Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

lieber nach andern Zielen lenken, wo für sie selbst wie für das Mutterland
günstigere Erfolge zu hoffen sind. Wir denken in erster Linie an die gemäßigten
Regionen und Gegenden Zentral- und Südamerikas, namentlich an Mexiko,
Brasilien, Argentinien, Paraguay und Chile. Wie die bisherige Erfcchruug
schon gelehrt hat, ist der Deutsche gerade unter Mischvölkern lateinischer, nament¬
lich spanischer (weniger vielleicht portugiesischer) Rasse -- vorausgesetzt, daß das
Klima der germanischen Konstitution zusagt -- vorzüglich geeignet, ein wichtiges
und vor allem sich ziemlich intakt und rein erhaltendes Kulturelement zu bilde".
Alle diese reichen und fruchtbaren Länder sind aber dein deutschen Auswandrer
fast gänzlich unbekannt, und ganz besonders fehlt es an Bereifungen und Er¬
forschungen dieser Territorien, welche den Zweck der Kolonisation im Auge
gehabt hätten. Hierzu gehört, abgesehen von theoretischer Bildung und praktischer
Kenntnis namentlich der Landwirtschaft und ihrer Produktions- und Absatzver¬
hältnisse, vor allem auch reiche eigne Erfahrung und das innige Vertrautsein
mit den Bedürfnissen der Einwandrer und den Lebensbedingungen neuer Nieder¬
lassungen. Wir möchten behaupten, daß niemand hierin kompetent sein könne,
der nicht praktisch mit den Bauern gelebt und gearbeitet und zugleich selbst schon
Kolonien in fremden Ländern eingehend kennen gelernt hat. Daß absolute Wahr¬
heitsliebe und Unparteilichkeit und Freisein von der auch bei sonst ehrlichen
Deutschen so häufigen Vereingeuvmmenheit gegen fremdes Leben und fremde
Sitten Erfordernisse ersten Ranges für solche Berichterstatter sind, braucht uicht
erwähnt zu werden.

Wenn geeignete Persönlichkeiten gefunden sind -- es genügt eine geringe
Zahl derselben, die mit der Verantwortlichkeit des Staatsbeamten auszustatten
sein würden --, so würden dieselben, versehen mit geeigneter Instruktion und
diplomatischen Empfehlungen, ihre Mission beginnen. Es dürfte sich, falls sonst
die Personen zuverlässig und erprobt sind, empfehlet?, denselben eventuell die
Befugnis wenigstens zu informatorischen Verhandlungen mit der betreffenden
Staatsregierung beizulegen, damit möglichst bald aufgeklärt werde, welche Be¬
dingungen von jener Seite deutscher Einwanderung gestellt werden. Nebenbei
mag erwähnt werden, daß auch wissenschaftlich diese Reisen, namentlich in volks¬
wirtschaftlicher Hinsicht, sicherlich bedeutende und interessante Ergebnisse liefern
würden. Auch für Landwirtschaft, Viehzucht und verwandte Urproduktionen
lassen sich mancherlei neue Aufschlüsse und Nachrichten, auch unter Umständen
praktische Resultate, wie z. B. Austausch von Kulturgewächsen, erwarten. Um
nur ein Beispiel aus dem besondern Fache des Verfassers anzuführen, so würde
sich die Akklimatisation mancher wertvollen fremden Holzarten weit aussichtsvvller
gestalten, wenn man die betreffenden Sämereien ans einer Gegend, wie z. B.
den alpinen Regionen tropischer Länder, vor allem Mexiko, beziehen wollte, wo
seit Jahrtausenden diejenigen Planzen, welche ursprünglich wärmern Regionen
angehören, sich bereits vou selbst einem angrenzenden kältern Klima angepaßt


Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

lieber nach andern Zielen lenken, wo für sie selbst wie für das Mutterland
günstigere Erfolge zu hoffen sind. Wir denken in erster Linie an die gemäßigten
Regionen und Gegenden Zentral- und Südamerikas, namentlich an Mexiko,
Brasilien, Argentinien, Paraguay und Chile. Wie die bisherige Erfcchruug
schon gelehrt hat, ist der Deutsche gerade unter Mischvölkern lateinischer, nament¬
lich spanischer (weniger vielleicht portugiesischer) Rasse — vorausgesetzt, daß das
Klima der germanischen Konstitution zusagt — vorzüglich geeignet, ein wichtiges
und vor allem sich ziemlich intakt und rein erhaltendes Kulturelement zu bilde».
Alle diese reichen und fruchtbaren Länder sind aber dein deutschen Auswandrer
fast gänzlich unbekannt, und ganz besonders fehlt es an Bereifungen und Er¬
forschungen dieser Territorien, welche den Zweck der Kolonisation im Auge
gehabt hätten. Hierzu gehört, abgesehen von theoretischer Bildung und praktischer
Kenntnis namentlich der Landwirtschaft und ihrer Produktions- und Absatzver¬
hältnisse, vor allem auch reiche eigne Erfahrung und das innige Vertrautsein
mit den Bedürfnissen der Einwandrer und den Lebensbedingungen neuer Nieder¬
lassungen. Wir möchten behaupten, daß niemand hierin kompetent sein könne,
der nicht praktisch mit den Bauern gelebt und gearbeitet und zugleich selbst schon
Kolonien in fremden Ländern eingehend kennen gelernt hat. Daß absolute Wahr¬
heitsliebe und Unparteilichkeit und Freisein von der auch bei sonst ehrlichen
Deutschen so häufigen Vereingeuvmmenheit gegen fremdes Leben und fremde
Sitten Erfordernisse ersten Ranges für solche Berichterstatter sind, braucht uicht
erwähnt zu werden.

