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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

Abgesehen , von der afrikanischen Unternehmung des großen Kurfürsten ist
weder von Preußen noch von einem andern deutsche" Staate jemals mit direkter
Staatskolonisation ein Versuch gemacht worden. Im Projekt hat eine Staats¬
beteiligung an Kolonialunternehmungen schon mehrfach vorgelegen. Es ist hier
u. a. an die Absicht Friedrich Wilhelms IV. zu erinnern, welcher der Gräfin
Nostitz das ihr gehörige Territorium auf der Halbinsel Malacca für den Staat
abkaufen wollte, ein Plan, der nur an dem Widerstande des Finanzministers
Rother scheiterte. In neuerer Zeit ist neben der Samvavvrlagc gelegentlich
von Tunis, später von Borueo gesprochen worden.

Wenn nicht vielleicht in Afrika noch geeignete Gebiete aufgefunden werden
oder die Türkei eine größere Abtretung macht, so dürften direkte Staatskolonien
schon heute wegen Mangel an Terrain außer Diskussion bleiben. Es kann
sich nur noch darum handeln, auf indirekten Wege die deutsche Auswanderung
zum besten der Auswandrer und zum Heile des Vaterlandes selbst zu leiten
und zu fördern. Zu beklagen ist es sicherlich, daß ein großes, volkreiches
Land des Vorteils der direkten Kolonien entbehren muß, welche nicht um wenigsten
dazu beigetragen haben, andre viel kleinere und schwächere Staaten zu heben
und zu stärken. Auch würde gerade Deutschland den vtkupirteu Ländern und
Völkern eine Segnung in einem weit höhern Maße als jedes andre Land
bringen können: eine gerechte und geordnete Verwaltung.^

Der erste und wichtigste Schritt, der gethan werden müßte, ist die Schaffung
einer offiziellen Zentralstelle für das Auswanderungswesen im
auswärtigen Amt, welche einesteils alle geeigneten Nachrichten und Infor¬
mationen für die deutsche Auswanderung zu sammeln und in geeigneter Form
der Bevölkerung mitzuteilen hätte, und bei welcher andernteils alle Fäden der
vielfach verzweigten deutscheu Auswanderung zusammenliefen. Hier wäre der
Punkt, wo die Verbindung der Auswandrer mit dem Mutterlande sich kon-
zentrirte, von wo dieselben sich Rat und Hilfe erholen könnten und von wo
mit aufmerksam prüfenden Augen die verschiednen dentschen Niederlassungen
verfolgt würden.

Dem zunächst stünde das Ausfindigmachen und die Erforschung geeigneter
Territorien für die deutsche Auswanderung. Es ist dies eine Sache von der
größten Bedeutung, denn gerade dem weniger bemittelten und gebildeten Aus¬
wandrer stehen bis jetzt fast gar keine zuverlässigen Wege und Quellen zur In¬
formation über das Ziel seines Vorhabens zu Gebote, und die hauptsächlich' für
ihn maßgebenden Agenten der Transportgesellschaften verfolgen, wie bekannt,
meist ganz andre Interessen als das dauernde Wohl der Auswandrer.

Es ist allerdings richtig, daß gewisse Territorien, wie die amerikanischen
Nordstaaten, schon durch die bisherige ausgedehnte Erfahrung zahlloser Ein¬
wanderung ziemlich bekannt sind, aber abgesehen davon, daß auch hier noch
genug aufzuklären bliebe, möchten wir die künftige deutsche Auswanderung weit


Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

Abgesehen , von der afrikanischen Unternehmung des großen Kurfürsten ist
weder von Preußen noch von einem andern deutsche» Staate jemals mit direkter
Staatskolonisation ein Versuch gemacht worden. Im Projekt hat eine Staats¬
beteiligung an Kolonialunternehmungen schon mehrfach vorgelegen. Es ist hier
u. a. an die Absicht Friedrich Wilhelms IV. zu erinnern, welcher der Gräfin
Nostitz das ihr gehörige Territorium auf der Halbinsel Malacca für den Staat
abkaufen wollte, ein Plan, der nur an dem Widerstande des Finanzministers
Rother scheiterte. In neuerer Zeit ist neben der Samvavvrlagc gelegentlich
von Tunis, später von Borueo gesprochen worden.

Wenn nicht vielleicht in Afrika noch geeignete Gebiete aufgefunden werden
oder die Türkei eine größere Abtretung macht, so dürften direkte Staatskolonien
schon heute wegen Mangel an Terrain außer Diskussion bleiben. Es kann
sich nur noch darum handeln, auf indirekten Wege die deutsche Auswanderung
zum besten der Auswandrer und zum Heile des Vaterlandes selbst zu leiten
und zu fördern. Zu beklagen ist es sicherlich, daß ein großes, volkreiches
Land des Vorteils der direkten Kolonien entbehren muß, welche nicht um wenigsten
dazu beigetragen haben, andre viel kleinere und schwächere Staaten zu heben
und zu stärken. Auch würde gerade Deutschland den vtkupirteu Ländern und
Völkern eine Segnung in einem weit höhern Maße als jedes andre Land
bringen können: eine gerechte und geordnete Verwaltung.^

Der erste und wichtigste Schritt, der gethan werden müßte, ist die Schaffung
einer offiziellen Zentralstelle für das Auswanderungswesen im
auswärtigen Amt, welche einesteils alle geeigneten Nachrichten und Infor¬
mationen für die deutsche Auswanderung zu sammeln und in geeigneter Form
der Bevölkerung mitzuteilen hätte, und bei welcher andernteils alle Fäden der
vielfach verzweigten deutscheu Auswanderung zusammenliefen. Hier wäre der
Punkt, wo die Verbindung der Auswandrer mit dem Mutterlande sich kon-
zentrirte, von wo dieselben sich Rat und Hilfe erholen könnten und von wo
mit aufmerksam prüfenden Augen die verschiednen dentschen Niederlassungen
verfolgt würden.

Dem zunächst stünde das Ausfindigmachen und die Erforschung geeigneter
Territorien für die deutsche Auswanderung. Es ist dies eine Sache von der
größten Bedeutung, denn gerade dem weniger bemittelten und gebildeten Aus¬
wandrer stehen bis jetzt fast gar keine zuverlässigen Wege und Quellen zur In¬
formation über das Ziel seines Vorhabens zu Gebote, und die hauptsächlich' für
ihn maßgebenden Agenten der Transportgesellschaften verfolgen, wie bekannt,
meist ganz andre Interessen als das dauernde Wohl der Auswandrer.

Es ist allerdings richtig, daß gewisse Territorien, wie die amerikanischen
Nordstaaten, schon durch die bisherige ausgedehnte Erfahrung zahlloser Ein¬
wanderung ziemlich bekannt sind, aber abgesehen davon, daß auch hier noch
genug aufzuklären bliebe, möchten wir die künftige deutsche Auswanderung weit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/125>, abgerufen am 03.07.2024.