu reden im Dolmetscher vorgenommen hatte. Man muß
aber nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch
reden, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den ge¬
meinen Mann auf dein Markte drum fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie
sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn, und merken, daß man
deutsch mit ihnen redt." Anfangs hatte Luther den Stil der sächsischen Kanzlei sich


Die Revision der Lutherischen Bibelübersetzung.

alten Testaments, welches den Zweck hat, den weitern Kreis der evangelischen
Gemeindeglieder mit dem Werke bekannt zu machen: Die Revision der
Lutherischen Bibelübersetzung. Von Lio. t-nsol. Ernst Kühn, Konsisto-
rialassessor und Diakonus in Dresden (Halle, Buchhandlung des Waisenhauses).

Luthers Bibelübersetzung war eine für ihre Zeit eminente Leistung. War
Luther auch nicht der Sprachgelehrteste in jener Periode der neuerstehenden
klassischen und hebräischen Philologie, so war er doch gelehrt genug, um selb¬
ständig über exegetische Fragen urteilen zu können, und was ihm an philolo¬
gischer Tiefe abging, wurde zum Teil durch sein vorzügliches exegetisches Gefühl
und dadurch ersetzt, daß er sich ganz in den biblischen Geist eingelebt hatte.
Außerdem standen ihm verschiedne Hilfsmittel zu Gebote, welche einen wert¬
vollen Schatz exegetischer Überlieferung in sich bargen: zunächst die alten Über¬
setzungen, für beide Testamente die Vulgata, für das alte Testament noch die
griechische Übersetzung der Siebzig, ferner die lateinischen Übersetzungen des alten
Testaments von Sandes Pagninus (f 1541) und Sebastian Münster (f 1552),
welche deshalb von Bedeutung sind, weil beide Gelehrten zu den berühmtesten
Hebraisten der damaligen Zeit gehörten. Dazu kamen von Kommentaren be¬
sonders zwei, die damals sehr beliebt waren: die d1c>88g, oräing,rig, und die des
Nicolaus von Lyra (s 1340), von denen die erstere, das Werk des der ersten Hälfte
des neunten Jahrhunderts angehörigen Walafricd Strabo, eine große exegetische
Kompilation ist, welche den Kern der ältern Patristischen Exegese nach der Seite
der Wort- und Sacherklärung wie nach der der erbaulichen Auslegung enthält
und fast fünf Jahrhunderte lang für einen großen Teil des Abendlandes die
Fundgrube der ältern Bibelwisfenschaft bildete, während die letztere, bekannt
unter dem Titel ?o8Ws,6 vsrvswa« in V. se ?68eg.in.6noir, durch das zu
jener Zeit ganz ungewöhnliche Bestreben, vor allem den Wortsinn zu erfassen,
und durch die Benutzung der jüdischen Gelehrsamkeit und ihrer Erklärung des
alten Testaments ausgezeichnet war. So war Luther imstande, im ganzen
richtig zu übersetzen, wiewohl es bei einem so großartigen Werke nicht ohne
Fehler abgehen konnte.

Fast noch größere Bewunderung aber verdient Luthers Werk in Bezug
auf seine Handhabung der deutschen Sprache. Wie scharf er seine Aufgabe nach
dieser Seite hin erfaßte, mit welchem rastlosen Eifer er für die Erfüllung
dieser Aufgabe thätig war, darüber giebt er selbst in seinem Sendschreiben „vom
Dolmetscher" Auskunft. „Ich hab deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden
wollen, da ich deutsch zu reden im Dolmetscher vorgenommen hatte. Man muß
aber nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch
reden, sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den ge¬
meinen Mann auf dein Markte drum fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie
sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn, und merken, daß man
deutsch mit ihnen redt." Anfangs hatte Luther den Stil der sächsischen Kanzlei sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/131>, abgerufen am 03.07.2024.