Wenn geeignete Persönlichkeiten gefunden sind — es genügt eine geringe
Zahl derselben, die mit der Verantwortlichkeit des Staatsbeamten auszustatten
sein würden —, so würden dieselben, versehen mit geeigneter Instruktion und
diplomatischen Empfehlungen, ihre Mission beginnen. Es dürfte sich, falls sonst
die Personen zuverlässig und erprobt sind, empfehlet?, denselben eventuell die
Befugnis wenigstens zu informatorischen Verhandlungen mit der betreffenden
Staatsregierung beizulegen, damit möglichst bald aufgeklärt werde, welche Be¬
dingungen von jener Seite deutscher Einwanderung gestellt werden. Nebenbei
mag erwähnt werden, daß auch wissenschaftlich diese Reisen, namentlich in volks¬
wirtschaftlicher Hinsicht, sicherlich bedeutende und interessante Ergebnisse liefern
würden. Auch für Landwirtschaft, Viehzucht und verwandte Urproduktionen
lassen sich mancherlei neue Aufschlüsse und Nachrichten, auch unter Umständen
praktische Resultate, wie z. B. Austausch von Kulturgewächsen, erwarten. Um
nur ein Beispiel aus dem besondern Fache des Verfassers anzuführen, so würde
sich die Akklimatisation mancher wertvollen fremden Holzarten weit aussichtsvvller
gestalten, wenn man die betreffenden Sämereien ans einer Gegend, wie z. B.
den alpinen Regionen tropischer Länder, vor allem Mexiko, beziehen wollte, wo
seit Jahrtausenden diejenigen Planzen, welche ursprünglich wärmern Regionen
angehören, sich bereits vou selbst einem angrenzenden kältern Klima angepaßt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/152883"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_520" prev="#ID_519"> lieber nach andern Zielen lenken, wo für sie selbst wie für das Mutterland<lb/>
günstigere Erfolge zu hoffen sind. Wir denken in erster Linie an die gemäßigten<lb/>
Regionen und Gegenden Zentral- und Südamerikas, namentlich an Mexiko,<lb/>
Brasilien, Argentinien, Paraguay und Chile. Wie die bisherige Erfcchruug<lb/>
schon gelehrt hat, ist der Deutsche gerade unter Mischvölkern lateinischer, nament¬<lb/>
lich spanischer (weniger vielleicht portugiesischer) Rasse &#x2014; vorausgesetzt, daß das<lb/>
Klima der germanischen Konstitution zusagt &#x2014; vorzüglich geeignet, ein wichtiges<lb/>
und vor allem sich ziemlich intakt und rein erhaltendes Kulturelement zu bilde».<lb/>
Alle diese reichen und fruchtbaren Länder sind aber dein deutschen Auswandrer<lb/>
fast gänzlich unbekannt, und ganz besonders fehlt es an Bereifungen und Er¬<lb/>
forschungen dieser Territorien, welche den Zweck der Kolonisation im Auge<lb/>
gehabt hätten. Hierzu gehört, abgesehen von theoretischer Bildung und praktischer<lb/>
Kenntnis namentlich der Landwirtschaft und ihrer Produktions- und Absatzver¬<lb/>
hältnisse, vor allem auch reiche eigne Erfahrung und das innige Vertrautsein<lb/>
mit den Bedürfnissen der Einwandrer und den Lebensbedingungen neuer Nieder¬<lb/>
lassungen. Wir möchten behaupten, daß niemand hierin kompetent sein könne,<lb/>
der nicht praktisch mit den Bauern gelebt und gearbeitet und zugleich selbst schon<lb/>
Kolonien in fremden Ländern eingehend kennen gelernt hat. Daß absolute Wahr¬<lb/>
heitsliebe und Unparteilichkeit und Freisein von der auch bei sonst ehrlichen<lb/>
Deutschen so häufigen Vereingeuvmmenheit gegen fremdes Leben und fremde<lb/>
Sitten Erfordernisse ersten Ranges für solche Berichterstatter sind, braucht uicht<lb/>
erwähnt zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_521" next="#ID_522"> Wenn geeignete Persönlichkeiten gefunden sind &#x2014; es genügt eine geringe<lb/>
Zahl derselben, die mit der Verantwortlichkeit des Staatsbeamten auszustatten<lb/>
sein würden &#x2014;, so würden dieselben, versehen mit geeigneter Instruktion und<lb/>
diplomatischen Empfehlungen, ihre Mission beginnen. Es dürfte sich, falls sonst<lb/>
die Personen zuverlässig und erprobt sind, empfehlet?, denselben eventuell die<lb/>
Befugnis wenigstens zu informatorischen Verhandlungen mit der betreffenden<lb/>
Staatsregierung beizulegen, damit möglichst bald aufgeklärt werde, welche Be¬<lb/>
dingungen von jener Seite deutscher Einwanderung gestellt werden. Nebenbei<lb/>
