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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal.

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Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

und erhalten werden; die Produkte beider Länder würden zum Austausch ge¬
langen und so Gewerbe und Industrie belebt werden. Bei zersplitterter Nieder¬
lassung, die von einem Aufgehen in die neue, mächtigere Nationalität unzer¬
trennbar ist, wird ein derartiger segensreicher Verkehr unmöglich sein.

Das prägnanteste Beispiel zeigt hierin Nordamerika, wo die Deutschen im
Jahre 1880 fast 4 Prozent der gesamten Bevölkerung ausmachten und wo trotzdem
niemand von einem festen, fruchtbaren Zusammenhang mit dem Mutterlande
reden kann. Unstreitig haben die kleinen, aber kompakteren Häuflein Deutscher
in Südbrasilien, Chile :e. in dieser Hinsicht mehr geleistet.

So traurig und unbefriedigend nun diese Zustände der bisherigen deutschen
Auswanderung auch sind, so ungerecht würde es sein, dieselben hauptsächlich
den Regierungen und ihren Leitern zuzuschreiben. Abgesehen von der früheren
nationalen Zerrissenheit und den wichtigen und drängenden Aufgaben, welche
des neuen Reiches nach seiner Gründung warteten und die Sicherung nach
außen wie die Konsolidirung im Innern als das zunächst erforderliche erscheinen
ließen, ferner der unaufschiebbaren innern Zoll-, Steuer- und Wirtschaftsform
ist es wesentlich mit dem kleinlichen, ängstlichen und mißtrauischen Charakter
des leider in den Parlamenten nur zu lange einflußreich gewesenen Philistertums
zuzuschreiben, daß alle größeren Fortschritte auf diesem Gebiete bisher gehemmt
worden sind. Es war, als ob diese würdigen Nachfolger des kannegießernden
Spießbürgers richtig geahnt hätten, daß mit der Organisation dieser Verhältnisse
im größeren und nationalen Stile, mit der Schaffung eines frischen, gesunden
Flusses im ganzen Volkskörper ihrer verbissenen Opposition der Boden unter
den Füßen, ihren Bierbankzänkereien und rhetorischen Phrasen jegliches Terrain
entzogen sein würde. Denn solche kleinen Oppositionshelden und Phrasenmacher
finden unter einem großen Weltvolke keine" Platz mehr.

Als die Regierung in der Samoavorlage mit einem wirklich ernsten und
vielversprechenden Plane vor diese Männer trat, die sich stets von allein Ernster
und Positiven ferngehalten haben, da fand der große Moment ein kleines,
trauriges Philistergeschlecht! Wer sich damals gerade im Auslande befand, der
konnte von dem jüngsten Kommis in den Hafenstädten ferner Länder treffende
und drastische Urteile, über die wohlweisen Professoren und Klubredner des
deutschen Reichstages hören, welche eins der segensreichsten Projekte der Regierung
vereitelten.

Nun, jene Gelegenheit ist dahin, auch manche andre seitdem entschwunden
(z. B. Borneo), das Volk der Träumer und Denker hat ruhig gesessen und der
Verteilung der Welt zugeschaut, welche das Volk der Krämer und Rechner,
sowie die bei aller thörichten Revanchelust und allen inneren Schwierigkeiten
doch in diesem Punkte sehr zielbewußter Franzosen vorgenommen haben. Soll
dieses unthätige Verhalten ewig währen?

Es fragt sich: Was ist heute noch zu retten, was ist zu thun?


Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung.

und erhalten werden; die Produkte beider Länder würden zum Austausch ge¬
langen und so Gewerbe und Industrie belebt werden. Bei zersplitterter Nieder¬
lassung, die von einem Aufgehen in die neue, mächtigere Nationalität unzer¬
trennbar ist, wird ein derartiger segensreicher Verkehr unmöglich sein.

Das prägnanteste Beispiel zeigt hierin Nordamerika, wo die Deutschen im
Jahre 1880 fast 4 Prozent der gesamten Bevölkerung ausmachten und wo trotzdem
niemand von einem festen, fruchtbaren Zusammenhang mit dem Mutterlande
reden kann. Unstreitig haben die kleinen, aber kompakteren Häuflein Deutscher
in Südbrasilien, Chile :e. in dieser Hinsicht mehr geleistet.

So traurig und unbefriedigend nun diese Zustände der bisherigen deutschen
Auswanderung auch sind, so ungerecht würde es sein, dieselben hauptsächlich
den Regierungen und ihren Leitern zuzuschreiben. Abgesehen von der früheren
nationalen Zerrissenheit und den wichtigen und drängenden Aufgaben, welche
des neuen Reiches nach seiner Gründung warteten und die Sicherung nach
außen wie die Konsolidirung im Innern als das zunächst erforderliche erscheinen
ließen, ferner der unaufschiebbaren innern Zoll-, Steuer- und Wirtschaftsform
ist es wesentlich mit dem kleinlichen, ängstlichen und mißtrauischen Charakter
des leider in den Parlamenten nur zu lange einflußreich gewesenen Philistertums
zuzuschreiben, daß alle größeren Fortschritte auf diesem Gebiete bisher gehemmt
worden sind. Es war, als ob diese würdigen Nachfolger des kannegießernden
Spießbürgers richtig geahnt hätten, daß mit der Organisation dieser Verhältnisse
im größeren und nationalen Stile, mit der Schaffung eines frischen, gesunden
Flusses im ganzen Volkskörper ihrer verbissenen Opposition der Boden unter
den Füßen, ihren Bierbankzänkereien und rhetorischen Phrasen jegliches Terrain
entzogen sein würde. Denn solche kleinen Oppositionshelden und Phrasenmacher
finden unter einem großen Weltvolke keine» Platz mehr.