mag erwähnt werden, daß auch wissenschaftlich diese Reisen, namentlich in volks¬<lb/>
wirtschaftlicher Hinsicht, sicherlich bedeutende und interessante Ergebnisse liefern<lb/>
würden. Auch für Landwirtschaft, Viehzucht und verwandte Urproduktionen<lb/>
lassen sich mancherlei neue Aufschlüsse und Nachrichten, auch unter Umständen<lb/>
praktische Resultate, wie z. B. Austausch von Kulturgewächsen, erwarten. Um<lb/>
nur ein Beispiel aus dem besondern Fache des Verfassers anzuführen, so würde<lb/>
sich die Akklimatisation mancher wertvollen fremden Holzarten weit aussichtsvvller<lb/>
gestalten, wenn man die betreffenden Sämereien ans einer Gegend, wie z. B.<lb/>
den alpinen Regionen tropischer Länder, vor allem Mexiko, beziehen wollte, wo<lb/>
seit Jahrtausenden diejenigen Planzen, welche ursprünglich wärmern Regionen<lb/>
angehören, sich bereits vou selbst einem angrenzenden kältern Klima angepaßt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung. lieber nach andern Zielen lenken, wo für sie selbst wie für das Mutterland günstigere Erfolge zu hoffen sind. Wir denken in erster Linie an die gemäßigten Regionen und Gegenden Zentral- und Südamerikas, namentlich an Mexiko, Brasilien, Argentinien, Paraguay und Chile. Wie die bisherige Erfcchruug schon gelehrt hat, ist der Deutsche gerade unter Mischvölkern lateinischer, nament¬ lich spanischer (weniger vielleicht portugiesischer) Rasse — vorausgesetzt, daß das Klima der germanischen Konstitution zusagt — vorzüglich geeignet, ein wichtiges und vor allem sich ziemlich intakt und rein erhaltendes Kulturelement zu bilde». Alle diese reichen und fruchtbaren Länder sind aber dein deutschen Auswandrer fast gänzlich unbekannt, und ganz besonders fehlt es an Bereifungen und Er¬ forschungen dieser Territorien, welche den Zweck der Kolonisation im Auge gehabt hätten. Hierzu gehört, abgesehen von theoretischer Bildung und praktischer Kenntnis namentlich der Landwirtschaft und ihrer Produktions- und Absatzver¬ hältnisse, vor allem auch reiche eigne Erfahrung und das innige Vertrautsein mit den Bedürfnissen der Einwandrer und den Lebensbedingungen neuer Nieder¬ lassungen. Wir möchten behaupten, daß niemand hierin kompetent sein könne, der nicht praktisch mit den Bauern gelebt und gearbeitet und zugleich selbst schon Kolonien in fremden Ländern eingehend kennen gelernt hat. Daß absolute Wahr¬ heitsliebe und Unparteilichkeit und Freisein von der auch bei sonst ehrlichen Deutschen so häufigen Vereingeuvmmenheit gegen fremdes Leben und fremde Sitten Erfordernisse ersten Ranges für solche Berichterstatter sind, braucht uicht erwähnt zu werden. Wenn geeignete Persönlichkeiten gefunden sind — es genügt eine geringe Zahl derselben, die mit der Verantwortlichkeit des Staatsbeamten auszustatten sein würden —, so würden dieselben, versehen mit geeigneter Instruktion und diplomatischen Empfehlungen, ihre Mission beginnen. Es dürfte sich, falls sonst die Personen zuverlässig und erprobt sind, empfehlet?, denselben eventuell die Befugnis wenigstens zu informatorischen Verhandlungen mit der betreffenden Staatsregierung beizulegen, damit möglichst bald aufgeklärt werde, welche Be¬ dingungen von jener Seite deutscher Einwanderung gestellt werden. Nebenbei mag erwähnt werden, daß auch wissenschaftlich diese Reisen, namentlich in volks¬ wirtschaftlicher Hinsicht, sicherlich bedeutende und interessante Ergebnisse liefern würden. Auch für Landwirtschaft, Viehzucht und verwandte Urproduktionen lassen sich mancherlei neue Aufschlüsse und Nachrichten, auch unter Umständen praktische Resultate, wie z. B. Austausch von Kulturgewächsen, erwarten. Um nur ein Beispiel aus dem besondern Fache des Verfassers anzuführen, so würde sich die Akklimatisation mancher wertvollen fremden Holzarten weit aussichtsvvller gestalten, wenn man die betreffenden Sämereien ans einer Gegend, wie z. B. den alpinen Regionen tropischer Länder, vor allem Mexiko, beziehen wollte, wo seit Jahrtausenden diejenigen Planzen, welche ursprünglich wärmern Regionen angehören, sich bereits vou selbst einem angrenzenden kältern Klima angepaßt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/126>, abgerufen am 03.07.2024.