Als die Regierung in der Samoavorlage mit einem wirklich ernsten und
vielversprechenden Plane vor diese Männer trat, die sich stets von allein Ernster
und Positiven ferngehalten haben, da fand der große Moment ein kleines,
trauriges Philistergeschlecht! Wer sich damals gerade im Auslande befand, der
konnte von dem jüngsten Kommis in den Hafenstädten ferner Länder treffende
und drastische Urteile, über die wohlweisen Professoren und Klubredner des
deutschen Reichstages hören, welche eins der segensreichsten Projekte der Regierung
vereitelten.

Nun, jene Gelegenheit ist dahin, auch manche andre seitdem entschwunden
(z. B. Borneo), das Volk der Träumer und Denker hat ruhig gesessen und der
Verteilung der Welt zugeschaut, welche das Volk der Krämer und Rechner,
sowie die bei aller thörichten Revanchelust und allen inneren Schwierigkeiten
doch in diesem Punkte sehr zielbewußter Franzosen vorgenommen haben. Soll
dieses unthätige Verhalten ewig währen?

Es fragt sich: Was ist heute noch zu retten, was ist zu thun?


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[0124] Die Pflichten des Reiches gegen die deutsche Auswanderung. und erhalten werden; die Produkte beider Länder würden zum Austausch ge¬ langen und so Gewerbe und Industrie belebt werden. Bei zersplitterter Nieder¬ lassung, die von einem Aufgehen in die neue, mächtigere Nationalität unzer¬ trennbar ist, wird ein derartiger segensreicher Verkehr unmöglich sein. Das prägnanteste Beispiel zeigt hierin Nordamerika, wo die Deutschen im Jahre 1880 fast 4 Prozent der gesamten Bevölkerung ausmachten und wo trotzdem niemand von einem festen, fruchtbaren Zusammenhang mit dem Mutterlande reden kann. Unstreitig haben die kleinen, aber kompakteren Häuflein Deutscher in Südbrasilien, Chile :e. in dieser Hinsicht mehr geleistet. So traurig und unbefriedigend nun diese Zustände der bisherigen deutschen Auswanderung auch sind, so ungerecht würde es sein, dieselben hauptsächlich den Regierungen und ihren Leitern zuzuschreiben. Abgesehen von der früheren nationalen Zerrissenheit und den wichtigen und drängenden Aufgaben, welche des neuen Reiches nach seiner Gründung warteten und die Sicherung nach außen wie die Konsolidirung im Innern als das zunächst erforderliche erscheinen ließen, ferner der unaufschiebbaren innern Zoll-, Steuer- und Wirtschaftsform ist es wesentlich mit dem kleinlichen, ängstlichen und mißtrauischen Charakter des leider in den Parlamenten nur zu lange einflußreich gewesenen Philistertums zuzuschreiben, daß alle größeren Fortschritte auf diesem Gebiete bisher gehemmt worden sind. Es war, als ob diese würdigen Nachfolger des kannegießernden Spießbürgers richtig geahnt hätten, daß mit der Organisation dieser Verhältnisse im größeren und nationalen Stile, mit der Schaffung eines frischen, gesunden Flusses im ganzen Volkskörper ihrer verbissenen Opposition der Boden unter den Füßen, ihren Bierbankzänkereien und rhetorischen Phrasen jegliches Terrain entzogen sein würde. Denn solche kleinen Oppositionshelden und Phrasenmacher finden unter einem großen Weltvolke keine» Platz mehr. Als die Regierung in der Samoavorlage mit einem wirklich ernsten und vielversprechenden Plane vor diese Männer trat, die sich stets von allein Ernster und Positiven ferngehalten haben, da fand der große Moment ein kleines, trauriges Philistergeschlecht! Wer sich damals gerade im Auslande befand, der konnte von dem jüngsten Kommis in den Hafenstädten ferner Länder treffende und drastische Urteile, über die wohlweisen Professoren und Klubredner des deutschen Reichstages hören, welche eins der segensreichsten Projekte der Regierung vereitelten. Nun, jene Gelegenheit ist dahin, auch manche andre seitdem entschwunden (z. B. Borneo), das Volk der Träumer und Denker hat ruhig gesessen und der Verteilung der Welt zugeschaut, welche das Volk der Krämer und Rechner, sowie die bei aller thörichten Revanchelust und allen inneren Schwierigkeiten doch in diesem Punkte sehr zielbewußter Franzosen vorgenommen haben. Soll dieses unthätige Verhalten ewig währen? Es fragt sich: Was ist heute noch zu retten, was ist zu thun?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_152756/124>, abgerufen am 03.07.2024.